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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 22.11.1914
- Erscheinungsdatum
- 1914-11-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191411224
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19141122
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19141122
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-11
- Tag 1914-11-22
-
Monat
1914-11
-
Jahr
1914
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r - Unterhaltungsbeilage ** Es gibt Verluste, welche Ser Seele eine Erhabenheit Mitteilen, bei -er sie stch ües Jammerns enthält un- sich wie unter hohen schwarzen Zypressen schweigen- ergeht. Nietzsche Hiequiem. jüngst in der Nacht, als der Sturmwind oorüberjlog, Und heulend in seinem zerfetzten Mantel sich nicderbog, schollen verlorene Senior de: Niesenschlacht Dumpf durch die Mitternacht .... Haschend im Schlaf nach des wehenden Mantels Saum. Sprach zu mir ich im Traum: „Von heiligen Rhythmen eine still' Flut Hat scheu in Tiefen deiner Brust geruht. Nun löst die Cturmnacht jählings ihren Bann, Sin dunkles Lied hebt wehe Klagen an Und schwillt dahin ... ein dumpfer Trauerchor . . klären sollen, um ihren Ausgang in verdienter Heldengrößc zu adeln. Warum ist auch dieser ver söhnende Trost so viel tapferen Herzen versagt! Warum, warum — jo fragt und sticht, hetzt und verwirrt wieder dies kleine Wort und will den Sinn großer Ertenntrnsse versäumen. Aber wir mässen die Augen erheben über das einzelne und Ver wirrende zum Groszen, in dem eine ewige Weisheit überwältigend klar wird. Wer auch fiel, und wie er auch fiel, aus diesen neuen Gräbern blüht Leden und Zntunit. Vaterland und Mcmchheit. Volk und Einzennerych ziehen aus dem bliui en Boden die srärfilen uno heitiamsten Saite. Wieder wird Leben geopfert, um höheres, reicheres Leben lür gesegnetere Zelten zu retten. Wieder kommt aus dem Tode die reichste Lebenskraft. So wufztcn alte Heidensagen und Eötrermären sinnig zu berichten, so wuchs das tiefe Mysterium der christlichen Kirche von Erlösung durch Blut uno Opfer io verkündet die Wissenschaft mit tlaren Beweisen die alte Lehre. Warum, warum? Dieic Frage wäre hier kindlich und kindisch Denn das tiezsle Geheimnis aller Weltentwicklung ruht in der unerforschlicheii Wahrheit, da» alles Leben gehet aus dem Tode. So ist das Totenfest ein Tag der Lebendigen. Di« tote Heldenschar hebt sich empor Und schwebt durch Nacht und Flor Lichtwärts . . . Ein seliges . . . Gleiten! -- Der Chor verklingt . . . Dio Scharen schlingt Das offne Riesentor der Ewigkeiten." Dumpf durch die Mitternacht Schollen verworrene Klänge der Niesenschlacht. Da sich der Sturmwind tief zu mir niedcrbog. Als er zerfetzten Mantels heulend vorüberflog Jüngst in der Nacht? . . . Paul Grotorvsky. Lotenlest 1YI4. Auch dieses Fahr wie allherbstlich feiern wir den stillen Tag, der den Toten geweiht ist. Aber um wieviel düsterer und herber erscheint er uns diesmal wieviel mehr sind derer, die da trauern. Der Jüngsten im schweigsamen Reich — so schreibt Emil Hadina im „Türmer" — gedenken wir heute vor allem — heute, am ersten Totenfest, da sie nicht mehr unter uns wandeln. Heimatlich deckt sie die Erde, ob sie im vaterländischen Boden schlummern, für dessen Freiheit und Würde sie fielen, ob in feindlichem Grund. Es sind unsere Söhne und Brüder, die im grasten Wettspiel des Krieges die schwarze Kugel zogen. Im grasten, blinden Wettspiel. Und neue Zweifel beschleichen das Herz und wollen die Weihe der Stunde kürzen. Warum sie, gerade sie? Warum so wahllos, wenn ein wählender Wille ist? Und manch Schwergetroffener, der aus namenlosem Schmerz die Augen wieder vertrauend zum