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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 24.10.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-10-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19141024010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914102401
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914102401
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-10
- Tag 1914-10-24
-
Monat
1914-10
-
Jahr
1914
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Kunst- ^Wissenschaft und Anterhaltung ver Krieg un- -i« Kunst. Uns wirb geschrieben: Die Beschießung der Kathedrale von Reims durch unsere Gelchütze lxot bekanntlich einen Entrüstungs sturm, nicht nur bei unseren Feinden, auch in neu tralen Ländern hervorgerufen. Uebcr die Torheit dieses Lärms sind alle Verständigen einig. Wenn sich jemand vor die Venus von Milo stellt, um auf mich zu schießen, dann schieße ,ch natürlich zurück, so leid es mir auch tut, das Meisterwerk zu gefährden, soweit ist alles klar und in Ordnung. Aber nicht in Ordnung ist manches, was sich an die.en streit bei uns angeschlossen bat. Daß der schweizer Maler Hodler eine aus demselben Anlaß in Genf erschienene Kundgebung, die in albernes schimpfen über uns deutsche „Barbaren" ausartetc, mituntcrschrieb, be weist gewiß seine mangelhafte Ueberlegung und seine schnöde Undankbarkeit für all die Ehre, die ihm Deutschland vor allen anderen Ländern erwiesen hatte; es verdient jede persönliche Zurechtweisung. Wenn aber zur Strafe dafür der ehrwürdige Senior der Universität Jena oder gar schon diese selbst ihren bedeutendsten künstlerischen Schmuck, Hodlers Ge mälde des Auszugs deutscher Studenten in den Frei heitskrieg, an den Meistbietenden verkaufen will, dann beruht dieser Plan auf erregter Verwechslung von Dingen, die, in Ruhe betrachtet, nichts mit einander zu tun haben. Hodlers Gemälde bleibt ein prachtvoller künstlerischer Ausdruck für ein ruhm reiches Stück unserer Geschichte, mag auch der Maler in jüngster Zeit ein sehr mangelhaftes Verständnis für sie gezeigt und uns dadurch beleidigt haben. Woll ten wir allen Kunstbesitz, dessen Meister sich irgend einmal ähnlich an uns vergangen haben, in die'en leidenschaftlich bewegten Zeiten hinauswerscn, dann würden wir uns nach dem Kriege bitter verarmt finden an Werten, die Millionen von uns erheben und förderten. — Im entgegengesetzten Sinne abzu weisen ist eine andere Aeußerung, die sich ele ch'alls an die Reimshetzc anschlicßt. Unsere Beschießung der Kathedrale erklärte ein italienischer Schreier als Racheakt für das angeblick-e Scheitern des angeb lichen Planes, aus dem Kunstbesitz der Feinde unsere Museen zu bereichern. Der Hauptadressat dieses albernen Borwurfs Generaldirektor Bode in Berlin, lxot ihn sogleich scharf ruriickgewiescn mit der bün digen Erklärung, daß bei uns niemand dem unrühm lichen Vorbilde Napoleons nachstrebt. Aber ein Dresdner Blatt glaubte Bode Lügen strafen zu dürfen, indem es versicherte, die Mehrheit des deutschen Vol kes wünsche vielmehr, dereinst die niedergcworfenen Feinde auch auf diesem Gebiete aufs härteste zu strafen. Wir freuen uns, sagen zu dürfen, daß hinter dieser Aufforderung zum brutalen Kunstraud keine von den maßgebenden Persönlichkeiten Dresdens steht. Es ist dringend zu wünschen, daß der vornehme Sinn dos deutschen Volkes solches Wutgeheul ablevnt. Sonst könnte der Tag erscheinen, wo wir den Haß der Ra tionen nicht mehr als Ausgeburt des blassen Neides betrachten dürften. * Aus den städtischen