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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 13.09.1914
- Erscheinungsdatum
- 1914-09-13
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191409132
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19140913
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19140913
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-09
- Tag 1914-09-13
-
Monat
1914-09
-
Jahr
1914
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s. »riwse. Son«,»,. lS. Srpremver IS14. Leipziger Tageblatt. Nr. 4SS. Smllltags-Nuügabe. Sette »» Unterhaltungsbeilage JouunsimRmlde- Ein sorglos, blauer Tag steht in der Stadt. Und in den Straßen gehen sonntäglich Die Glocken, mit dunkeltönendem Schritt. — Der erste Abschied warf uns in die Stuben, In die wir unsre arme Not vergruben. Längst sind die Mütter alle wieder, Heißer Unruhe voll, zueinander gegangen! Die Bräute mit verweinten Wangen Hand in Hand singen tapfere Heldenlieder! Und die Väter und die vielen Männer, Die noch keine Waffen tragen, Lesen Nachricht um Nachricht und sagen Immer wieder: Wir müssen siegen!! Im Strasstnstrom treiben Mütterherzen Und schluchzende Mädelgebete, Geduckte Sorgen, die aus einsamen, Verweinten Stuben kamen, Und die ein weißer, lustiger Wind in das verfieberte Scherzen Des klingenden Menschenstrudels wehte . . . Wir alle, alle in den Straßen wissen, Daß wir einander wohltun müssen, Weil wir doch alle, alle heimlich bluten Um unsre Brüder, die im Felde steh'n. Und Güten, die verborgen ruhten, Aus Aug und Hand zu Herzen geh'n. Und während unsre Brüder kämpfen in blutroten Geländen Ist es uns, als ob wir in einem köstlichen Frühling voller Liebe ständen. . . . - Hanns Joh st. Das Lager -er Untauglichen. Von Hermann Kienzl, Berlin. Wir wußten ja gar nicht, von welcher Kraft und Gesundheit unser Volkskörper war! Wer prüft es denn in den Zeiten der ungestörten Gewohnheit, des ruhigen Behagens? Der deutsche Mensch — der Mitteleuropäer, der mit einem Bein im Deutschen Reiche, mit dem anderen in Oesterreich steht — stieg seit 43 Jahren an jedem Abend in sein Daunenbett, ohne Sorgen vor dem kommenden Tag. Nun frei lich. so ganz sorgenfrei mag er nicht immer gewesen sein! Die gebratenen Tauben fliegen auch im Frieden nur wenigen in den Mund, und außerdem machen sich Leute, denen es erträglich geht, allerlei Drangsal und Not. Dieser Sorgentrieb ist kein Uebel. Er hat seine Ursache in der Beweglichkeit der menschlichen Natur die kein Glück kennt, außer im Kampf. Arbeit ist auch Kampf. Träges Wasser ohne Zu- und Abfluß fault. Es wäre recht töricht, über der gegenwärtigen höchsten Anspannung der deutschen Willens- und Körperkräfte gegen die Bajonette und Kanonen riesenhafter Feindesheere der Leistungen im Frieden zu vergessen und mit Ge ringschätzung herabzublicken auf die Kämpfe der fruchtbaren Arbeit, der geistigen Kultur und des politischen und wirtschaftlichen Fortschritts. Jene Leistungen, jene Kämpfe haben doch eigentlich erst unser Palladium geschaffen. Der Deutsche ist kein Raubtier. Er fletscht nicht nach Menschenfleisch, er reißt nicht fremdes Gut an sich — wie die anderen. Was er bis zum letzten Röcheln verteidigt, ist ein Ding, das seinesgleichen nicht hat auf Erden und nur zum Teile in materiellen Werten greifbar wurde; ist das Deutschtum. Wir kämpfen nm unsere Hütten, Aecker, Werkstätten, Schlote, Schiffe und Märkte; aber auch um die Welt unsrer Erfindungen, Gedanken und Träume. Wir kämpfen auch um die Welt Goethes und Kants, Rembrandts und Wagners und um die Enkelkeime der Großen, die mit dem deutschen Volke untergehcn