Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 09.09.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-09-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140909018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914090901
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914090901
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-09
- Tag 1914-09-09
-
Monat
1914-09
-
Jahr
1914
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
krkegsbil-er au- Gsten. ( von Paul Lindenberg, Kriegsberichterstatter. v (Nachdruck verboten.) V. Osterode, 2. September. bedantag heute! Fröhlich flattern die Fahnen von den Dächern und aus den Fenstern, Glockenklang durchhallt di« Sommerlust, und aus Len Kirchen dringt frommer Gesang. Weit geöffnet sind die «erzen, dankbar und glücklich! Von schwerem Alp wurden sie befreit, und wenn man heute auch des einstigen groben Franzosensieges und der Zer» ttümmerung des Napoleonischen Kaiserreichs ge» denkt, so weilen die Gedanken doch weit, weit mehr bei der letzten, vor wenigen Tagen stattgefundenen Schlacht bei Tannenberg, deren Kunde jubelnd durch Deutschland geflogen. Der Prophet gilt nichts in der Heimat. Diesmal aber hatte er doch etwas gegolten, wenigstens hier. Denn jenen, die besorgt orakelten, bah, wenn es bei Tannenberg zum „Klappen" käme, schon der Name eine schlechte Vorbedeutung und die Wabl einer anderen Entscheidung besser wäre, wurde leb haft zugestimmt. Man weiß ja: Tannenberg, 15. Juli 1410, vernichtende Niederlage des Deutschen Ordens durch die Polen. Man fürchtete, daß, wenn der übermächtige Feind vordringen würde, sich auch für Osterode, wie es bei anderen ostpreußischen Städten jetzt geschehen, die Zeiten wiederholen würden, von denen der Chronist nach jener Schlacht geschrieben: „Die Feinde verbrannten alles, schlugen tot jung und alt, und begingen so großen Mord mit den Heiden (den Tataren), Latz das un säglich ist, und an Kirchen und an Jungfrauen und Frauen, die sie verstümmelten, und jämmerlich peinigten." Wobei bemerkt sein mag, daß sich auch diesmal bei den Russen zahlreiä^e Tataren be fanden, die aus dem Militärbeezirk Kasan stammen, wo eine starke mongolische Niederlassung ist. Das hätte ich auch nicht gedacht, daß ich, als ich im Früh jahr 1890 nach der Moskauer Kaiserkrönung die interessante, dicht an der Wolga gelegene Tataren ansiedlung besuchte, jene schlitzäugigen Mongolen als verwundete Gefangene in der hiesigen In fanterie-Kaserne, in der ihrer einige Dutzend unter gebracht sind, wicdertresfen würde! — Andere ihrer Stammesgenossen wurden vor» gestern mit langen Eefangentransporten über den Markt geführt. Auf den Markt gehen die Fenster meines behaglichen Quartiers hinaus: am Schreib tisch sitzend, entrollen sich vor mir von früh bis spät die fesselndsten und malerischsten Bilder. Der Markt, in dessen Mitte sich das niedrige, im Renaissancestil errichtete, ganz stattliche Rathaus erhebt, bildet ja stets den eigentlichen Mittelpunkt einer kleineren Stadt. Und nun erst, wenn die Kriegsfurie durch die Gaue mit vernichtendem Atem haucht! Den Odem haben schon mehrfach die alten Häuser hier am Markt erlebt, namentlich als während des Sieben jährigen Krieges die Russen ganz Ostpreußen bei-:M hielten, von 1757 bis 1762, und Osterode eine russische Stadt geworden war. Im Gegensatz zu dem jetzigen hiesigen Landrat, der, als die Feinde vor der letzten Woche noch 30 Kilometer entfernt waren, der Stadt den Rücken kehrte, hielt damals der Geistliche treu bei seiner Gemeinde aus und ermahnte sie im stillen, dem großen Fridericus Rex