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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 25.09.1914
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-09-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140925025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914092502
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914092502
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-09
- Tag 1914-09-25
-
Monat
1914-09
-
Jahr
1914
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Zur Seurtrilong -er -eutsthea Sache in -er Schweiz. Aus d»r Schweiz hören wir fortdauernd Meinungen verschievenen Inhaltes. 2n der deutschen Schweiz ist die öffentliche Meinung stark auf unserer Seite; in der französischen Schweiz dagegen steht die Presse, wie das immer gewesen ist, unter dem Einfluß der großen Nachbarrepublik. Oft werden recht gehässige Urteile laut, besonders in Genf und Lausanne. So hat kürzlich ein Herr Alfred Vincent in einem (Senser Blatte geradezu ungeheuerliche Beschuldigungen gegen die Deutschen erhoben. Ein in Leipzig wohnender angesehener Kauf mann aus der französischen Schweiz hat darauf hin ein Schreiben an ein Schweizer Blatt ge richtet, in dem es heißt: „Ich lebe seit mehr als :lO Jahren in Deutschland und habe die Deutschen als ein in jeder Beziehung hochstehendes Volk kennen gelernt. Sein berechtigtes Seibslbewußtsei» ist himmelweit verschieden von dem abstoßenden Nationaidünlel des Briten. Da» Ver trauen auf seine Stärke hätte Deutschland aber nie mals zu einem Angriffskriege verleitet, kein Mensch wollte den Krieg, während in Frankreich das Ne- vanchegeschrei nie aufgehört hat. Und die deutschen S'ldateu Seit Beginn der Mobilmachung habe ich Einquartierung: Reservisten und Landwehrlcute. einfache Männer aus dem Volke. Es ist mir eine wahre Freude, sie zu beherbergen und zu verpflegen. Wie bescheiden und anständig, ja geradezu feinfühlig zeigen sich diese Leute. Ich halte es tür völlig ausgeschlossen, daß einer, selbst in der höchsten Wut, imstande wäre, die „den deut schen Soldaten" in der feindlichen Presse vorgewo» fenen Scheußlichkeiten m begehen. Und findet sich doch einmal ein roher Bursche, so wird er sicher durch die eiserne Manneszucht im deutschen Heere und durch die Kameraden im Zaume gehalten. Die gewaltige sittliche und physische Kraft und, wie die imponierende Ueberzeichnung der Kriegsan leihe jetzt überzeugend bewiesen hat, auch finanzielle Kraft Deutschlands m u ß über seine Feinde, und wären ihrer noch mehr, den Sieg davontragen. Und das wird auch der Schweiz nicht zum Nachteil sein. — Meine Landsleute könnten vielleicht glauben, daß ich durch meinen vieljührigen Aufenthalt in Deutsch land schon von Gesinnung zu sehr Deutscher geworden sei. um noch unbefangen urteilen zu können. So mögen sie denn, auf Grund von Tatsachen, die die auch ihnen bekannt sind, selbst richten. Wie schmählich sind die in Frankreich und Belgien lebenden Deutschen beim Ausbruch des Krieges ver folgt worden! Ihre Wohnungen und Geschäftshäuser wurden ausgeraubt und demoliert, sie selbst: Männer, Frauen und Kinder beschimpft, vertrieben, geschlagen, ermordet. Auch die Schweizer haben unter den Fa natismus der Welschen schwer leiden müssen. Was sagt man denn dazu in der Schweiz? Wie anders in Deutschland! Die hier lebenden Engländer. Franzosen, Belgier, Russen können, un besorgt um ihre Sicherheit, nach wie vor ruhig ihren Geschäften nachgehen, sie werden von keinem Menschen belästigt. Der Beschuldigung des Barbarentums fetze ich die Behauptung entgegen: Die Deutschen sind unstreitig das erste Kulturvolk der