müßten. Wir kämpfen um die Seele der Welt. Das ist vielleicht das Größte an dem großen Kriege, daß er uns erst recht zum Bewußtsein bringt, was wir besitzen, was wir sind, was in Gefahr steht, was von den Neidern und Hassern ringsum mit Ver nichtung bedroht wird. Zn den 43 Jahren des Daunenbetts wurde dieses Wissen in der Tat nicht selten verdunkelt. Auf dem harten Boden des Biwaks, unter den todflitzenden Kugeln, vor den Höllenschlllnden der Geschütze ist es erwacht! Wir hatten mehr an Muhe genossen als guttat. Das süße Capua war vor zweitausend Jahren dem Hannibal und vor achtzig dem Wiener Dichter (Grillparzer) gefährlich. Daß es den deutschen Menschen noch nicht gründlich entnervte, das, gottlob, erfahren wir aus dieser wunderbaren, überwältigen den Aufrichtung und aus dem fliegenden Sieges schritt der Nation. Alles Kranke fällt ab, der Atem des Krieges weht es wie Spreu hinweg. Eine Zeit, die zu Unehren bringt, was in falschen Ehren stand. Eine Zeit, in der er der Titel höchster ist, ein ehr licher Deutscher genannt zu sein; eine Zeit, in der das Wort der alten Gesänge, das Wort: „deutsche Brüder", wieder zur Wahrheit werden sollte! Der eiserne Besen verrichet ganze Arbeit — auch bei uns daheim. Er wird uns, wenn draußen die Schlachtfelder von Feinden reingefegt sind, ein Land übergeben, da», gewissermahen jungfräulich, der neuen Aussaat durch ein neues Geschlecht wartet. Scheltet es nicht voreilig, liebe Freunde, wenn wir dieses Zukunstsgartens schon gedenken, während noch die Kriegssurie rast. Die berechtigte Zuversicht, die an das glorreiche Ende glaubt, erlaubt es. die liebende Vorsicht gebietet es. Es darf der Augenblick nicht ver säumt werden, wenn das Tor der Zukunft in seinen Angeln knarrt. Da» politische, das gesellschaftliche. das geistige, das freie Vaterland möge die alten Schienen abgeworfen haben und sich entwickeln auf einer jungen, sclbstgeschasfenen Spur! Wer in das künftige Deutschland — das Land zweier Reiche — die Gespenster des Kastengeistes, des pvasserrschen Mammonismus, der Fremdseuche und der Snob künste wieder eindringrn ließe, beginge einen ab scheulichen Verrat an der ungeheuren Opfertat des ganzen Volkes. Wir bewachen, indessen unsere Heere auf Feindes boden kämpfen, wohlweislich die Brücken und Dämme des Inlandes. Haben wir auch eine geistige Wache zurückgelassen, die das künftige Vaterland gegen Schmuggelware schützen wird? O ja! Das ganze im Herzen gesunde, gebildete Deutschland ist jetzt eines guten Willens. Und es werden auch dieser Armee die rechten Heerführer und Offiziere nicht fehlen! Manche von ihnen kennt man längst an ihren Taten. Wir sind sehr reich an schöpferischen Geistern der Wissenschaften und der Künste. Geistige Führerschaft in diesen Tagen des ge waltigen körperlichen Kampfes? Wer könnte sich, gleich dem Olympier Goethe, in Dichterklause oder Laboratorium verschließen, während Schicksalsstunde auf Schicksalsstunde schlägt? Wer besäße die Samm lung zum Genüsse stiller Schönheit, dessen Herz um einen Lieben im mörderischen Kriege zittert? Die Akropolis ist verwaist. Und doch! Und doch! Ein Volk wie das deutsche, dem das ideale Besitztum tief ins Blut eingegangen ist, kann dem Geiste urid dem Zauber der Schönheit niemals entrinnen. Auch nicht in Not und Tod. Unsere Krieger singen, wenn sie zum Kämpfen und Sterben ziehen, ihre Vater lands- und ergreifenden Heimatlieder. Wir. die wir das schwere Los der waffenlos Bangenden tragen, fühlen uns erschüttert von jedem Hauche der Kunst, der die fürchterliche Wirklichkeit in die Region der erhabenen Gefühle trägt. Vergessen wir nicht, daß in