die Treue zu be wahren. Rauscht es uns nicht wunderbar und ganz zeitgemäß entgegen aus der Eintragung jenes mutigen Pfarrers in das Kirchenbuch: „Herr der Heerscharen, steure den Feinden. Preußen muß jetzo Rußland, Oesterreich, dem Teutschen Reiche, Frank reich und Schweden alleine die Stirne bieten, welche doch mit ihren äußersten Kräften nichts ausrichten können." — Wie jetzo, möchte man unwillkürlich aus rufen, mit einigen Aenderungen der Völker! Und wenn man weiter nachsinnt, was dieser Markt alles gesehen und erlebt, so erinnert man sich des Wortes: Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Eines jener schmalbrüstigen Häuser, Nummer 8, zeigt eine Marmortafel mit der Inschrift: „In diesem Hause wohnten in schwerer Zeit vom 16.—23. November 1806 König Friedrich Wilhelm lll. und Königin Luise." Hier stellte sich am 21. November als Ab gesandter Napoleons Duroc ein und unterbreitete dem König die schmählichen Bedingungen des Siegers, die Preußen zu einem Kleinstaat herab drücken sollten, ohne jegliche Selbständigkeit. Wenige Monate später, in der zweiten Februarhälfte 1807, traf dann Napoleon hier ein, einige Zeit weilend und am 1. März triumphierend an den König von Neapel schreibend: „Die preußische Monarchie ist zer trümmert! Nun schlage ich mich mit dem, was von den Preußen noch da ist, mit den Russen, den Kal mücken, den Kosaken, dieser nordischen Brut, die ja einst über das Römische Reich herfielen." Auch seine schöne polnische Freundin, die Gräfin Marie Wa- lewska, ließ der Korse nach dem „jämmerlichen Dorfe", wie er in einem Schreiben Osterode nannte, kommen. Und werden wir nicht lebhaft an die kürzliche Pariser Bekanntmachung des Ministeriums, die den Rückzug der Truppen von den Vogesen verschleierte, gemahnt, wenn wir in einer vom Grafen Daru hier am 14. Dezember 1811 — der Brand Moskaus hatte Mitte September stattgefunden — erlassenen Re quisition lesen: „Verschiedene Kolonnen der Großen Französischen Armee werden eine neue Stellung nehmen." Wie gern erinnert man sich all' dieser Dinge am Sedantage, an diesem 2. September. Diesmal die Franzosen im Bündnis mit „Kalmücken, Kosaken, der nordischen Brut", und diesmal sind's die Russen, deren Kolonnen „eine neue Stellung nehmen werden!" — Bei diesem Erinnern schweifen doppelt gern die Blicke über den sich vor mir ausbreitenden Markt. Im kleinen spiegelt er ja die ungeheure Organisation unseres Heeres wieder. Da stehen in langen Reihen die Wagen der Feldtelegraphie, in mehreren Autos sind die Aushilfsmittel für die Flugapparate ver staut, einige Omnibusautos, die noch kürzlich über das Berliner Pflaster gerollt, zeigen die Flagge mit dem Noten Kreuz, die einen sind für die zum Kampf feld eilenden Krankenträger, die anderen für Lazarett zwecke eingerichtet. Kleinere Autos sind für Schwer verwundete bestimmt, die neben ihnen haltenden für Aerzte. Mächtige Planwagen bergen allerhand Pro viant und sonstige nötigen Dinge, die an der Front gebraucht werden, die Feldpost harrt der Abfahrt, der gespornte und bewaffnete Postillion sitzt schon auf dem Bock. Neben den Wagen der Röntgendurch strahlung erscheinen jene der Feldbäckerei: wahre Kraftwagen-R'ejen, aus den verjchiedensten deutschen Städten, aus Kiel, Chemnitz, Breslau usw. stammend, donnern daher, beladen mit hochgetürmten Fässern, die die Aufschrift „feuergefährlich" zeigen, und an ihnen vorüber flitzen die kleinen Autos des Armee- Ober-Kommandos mit Offizieren der verschiedensten Truppenteile. Verwundete Offiziere sitzen aus den schmalen Ter rassen der am Markt gelegenen schlichten