unbegreiflichen Herrn des Lebens erheben will, zögert und grollt und ver sinkt wieder in verzweifelnder Bitterkeit. Wir sahen Grosze ins Feld ziehen, Söhne aus fürstlichen Häusern mit stolzen Pflichten der Zukunft, begnadete Künstler, deren Gotteskleinod die Herzen der Menschen bewegte und ihre Seele erhob, Fürsten der Wissenschaft mit dem befreienden Lichtmai auf der hohen Stirn. Und wir dachten im Gebete zu Gott, er möge sie schonen und ihre unerfüllte Sen dung nicht verderben. Wir tonnten zwei oder drei Menschen, deren Wert uns die Würde der Menschheit verbürgte, voll tiefster eigener Seele, voll zartesten Glanzes und fröhlichster Kraft. Eine Fülle von Licht leuchteten sie still und unbemerkt aus alle Umwelt, doch das grösste Wunder die grösste Gnade war diese eine, nie wiederholte, nie wiederiommenbc Schöpfung und Art ihrer rein behüteten Persönlichkeit Und wieder baten wir um Schonung dieser feinsten und lieblichsten Blumen im Menschengarten. Und wir blickten hinein in kleine Wellen, die hundert und tausend Leben und Existenzen an ein einziges Dasein ankerten. Wir flehten nochmals: „Hier, nur hier sei gnädig, groszer Herr der Heerscharen. Hier bricht nicht ein einziges Herz, hier weinen nicht einige kummervolle Augen, hier sinken ganze Familien und Geschlechter in Nacht und Not, vielleicht in Schuld und Schande. Nur hier geh vorüber mit deinem Blitz?" Und dann fiel der Blitz — und brannte manch Erwählten guadelos nieder Noch immer verbluten die Patrokleu, und manch ein Thersites sicht die Heimat wieder. — Warum so wahllos, wenn ein wählender Wille ist? Und wenn sic sielen, so gräbt der zweifelnde Groll weiter, wenn sic fallen mustten, warum so? Wer über das Schlaastfeld schritt oder durch die Reihen sterbender Krieger in Lazaretten und Krankcniälen. der weiß. daß die letzten Augenblicke der Todwunden ost aubers, ganz anders sind, als u rr s wünschen und in idealisierten Bildern ausmalen wollten. Gewiß: viele gehen in Hoheit und Würde und zeigen die ergreifende Schönheit, mit der sich der Tod bekränzen lägt. Dach nicht allen in s vergönnt, so zu fcheiden. Und wir leiden unsagbar in dem Gedanken, das; sich Geschick und Leben, Welt und Gott nicht noch einmal vor den Augen der Sterbenden in heiliger Würde Schneeschuhe und Schneeschuhiäuser im Kriege. Starker Schneefall im Gebirge bringt jetzt auch den Schneeschuh als militärisches Hilfsmittel zur Geltung. Der Schneeschuh verhindert ja infolge seiner groszen Tragjähigteit bas Einsinken des Läufers in ücn Schnee, ermöglicht dem Infanteristen also auch im Winter eine Fortbewegung in Gegenden, in denen sonst ,zu dieser Zeit ein Fortkommen aus geschlossen ist. Da der Schnecschuhtäuscr dabei nicht an die Wege, sondern nur an eine sonst vom Menschen und vom Pferde nicht zu beschreitende Schneedecke gebunden ist, wird sogar der Umkreis militärflcyer Operationen noch bedeutend erweitert. Der in den europäischen Heeren eingesührte Schneeschuh ist der sogenannte Tc.emark-Ski. der sich wegen seiner langen, aus Norwegen stammenden Form für die Militarismen Zwecke am besten eigner. Auf ihm kann ein marsch- mäszig ausgerüsteter Soldat ohne nennenswerte Er müdung sieben bis acht Kilometer in der Stunde zu rücklegen. Selbst bei schwer befahrbarem Gelände darf man von ihm noch dieselbe Leistung erwarten, wie sie ein tüchtiger Infanterist auf guter Landstraste auszubringen vermag. Berghänge kann der Schnce- schubläufer ebenso wie der Fustgänger in Serpentinen ersteigen, und bergab ist er dem Fustgänger erheblich überlegen. Gewaltlerstungcn von täglich 100 Kilo meter sind bet günstigem Gelände jur militärische Schneefchuhlüufer keine Selteiihcit. Der Ski stammt nicht, wie man oieliach