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Dresdner Nachrichten" — Nr. 273 «eile» Sonntag» 12. 2unl 1SS2 ,Fnie beugt — Arme vorwärts streckt!" Zwanzig frische, junge Bauernsöhne stehen in zwei Gliedern mit Zwischenräumen und machen Freiübungen. Also ein ländlicher Turnverein? Na, der übt doch nicht in Reithosen, mit Ledergamaschcn und Sporen! Wir sind schon richtig beim Rett- und Fahrveretn, nur mitten htneingeschnett in seinen UebungSbetrteb, zu dem das Turnen unbedingt gehört, denn nur der wird ein vollendeter Netter, der vor allem den eigenen er es so einfach seinem Sohne anvertrauen? Und das Pferd must die ganze Woche schwer arbeiten, da braucht man es doch nicht am Sonntag auch noch müde zu machen! Viel Ueberredung hat es anfangs ost gekostet, ehe der Vater die Einwilligung gab. Ihm muhte erst klar gemacht werden: Hier handelt cS sich nicht nur um Sport allein, cS geht nicht etwa um et» Vergnügen, vor allem auch nicht darum, das Ackerpferd ab und zu von einem »»geübten Reiter unsachgemas; abrackern zu lassen. Es handelt sich vielmehr um deinen Betrieb. Je mehr sich dein Sohn mit dem Pferde beschäftigt, desto besser versteht er es, desto lieber gewinnt er es, und desto besser pflegt er es. In den Neitvereinen soll den jungen Bcsiherösöhnen eine wirklich gründliche Pserdewar- tung und Pserdekenntnis bei gebracht werden, damit sie in der Lage sind, nicht nur selbst sachgemäst zuzufasscn, sondern auch den ost kcnntntsloscn Knecht anzuweisen und zu be aussichtigen. Und wenn der Gaul einmal krank wird, dann soll der junge Landwirt nicht dastehcn mit der verzweifelten Frage: Was machst du nun? Er must wissen, was zu tu» ist bei Verletzungen oder Un fällen, und die ersten Hilfelei stungen geben können, bis der Tierarzt kommt. Dazu gehört theoretischer Unter richt, der in jedem guten Verein gepflegt wird. Doch die Ausbildung ist nicht auf den Reiter beschränkt. Auch das Pferd wird in die Schule genommen, und zwar gründlich. Sachgemästcs, vernünftiges Rei ten ist für daS Pferd keine Anstrengung, sondern stärkt Am frühen Morgen zum Tor hinaus Sächsische Landes-Fahr- und Reitschule Leisnig dessen Widerstandskraft, macht es elastischer und somit vielsei tiger gebrauchsfähig. Bei den Turnieren der länd- Körper beherrscht. Doch schon werden die Leibesübungen echt reiterlich. Ein Pferd wird an die Longe genommen, und dle Reiter springen aus Len galoppierenden Gaul. Manch einer voltigiert, das; ei» Zirkuskünstler vor Neid erblassen könnte. Das sind dieselben „steifen Bauern", die werktags mit nerviger Faust den Pflug führen und schwere Landarbeit verrichten. „Aufgescsscnl Im Arbeitstempo — Trab!" Nun wird geritten in allen Gangarten, Schritt, be schleunigter Trab, NechtSgalopp, Linksgalopp, Wendungen — und der Reitlehrer steht dabei und korrigiert. „Mcncr, nehmen Sic die Zügel besser! Die Hand must sein, als wenn sie einen Schwamm ausdrückt! — Scheibe, Sic sitzen wieder wie Noah auf dem Berge. Mann, strecken Sie Ihren Arm nicht so vor, der Ellenbogen must ejnc» rechten Winkel bilden, sonst kriegen Sie nie die „weiche Führung" 'raus." Geritten wirb ohne Steigbügel. lichen Neitvereine entwickeln sich die fesselndsten Bilder immer beim Springen. Dabei zeigt sich so recht das Temperament des