Gasthöfe, Landwehrmünner, die sonst Wachtdienst versehen, wandern gemächlich an den Läden entlang, Ordon nanzen eilen schnellen Schrittes zu den Wohnungen der Vorgesetzten. Gerade während ich dies schreibe, kommt plötzlich rasche Bewegung in die Wagen reihen der Feldtelegraphie. Die Pferde werden von den Fahrern angeschirrt, die Mannschaften treten zum Appell zusammen. Auch sonst ein merkbares Hin und Her. Es klopft, der Bursche tritt ein. „Meldung vom Oberkommando, daß um 12 Uhr die Abfahrt erfolgt! Werde mit dem Wagen vorfahren." — Es geht also weiter vorwärts! Wie sagte doch Graf Daru in seiner aus Osterode datierten Requisition: „Verschiedene Kolonnen der Großen Armee werden eine neue Stellung ein nehmen." — Das scheint nun bei den Russen der Fall zu sein, einer Rückwärtsbewegung, und wir nach! Das ist auch eine Sedansreude! Kunst UN- Wissenschaft. * Amtliche Nachrichten von der Universität Leip zig. Mit Allerhöchster Genehmigung hat das König liche Ministerium des Kultus und öffentlichen Unter richts den stellvertretenden Abteilungsvorsteher am Kaiser-Wilhelm-Jnstitut für Landwirtschaft in Bromberg Dr. I. Vogel vom 1. Oktober 1914 ab zum etatmäßigen außerordentlichen Professor für landwirtschaftliche Bakteriologie in der Philosophi schen Fakultät der Universität Leipzig ernannt. Vom gleichen Tage ab ist Professor Dr. V o g e l die Leitung der bakteriologischen Abteilung des Landwirtschaft lichen Instituts der Universität übertragen worden. * Geheimer Rat Professor Dr. Hubert Sattler, Ordinarius für Augenheilkunde an unserer Universität und Direktor der Heilanstalt für Augenkranke, begeht am heutigen Tage seinen sieb» zigsten Geburtstag. Sattler wurde am 9. September 1844 in Salzburg als Sohn des Malers Hubert Sattler geboren. Er studierte in Wien unter v. Brücke, Billroth und Arlt, war 1869 bei Arlt Unterassistent, 1870 bei Billroth Opera teur und trat 1872 an der Augenklinik von Arlt als Assistent ein. 1876 habilitierte er sich für das Fach der Ophthalmologie und erhielt schon im folgenden Jahre einen Ruf als Ordinarius nach Gießen. Zwei Jahre später wurde er nach Erlangen, 1886 nach Prag berufen. Seit 1891, also fast 25 Jahre, ge veulscve MSnner. .'31 Geschichtlicher Roman von Wilhelm Zenfen. Eine höher erwünschte Nachricht vermochte Schill kaum unterwegs anzutresfenj er stand mit seinem kühnen Unternehmen nicht allein, rückte einem Verbündeten an der Fulda ent- gegen. Und unbekannt war's ihm, wie wenig allem er stehe, daß auch noch andere von gleichem Drange wie er unwiderstehlich zu höchstem Wage mut getrieben seien. Der preußische Hauptmann Friedrich Karl von Katte hatte ein Einverständ nis mit deutschen Offizieren in der Festung Magdeburg ungebahnt und einen Plan entwor fen, sich dieser durch Uebcrrumpelung zu bemäch tigen. Im Süden der Mark Brandenburg hielt der Leutnant Eugen von Hirschfeld verstohlen ein Freikorps gerüstet, die thüringischen Länder zur Erhebung aufzurufen; beide hatten ebenfalls bei Auerstädt mitgekämpft und bei Ratekau die Waffen strecken müssen. Nicht minder als in Spanien hielt im deutschen Norden überall der scheinbar reglose Boden verborgene Glut unter sich angesammelt, die vom Sturm der Ereig nisse an der Donau aufgefacht, Flammen empor, züngeln ließ. Nur im Berliner Schloß nahmen zugedrückte Augen nichts von diesen gewahr, konnten lich, wenn es nötig fiel, darauf berufen, ihnen sei's nicht möglich gewesen, der schwersten Strafe würdigen Ungehorsam gegen die strengen Befehle zur Innehaltung der Bestimmungen des Tilsiter Friedens zu entdecken. Da stiegen vor Ferdinand von