der Zeit, als Napoleons Sense das deutsche Leben abmähte, Kleists Dramen entstanden, die den heißen Atem jener Tage, aber auch eine ewig gültige Menschlichkeit haben. Gewiß, das Geläute der Sturmglocken besitzt nicht viel Modulation, und der wütende Kampf gewährt nicht die Ruhe zu fein sinniger Betrachtung. Gute Meinung und Be geisterung schießen vielfach als künstlerisches Unkraut hervor. Was tut's? Der Tag verschlingt, was der Eintag gebiert. Es fehle nur später, in ruhigeren Zeiten, das rechte Sieb nicht! An dem Siede, dem geläuterten Geschmack, ohne Unterlaß zu arbeiten, das ist eine ernste Ausgabe auch in ernstester Zeit. Die Deutschen haben es nicht nötig, ihre patriotischen Bedürfnisse unter Vernach lässigung der geistigen Ansprüche zu pflegen. Im Gegenteil! Der große geschichtliche Augenblick legt das höchste Maß an alle ihre Fähigkeiten. Nre dürfen sie ihres Palladiums vergessen, das ihrem Kriege erst die volle Weihe gibt. Dieses Palladium: die geistige Kultur, erhöht der der für die Zeiten schafft, unendlich mehr, als oer Zeitdichter. Un bedingt aufrecht muß das Gewissen bleiben, das unterscheidet zwischen dem fortreißenden Anlaß und dem bleibenden Wert. Diele unserer Künstler und Gelehrten haben Feder Pinsel und Meißel fortgeworfen und marschieren mit dem Gewehr. Die Glücklichen! Ihr Gemüt ist von allem Zwiespalt befreit. Aber dre anderen! Die Künstler und Gelehrten im Lager der Kriegsuntauglichen? Einer von ihnen, der 71jährige Rosegger, schrieb auf ein Tagobuchblatt: ,^zn den ersten Tagen dieser Ereignisse war mir auch darum so bange, weil ich mich ohnmächtig fühlte und keine Möglichkeit sah, bei meinem Älter und der Gebrechlichkeit mitzutun. Nun ich drei Söhne Lei der Armee habe und eine Anzahl weiterer Ver wandter, nun, da täglich und stündlich Gelegenheit ist, zur Stärkung des einzelnen und somit des Ganzen mitzutun, nun ist mir leicht." — Die Gelegenheit, ein Helfer der bedrückten einzelnen zu sein, hat letzt jeder — der schlichte Bürger wie der Geistesaristokrät. Das ist der Kriegsdienst der Untauglichen, und wahr haftig ein tauglicher, ein edler Dienst! Den geistigen Arbeitern liech außerdem gerade in diesen Wochen eine noch größere Pflicht ob: Sie, die sich aus dem Vordergründe, wo die Scheinwerfer des Ruhmes glänzen, zurückgedrängt sehen und von denen gar mancher jetzt um Brot und Dach bange Sorge hat, sie mögen bescheiden und selbstlos weiterkämpfcn und den Taten unserer Heere einen er höhten Wert der Zukunft schaffen: als Mehrer des geistigen Reiches. Ser Letzte. Eine Kriegsgeschichte von Käte Subowski. (Nachdruck verboten.) Die verwitwete Frau Oberstleutnant Fink legte ihre beiden Hände mit ruhiger, fester Bewegung in die, die sich ihr entgegenstreckten. Ihr alter Freund und Berater, der siebzigjährige General a. D. von Melden war auch an diesem Donnerstag — wie seit vierzig Jahren — gekommen, um ein Stündlein mit ihr zu verbringen. „Ist jetzt auch Ihr Zweitjüngster, der Leutnant — fort, Frau Fink?" fragte er hastig. — Sie nickte. „Heute morgen um 6 Uhr habe ich ihn an die Bahn gebracht! Er wollte es eigentlich nicht haben. Fürchtete vielleicht, daß ich doch noch zu sammenbrechen könnte. ... Er fürchtete umsonst. Nun habe ich vier Söhne draußen, Herr General." Er richtete erstaunt den Blick auf sie. . . . Dies« feierliche Anrede aus ihrem Munde war ihm etwas Fremdes. Sie begriff das auch sofort und lächelte fein. . . . „Lassen Sie mich jetzt ruhig in Ihnen den Vor gesetzten meines verstorbenen Mannes sehen, Herr General. Das ist für meine innere Disziplin zu träglicher " „Ihr Aeltester, der Besitzer von Suchenstedt, ging