Theatern. Infolge vcrtrag- lick-cr Verpflichtungen und der zurzeit bestehend.n Verkehrserschwerungcn konnte Frau Luise M odes- Wülf ein weiteres Gastspiel aus Anstellung, zu wel chem sic verpflichtet ist, jetzt nicht absolvieren. Die Intendanz hat sich deshalb entschlossen, den Vertrag, der sie an unsere Bühne bindet, zunächst für die Spiel zeit 1911/15> in Kraft treten zu lassen. — Zu der Erstaufführung „Die Ulanen" singt Rudi Gfaller ini 2. Akt als Einlage ein von ihm ver tontes patriotisches Marschned „Laßt sie nur kom men", Text von Dr. Willi Lohöfer. * Die kriegszahnärztlichen Kurse, die auf Veran lassung des Kultusministeriums am Zahnärztlichen Institut der Universität Leipzig abgehalten wurden, und über die bereits kurz berichtet worden ist, gehen jetzt ihrem Ende entgegen. Der Besuch war außerordentlich zahlreich: nicht nur Zahnärzte aus Leipzig und Umgegend nahmen daran teU, sondern auch solche aus Dresden, Halle, Chemnitz usw. Es führte Herr Professor Pfaff die Teilnehmer in das umfangreiche Gebiet der zahnärztlichen Kriegs chirurgie ein, di« besonders darin besteht, die Schuß. Verletzungen der Kiefer, die einen großen Pro zentsatz der Kopfverletzungen bilden, durch geeignete Schienen, Verbände usw. zu heilen. Wenn man die Erfolge der zahnärztlichen Behandlung auch bei aus gedehnten Zertrümmerungen betrachtet, und wenn man sieht, wie das Aussehen gebessert uird vor allem die Kautätigkeit wieder völlig hergestellt wird, so er kennt man den großen Wert und die Bedeutung, welche die moderne Zahnheilkunde auch am Dienste des Vaterlandes besitzt. Herr Professor Pfaff unter richtete über dieses wichtige Gebiet in zahlreichen Stunden nicht nur theoretisch, sondern stellte auch e'ne Menge Verletzter schon aus diesem Kriege, die seiner Behandlung von der Militärbehörde anvertraut sind, seinen Hörern vor. Herr Dr. Schön deck unter stützte die Ausführungen des Herrn Professor Pfaff durch vorzügliche Demonstrationen in Röntgenauf nahmen der Kiefer, und es hatte jeder Kursteil nehmer auch Gelegenheit, solche Röntgenaufnahmen selbst praktisch auszuführen. Zu gleicher Zeit hielt Herr Prioatdozent Dr. Freiherr von Lesser eine» allgemeinen Verbandkursus mit praktischen Hebungen ab. — Nach dem Feldzug 1870^71 sprach der be rühmte Chirurg Langenbeck es aus. daß er nie einen Feldzug ohne kriegsgcschulte Zahnärzte mehr mit machen möchte; es ist den obengenannten Herren zu danken, rvenn solche kriegsgcschulte Zahnärzte in größerer Zahl jetzt zur Verfügung stehen. Dr. I-. * TheaterchroniL. Die Intendanz des fürstlichen Hoftheaters zu Gera, Neuß, hat beschlossen, das Personal, das vom Fürsten Heinrich XXVIl. eine Sustentationsgage erhält, in den Dienst des Vaterlandes zu stellen. Es haben bereits mehrere Vorstellungen zu wohltätigen Zwecken stattgefunden. Das Personal des fürstlichen Hofthcaters spielt bis auf weiteres in der dortigen Tonhalle und nicht im Hcftheater. — Das Meininger Hoftheater, das nun doch seine künstlerische Arbeit ausgenommen hat, wurde mit einem Weihespiel von Richard Voß eröffnet, in dem der Dichter der unsterblichen Kunst und dem Wirken des Herzogs fürs Vaterland in erhebenden Versen ein Denkmal setzte. Im An schluß daran ging Kleist's „Prinz von Hom burg" in Szene. Der Vorstellung wohnten Herzog Bernhard von Meiningen und die Freifrau von Held burg, die Witwe des verstorbenen Herzogs, bei. — Arthur Schnitzler, besten dramatische Historie ..Der junge Medardus" im Berliner Lessing- Theater zum ersten Male in Szene geht, stellt die Hälfte seines Anteils an allen Einnahmen