Welt, und die ganze Welt hat alle Ursache zu wünschen, daß es aus dem ihm aufgezwungenen Kampfe siegreich hervorgehe und zu noch größerer Machtsülle emporblühe; denn es wird seine Macht nur zur Erhaltung des Friedens ge brauchen." Ein französischer Schweizer. Eine -rutsche Stimme aus St. Louis. Wie wir schon mehrmals berichten konnten, weh rcn sich die Deutsch-Amerikaner allenthalben kräftig gegen die englisch-amerikanischen Liigcnpreffe. Aus unserem Leserkreise erhalten wir zwei Nummern eines in St. Louis erscheinenden, weit verbreiteten evangelisch religiösen Blattes, benannt „Der Frie densbote". Das Blatt bringt in jeder Nummer eine Nundsckum, die über die Weltvorgänge berichtet. Wir lesen da u. a.: „Geradezu empörend für jedes noch deutsch fühlende Herz ist die Haltung eines großen Teiles der anglo-amerikanischen Presse. Für die in London und Part» gedokterten Depeschen ist sie nicht verant wortlich, wohl aber für die höhnischen, haßerfüllten, di« Wahrheit entstellenden Leitartikel, die obendrein von einer haarsträubenden Unwissenheit strotzen. Ein hiesige» Blatt weih nicht, ob Deutschland östlich oder westlich von Rußland liegt, Hessen-Darmstadt verlegt es an di« russische Grenze. Am gemeinsten sind die Jammerbilder, auf denen der Kaiser ver spottet wird. Mit aller Gewalt soll er den Krieg heraufbeschworcn haben. Es war hohe Zeit, daß gegen dieses Schandtreiben kräftig protestiert wurde. In dem Auditorium in Chicago fand eine Riesen versammlung statt, später noch eine im benachbarten Park. Unser Pastor Al fr. Meyer hielt bei der Gelegenheit eine geradezu glänzende Rede, die oft von wahren Beifallsstürmen beantwortet wurde. Auf seinen Vorschlag betete die gewiß sehr gemischte Versammlung ein gemeinschaftliches Vaterunser für Deutschland Außerdem redeten noch andere Herren. Als er dann auf Wunsch vor Zehntausendcn im Park zu reden anfing, nahm ihn die Parkpolizei fest, weil er ohne Erlaubnis geredet. Wie anders wäre es gewesen, wenn ein irländischer Priester geredet hätte! Auf Einsprache hin ließ man Pastor Meyer jedoch bald gehen. Das war am Mittwoch. Am Samstagabend ward i» der hiesigen Turnhalle an Chouteau Avenue von einer gewaltigen Menge pro testiert und Gerechtigkeit und Unparteilichkeit für Deutschland verlangt. Au drei verschiedenen Plätzen mußte geredet werden, so groß war die zusammenge- strömtc Menge. Zwei katholische Geistliche, drei unserer Synodalpastoren und noch andere Herren redeten. Am packendsten sprach der katholische Pfarrer Hcimerschcid von Zell, Mo., ganz sachlich, in schöner Form, begeisternd. Die Oesterreicher kamen unter Vortritt einer Kapelle anmarschiert; als es jubelnd erklang aus Tausenden von Kehlen: „Deutschland, Deutschland über alles" usw., da fielen sie fröhlich ein: „Gott erhalte Franz, den Kaiser" usw. So wie hier die „Wacht am Rhein" erklang, habe ich sie nie singen hören. Das mar echte Be geisterung. — Auch der Deutsch-Amerikanische Na- tionalbuud protestiert krÄtig überall gegen die ge meinen Hetzereien gegen Deutschland. Er hat sich die Aufgabe gestellt, zweieinhailb Millionen Dollar gleich zehn Millionen Mark für deutsche und österreichische Verwundete zu sammeln." Helmut Hirth über die Pflichten -er Flieger. Helmut Hirth, der hervorragende Flieger, der jüngst zum Offizier befördert worden ist, hat sich vor einiger Zelt über die Pflichten des Fliegers folgen dermaßen ausgesprochen: „Der Grundsatz jedes Fliegers muß der sein, den ich mir selbst zu eigen gemacht habe und der lautet: Biegen oder Brechen. Es gilt heute mehr als jemals: das feste Herz. Angst muß dem Flie ger ein unbekannter Begriff sein. Als