Schill die Türme der Stadt Halle in die Luft. Aus Nor. den her kam er auf sie zu, ungewiß, wieviel an feindlicher Besatzung ihn dort erwarte, wählte, um möglichst unbemerkt heranzukommen, den Weg unter den Felswandungen am Saaleufer entlang. Dann hielt er einmal einen Augenblick stutzend sein Pferd an; über ihm hob sich, vom ersten FrühlingSgrün umbuscht, in der Nach. Mittagssonne der Turm des GibichensteinS auf. und darunter, hart am Wege, breitete sich der Wirtschaftsgartcn aus. In dem hatte er zweimal gesessen, kein Gedanke daran war ihm gekom- men, doch bei dem Anblick stand's plötzlich vor feinen Augen. Wie unausdenkbar weit lag der Abend mit den flimmernden Lämpchen, zwischen denen auf einmal Pjerdetopfe und Offiziers, monturen aufgetaucht waren; in einer verscholle nen Vorzeit, einer anderen Welt schien's ge wesen. Jetzt saßen nur ein paar zerstreute Gäste im Garten, sprangen bei dem Hufgetrappel von den Bänken auf und drängten sich mit neu. gierigem Blick dem Eingang zu, auch der Wirt und seine Tochter waren darunter. Doch die Augen Schills gingen über ihre Gesichter hin, ohne sic wicderzuerkennen, er rief die Gaffenden nur an: „Kommt auf den Markt und hört, was ich euch zu sagen habe!" Damit sprengte er weiter, kaum mehr als eine Sekunde hatte er angehalten, war die ansgeweckte Erinnerung ihm durch den Kopf geschossen. Nur ein Stückchen von ihr verharrte noch gedankenkurz, ließ ihn in sich hineinsprechen: „Gibich — in Marburg will ich ihn aufsuchcn." Lorenz Falke hatte die Reiter, denen der ankündigende Ruf von Köthen her vorausgeflo- gen, nicht begrifflos angesehen, sondern wußte, wer sie seien, was sie wollten. Den schmächtigen Kadetten, der hier einst furchtlos dem fürstlichen Oberst im Thaddenschen Regiment entgegen getreten, hatte freilich auch er nicht wieder erkannt, dagegen den Dragonerleutnant, der vor vier Jahren ein paar Stunden im Garten ein gekehrt war. Hastig zog er jetzt seine Tochter in eine Kammer des Hauses hinein und sagte: „Er innerst du dich noch an den Doktor Gibich — mit dem war er einmal vor Jahren hier bei uns — pon Schill heißt er, ist der, der die Festung Kolberg bis aufs letzte verteidigt hat." Ebergard Falke kehrte sich mit ruckhafter Bewegung ab, das Blut war ihr jäh ins Gesicht geströmt. Stotternd versetzte sie: „Mit dem — der — ja ich erinnere mich —Ihr Vater fiel fortfahrend ein: „Sie reiten auf Kassel zu, hört er der Leipziger medizinischen Fakultät an, zu deren hervorragendsten Vertretern er zählt. 1895 wurde er zum Geheimen Medizinalrat, im vorigen Jahre zum Geheimen Rat ernannt. Unter den Lehrern der Augenheilkunde an deutschen Univer sitäten steht Sattler in allererster Reihe. Die medizinische Wissenschaft hat ihm viele bedeutende Fortschritte zu danken. In seltener Frische und mit unermüdlichem Fleiße widmet er sich auch jetzt noch seinen wissenschaftlichen Forschungen, vor allem der Bearbeitung der Basedowschen Erkrankung (der Glotzaugenkrankheitj für das große Handbuch der Ophthalmologie von Graefe-Saemisch. Der schon erschienene Teil dieser Bearbeitung kann mit Recht als ein Meisterwerk deutscher Gewissenhaftig keit und Gründlichkeit bezeichnet werden. Als Augenarzt und besonders auch als Opera teur ist Sattler weit über die Grenzen Leipzigs und Sachsens hinaus anerkannt und verehrt. Viele Tausende von Patienten, denen er das Augenlicht wiedergegeben oder gerettet hat, und zahlreiche Schüler, die bei ihm ihre Ausbildung genoßen (unter ihnen die Ordinarien der größten deutschen Univer sitäten), gedenken seiner heute in Dankbarkeit. Möa« ihm noch ein langes segensreiches Wirken beschieden sein! * Schiller-Verein (Literarische Gesell schaft) ' uLeipzig E. V. m it U n t e r st ü tz u n g von Rektor und Senat der Universität. Morgen abend 8 Uhr findet in der Alberthalle der 4 Vaterländische Abend zum Beiten der Kriegsnotspende statt. Se. Exzellenz Wilhelm Wundt wird „Ueber den wahrhaften Krieg" sprechen. An der Orgel: Max Fest. — Karten sind nur noch in beschränkter Anzabl in der Lincke'schen Buchhandlung, Burgstr. 