des Stückes zugunsten hilfsbedürftiger Schauspieler und zur Beschaffung von Liebesgaben für die deutsch österreichische Armee zur Verfügung. — Friedrich Äayßler ist für die Rolle des Luther im Drama „Die Nachtigall von Wittenberg" von August Strindberg, dessen Uraufführung An fang November im Berliner Deutschen Künstler- Theater stattfindet, verpflichtet worden. — „Katt e", das neue fünfaktigc Drama von Hermann Burte (dem Dichter des „Wiltfeber" und des „Herzog Utz") wird am 3t. Oktober am Königlichen Schau spielhaus in Dresden seine Uraufführung haben. Das Werk ist ferner zur Aufführung ange nommen worden von der General-Intendantur der Königlichen Schauspiele in Berlin, vom König lichen Hoftheater in München und vom Groß herzoglichen Hof- und Rational-Theater in Mann heim. * Beethoven ein Belgier?; Pariser Blätter haben dem Tondichter Ludwig van Beethoven die belgische Staatsangehörigkeit zudiktiert, und der .Figaro" entblodet sich nichi. zu behaupten, dieses Meister« Werke seien die reinsten Emanationen des französischen Genies! Die musikgeschichtlicho Forschung hat längst als durchaus feststehend nachgewiesen, dag Beethovens Vater Holländer, seine Mutter (eine Tochter des Kochs Heinrich Kewersch zu Ehren- breitstein) eine Deutsche ist. Hierzu macht die „N. Fr. Pr." folgende sehr richtige Bemerkungen: „Die Tatsachen sprechen also eine sehr deutlick-e Sprache gegen die neuesten Entdeckungen der Pariser Kulturhiitorikcr. Freilich, die etwaige Behauptung, Beethoven habe keine deutsche Musik gemacht, lägt sich nicht aus Kirchenbüchern und Biographien wider legen. In der Kunst der tönenden Ideen entscheidet nur das Gefühl. Wir nehmen uns gar nicht die Mühe, die Frage zu beantworten, ob cs die Fran zosen mit Recht oder mit Unrecht wagen dürfen, die „Vli-i-ur 2oicnuü>", den „Fidelio", die Neunte Sinfonie und die letzten Quartette durch gewaltsame Ein reihung in ihre sran,zösische Musit zu verunglimpfen. Die Franzosen haben anfänglich Beethoven über haupt nicht verstanden. Als Habeneck vor hundert Jahren die ersten drei Sinfonien aufzuführen wagte, haben die Pariser laut gelacht. Man fand die Musik „bizarr" und „barock", empfand sic als eine Häufung barbarischer Akkorde. Wagner schrieb in jeinrr Schrift „Beethoven", die er im Siegcstaumel des Jahres 1870 verfaßte: „Dem deutschen Volke ist das Gefällige versagt; dafür ist sein wahrhaftes Dichten und Tun innig und erhaben. Und nichts kann sich den Siegen seiner Tapferkeit in diesem wundervollen Jahre 1870 erhebender zur Seite stellen als das An denken an unseren großen Beethoven, der nun vor hundert Jahren dem deutschen Volke geboren wurde. Dort, wohin jetzt unsere Waffen dringen, an dem Ursitze der „frechen Mode" hatte sein Genius schon die edelste Eroberung begonnen. . . ." Das ist nun freilich nicht mehr richtig. Indem sie ihn für ihresgleichen halten, haben die Franzosen gezeigt, daß sie Beethovens wahre Größe niemals verstanden haben. Die Behauptung, daß Deutschland „Beethovens Genie in schamloser Weise ausbeute", ist eine !m Grimme des Schwächegcfühls enistandene Phrase von solcher Unsinnigkeit, daß sie eine ernst hafte Antwort gar nicht verdient. Und wenn, wie der „Figaro" meint, Beethoven wirklich die reinste Form französischen Genies verkörpert, dann müssen wir allerdings künftig in Herrn Saint-Saüns das Urbild des deutschen Gentes verehren!" * Baurat Karl Mühlenpsordt, der hervorragende Lübecker Architekt, ist letzt als ordentlicher Proiessor auf einen neu gegründeten Lehrstuhl für Architektur und Städtebau an