annimmt, aus Skandinavien. Lenophon berichtet uns von der Verwendung des Schneeschuhes im armenischen Hochlande, und cs scheint, als ob die älteste Heimat des Stis in Asien bei den mongolischen Völkern der mittelasiatischen Steppe gesucht werden must. Von dort ist der Schnee schuh zu den Lappen gekommen, von denen wiederum die norwegischen Eebirgsbauern seinen Gebrauch kennen lernten. Heute sind weite Landstriche Nor wegens. Schwedens und Finnlands ohne den Schnee schuh einfach undenkbar, da er allein während einer geraumen Zeit des Jahres die Verbindung mit der Austenwelt über Hunderte von Meilen hinweg er möglicht. In Norwegen entstanden auch zurrst mili tärische Skiabteilungen. die besonders zu Aufklärungs zwecken und zur Beunruhigung des Feindes dienten. Im Jahre 1717 wurden sie fest organisiert, und heule zählt das norwegische Heer mehrere Regimenter mit einem lnflondcren Exerzierreglement. Als grösste kriegerische Tat dieser Truppe, die sich in den Kämpfen gegen Russen und Schweden wiederholt vorgctan hat. gilt das Gefecht bei Trangrn in Solör. wo die Skijägcr ein schwedisches Bataillon im Schnee umzingelten und gcsangennahmen. Von den Ländern Mi.teleuropns haben zuerst die Schweiz und Oesterreich in seinen Tiroler Landen den Skisport zu militärischen Zwecken verwendet. In der Schweiz zeigten langjährige Versuche, dast sich der Schneeschuh auch im Hochgebirge bewährt, selbst da. wo keine grasten ausgedehnten Rrnnflüchen wie in der Ebene zur Verfügung stehen. Er ist daher heute fast all gemein im Schweizer Heere cingefübrt: die Besatzung der Gebirgsbesestigungcn am St. Gotthard versieht ihren Wachtdienst ständig aus Schneeschuhen. Im Jahre 1W2 folgte Frankreich dem Beispiele Italiens, das damals schon mit Schneeschuhen ausgeflattete Alpentruppen besäst, und bildete drei Regimenter seiner Berggegendcn ebenfalls im Skiläufen aus. Es berief hierzu norwcgiiche Jnstruktionsofsiziere, die die Ausbildung planmässig leiteten und somit die französischen Alpenjäger schufen, die jetzt in den verschneiten Vogesen gegen deutsche Truppen kämpfen. In Rußland sind alle Grenztruppen mit Schnee schuhen ausgerüstet. Doch auch andere Truppenteile, besonders dle ..Jagdkommandos", haben seit Jahren in jedem Winter längere Skiübungcn veranstaltet, um im Patrouillen- und Erkundungsdienst aus gebildet zu werden. In Deutschland fanden die ersten militärischen Schnecschuhübungen 1bt>1 im Harz statt. Später folgten solche in Hirschdcrg, Kolmar, Ortelsburg, Kulm. Schlettstadt und in Oberbayern. Das Verwendungsgcbict des Schneeschuhes erstreckt sich also einmal aus das Mittelgebirge und die Vogesen an unserer Westgrcnze. dann auf die oft l lange verschneiten, an Rußland stoßenden G.'ildc. I Auch bei anderen Truppen als der Infanterie ist der ' Schneeschuh schon mit Vorteil verwendet worden, so im Fcldberggebiet von Artilleristen zur Aufklärung und Absperrung beim Scharfschießen. Ein Schweizer Generelirabsosfitier hat die mannigfache Verwendung des Schneeschuhes folgendermaßen zusammengcsaßt: Ein Skikommando ersetzt den Dienst von Kavallerie patrouillen. Der Vormarsch nachfolgender Truppen törper wird dadurch erleichtert, daß diesen einige Skiläufer oorauseilen und den Schnee fcstichlagen. Skiläufer vermitteln den Berkebr zwischen Vorposten und Feldwachen, überbringen Meldungen und Be fehle. Skiläufer vermögen, im Bewußt'ein. geräusch los und infolge ihrer Geschwindigkeit überraschend aunutrcten. wert oorauszuschnellen und in steter Der bindunq mit dem Feinde zu bleiben, wobei sic aller hand Seitenwege einsrylagcn tonnen. Auch die S'chc rung der großen Halteplätze übernehmen Skiläufer, und im Unlerkunfts- und Sanitätsdienst lassen