1-5 zu haben. vermischtes. Ein Eeschichtchen von Moltle. Moltke befand sich einige Zeit nach Beendigung des Krieges auf der Durchreise nach Bad Gastein mir Bismarck in dem Städtchen Rosenheim, wo er im besten Hotel „Kaiser- Bad" abstieg. Alles Volk strömte zur festgesetzten Zeit hier zusammen, um die beiden gewaltigen Man ner ankommen zu sehen. Unter ihnen befand sich auch das Kindermädchen eines höheren Beamten, dessen kleines Bübchen der Obhut des Kindermäd chens übergeben worden war. Die junge Maid traut- sich nicht, mit dem Kind auf dem Arm in das Ge dränge zu gehen und sah sich nach einer Hilfe um. Da entdeckte sie in der Nähe des von der Polizei ab gesperrten Hotels einen älteren Mann in eiaficher Uniform, der sich in den Eartenanlagen erging, ohne sich um den Volksauflauf zu kümmern. S-e hielt ihn für einen älteren Eisenbahnbeamten oder Postonze- stcllten, trat beherzt auf ihn zu uud bat ihn, gegen ein schönes Trinkgeld auf „dös Buaberl fei acht zu gebe", weil sie sich mal den Moltke an chen wallte. Dabei drückte sie ihm 20 Pfennig in die Hand und verschwand. Der alte „Eisenbahner" sah sich nun ge zwungen. mit dem kleinen Schreihals auf einer Bank in den Anlagen Platz zu nehmen, um hier die Rück kehr des Kindermädchens abzuwarten. Seine Geduld wurde auch nicht auf eine lange Probe gestellt, denn sie kam bald wieder zurück und erklärte, daß alles gelogen war, und daß Moltke gar nicht angekommen fei. Es sei überhaupt niemand im Hotel ausgestiegen. Ader der alte „Eisenbahner" wußte es besser und erklärte ihr, daß Moltke ganz bestimmt hier sei, und wenn sie morgen früh 8 Uhr in das Hotel kommen und nach Moltke fragen werde, dann werde sie ihn be stimmt zu sehen bekommen. Die Bayerin wollte ihm zuerst nicht glauben und drohte mit ihrer Rache, wenn auch er sie belogen hätte. Trotzdem entschloß sie sich, den Versuch zu wagen und ging um 8 Uhr ins „Kaiser-Bad". Hier schien man schon aus sie zu war ten, denn ein Adjutant begrüßte sie in ein Zimmer, wo sie den Feldmarschall sehen sollte. Kaum war sie hier eingetreten, als Moltke ins Zimmer kam. Mit den Worten: „Jesses, Marie und Josef, der Eisenbahner!" wollte sie aus dem Zimmer stürzen. Aber der alte „Eisenbahner" hielt sie freundlich zurück und dankte ihr für di« 20 Pfennige, die sie ihm gestern bald bei seiner Ankunft in der Stadt zu ver dienen gegeben hatte. Er wollte sich ihr aber er kenntlich erweisen, da er wohl niemals mehr in die Lage kommen würde, sich als Kindermädchen 20 Pfen nige zu verdienen. Dabei gab er ihr einen neuen schönen Siegestaler und einen Siegestaler für ihren kleinen Schützling, der sehr artig gewesen sei und des halb belohnt werden müsse. Mit diesen Worten ver abschiedete sich der Feldmarschall von dieser eigen artigsten Bekanntschaft, die er je in seinem Leben gemacht hatte, um seine Reise nach Gastein weiter um den französischen König über den Rhein zu jagen." Plötzlich entfuhr's dein Mädchen: „Vater, laß mich mit nach Kassel — ich kann auch reiten — ich will's lernen, daß ich's bis morgen kann!" Lorenz Falke lachte: „Hat deine Liebhaberei für die Franzosen sich