ich noch ein kleiner Junge war, jagte mein Vater ein mal zu mir: „Du darfst leine Angst haben, die Leute müßen vor dir Angst haben!" Ich hatte mich da mals in kindischer Weise vor einem Skelett ge fürchtet. Und der Flieger braucht in der Tat vor allen Dingen Furchtlosigkeit und Zuversicht. Herz und Nerven werden bei der Fliegerei am meisten beansprucht. So manches nimmt einen mit, vor allem die Ungewißheit, ob der Motor auch laufen wird. Deshalb kommt fast für jeden Flieger auch einmal eine Zeit, in der er abgespannt wird, ähnlich wie im Automobilrennsport. Dieses Stadium muß erst überwunden werden, ehe sich aus ihm die solide Fliegerei entwickelt. Diele kommen jedoch nicht über den toten Punkt hinweg. Das Fliegen selbst ist das wenigste, vor allem bei gutem Wetter. Mir selbst ist cs sehr zugute gekommen, daß ich mich früher mit jeglichem Sport beschäftigt habe. Als ich in den Bereinigten Staaten war, übte ich vornehmlich Boxen, Ringen und Schwimmen, einmal bin ich sogar in 8 Stunden 35 Minuten von Brooklyn nach Coney Island geschwommen. Und heute noch bin ich Mit glied des New Pott Athletic Club. Ein durch Leibes übungen gestählter Körper ist gerade im Flugsport von großem Wert, ohne ihn hätte ich vielleicht jene Schrcckcnsfahrt über dem Spessart nicht überstanden." Nur diesen Grundsätzen hat Hirth, wie er schreibt, seine Erfolge auf dem Gebiete de» Flugwesens M verdanken. Wenn man diese Grundsätze befolgt, dann gibt es für den Flieger keine Gefahr und kein Wagnis. Starke Stürme bedeuten tatsächlich d»m richtigen Flieger nicht». Mit den heutigen Flug zeugen kann er bei jedem Wind und Wetter auf steigen. Hirth erinnert daran, daß er bei dem Monaco-Flug sogar in einem furchtbaren Hagel wetter, das von den stärksten Sturmböen begleitet war, geflogen ist. Hier galt, wenn man nicht er müden wollte, der Grundsatz: Biegen oder brechen! und notwendig war nur ein starkes Herz. Vas selbst ein siegreicher Krieg für England bedeuten würde. Ueber die ungeheure Gefahr, die selbst ein sieg reicher Krieg Englands gegen Deutschland für Eng land im Gefolge haben müßte, äußerte sich, wie der Korrespondenz „Heer und Politik" geschrieben wird, noch vor Ausbruch des Krieges die bekannte eng lische Zeitung „Manchester Guardia n." Aus dielen ilusfüyrungen geht hervor, daß die Engländer in Friedcnszeiten sich genau darüber klar waren, welche ungeheure Vertuns an Ansehen und Macht ihnen ein Krieg bringen muß. Die Ausführungen lauten ungefähr folgendermaßen: „Wir wollen uns einmal klar machen, was wir alles nötig haben, wenn wir an der Annahme fest halten, daß Deutschland feindliche Absichten gegen uns hat, eine Annahme, die wir aber weit von uns weisen. Erstens müssen wir in der Lage sein, die Neutralität Belgiens zu verteidigen, wozu aber nicht die Flotte, sondern eine Armee nötig ist, und das können wir nicht ohne die allgemeine Wehrpflicht haben, wie uns der „Temps" oft genug auseinandergesetzt hat. Denn wir können Frantreich nicht zumuten, unsere Schlachten in Europa ohne uns zu schlagen. Der Preis für die Aufrechterhaltung unserer Ueberlegenheit zur See ist alw eine Politik der kontinentalen Bündnisse, die wir schon umznaehen gezwungen waren und die Ein führung der Wehrpflicht Aber das ist noch nicht alles. Da ist einmal Rußland, mit dem wir uns verständigen mußten, weil es sich nämlich sonst selbst mit Deutschland verständigt hätte. Was aber eine Verständigung mit Rußland bedeutet, davon haben wir ja schon in Persien einen Begriff bekommen. Persien winde im Kriege die Kosten für unser er zwungenes Zusammengehen mit Rußland tragen. Damit würden wir alle