sic sich wegen ihrer Schnelligkeit vorteilhaft verwenden. Line belgische Zrau. Skizze nach dem Leben. Don E. von Winterfeld-War now. Nachdruck verboten. Vor Lüttich war's. Sic waren voran gestürmt auf die Festung los, waren zurückgcworfen und wieder gestürmt. Und da. plötzlich, mitten im Lauf, hatte cs ihn niedergeworfen. War's eine Kugel? War's ein Schrapncllschusz? Hingcstürzt blieb er liegen, und die anderen waren weiter gestürmt. Graue Dämmerung lagerte schon über dem Lande, als er wirver zu sich kam. Er tastete seitwärts. Kahlköpfe waren cs. Und da Nübenblätter! Ein Gemüsegarten, in dem er lag. Der Nachttau fiel schon. Vielleicht, daß er damit seinen ärgsten Durst stillen konnte. Plötzlich hörte er Stimmen, flämische Laute, un verständlich für ihn. Aber sie kamen näher. Um Gottes willen, das waren Franktireurs — — oder Leichenfledderer! Sie wüxden ihn berauben, ihm vielleicht die Augen ausstechcn oder den Finger ab schneiden. Aber nein, er trug ja keine Ringe. Zum Ehe ring war er noch zu jung! Kaum zwanzig! Und sein Siegelring, sein Wappcnrina steckte in der Tasche. Er hatte ihn vor dem Kampf aoo.^gen. Un^ doch kroch ihm das Grauen über den Kö per. Er schloß die Augen, um sich tot zu stellen und öffnete sie doch wieder in tödlicher Angst. — Kämpfen, sollen für's Vaterland o. wie gern! Wie begeistert war er hinausgegangen! Aber hier im Dunkel der Nacht von diesen Kerlen zerstückelt werden, das war schrecklich! Näher kamen die Stimmen. Jetzt sah er's. Ts waren alte Leute, ein Mann und eine F^au. Sic zogen einen kleinen Handwagen und sammelten etwas von der Erde aus Also Leichenfledderer! Jetzt beugte sich die Frau neben ihm nieder. Ach. sic schnitt nur die Kahlköpfe ab und warf sic in den Wagen. Und plötzlich sah sic ibn. Sie rief den Mann herbei. Beugte sich über ihn. Ach, wenn er sie doch verstanden hätte. Was würde sie nun mit ihm tun? — Erregtes Sprechen hin und her, bis der Mann schließlich nachznqeben schien. Joachim von Sorten hielt sich ganz still. Und da hoben sic ihn auf und packten ihn auf ihren Hand wagen, oben auf all die Kahlköpfe und Rüben. Und nun ging's vorwärts, bergan. Und das rüttelte und schlitterte. Und seine arme Brust tat ihm so weh, daß er auf einmal nichts mehr wußte, gar nichts von sich und von seiner Umgebung. Ein lichtrosa Schein lag in dem warmen, großen Raum. Er kam von der rotbcschirmtcn elektrischen Stehlampe auf dem Nachttischchen. Ein breites, schneeweißes Bett, eine blaue, seidene, wunderwcichc Daunendecke schmiegte sich lind an die wunden Glie der. Ach. war das köstlich. Der junge Krieger atmete tief und wohlig auf. Seine Hand tastete nach -er wunden Brust. Da legte sich ein Frauenarm sanft um seinen Nacken, hob Len Kopf und gab ihm zu trinken. Leise ließ sie ihn in die Kissen zurückglciten. Weit öffnete der junge, blonde Deutsche die großen Blauaugen und sah erstaunt um sich. Eine Dame von vielleicht fünfzig Jahren beugte sich über ihn und fragte in reinstem Fran.zösisch: ..Nun. Monsieur, wie befinden Sie sich jetzt?" „Sauwohl," hätte er am liebsten gesagt. Aber das hätte sic nicht verstanden, und so nahm er denn all sein Schul-Französisch zusammen und dankte ihr in schönen Worten. Sic lächelte — ein gutes, stilles Lächeln. Dann legte sie den Finger ans den Mund: „Nicht so viel sprechen, mein junger Freund! Das schadet uns!" „Ja, aber wie komme ich hierher?" Nun gab sic Bescheid. „Die beiden alten Leute, die Sie gesunden haben, sind Landleute aus dem Dorfe. Sic wollten sich von ihrem zertretenen Ge müsefeld die letzten Kohlköpfe retten " „Auf denen habe ich gelegen." sagte er mit leisem Lachen. ..Ja, und sic sanden Sie. Da sie die Wut der andern im Dorf fürchteten über