so' umgekehrt, daß du sic mit wegjagen möchtest- Ich weiß, du bist wieder meine Tochter geworden, aber auf dem Sattel kämst du doch wohl schwerlich hin. Komm, laß uns nach dem Markt, zu hören, was Schill sagt!" Hörbar hatte ihr Einfall ihm Spaß gemacht, und ebenso merklich stand ihr jetzt im Gesicht geschrieben, sie sei sich bewußt geworden, ihr Mund habe bedachtlvs etwas Törichtes heraus fliegen lassen. Sie suchte dies zu verbessern: „Du hast recht — ein närrischer Gedanke war's — das Pferd würfe mich beim erstell Sprung ab. Ich will mich nur anders kleiden — den Rock, den ich mir gemacht — ich bin gleich fertig." Nasch ging sie, eine starke innere Erregung sprach aus ihren Augen. Nach dem Weggang des Herzogs von Braunschweig im Spätherbst hatte sie eine sonderbare Arbeit unternommen, aus dem von ihm zurückgelassenen langen, blauen Fuhrmannskittel ein mantelartiges, in der Mtte von einem Gürtel zufammengesaßtes Kleid für sich zurechtgemacht, in dem sie aus ihrer Kammer wieder herabkam. Am Hals legte sich ein linne ner Umschlagkragen auf diese Gewandung, die bis über tue Knie niederreichte; darunter sah kein Frauenrock, sondern, nur solchem anähnelnd, bei genauerem Hinblick ein vielfach gefälteltes Paar gleichfarbiger männlicher Beinkleider her vor. So nahm Ebergard Falke sich w'e ein junger Bursche von einem Landgehöft aus, nur vermochte der in die Stirn gedrückte Filzhut die um den Kopf geschlungenen blonden Haar zöpfe nicht ganz zu verdecken, so daß an ihnen ihr Geschlecht doch erkennbar wurde. Zu welchem Zweck sie sich eigentlich diesen Anzug verfertigte, war ihr selbst nicht recht Nar gewesen, ein un bestimmter Antrieb hatte sie dazu gebracht; je denfalls aber war kein größerer Gegensatz erdenk fortzusetzen. Moltke soll später noch des öfteren von diesem scherzhaften Erlebnis, das er seinem schlichten Auftreten verdankte, erzählt haben, daß er im wil desten Kampfe von keiner Maßnahme seiner Feinds so überrascht war. „Der deutsch« Krieg." Im Verlag der Deut schen Verlagsanstalt in Stuttgart beginnt in kurzem unter dem Titel „D«r deutsche Krieg" ein« Sammlung geschichtspolitischer Flugschriften zu er scheinen. Als Herausgeber zeichnet Dr. Ernst Iäckh: als Mitarbeiter sind unter anderen ge wonnen: Paul Rohrbach, Graf Reo ent» low, der neue Generalgouoerneur von Belgien, Generalfeldmarschall Freiherr o. d. Goltz, Reichstagsabqcordncter M. Erzberger, Bank» direktor Dr. Schacht, der Marokkoforscher Professor Dr. Kampffmeyer, (Geheimrat Muthesiu», Alfons Paquet. Die Grundlage aller Dar stellungen wird die Frage sein, warum der gegen wärtige Weltkrieg „Der deutsche Krieg" geworden ist; wie er kam, wie er geführt wird; welche Kräfte sich in Deutschland offenlmren, militärisch, wirtschaft lich, politisch, in der Frauenwelt usw. Ferner: unsere Feinde, die Neutralen, unsere Bundesgenossen, die Welt des Islams usw. Deutsche Vorträge hamburgischer Professoren. Aehnlich wie in anderen Städten, so wollen auch hamburgische Professoren des Kolonialinstituts und des öffentlichen Vorlesungswesens Vorträge halten, in denen gezeigt werden soll, wie unsere ge waltige Gegenwart mit der Vergangenheit und den Problemen der Zukunft zusammenhängt. Diese historisch-politischen Vorträge sollen jeden Freitag abend im Auditorium Maximum des Vorlesungs gebäudes stattsinden und jedem Erwachsenen ohne Entgelt zugänglich sein. Sedan in Sedan! Nach einem Feldpostbriefe ist Sedan, dessen Befestigungen bekanntlich noch 1871 geschleift worden sind, von unseren Truppen schon am 27. August besetzt worden, so daß in diesem Jahre deutsche Soldaten Sedan in Sedan selbst feiern konnten. Dienstunterricht des Königl. sächsischen Infante- risten. Lehr- und Unterrichtsbuch für Mannschaften und Hilfsmittel für Unterrichtende. Mit zahlreichen Abbildungen im Text, vier Tafeln in Buntdruck und einer Einleitung. Sachsens Fürstenhaus und Heer von Bücher weil. Oberst z. D. Unter Berücksichtigung der neuesten dienstlichen Vorschriften un-d Bestimmungen neuboarbeitet von Bücher, Major und Bataillonskommandeur im 6. Infanterie- Regiment Nr. 105. 