unsere Beziehungen zu diesem Lande und unsere politische und strategische Stellung in Indien gefährden. (Ein guter Prophet!) Aber das ist noch nicht alles. Es liegt auch die Gefahr vor, daß wir unsere Beziehungen zu Amerika in Frage stellen. Die Vorbereitungen zu einem siegreichen Kriege mit Deutschland bedeuten also: Allgemeine Wehrpflicht, Verlust von Persien, Be einträchtigung unserer Stellung in der Türkei und Indien, vielleicht Differenzen mit Amerika und den Verzicht auf das Prinzip der offenen Tür im Handel und dadurch eine Schädigung unserer Industrie mit ihrer Rückwirkung in der Heimat. Das alles bedeutet also ein erfolgreicher Krieg für uns." Zum Schluß tritt der Artikel für eine aktive Politik der Freundschaft mit Deutschland ein mit folgenden Ausführungen: „Wenn dem so ist, so bedeutet dies eine seltene Gelegenheit für uns, zu zeigen, daß wir bemüht sind, die Integrität des Landes zu bewahren, und daß wir keine anderen Wünsche haben, als unsere vertraglichen Rechte auf dem Gebiete des Handels zu erhalten. Wir treten deshalb für eine aktive Politik der Freundschaft mit Deutschland ein als die einzig sichere und mögliche Alternative gegenüber einer Politik des Krieges Jede andere Politik bringt Gefahr entweder unseren Beziehungen im Ausland oder unserem Fortschritt und Wohlstand zu Hauje, oder aber auch beiden." Und all diese sehr verständigen Gedanken sind wenige Wochen, ja Tage, später mißachtet worden! die Flucht der rusiifchen Führer aus Insterburg. Ueber den Aufenthalt des Großfürsten Nikolaus Nikolajewitsch und des Generäls Rcnnenkampf in Insterburg und ihre Flucht berichtet der „.'vvnigs- bergcr Anzeiger" folgende Einzelheiten: „In dem „Dessauer Hof", in dem der Großfürst Nikolai Nikolajewitsch und General Rcnnenkampf ge wohnt habe» — der Großfürst verabschiedet« sich von dem Wirt mit den Worten: »In vierzehn Tagen sehen wir uns wieder!" — ficht man jetzt wieder deutsche Uniformen. Der Wirt de» „Dessauer Hofes" hat in den neunzehn Tagen, in denen der russische General- staL bei ihm wohnte, sehr interessante Erfahrungen gemacht. Als das Oberkommando im „Dessauer Hoff' Wohnung nahm, wurde zuerst das ganze Haus nach Bomben «^gesucht. Die im Keller liegenden Kohlensäureslaschen hielten die Ruffen für — Höllenmaschinen und ließen sie weit hinau, auf einen freien Platz bringen. Erst als ihnen später das Bier nicht mundete und der Witt die nötigen Erklärungen gab, wurde eine der Flaschen unter starker Bedeckung herbcigebolt, und die Ruffen überzeugten sich von der Ungesäyrlichkeit der „Bom ben". Natürlich haben die Ruffen im Hotel sehr gut gelebt, der Sekt floß in Strömen, und der Adjutant des Generalissimus Großfürsten Nikolai Nikola jewitsch, Oberst v. Gräwen, forderte von dem Wirt, daß er die Kellner durch Damenbedienunqer. setzte. Als General Rcnnenkampf bei seiner Rückkehr ins Hotel von dieser „Neuerung" erfuhr, war er nicht sonderlich davon erbaut und schrie: „Hinaus mit dem Wciberpack!" Die russischen Offiziere gaben sehr viel Geld aus. Als schließlich dem Adjutanten des Groh- fürsten es an Geld mangelte, blieb er die Hotel« rechnungschuldig, und versprach dem Wirt, für den Betrag Kolonialwaren zu schicken. Als di« Waren in die Nähe von Insterburg kamen, Halts jedoch die russische Herrschaft ihr Ende erreicht und die Bagage fiel in die Hände der deutschen Truppen. Der Abzug der Russen vollzog sich ziemlich rasch. Großfürst Nikolai Nikolajewitsch und General Renncnkampf verließen ziemlich hastig Insterburg, aber noch in Uniform. Erst in Gumbinnen legten sie Zivil kleid er an. Die wenigen russischen Pa trouillen, die noch in Insterburg weilten, warfen, als deutsche Kavallerie -anrückte, die Gewehre hin und er gaben sich." Was unsere Soldaten schreiben. „Ein Leben führen wir wie die Zigeuner." (Abdruck vonder Zensur genehmigt.) .... 