die B r a u nschwe ige r Technische Hochschule berufen worden. Mühlen pfordt steht gerade als Leutnant d. R. eines Infan terieregiments in Frankreich vor dem Feinde. Mühlenpsordt, der als Städtebauer und Denkmal- pfle. er ebenso wie durch seine Bauten sich einen guten Namen erworben hat. ist es vor allem zu danken. daß sich die neuen öffentlichen Gebäude Lübecks in das alte Stadtbild fv mustergüliig ein gliedern. Auch für eine erfolgreiche Ausübung der Bauberatung hat er die Wege gezeigt. Noch jüngst konnte man es ihm danken, daß sein Entwurf für die Lösung der vielumstrittenen Frage des Lübecker Holstentmes und des neuen Kaiser-Wilhelm-Volks- huufes die einzig mögliche Lösung brachte. * Vollendung von Kampfs Fichtebito. Professor Arthur K a m p s. der in diesem Frühjahr in der neuen Aula der Berliner Universität damit begann, sein Monumentalbilo Fichtes als des Redners an die deutsche Nation auf die Kathedeiwand zu malen, hat seine Arbeit an dieser vnlertändi chsn Aufgabe in den Kriegsnionalen rüstig gejörderl und ist jetzt dem Abschluß nahe. In etwa zwei Wochen dürfte das große Werk vollendet sein * Hochschulnachrichten. Professor 0. Ernst Troel'ich. der hervorragende Heidelberger Theo loge und Religionsphilosoph, der einen Rui nach Berlin angenommen hat. wird in diesem Winter noch in Heidelberg Vorlesungen halten. — In der Aula der Universität Frankfurt a. M. hat die erste Immatrikulation stattgefunden, zu der 43 Studie rende. darunter vier Damen, erichienen waren, die nach einer kurzen Ansprache des Rektors durch Hand- schlag iu Gehorsam gegenüber den Satzungen ver pflichtet wurden. — Der Archäologe Albert Raes, der Ärchiiekt der Restaurulionsardciten von Schloß Chillon, wurde zum augerordentlichen Professor der Kunstgeschichte und Archäologie an der Universität Lausanne ernannt. — In der philosophischen Fakultät der Berliner Universität hat sich soeben Dr. Ernst W a ge m a n n für das Fach der Volks wirtschaft als Privatdozent habilitiert. Seine An- trit.svorlesung hielt er über die deutschen Kolonisten in Südamerika. Wagemann hat in Heidelberg 1907 mit einer Arbeit über soziale Klassen- und Sozial politik rn Britisch Westindien die Doktorwürde er halten. Im vorigen Jahre gab Wagemann ein Buch über die Wirtschastsverfasfung der Republik Chile heraus, in dem er zur Entwicklungsgeschichte der Gelbnnrtschajt und Papierwährung Beiträge lieferte. vermischtes. Lord Byron als Prophet. Sich' ostwärts, wo des Ganges schwarzer Sohn Ani Joche schüttelt, bis er ihm cntflohn; Den Aufruhr seh' ich dort sein Haupt erheben, Es läßt die Nemesis die Mörder'beben. Bis daß den Indus färbt die Purpurflut, Wenn er erlangt des Nordens schuldig Blut. So sterbt denn! wenn euch Pallas Freiheit lieh, — Nie, daß ihr andre knechtet, wollte sic. — Zur Heimat schau' — gern siehst du nicht dahin — s ist der Verzweiflung grimmes Lächeln drtn: Tie City trauert, trotz der Feste Pracht, Weil Hungersnot und Raubgier drinnen wacht. -- Lebt wohl! Genießt die kurze Zeit; ersaßt Den Schatten eurer Macht, die schon erblaßt; Die liebsten Wünsche flieh'» oft eilend fort; Traum ist euer Reichtum, eure Macht ein Wort. Das Gold, der Menschen Wunder, ach! verrann, Was übrig blieb, vergeuden Räuber dann. Mietlinge reih» sich nicht mehr, nah und fern Erkauft, zu dem bezahlten Kriege gern. Der mllß'ge Kaufmann weint um all' die Waren, Die nicht auf Schiffen mehr vom Kai nun fahren, Zurückgesandt sicht er auch slückweis nun Sie modernd ani blockierten Strande ruhn: Der Weber bricht den Stuhl in Hungersnot. — Mit