32., durchgesehene und verbessert« Auflage. Verlag von C. Heinrich, Dresden. -x- Kriegsberichte. „Wir nahmen Lüttich eben ein", So depeschiert uns Herr v. Stein. Indes Monsieur Poincare Dem Belgierkönig mit Juchhe, Die Tapferkeitsmedaille sandte, Womit der nach Antwerpen rannte. „Bei Metz gesiegt in großer Schlacht!" Hat Herr v. Stein bekannt gemacht. Derweil Paris von Jubel hallt: „Rhein überschritten mit Gewalt, Und Frankreichs tapfere Heere zieh'» Cchnurgraden Weges auf Berlin!" „Englands Expedition vernichtet!" So hat uns Herr o. Stein berichtet. Auf Gallisch und auf Britisch hieß In London das und in Paris: „Deutschland pfeift aus dem letzten Loch: Ach Jotte doch! Ach Jotte doch!" „Im Osten dreißigtausend Mann Gefangen!" — sagt v. Stein uns an. Doch diesmal sprach er nicht die Wahrheit; Ein spät'res Telegramm schafft Klarheit: „Pardon, es waren siebenzig Mal tausend Mann; ich irrte mich. .." Nun endlich dringt — konnt's anders sein? — Die Wahrheit durch des Herrn v. Stein. Von ihrem Marsche durch die Welt Wird London und Paris erhellt. Wie tut euch nun das Licht so weh, Sir Edward Grey, Poincarä! Lothar Schmidt im „B. T." bar, als zwischen ihm und der modischen fran zösischen Hvftracht, in der der Wagen sie ans Kassel nach Halle zurückgeführt. Zum erstenmal trug sie heute die eigentümliche Kittelkleidung außerhalb der Wände des Hauses, und ihr Vater stieß unwillkürlich anS: „Blitz! du bist ein deut scher Junge, wie unsere Zeit sie braucht! Nur dein Haar hätte ein Friseurkünstler geschickter Herrichten müssen, dann könnt' man dich wirklich dafür anschn." Voll Wohlgefallen aber blickte er auf seine Tochter mit Augen, in denen sich gleichfalls gespannte Erregung kundgab, und setzte, nach ihrer Hand fassend, hinzu: „Da komm!" Mittlerweile ritt das kleine Husarenkorps in die Stadt ein, deren Besatzung lediglich aus einer sich, ohne Gegenwehr zu leisten, eilig in den Häusern verbergenden Veteranenkompanie bestand. Gradzu nahm Schill den Weg nach dem Marktplatz, hielt sein Pferd unter dem alten „roten Turm" neben der steinernen Rolands säule an; Kopf an Kopf drängte sich die städtische Bevölkerung ringsumher. Zu der sprach er, den Säbel aus der -scheioe erhebend, weit vernehm bar: Er richte seine Worte an sie vom alten niedersächsischen Sinnbild der Freiheit auS und rufe sie auf, ihrer verlorenen Freiheit gedenk zu sein, Waffen zu ergreifen und sich ihm zum Zug nach Kassel, zur Abwcrfung des französi schen Joches anzuschließen. Wohl eine Viertel stunde klang seine Stimme, stellte dar, kein günstigerer Augenblick könne kommen; Spanien verzehre die Kräfte des hochfahrenden Bedrücker- Deutschlands, dessen Unüberwindlichkeit sich an der Donau zum erstenmal als nichtiger Schein offenbart^ die Residenz des Königs Jerome aber befinde sich mutmaßlich schon zu dieser Stunde in der Hand des Obersten von Dörnberg, der das hessische und westfälische Landvolk zum Aus stand gebracht und dem sein treues Jägerregi ment die Tore Kassels geöffnet habe. (Fortsetzung in der Abendausgabe.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)