wohl am schwersten", fragte er jetzt. „Sie meinen, weil der Hafer noch draußen stand, und di: Kartoffeln so reiche Ernte versprachen wie kaum jemals zuvor? Gewiß .... Er liebte seine Scholle. — Aber er hat ja seine Frau als Wächterin zurückaclasscn. — Sie würden meine zarte, schmale Schwiegertochter überhaupt kaum wiedererkennen. — — Sie war mit ihren drei Jungen auf dem Bahnhof, als der Vater ging. Keine Träne hat sie vergossen. — Als ich mich er staunt fragte, wem wob! die helljauchzend« Stimme gehörte, als wir alle „Deutschland, Deutschland über alles" sangen, da wurde ich gewahr, daß sie so kraft voll sang. . . ." „Und die andern", fragte er zögernd, „der Kaval lerist, der Hans — und der vom Train — unser stiller Werner, mein Patcnkind, wie war es mit denen?" „Wie es mit deutschen Offizieren sein muß, Herr General! — Der Werner ist gestern noch kriegs getraut worden, und seine junge Frau befindet sich schon im Krankenhaus am Urban." Nun schwiegen sie beide. Draußen lag ruhig und blank di« stille Uhland- straße unter blauem Augusthimmel. — Eine sc^vüle Stille lag über dem behaglichen Raum Lauter Soldatenbilder schauten von den Wänden herab aus die beiden, die stumm geworden waren. Frau Fink krampfte heimlich die Hände im Schoß zusammen und dachte voll dumpfer Qual und atem loser Erwartung: „Warum spricht er nur nicht von ihm von meinem Jüngsten . . ." Der alte Soldat aber dachte mit leiser Bitterkeit und dennoch mit beginnendem Verständnis: „Von Hermann sagt sie kein Wort . . . Warum nicht? Ist'» das böse Gewissen . . . oder will sie sich doch opfern . . ." Nein . . . das wollte sie nicht! — — Hermann Fink zählte siebzehn Jahr, war ein starker schöner, hochbegabter Jüngling und erst einige Monate nach dem Tode seines Vaters, der bei einem Kaisermanöver verunglückte, geboren. — Er war der Liebling seiner Mutter, weil er in allem das Eben bild seines Vaters war. — Sein ernstes, überlegtes Wesen ließ ihn viel älter, als er es in Wirklichkeit war, erscheinen. Diesen Sohn — diesen letzten hatte sie noch nicht nötig zu geben. Er war auch einsichts voll genug, bei ihr bleiben zu wollen. Zwar er kannte sie seit dem ersten Tage der Mobilmachung, wie es in ihm gärte und loderte, . . . aber sie hütete sich ängstlich, auch nur durch eine Andeutung den schlummernden Brand zur Flamme zu wecken. — Er war ein guter, zarter Sohn, wußte genau, daß ihr schweres Herzleiden eines Tages plötzlich zur Kata strophe führen würde und blieo darum neben ihr! Das Vaterland muß doch die Mutter gelten lasten . . . auch in Liesen Tagen. Und sie erhob sich, nachdem sie wohl eine Stunde allein gewesen, klopfte an die nächste Tür, hinter der ihr Jüngster war und sagte leise: „Mach auf . . . Männchen - . ." Das war von jeher der Kosename gewesen, den sie ihm alle gegeben hatten . . . Aber die Tür öffnete sich nicht . . . Sollte er aus gegangen sein? Nein! Im Flur hing der Hut ... Er war also daheim. Und noch einmal rüttelte sie an der Tür. — Aber auch diesmal blieb alles still. Da packte sie eine unsägliche Angst . . . Sie schrie und flehte ^Mach auf... ich bin's doch ... Deine Mutter..." Drinnen wurde eine Stimm« laut. „Ich habe geschlafen, Mama ... Die letzten Nächte ging das doch nicht ... Ich möchte auch noch weiter schlafen . . ." Sie griff an die Stirn. Wie nannte sie der Junge . . . Mama! — Das hatte er noch niemals getan. Das klang ja so kalt... so ganz anders wie sonst. — Was hatte er nur? Sie fragte es sich nur, um sich zu be täuben. In Wahrheit wußte sie es längst. Begriff, was seine Augen Stunde um Stund« gebettelt halten . . . begriff und wollte doch