den Feind, brachten sie den Wunden hierher zu mir aus's Schloß." ..Und Sie verpflegten mich? Ah, masiamo, eommo vons «los boun« !" „Still, still! Wir sollen doch nicht sprechen! Und weshalb sollte ich Sic nicht verpflegen? Ich habe auch einen Sohn dabei, vielleicht nimmt eine deutsche Mutter ihn auf." Ihre Augen wurden dunkel und starr. Dann lächelte sie wieder: „Ich bin keine Deutschen-Feindin! Ich kannte Deutsche in Brüssel, liebe Freunde! Sie mußten jetzt auch fliehen! Und ich kenne deutsche Dichter und deutsche Musik! O. so große, heilige Musik! Aber wir müssen schla'cn. mein Freund! vnrmer. ckonnor. ckminer!" Sie sagte cs drei-, viermal, und das wirkte wie ein Wiegenlied, wie eme Hypnose. Die blauen Knabenaugcn schlossen sich. Der Kops legre sich aus die Seite. Er schlief. Lüttich war gefallen. Durch Deutschland brauste der Siegesjubel. Und in Belgien fing man an zu ahnen, daß man töricht gewesen war, stch dieses Deutschland zum Feinde zu machen. In dem stillen Schlößchen der Gräfin Muscr merkte man nichts davon. Miramar bekam auch ein mal Einquartierung, und die Gräfin bat den Arzt, der dabei war. nach ihrem P legling zu sehen. Er untersuchte ihn. schüttelte den Kops und drückte nach her der Gräfin dankend die Hand sür seine Auf nahme. Zu machen war nicht viel. Sollte er ihn noch rn ein Lazarett transportieren lasten? Das war säst unmöglich in dem Zustande des Verwundeten. Und er hatte es ja Io gut hier! Las, da wie ein Prinz. Und wurde verwöhnt wie ein Klnd. Er selbst, der Doktor, mußte gleich mit weiter. Man brauchte ibn in der Festung. So küßte er nur der edlen Frau die Hand und dankte im Namen der Angehörigen des jungen Leutnants. Also war doch nicht jede belgische Frau eine Megäre! — Wie gut die Er ahruna tat! — Die Einquartierung mußt: weiter. Und dic beiden blieben wieder allein. Ein alter flämischer Diener war der einzige, der außer der Gräfin in das Zimmer des Junkers kam. Wenn sie irgend Zeit hatte, saß st: bei ihm. Und jetzt li«ß sie ihn auch ruhig sprechen. Der Arzt hatte ihr gesagt, es mache keinen Unterschied für die wunde Brust. Se erzählte er von zu Haufe, von dem großen Gut, auf dem er ausgewachsen war, von den vielen Ge schwistern. Ein Bruder stand im Felde da oben gegen die Rusten. Ein kleiner Bruder war noch Kadett in Potsdam, das war der Liebling. Der sollte seinen Degen haben und seine Achselstücke, wenn — Na ja. nun wußte es Jochen von Sorten wohl schon, daß er nicht mehr heimkehren würde nach Deutschland aus das Heimatfiche Gut, zu den Ge schwistern und d:r guten Mutter. Aber er war nicht traurig. Er hatte es ja jo gut. Und er starb fürs Vaterland hier in dem fremden Schloß, gepflegt von der fremden, edlen Frau. Und dann erzählte sie. wie sie in Deutschland ge wesen war, in Bayreuth, und dort den „Parsisal" gehört hatte. Ach. ihr Belgien war schön, Brüstet und Mecheln und Antwerpen. Aber Deutschland war auch schön, ja, der Nheül. Und dann hatte es die Musik. Und manchmal setzte sie sich im Nebenzimmer an den Flügel und spielte ihm vor aus „Parsisal" und aus „Lohengrin" und „Tristan". Und wenn er auch keine Künstlernatur war. sondern alles nur harmlos glücklich als schöne Musik -n sich ausnahm, so fühlte er doch wohl, daß ihm da künstlerisches Können entgegentrat in deutscher Musik. Aber eines Abends — hatte er sich zu plötzlich be wegt? — hatte er sich auirichtcn wollen? -- da hörte die Spielerin rrnen schwachen Laut vom Kranken bett her. Sic eilte hin und sand ihren Pflegling mit zukückgeworsencm Kopfe, geschlossenen Augen, und die weiße Decke von einem Llutstrome gerötet. Erschrocken richtete sie seinen Kops aus. wollte ihm seine Medizin einflößen und hob liebevoll das junge