6. September. „Liebe Schwester! Du sollst nun endlich nach 5 Wochen etwas von mir hören, ich konnte mit dem besten Willen nicht eher schreiben. Wir haben schon sehr schwere Tage hinter uns. Seit dem 21. August liegen wir in Frankreich. Vom 21.—24. haben wir schwer gekämpft, aber das Lumpenpack die Franzosen reißen immer weiter aus, so daß wir jedesmal anzugreifen haben. Aber der Sieg ist bis jetzt immer unser und wird es auch, so Gott will, weiter werden. Du kai n t Dir ja keinen Begriff machen, wie unsere Soldaten daraufgehen, mit welcher Erbitterung. Vom 25 —27. hatten wir Ruhe, vom 28.—31. kleine Märsche und kleine Gefechte, aber der Haupttaa war der 2. September da hat es unser Regiment sehr ichwer betroffen. Ich habe bis jetzt immer noch Glück gehabt. Befinde mich Gott sei Dank noch gesund, habe zwar am Knie kolossale Schmerzen von den vielen Schrapnellsplittcrn, das ist aber nicht schlimm. Jetzt ist gegenwärtig für unser Regiment Ruhe, nur Deckung der Truppen ist unsere Aufgabe. Heute Haden wir wieder eine große Schlacht, hoffentlich ist es zu unfern Gunsten. Lin Leben führen wir wie die Zigeuner! Ueberall, wo unsere Truppen angegriffen we-den in den Dörfern, gibt es großes Feuer. Dre Verwüstung müßtest Du sehen! Die Bewohner sind alle geflüchtet unter Zurücklassung von Hab und Gut. Na. hoffent lich jehen wir uns wieder, dann kann ich Dir viel erzählen. Herzlichen Gruß Dein Bruder Otto." „Es wäre soweit ganz schon und gut, wenn (Abdruck vonder Zensur genehmigt.) . . .,8. September. „Liebe Schwester! Heute habe ich ein wenig Zeit, ich will sie auch gleich ausnützen, um Dir meine Erlebnisse zu schildern. Vor allem, geht es mir noch gut, und das ist doch die Hauptsache Eingekleidet wurden wir erst in M. Wir sind durch B. gefahren, überall eine kolossale Begeisterung. Bon L. bis M. sind wir 60 Stunden ununterbrochen gefahren, dann haben wir noch ein paar Stunden auf dem Kasernen hofe gestanden, bis wir eingeteilt waren. Wir sind noch eine ganze Woche in M. geblieben, dann ging der Marsch los durch Lothringen, ganz Luxem- vle velüen jungen Zrsnktillm. 3s Von «alter Bloom. AlS er erfuhr, daß die Bauern von Ba- villiers cs nicht für Raub hielten, den Feinden gegen Entgelt Hilfe zu leisten, fuhr er auf: „Diese Schufte! Ich werde ein Manifest erlassen, das den Bauern mit Todesstrafe droht, wenn sie eine Hand für diese gottverfluchten Barbaren rühren!" Sein „Sekretär" mußte aus einem schmutzi gen Bogen ein pomphaftes Drohedikt erlassen, das der Kommandant höchsteigenhändig unter, zeichnete, lind Louis mußte sich nachts wieder ans Dorf heran schleichen und den Erlaß an die Lcheunentür des vordersten Hauses annagesn... Ein tolles Stück.... doch eS gelang. . . Das Edikt wurde morgen in der Frühe von den Fein heit abgerissen werden: aber noch früher würden die Dorfbewohner es gelesen haben . . . und es würde schon seine Wirkung tun. . . Zwei Taffe vergingen nun unter beständigen Kundichastergäugeu. die nur den Fortschritt des Baues der Batterie und die allmähliche Herbci- schafsung der Geschütze und der Munition er. gaben. Ganz deutlich konnten die vorgeschobe nen Späbpatrouillen der F' -rnktireurS aus ihrem Versteck am Saume des Bergwaldeü La Cäte den Weg verfolgen, den die ächzenden Gespanne vom Artilleriepark ljer, der nördlich Lhalonvillcrrs an der großen Straße von Lure nach Belfort er. richtet war, auf dieser Chaussee nach Effert nahmen und