welchem Blicke wird entlang den Strand. Dec flücht'ge Bürger schaun die Stadt im Brand, Und wie der Flammemäule düst're Glut Empor sich wirbelt ob der Themse Flut'? § t i l l, A l b i o n! W a r d o ch d t e F a ck e l d c i n, Dre jo gebrannt vom Tato bis zum Rhein; Zu deinem Strand wälzt nun ihr Glühen sich. Wer es verdient, das frage dich! Es fordertdas Gesetz nur Blut um Blur, Drum klagt umsonst, wer selbst er weckt die Glut. („Der Fluch der Minerva", gedichtet 1811, er schienen 1828.) O Gedankensplitter aus amerikanischen Zeitungen gibt das „Hamburger Fremdenbkatt" wieder: Es gibt doch viele russische Rame», die mehr als „Petersburg" verbesserungsbedürftig sind. („Syra- cuse Post-Standaed") Rom denkt augenscheinlich, es hätte bereits fein Teil an Veränderungen der europäischen Landkarte getan. („Chicago News.") Welche Wirkung wird der Krieg auf die Titel haben, die reiche amerikanische Papas für ihre Töchter gekauft haben? s„Duluth Herold." > Sergeant Haase un- -er par-on. Von Freiherrn von Schlicht. Wenn es einen Menschen gab, in dem nach dem Worte des Dichters zwei Seelen beständig in seiner Brust stritten, dann war es der Ser- geant Haase. Nach außen hin war er ein auf fallend ^strammer und hübscher Mensch, der in seiner Infanterieuniform ausgezeichnet aussah und dem gar manches holde Mägdelein sehn süchtig und verlangend nachblickte, wenn er stolz aufgerichtet durch die Straßen der Stadt schritt.. Iu seinem Aeußcren war er der Typus des preußischen Unteroffiziers, in seinem Innern aber war er, wie er es sich selber, aber auch nnr sich allein offen cingcstand, ein ganz gewöhn licher Zivilist und das deshalb, weil er in seiner Brust ein Herz trug, das so weich ivar, daß er nicht einmal einer Fliege etwas tun konnte, geschweige denn seinen Leuten. Natürlich, xun durfte er denen ja auch nichts, nicht nur, weil das streng verboten war, sondern auch, weil das seinem eigenen Empfinden widersprach. Aber im Interesse des Dienstes mußte er doch oft mit einem unheiligen Donnerwetter dazw schon fah ren, wenn die Griffe nicht klappten, oder wenn irgendein dämlicher Polack anstatt mit dem linken Fuß zuerst mit dem rechten anlrat. Aber wenn er dann fluchte und er sah, wie die Leute bei seine» Worten ängstlich zusammcnsuhren, dann empfand er mit seinen Untergebenen ein solches Mitleid, daß er sie am liebsten gleich darauf getröstet und ihnen zugerufcn hätte: Kinder, Ult mir den einzigen Gelallen, und weint nicht. Ich habe mir bei meinen Worten ja absolut nichts Böses gedacht und ihr könnt davon überzeugt sein, daß es mir noch viel weniger Vergnügen macht, zu schelten, als euch, cmsgescholten zu werden. Sergeant Haase hatte die Seele eines Kin des, bis dann plötzlich die Stunde kam, in der er nicht mehr wie bisher gegen seinen Willen, sondern aus ehrlichster Ueberzengung fluchte. Das geschah, als der Befehl zur Mobilmachung kam. Ter Krieg war da, Hurra! Aber iu die große Freude mischte sich bitteres Leid. Lein Regiment lag weit ab von der Grenze, und es würden nicht nur noch Tage, sondern Wachen ver gehen, ehe es an den Feind ging. Da mußte man doch sluchen, was das Zeug hatten wollte. Der Krieg war da, und von dem Augenblick der Mobilmachung an war das Zivckistische in dem Sergeanten Haase gestorben, er wußte nicht mehr, was ein Herz loar. Wenigstens biid.te er sich das felsenfest ein. Und als dann in die Garnison die ersten Siegesnachrichteu von der ! Westgreuzc kamen, zugleich aber auch die ersten I Meldungen von den bestial schon Grausamkeiten, die an den deutschen