weiter nichtoer- stehen . . . weil sie Mutter war . . . Langsam schlichen die Stunden des nächsten Tages dahin. Sie glichen müden, kraftlosen Füßen, denen eino ruchlose Hand die Krücken zum Stützen versteckt hatte Hermann Fink hatte sich als Erntearbeiter zur Verfügung gestellt. — Bald nach Sonnenaufgang ver ließ er die Wohnung. Erst nach acht Uhr abends kehrte er zurück. Dann dachte Frau Fink mit ver zehrender Sorge, daß er erschreckend bleich aussah, und wartete, ob er nicht wie sonst seine jungen Arme um sie legen und sie auf das Kanapee heben würde. . Er tat es nicht! Hastig verschlang er das bereit gehaltene Abendesten, saß noch — gehorsam und ge quält — ein halbes Stündlein auf seinem Stuhl neben ihr und ging erst dann mit einem leisen „Gute Nacht" und einem kühlen Kuß zur Ruh«. Sobald er fort war, rang sie die Hände um ihn! „Es geht nicht! — Leide du jetzt nur! Ich würde tausendmal heißer leiden, und du bist jünger und stärker, mein Sohn . . ." Der August schritt seiner Höhe entgegen. Die Zeitungen häuften sich in dem behaglichen Zimmer, in dem auch weiter an jedem Donnerstag der alte General saß. . . . Einmal trug er «ine schwere, harte Last auf den Schultern. — Er hatte seiner Freundin eine traurige Mitteilung zu machen ... „Seien Sie stark . . . Einer Ihrer Söhne hat sich dem Vaterland opfern dürfen. — Ihr Aeltester! Das Regiment hat an seine Frau telegraphirrt: — „Wir sind stolz auf ihn . . ." Sie stöhnte leise auf. „Tot . . . Herr General?" Er nickte! — „Eincn leichten, schönen Tod! — Herzschuß! —" Sie vergoß keine Träne. Ganz starr und ruhig saß sie auf ihrem Stuhl. . . . „Jawohl ... Nun waren nur noch vier da . . ." Lier. . . . Dreimal würde der alte General noch zu ihr kommen können mit ähnlicher Botschaft. Aber nicht öfter. Kein viertes Mal nach diesem! Und sie wurde ganz hart, sah nicht mehr, wie ihr Jüngster auf seinem Wege dahinschlich. . . . — — Fünf Tage später hatte der Zweite einen Schuß an der russischen Grenze bekommen. Aber er lebte noch . . . Härter wurde ihr Gesicht, kühler und schärfer ihr Blick, wenn ihr der Jüngste vergrämt und abgema gert gegenüber faß. Und langsamer schlichen die Tage durch den Strom von Blut und Tränen. . . . Eines Tages ward sie plötzlich inne, daß ihr bares Geld zu Ende gegangen war. — Eine Kleinigkeit lug zwar noch auf der Bank, aber für heute war ein Ab heben von dort unmöglich, weil der Betrieb bereits geschlossen war. Es mußten heute aber noch notgedrungen einige Kleinigkeiten eingekauft wer- den ... Da erhob sie sich, trat zu dem alten Zylinder büro, an dem ihr seliger Gatte einst seine schweren, verantwortungsvollen Arbeiten für den Eeneralstab ausgeführt hatte, und zog den Rolladen empor. Links lag ein versiegelter Brief, der die Handchrift des geliebten Toten und den Vermerk trug: Ein Notpfennig für Zeiten höchster Sorge! Bisher hatte sie nicht daran gerührt! — War auch ihr Einkommen recht schmal gewesen, so hatte doch von einer Not, wie sie der Tote wohl gemeint, nie mals die Rede sein können! — Erst heute hatte st« darum ein Recht, je n Vermächtnis zu enthüllen! — Der Boqen, der ihr jetzt entgogcnäh. war vergilbt. Aber die Buchstaben die seine starke «oldatenhand darauf eingezeichnet hatte, sahen noch kraftvoll au». Umsonst suchte sie den Notpfennig . . . Dann la« sie, was er ihr hier zu sagen hatte . . . Mein heißgeliebtes Weib! Wenn Not an Mann ist, jo gib dem Vaterland auch Deinen letzten Notgroschen . . . Nicht wahr, Du verstehst mich doch? — — Sie hatte ihn immer verstanden! Zwei so gute, treue Kameraden, wie sie es gewesen waren . . . Sie konnte es nicht tun ... Stundenlang