von dort ans ans schier gründ, losem Feldweg bis BavillierS hart unter dem Klippenhange vorüber, aus dessen Kante Louis und Mathieu in« Tannendickicht lagen... Dec Artilleriepark! Gar zu gern hätte der Kommandant einen Handstreich uns diesen selbst unternommen. In einem Steinbruch an, Mont Vaudois hatten seine Seudlinge einen Posten Sprengpatronen entdeckt, groß genug, um die gesanite Munition der Angreifer in die Luft zu blasen, wenn man nur hätte herankommen können . . . Aber daran »var natürlich kein Gedanke, die Bewachung war zu scharf. Doch die neuentstehende Batterie am Ost ausgange von BavillierS zog die Phantasie des Miniatur-Kondottiere Grosiean unwiderstehlich an. Hier standen nachts d« langbärLigen die zwei „Schweißhunde", sich mit dem Kasten voller Dhnamitpatronen auf die Scheune stürzen, das Tor würde jedenfalls verschlossen sein. . . Wenn die Niedermetzelung der Posten ohne Ge räusch und Aufsehen vonstatten gegangen wäre, so sollten die Burschen versuchen, das Tor auf zubrechen, den Kasten mit den Dhnamitpatronen direkt neben die Kartuschen stellen und dort die Zündschnur in Brand setzen. Wenn Lärm entstände, müßten sic sich damit begnügen, den Explosivkörper am Scheunentor niederzusetzen — dann anzünden und weg. . . Es ging um Kopf und 5kragen. . . das wußten all die sechs tollkühnen Burschen, die am Srume des Grand Bois kauerten. . . kaum zweitausend Schritt von der Stelle de? Atten tats . . . Die frühe Dämmerung kam. DaS Bom- bardement, das sich den Tag über ohne besondere Lebhaftigkeit so hingeschleppt — die Mnnition war hüben und drüben anscheinend sehr knapp geworden —, schlief langsam völlig ein. Im Dorfe, jenseits des Wiesenhanges, war muntres Leben. Die Besatzung schien sich auf der breiten Hauptstraße in einer Art Abeudspaziergang zu ergehen. Tausend Mann in so ein winziges Nest zusammengepfercht! Sie waren genügsam, die „Schwowe" . . . Unendlich langsam verrannen die Stunden vom Einbruch der Dunkelheit bis zur Schlafens, zeit. Da hinten im Tal stand in feierlichem Trotz, von ziehenden Schneewirbeln umstiebt, die starre Silhouette der Festung, einem aufmerk sam ans ruhender Stellung ausgerichteten Löiven vergleichoar. Zuweilen überflog ein flüchtiges Abendrot, durch die hastig ziehenden Wolken blin- zelnd, ihre grauen Zinnen. Bisweilen zuckte es hell aus um die Brauen des rastenden Un. geheuers, und ein Fcucrbogen sprühte in die Nacht hinaus. Ein paar Sekunden später kam ein kurzes, gereiztes Aufbrüllen. . . Aber rings nm des Löwen Lager staken gleichfalls lauernde, knurrende, feuerspeiende Bestien in den Falten des Geländes versteckt. . . Doch allge- mach gaben die bösartigen Scheusale Ruhe. . . und nun war nichts mehr, als das monotone Heulen des Westwindes, das Rauschen und Brausen der Bcrgwälder rund nm das Winter, starre Tat, hoch über den .Müschen, die sich in seinem weiten Umkreise versammelt hatten, um milienvätcr der Ortsbesatzung aus Posten- hier sich anschleichen, auf einen Psifs die vier Mann gleichzeitig geräuschlos kalt machen, dann schnell einen Kasten voll Dhnamitpatronen mit einer brennenden Zündschnur neben daS Tor der Scheune, in der die Kartuschen angesammelt wor- den waren — Teufel, da mußte ja die ganze Herrlichkeit in die Luft fliegen und das lzalbe Dorf mit!! — Und also wurde altes geplant und vorbe reitet. — Es war am Abend des 22. Dezember Mit einiger Verwunderung hatten Grosjeans Späher in den letzten zwei Tagen beobachtet, daß die preußischen Wehrmänner dutzendweis in die Wäl der heraufstiegen und dort mittelgroße Tin. uenbäume fällten, die sie auf der Schulter unter Späßen und