Reiters. Der eine regt sich mächtig aus, als wenn er cs dadurch schasste, macht damit natürlich sein Pferd nervös, die Hürde kommt — rumpö, steht das Pferd, -rängt »ach hinten, kein Spor» kann eS bewegen, seinem Herrn zu gehorchen. Der andere reitet zu sehr auf Zeit, kommt ins Jagen und Juxen. Allerdings sind das Ausnahmen geworden, durchweg springt man in recht guter Form. Kommt ein kleines Mädel, vielleicht zwölf Jahre alt, versammelt seine Stute, flüstert ihr leise ins Ohr: „So, Lotte, nun spring schön", rettet ruhig an, und Lotte nimmt Hürde und Koppelrick, Mauer und Graben mit einer so rührenden Willigkeit, als wenn es ihr Spast machte, die zierliche Herrin dnrch die Bahn zu tragen. Ucbcrhanpt gehen die Pferde gut unter der leichten Füh rung von Damen, oft besser, als wenn der Reiter den Ge horsam erzwingen will, und cs gibt in den sächsischen Neit vereinen manches Mädel, an der geringen Zulassung von Stuten zur Zucht in den Jahren des Ucbcrangebols 1929/27 nur knappen Nachwuchs, und während die Preise sttr Rinder und Schweine zur Zeit über 50 Prozent unter Vorkriegspreisen liegen, kosten Pserde genau so viel wie 1913. Daher ist der Landwirt ost nicht mehr in der Lage, ein neues gutes Pferd zu erstehen: wohl aber kann er ein Fohlen mit grostziehen: denn wen» im ersten Jahr, der Hauptcntwicklungszeit der Fohlen, mit Kraftfutter auch nicht gespart werden darf, so sind sic doch von da ab im Sommer durch Weidegang, im Winter durch Rauhsuttcr billig zu ernähre». ErsahrungSgemäst werden vielfach die Pferde durch mangelhaftes Anspannc n verdorben. Wie das gleiten, will auch das Fahren gelernt und gekonnt sein, und In den Vereinen wie bei den Turnieren wird hierauf besonderer Wert gelegt. Während des Krieges hatte die deutsche Armee starke Pserdevcrlnste nicht nur dnrch feind liches Feuer, sondern auch durch unsachgcmästcö Anfpanncn, so dast die Zugleistung nicht glcichmästig aus die Pferde verteilt wurde. Jetzt fährt dieganzeReichswchr uach dem neuen,dem so genannten deutschen Fahrsnstem. DaS findet auch in der Landwirtschaft immer stärkeren Eingang, das altgewohnte Arbeiten mit der Hottcleine sollte verschwinden. Es ist ein vereinfachtes Fahrsnstem, daS dem Kutscher ermöglicht, mit einer Hand sein Gespann zu lenken. Verbunden damit ist das richtige Vcrschnallcn der Zügel, das eine glclchmästigc Verteilung der Arbeit aus beide Pserde herbcisührt. In vielen Vereinen ist die Fahrknnst so hoch entwickelt, dast ein Viererzug vorbildlich vom Bock gefahren wird. Tast daneben die A ck e r a n sp a n n u n g gepflegt wird, versteht sich von selbst. Ein Ehrentag aber ist es, wenn ein Mitglied eines sächsischen Reit- und Fahrvercins Hochzeit feiert. Dann lässt es sich kein Verein nehmen, das Brautpaar vierspännig zur Kirche zu fahren, fürwahr ein schöner und stolzer Brauch. Man kann wohl sagen, dast mit entscheidend gewesen ist für die gute Entwicklung der sächsische» Reit- und Fahrver- cine die Sächsische Landes-Fahr- und Reit schule in Leisnig. Den Dresdnern ist noch gclänsig, welchen hervorragenden Eindruck diese Schule voriges Jahr bei dem Turnier aus der Jlgcnkampibahn anlästlich des Kavallerietages machte. Tie Bewunderung aller Fachleute erregte besonders eine ausgezeichnete Sprung»ua- drille, durch