Antlitz ein wenig. Er schlug die Augen auf, sah sie mit einem großen Buck an und flüsterte: „Mutter!" Dann Ichlossen sich die Augen und der junge Körper streckte sich. Im Park, unter wundervollen Tannen und alten Eibenbäumen steht ein Mausoleum. Es ist ein griechisches Tcmpelchcn. Stufen führen hinein in die Gruft. Ein Säulengaiig schließt sic nach außen :in. Dorthin bettete man den jungen deutschen Offizier. Still und im Abenddämmern wurde er dort beigcsetzt, und die Gräfin legte blutrote Rosen aus dem Park auf seinen Sarg. Dann aber setzte sie sich hin und schrieb einen langen Brief an sein: Mutter da im fernen Deutsch land, so wie nur eine Mutter an die andere schreioen kann. „Und wenn cs Frieden wird", stand da zum Schluß, „dann holen Sie sich Ihren Jungen von hier. Bis dahin schläst er sanft in unserem Mausoleum im Park, und ich werde seinen Schlaf hüten!" Das war unter Megären und Furien auch ein; belgische Frau und Mutter. Geöankenzucht. * Am Schlüsse eines Vertrags in der „Köln. Ztg." über das Thema „Wie Ge.üchte entstehen", wird daraus hingewieien, wie nicht nur der Wuiych, son dern überhaupt eine ungezügelte Phantasie o,t zum Vater des Geoankens — des die Wirklichkeit ver hüllenden oder verzeichnenden Gedankens wird Fest eingewurzelte Assoziationen tragen Ergänzungen in das Erinnerungsbild hinein, die es zäfichen. Der König auf dem Bilde, das aus der Erinnerung heraus beschrie ben werden soll, wird zum „König mit dem Purpur mantel um den Schultern, Krone auf dem Haupt, Zept.r in der Hand", auch dann, wenn gar tein Zepter da war; weil eben zu einem „richtigen" König eine Krone und ein Zepter gehören . . . In diejer ernsten Zeit haben wir alle die Pflicht, das, was wir von der Psychologie der Auslage wissen, rn die Praxis umzusetzen. Es ist geradezu eine sittliche Pfllchr, nicht allein, was wir irgend wie hören uno leien, sofort Glauben zu schenlen, sondern sorgfältig zu sichten uno zu prüfen. Und noch dringender, freilich auch noch schwerer zu er füllen ist die Pflicht, das Spiel der eigenen Ein bildungskräfte, die naturgemäß in diesen Zeiten stärker denn le angeregt sind, zu zügeln, sufiche Assoziationen nicht in unjer Nachdenken über die Er- eignisie hineinspielen zu laßen, sich von Suggestiv fragen und Suggestivantworten zu hüten uno die Zunge nur dem zu leihen, was streng geprüft worden ist und bestanden hat. Unberechenbar ist oer Schaden, der hier durch Unter.assungsflinden angerichtet werden kann; kaum zu überschätzen sind die wohltätigen Folgen strenger Selbäzucht auch auf diesem Gebiete. Wir Deutschen wollen auch hier vorbildlich sein durch Zucht und Ordnung. Totenfest. Von Karl Hildebrand. Blauschwacze Wolken düstcrnd hängen Und drücken Schatten niederwärts. Frostnasse Schauer ziehn und drängen Und kälten tief bis an das Herz. Es steht Natur in dunklen Linnen, Die kurz noch Licht und Farben trug: Durch alle Räume, alle Sinnen Geht feierlich Kn Totcnzug. Ein Totenzug. Vorn mit der Hippe, Die blühend Leiber hingemäht, Er selbst, ein ichrcitcndes Gerippe. — Der reichen Ernte froh er geht. Unendlich lang, unendlich lang: Zieht feierlich der Zug vorbei, Die Helden all vom Waffengang«. — Wir stehen trauernd still dabei. Verklärt, von Seligkeit umwoben, In heil'gcm Frieden, heil'ger Ruh, Und allen Schmerzen nun enthoben. — „Weint nicht!", so rufen sie uns zu. „Weint nicht, wir durften es erreichen, Die höchste Pflicht, die höchste Kron'. Kämpft mit! Und eurem Schmerz heißt Schweigen! Di: freie Heimat ist der Lohn." Es ist, als lösen sich die Schmerzen. Für uns! Das ist des Trosts genug. Durch alle Räume, alle Herzen Geht f'ierlich ein Totenzug.
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