lag sie mit dem Kopf auf diesem seinem letzten Willen ... Keine Träne fiel . . . Ihr Herz war wie Eis . . . . . . . Nein . . . nein . . . Aber die Worte klangen in ihr . . . Deinen letzten Notgroschen . . . Dann mußte sie doch verhungern . . . O Gott . . . o Gott . . . Der Abend sank. Eine Tür fiel hart ins Schloß. Ihr Jüngster kam heim . . . kam . . . wie sonst ins Eßzimmer, um seine schweigsame Mahlzeit herunter zuschlingen. Da raffte sie sich cinpor ... riß die Tür auf . . . lief zu ihm . . .: „. . . Du kannst auch mit . . . Gleich . . . geh ... ja! Ich segne dich ... Key ... geh . . ." — — Da jank er vor ihr aus dce Knie und weinte heiß in überströmendem Glück und kindlicher Dank barkeit in ihren Schoß. Und diese Tränen seiner Freude und Erlösung waren nun ihr Notgroschen . . . Vie Schlachten bei Tannenberg. 1410. Bei Tannenberg, bei Tannenberg, Da dehnen sich Moor und Heide, Da glitzern Seen im Kiefernwald, Und am Bach« trauert die Weide. Bei Tannenberg, bei Tannenberg Viel Panzer und Schilde blinken, Der Boden dröhnt, es wiehert das Roß, Und flatternde Fähnlein winken. Dort hält das deutsche Ordensheer; Der Meister mustert die Reihen, Ermahnt die Tapsern mit Donnerwort, Dem Sieg«, dem Tod sich zu weihen. Der rechte Flügel braust einher Wie dröhnend Ungewitter, Die Lanze kracht, es prasselt das Schwert, Wild wüten die Waffen dee Ritter. Der Litauer flicht, der Russe entweicht, Tataren auf zottigen Rossen, Und hinterdrein die wetternde Wucht, Im Hagel von Schleudergeschosten. , Zur Linken der gleiche Heldenmut, Der Meister durchbricht die Polen, Das Adlerbanner wirft er in Staub, Den Sieg, den Sieg will er holen. Doch der Polenkönig erkennt die Gefahr, Er sammelt sein Völke^ewimmel Und wirft erdrückende Masten nach vorn Und seitwärts ins Kampfesgetllmmel. Die Massen sind groß und die Masten sind dicht, Sie lasten mit wuchtiger Schwere, Vergebens der Mut! Der Meister stürzt, Mit ihm die Blüte im Heere. Bei Tannenberg, bei Tannenberg, Da lagen zermalmt und erschlagen Die Besten der deutschen Ritterschaft Vorm slawischen Siegeswagcn. 1914. Jahrhunderte kamen und gingen zur Rast In friedlicher Arbeit der Hände, Als nahet des Rusten unzählige Macht, Umflutend weithin das Gelände. Der Schrecken ist sein roher Genoß In Plündern, Schänden und Morden, Rings lohen Dörfer, der Bauer entflicht, Und die Saaten zertreten die Horden. Doch schon nabt Hilfe mit eilendem Schritt, In grauen, geschlossenen Reihen, Das Pulver trocken, die Waffe bewährt, Entschlossen, das Land zu befreien. Bald kracht's und jaust s und heult s^urch die Luft, Am Boden liegen die Schützen, Dann vor in raschem Sprunge es geht, Umtost von knatternden Blitzen. Ein fürchterlich Ringen, ein Massenmord, Um die Siegesbraut blutiges Werben, Heran an die Feinde unentwegt, Hinein in Tod und Verderben. Der Russe wehrt sich, doch alles umsonst, Von links und rechts umslügelt, Zerschellt die Kraft, entsinkt der Trotz, Er wankt, er flieht ungezügelt. Und hinter ihm her, hussa, Hurra! Die Reiter mit Säbeln und Lanzen, Und über den Köpfen Eranatengekreuz Und Schncllfeuersalven tanzen. Ha! vor ihm, o Schrecken! unendlicher Wald, Mit Seen und tückischen Mooren, — Verzweifelter letzter Widerstand, — Das gewaltig« Heer ist verloren. Die Sonne lacht, das Land ist erlöst, Gefangen sind neunzigtausend, Dem Höchsten Dank! Den Rettern Preis! Auf klinge der Jubel brausend? Bei Tannenberg, bei Tannenberg Sind die deutschen Ritter gerochen, Da siegte da» Deutschtum den herrlichsten Tieg, Ist Rußland für immer gebrochen. I. v. Pfl»gr«-artt»n>.
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