die Leisnig geradezu einen Namen in ganz Deutschland bekam. Die Schule steht auch unter den Neit- und Fahrschulen Deutschlands — cs gibt etwa drcistig — unbedingt an führender Stelle. Sie ist das Ideal der Aus bildung eines jungen Landwirts schlechthin. Hier wird er selbst gelenkig, gewandt, lernt Disziplin und lernt alles kennen, was mit dem Pserde zusammenhängt, vom Hus- bcschlag über das Anspannen, Reiten und Fahren bis zu den Grundbegriffen der Ticrarzneikunde. Drei Monate dauern die Kurse: dank der Zurverfügungstellung von Reichs- und Staatsmitteln sind sie äusterst billig. Hierher schicken auch die Neitvereine die jungen Leute, die zu Hilfslehrern ausgebildet werden sollen. Neuer dings sind austerdem vierwöchige S t u de n t e n k u r s e ein gerichtet worden, die hervorragenden Anklang finden. In Aus einem jungen Mann, der zu zeitig die Bügel nimmt, wird kein guter Netter. Aber auch der alte Retter sollte immer wieder zum vorübergehenden Reiten ohne Bügel zurückkehren, nur dadurch verbessert er Sitzschlcr, falsche Schenkellagc usw. Aller Augenblicke streichen die jungen Bauernsöhne den Pferden mit den Zügeln über den Hals, loben sie, und machen sic sich angenehm in der Hand. Alles geht spielend, weich, elastisch, mit grösster Ruhe ohne jeden Zwang vor sich. Zu diesem Reitlehrer kann sich der Verein gratulieren. „Ihre Abteilung möchte man einpacken", sage ich zu ihm, „und überall dort zeige», wo Reiter und Pferd stets sind, wo die Pferde pullen, gnieken, mit dem Schweis schlagen oder die Zunge über das Gcbist nehmen." —„Aber, bitte, austerhalb SachsenS", lacht er, „wir haben so manchen Verein im Land, der ebenso gut ist oder besser." So stolz kann man jetzt sprechen von den ländlichen Reitern in Sachsen. Ja, wenn wir ein Pserde zücht gebiet wären! Aber in Sachsen herrscht Ackerbau vor, und bei den Landwirten war das Netten früher wenig üblich. DaS hat sich freilich er heblich geändert, must allerdings noch kräftig sortentwtckelt werben. Doch, wodurch entstand nun die Reiter bewegung? Deutscher, dein Schicksalsbuch ist der Ver sailler Vertrag. Auch hier wieder stösst man aus ihn als die eigentliche Ursache. Früher, als »och die Standarten der deutschen Kavallerieregimenter frei im Winde flatterten, ging jeden Herbst ein Strom von Leuten ins Land, die drei Jahre am Pferde ausgebildet waren und sich auf dessen Pflege und Führung verstanden. Bald nach dem Kriege zeigte sich schon, was die Landwirtschaft durch bas Fehlen der Wehrpflicht verlor. Da musste soweit wie möglich ein Ausgleich geschassen werden. Aus dem Gedanken der Selbsthilfe heraus ging man, wie in ganz Deutschland, so auch in Sachsen, alöbald ans Werk. Der Landesverband sächsischer Pscrdezüchter bei der LandwirtschastSkammer im Freistaat Sachsen errichtete bereits 1922 in den einzelnen Pscrdezuchtvcreinen Ncttabteilungcn, die gelegentlich der jährlich abgehaltenen Stuten- und Fohlenschanen an die Ocssentltchkeit traten. Damit war die Bewegung aiigekur- bclt, sie wuchs säst von selbst, und im Jahre 1925 sah sich der Landesverband sächsischer Pscibezüchtcr veranlasst, den Landesverband ländlicher Reit» «nd Fahrvereine zu gründen. In den Jahren 1925 bis 1029 erfolgte bann die Hanptentwicklung. Bald wurden, den fünf