Gefangenen verübt wurden, da war es der Sergeant Haase, der bei den gemeinsamen Mahlzeiten im Unterofsizicrskasino am lautesten verkündete: „An den Franzosen und an den Belgiern, die uns in dte Hände fallen, müßten wir Gleiches init Gleichen« ver gelten, bis die Gegner uns schwüren, unsere Gefangenen menschlich zu behandeln. Aber da cs uns nicht liegt, bei den Grausamkeiten Gleiches mit Gleichem zu vergelten, müßte cs bei uns Grundsatz sein, keine Gefangenen zu machen, und unter gar keinen Umständen Pardon zu geben. Natürlich, ganze Truppen teile, die sich gefangen nehmen lassen, kann man nicht nicdecmachcn, aber wenigstens im Einzelgcfecht sollte und mußte man unerbitt lich sein, und soviel weiß ich — ich gebe keinen Pardon, und wer von den Franzosen in die Nähe meines Flintenlaufes oder auch nnr mei nes Gewehrkolbens kommt, der ist geliefert, da Hilst «hin kein Gott nnd erst recht kein Mensch." Wenn der Sergeant Haase so sprach, blitzte cS in seinen sonst so gutmütigen Augen wild und beinahe 'teuflisch auf, daß die Kameraden sich gegenseitig ganz verwundert ansahen, und daß sic sich im stillen fragten: ob dessen kriege rische Stimmung wohl lange anhalten würde? Aber die hielt an und sie ging auch nicht zum Teufel, während der endlos langen Eisen bahnfahrt, die das Regiment dann endlich an die Grenzen brachte. Gar manchen Tag und manche Nacht dauerte der Transport, und je häufiger sie unterwegs von den weiteren Er folgen der deutschen Waffen und der (Gefangen nahme zahlreicher Franzosen und Belgier hörten, desto mehr lehnte sich in dem Sergeanten Haase alles gegen diese humane Kriegsfühcung auf lind immer wieder sagte er sich: na, soviel weiß ich, ich gebe leinen Pardon, und wenn der Fran zose mich auch kniefällig darum bittet. Bis dann der Tag kam, an dem sich dem Sergeanten Haase die Gelegenheit bot, seine Worte in die Tat umsetzen zu können. Bei einem Vorgehen seiner Kompanie gegen ein nur schwach besetztes feindliches Dors war Sergeant Haase mit zwölf Mann als rechte Seitendeckung abgeschickt, um sich später in dem Dorf selbst wieder mit seiner Kompanie zu ver einen, als er plötzlich und unerwartet unter Feuer genommen wurde. Blitzschnell ivarf er sich mit seinen Leuten auf die Erde. Unrer Zu hilfenahme seines Fernglases hatte er gleich dar auf festgestellt, woher das Feuer kam. Dort .drüben halb rechts vor ihm saß eine schwache feindlicl)e Abteilung in den« Ehausseegrubcn, den sie als Deckung benutzte, und d«e Leute schienen die feste Absicht zu haben, ihn mit seinen Kerls in das bessere Jenseits zu befördern, wenigstens schossen sie wie wild daraus los. „Immer schießt nur, Kinder," dachte der Sergeant Haase, „schießen könnt ihr, soviel ihr wollt, schon damit eure Patronen bald alle wer den, schießen könnt ihr, das stört mich absolut nicht, ihr dürst nur nicht treffen und damit ihr das nicht tut, werden wir euch jetzt etwas unter Feuer nehmen. Nun paßt aus, aber nehmt die Köpfe hübsch weg." Und gleich darauf erklang sein Kommando: „Vor uns halb rechts im Ehaussegraben feind liche Infanterie — Kopf- und Brustziele — Visier sechshundert Meter — ganz langsames, ruhiges, bestgezicltes Einzelfeuer." Langsam wie auf dem Scheibcnstand ließ Sergeant Haase seine Leute schießen, während er selbst nur ab und zu einen Schuß abgab, um besser die Feuerwirkung seiner kleinen Ab teilung beobachten zu können. Und seine Leute schossen gut, ganz deutlich sah er durch sein Glas, wie da drüben gar mancher das Gelvehr aus der Hand fallen ließ, um dann zusammeuzusinken. Das Feuer da drüben