Schneeballschlachten ins Dorf tru gen . . . Niemand wußte die Erscheinung zu oeuteu, bis eS Louis Küß einfiel, daß man in manchen evangelischen Pfarrhäusern in Straß burg eine Sitte beobachtete, die deutschen Ur. spruugeS sein sollte: dort stellte mau zu Weih nachten solche Tannenbäume auf, beyiug sie mit allerlei Tand und besteckte sie mit Wachskerzen... In der heiligen Nacht alsdann, wenn Louis mit jeinen Eltern und seiner Schwester zum Münster ging, nm dort in frommem Vorüberzuge die ausgestellte Gruppe der Eltern mit dem Iesukindlein zwischen Ochs und Esel, Hirten und Engeln zu bewundern und beim Vorbeigehen durch Anstoßen der Wiege „daS Jesukindlein schaukeln zu helfen" — dann sah man an einigen wenigen Fenstern diese „Christbäume" brennen.. Also wirklich, Weihnachten war in Sicht... die heilige Zeit. . . Und man strolchte auf Mord und Brand... Ach was — ging's doch fürs heilige Frank reich ... . Alles war vorbereitet. .Herr Grosjean selber, der sich für seine Person, wie bei jedem Hand- streich, auch diesmal selber mit einsetzte — das eben schuf ihm den unbedingten Respekt in der „Bande" — und drei der vertoegensten Gesellen waren, mit Revolvern, Stricken und Dolchen ausgerüstet, dazu auscrsehen, die vier Mann Posten umzuwersen, die die mit zweihundert Bomben und den zugehörigen Kartuschen un gefüllte Scheune zu bewachen hatten. Lagen die Kosten, so sollten „wo ämuc p»titD kr»gue»". einander mit Feuer und Eisen zu vernichten. Und wie ein tiefes, entspanntes Aufatmen durch, drang es den Braus der entfesselten Natur... als ob die Tausende, die hüben und drüben sich zum Schlummer streckten nach nicht allzu harter, doch abstumpfendcr Arbeit — als ob sie alte zu gleich in einem einzigen Aufstöhnen ihre kriegs müden Seelen beurlaubten für ein paar Ruhe stunden . . . Doch... die Rast der Tausende war nicht unbewacht: sie hatte Augen . . . viel Dutzende von Augenpaaren bewachten sie. Ganz deutlich konnte man auf der Krönung der neuentstandenen Batterie den pickelbehelmten Kohs eines Wacht postens erkennen. . . Und fünfzig Schritte wei- ter, wo am Dorsrande, hart am Steilhang des Waldhügcls ie Castetet und durch ihn gegen das Feuer der Festung gedeckt, der bescheidene Bauernhof stand, in dessen Scheune die Munition uutergcbracht war: dort hörte man zwischen den pfeifenden Windstößen ganz deutlich die Schritte der Postenablvsung, den Hall der Stimmen, die ihre Meldungen abstatteten. . . Und dann wie. der nichts als das Brausen des nächtlichen Orkans. . . Es ging aus die Nerven, das stumme Lau. scheu und Harren. Die Erregung des An. schleichens in der Dämmerung verrauchte, und statt ihrer kamen tausend Gedanken und Be- klemmungen. Wie, dachte Louis, wenu's uun schief ginge? Dann kam die Kitgel oder der Strick. . . Sei's drum — Gefahr war nichts Neues mehr für das junge Herz: man lebte von ihr seit drei Wochen. Und — die daheim? Sic würden nie etwas vom Ende ihres Louis erfahren . . . keiner von der Bande kannte ihre Namen: „Vaurien et Saw-avoir, los ckeux pokit« di-aque« <1u Commanckanr" — Taugenichts und Habenichts, des Kommandanten beide kleine Schweißhunde — so hatten sie gelebt, die zwei, so würden sie zu sterben wissen . . . fürs heilige Vaterland... Dennoch — das da hinten, die Vaterstadt, die Heimat, der tragische Massenfriedhof, auf den man die Mutter hatte betten müssen. . . Papa, der immer still und rastlos fleißige, daheim immer gleichmäßig gütige und milde . . . und Cöcilotte, Schwesterchen. . . Himmel, und da alles . . . vielleicht niemals wieder . . . (Schlvsi folgt in der SRorgeiuumgaLe.)
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