KretShaupt- mannscha'ten entsprechend, fünf KreiSverbände als Unter- verbände gegründet, und zur Zeit weist Sachsen die statt- liche Zahl von 95 Vereinen aus. „Vater, ich will in den Rettveretn." Bedenklich kratzt sich der alte Landwirt hinter den Ohren. Sein Pferd ist ein erhebliches Wertobjekt, soll dem sich die Herren der Schöpfung ein Beispiel neh men können. Auf das Springen wird in der Reiterei der ganzen Welt heute viel mehr Wert gelegt als früher, in Ame rika wie in Europa, und mir freuen uns, dast Deutsch land in dieser Beziehung dnrch die Erfolge der Reichs wehr-Reitschule Hannover einen hervorragenden Ruf besitzt. DaS Springen stärkt die ganze Muskulatur des Pferdes, dazu die inneren Organe, die Lunge und das Herz. Von wohltuendem Einflust aus das Pferd ist übrigens auch dasZusammen- sein mit Artgenosscn. DaS verbessert nämlich das Pferd moralisch. Diese Beobachtung macht man schon bei Fohlen. Solche, die unleidlich sind, sich bissig und böse, falsch und tückisch benehmen, sind meist auf Elnzelweiden aus gewachsen: auf groben ge- melnfchastlichen Weiden er ziehen sie sich gegenseitig, und wenn einmal «ins mit einem Iungreiter auf sächsischem Warmblut ungeraden Charakter zur Welt kam, pochen ihm die anderen so in die Rippen, dab es die Ohren nicht mehr anlegt, ein ganz manierlicher, lenk- sanier Kerl wird. Dle LandwirtschastSkammer ist sehr darum bemüht, auch die sächsisch« Pferd«zucht zu heben. Deshalb «erben bei jedem Turnier bi« Pferde sächsischer Abstammung gesondert bewertet und mit Preisen bedacht. Die sächsische Warmblutzucht sustt auf dem Oldenburger Typ. Seit Jahrzehnten hat sich herausgcstcllt, Last die in Sachsen gezogenen Mutterstuten die besten Vererber sind, und wir haben eine ganze Anzahl guter Stämme. Noch schneller käme man zu einem einheit lichen Schlag, wenn auch die Vatertier«, wie immer gefordert worben ist, grösttentellS im Lande selbst gezogen würden. Einige gute sächsische Marmblntkcngste sind freilich vorhanden. Daneben zieht man in Sachsen den mittel schweren, gängigen Kaltblüter. Dle Zeiten des Ueber- angebots an Pferden sind vorbei; heute hat man auf der «inen Seite sehr viel alte Pferde, auf der anderen infolge sclbstgewähltem Gehorsam herrscht ein Schnei- bei den jungen Leuten, dast man seine Helle Freude daran hat, sie sind „zackig" im besten Sinne des Wortes. Für -en Landwirt ist -er Winter -i« HauptauSbil- dungSzeit. Im Sommer wird in den Turnieren gezeigt, waS man im Winter gelernt hat. Das höchste Ziel aber ist daS frische, frete Retten im Gelände. So werden im Herbst vielfach Jagden geritten, und neuerdings sind Gelände- stafetten sehr in Ausnahme gekommen. Eine aroste Stafette die in drei Armen auch Sachsen berührte, wurde im vorigen Herbst mit der Wartburg als Ziel durchgcsührt. An ihr beteiligten sich neben den ländlichen auch städtische Retter und RetchSwehrangehörige. Der Landesverband der säch sischen Nett- und Fahrveretne sandte bet dieser Gelegenheit zur Wartburg den Grub: „Kops hoch wie beim Reite« — So auch in schweren Zeilen." Längst hat die Netterbewegung ganz Sachsen ersaht; mit gleichem Eiser wirb geritten in der Lausitz wie im Vogtland, in der Leipziger Gegend wie im Erzgebirge. Möge es weiter vorwärts und auswärts gehen! ll. 0.