wurde immer schwächer. Waren es zunächst wohl zwanzig Mann gewesen, die seinen Vormarsch aufzuhalten verfilmten, so waren es jetzt wohl nicht viel mehr als zehn. Auch die Brüder mnßten ihm den Weg endlich freigebcn, denn was sollte sein Hauptmann wohl von ihm denken, wenn er nachher nicht recht zeitig mit seinen Leuten im Dorfe eintras. Also los: „Sprung — ans — marsch, marsch!" Tann aus halber Entfernung ein kurzes: „Halt — hinlegen — geradeaus auf die ver dammten Kerle da drüben Visier dreihundert Meter — Schnellfeuer!" Ein paar Minuten Pause, um frisch Luft iu die Lungen zu bekommen, dann ein neues Kommando: „Seitengewehr pflanzt aus — Sprung — mit — marsch, marsch!" Und mit Hurra vorwärts! Was hals es den paar Franzosen da drüben, daß die in Wahnsinn,gcr Hast, ohne zu zielen, die letzten Patronen verfeuerten. Eine Minute später war die Abteilung überrannt und mit mächtigen Kolbenschlägen, denen lein sranzösi- scher Schädel stand hielt, wurde den Franzosen der Garaus gemacht. Eingedenk der Instruktion ihres Führers wurde kein Pardon gegeben. Am allerwenigstem von dem Sergeanten Haase selbst Ter war als Erster bei den französischen Schützen augelangt, als Erster hatte er den Gewehrkolben geschwungen, nm ihn ans den Feind nieder schmettern zu lassen, aber anstatt das sosvrt zu tun, stand er immer noch starr und unbeweglich, den Gewehrkolben hoch in der Luft über seinem eigenen Haupte nnd blickte in das Gesicht des französischen Infanteristen, der da jetzt vor ihm ans den Knien lag und mit stummen und doch so beredten, flehenden Augen zu ihm aufblicktc, daß dein Sergeanten Haase ganz sonderbar zu mute wurde, denn in diesen Augen stand ge schrieben: Wenn du noch einen Flinken von Mit leid empfinden kannst, dann töte mich nicht. Ich tat nur meine Pflicht wie du, du sicher freiwillig, ich aber gezwungen, denn ich hasse diesen Ki:ieg. Aber nicht allein, daß diese Augen so lebhaft sprachen, es war dem Sergeanten Haase, als habe er überhaupt noch nie bei einem Manne, noch dazu bei einem Soldaten, so wundervolle, beinahe frauenhasi schöne, träumerische Augen gesehen. Und zu diesen Augen gehörte ein Ge sicht, so weich lind zart nnd doch nicht ohne eine gewisse Energie. „Sicher ein Künstler, ein Komödiant, ein Mnslker oder ein ähnliches Ge- findet," dachte sich Sergeant Haase im stillen. Aber was ging ihn das an, der Franzose mußte sterben, da half dem kein Gott. Pardon wurde nicht gegeben und er holte mit dem Gelvehr kolben noch weiter ans - — da richtete der Franzose nochmals seinen Blick ans ihn, während er ihm zugleich die rechte Hand mit dem Trauring cntgcgcnstreckte und ihm zurief: ..?itiö — süt'G. mariö — mariöl" „Hut sich was mit pitje, pitje, mein Iunae." ries Sergeant Haase seinem Gegner zu, „pitje, pitje macht aus mich gar keinen Eindruck, ebenso- gut kannst du pukje puije sagen. Und daß du m.li-ie-, verheiratet bist, du siehst, mein Junge, etwas Französisch verstehe ich auch, ich I-abe das zu Hanse in der Garnison nicbl umsonst in meinen freien Stunden betrieben Nun weiß ich, wozu das gut ist" Und das hoctierhobeire Gewehr auf die Erde stellend und sich daraus stützend, sah er den Franzosen nun seinerseits mit ganz großen Augen an, um den g eil) dar- auf verwundert zu fragen: „Du bist schon ver heiratet, mein Junge? Tas halte ich dir weiß Gott nicht zugctraut. Du kannst doch noch gar nicht trocken hinter den Ohren sein Wie alt, oder richtiger gesagt, wie jung bist du denn?" (Schluss folgt in der Abendausgabe.)
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