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vettr 2. Nr. 570. «veno-Nusgsvr. Leipziger Tageblatt. Montag, s. November 1914. Munition im britischen Konsulat in Mossul vorgesunden worden, von dem schon lange gesagt wurde, oaß es einen unerlaubten Handel mit Massen treibe Bei einer Haus suchung in Adona bei dem Dragoman des russischen Konsulats sand man allerlei Waisen und Munition. Militärische Einberufungen in Rumänien. * Mailand, 8. November. (Gig- Drahtnachricht.) „Loinba»dia" meldet aus Bukarest: Die rumänische Negierung hat die Jahrgänge 1888 und 1880 zu außerordentlichen U « bungcn eingezogen. Rückkehr öer chinesischen Staats angehörigen in ihre Heimat. * Berlin, o. November. (Eig. Drahtnachricht) In de i letzten Tagen haben zahlreiche hier weilende chi- n e s i s ch e 2 t a a t s a n g e h ö r i g e die N ü ck r e r s e i p , h i e Hei in a t angetrelen. Die Zuluck-eisenden jt '-ei' snn.tlich im militärpflichtigen Alte--. Ruf eine Mine aufgeiaufen. Lhristiania, !«. November. Aus Grimsby wird gemeldet: Wie erst jetzt bekannt wird, ist der Fisch dampfer ..C a l p h u m i a" am 11. September auf eine Mine g erlogen und gesunken. Die ganze Besatzung von zwölf Mann. Norweger und Dänen, ist ertrunken. Vie Sekte Ser Senussi. Wie wir bereirs meldeten, hat der Scheich der Senussi seine Streitkräfte aus der Zyrcnaika zurück gezogen und gegen die Engländer gesandt. Einige nähere Angaben über die Senussi werden aus diesem Anlatz interessieren: Die Sekte der Senussi wurde 1837 von einem aus Algier stammenden, an der hochberühm- ren Koran Schule von Mekka wirkenden Theologen, Mohammed den Ali el Senussi, begründet. Religiöser und patriotischer Fanatismus bestimmte den Algerier, aus der Koran Schute auszuschcidcn, von der ein im Solde Frankreichs lebender Renegat für Gold und gute Worte soeben eine Giaubcnscntscheidung. ein Fetma, crwirtt batte, das den angeblich aussichts losen Widerstand Abd el Kaders gegen die Franzosen verurteilte. Sidi Mohammed fand mit seinem aus die cinsachsten Richtlinien gebrachten Islam — Wiederherstellung der alten Glaubensrcinheit durch Ausrottung aller Ungläubigen — bei den Arabern wenig Anklang. Desto mehr Erfolg hatte der eng- bcgrenzie, aber zähe und mit glänzenden Organisa tionstalenten begabte Mann, als er sich mit seiner Lehre an die Hamitischen Wiistcnstämme der inneren Sahara, die Tibbu und Tuareg, wendete. Ueber die Zahl der Senussi, die mindestens ebensosehr eine politisch militärische wie eine religiöse Organisation sind, enthalten die abendländischen Handbücher phan tastische Angaben. Von neun Millionen kann keine Rede sein, lelbsr wenn man die doch wesentlich anders zu bewertenden Anhänger auf den Malayischen Inseln hinzuzählt Auf jeden Fall bildet der Orden der Sc misst aber die einzige islamische Großmacht im Nord osten Afrikas: eine dazu, die ganz in der Hand des Führers liegt, während sonst bekanntlich straffe Or ganisation nicht eben Sache des Islams ist. Es ist darum eine recht ernst zu nehmende Gefahr für Eng lands ägyptische und sudanesische Machtstellung, wenn diese kriegerischen Jesuiten des Islam — ein Aus druck, der gewagt ist, aber gut kennzeichnet — von ihrem Scheich gegen die Engländer geworfen werden. Lügen, nichts als Lügen. Aus London meldet Reuter: Die Franzosen haben einen 42 ern-Mörser erbeutet. Der Berichterstatter des „Daily Ehroniclc" be schreibt den Vorgang wie folgt: Am 30. Oktober hatten die französischen Erkun- dungeavteilungen festgestellt, dasz zwischen Lens und Douai beträchtliche Ansammlungen von Trup pen stattfanden. Es wurden auch deutsche Radfahrer und preussische Gardisten auf einer Linie ang.'trosfcn, die vordem von bayrischer Landwehr besetzt war. Die französischen Truppen erhielten daher Befehl, einige Dörfer nördlich von Arras zu räu men, um so den Schein zu erwecken, als wollten sic die Stadt verlassen. Am 3k. Oktober erschien eine Taube über dem Vorort. Man liest sie ruhig; etwas später marschierten die Deutschen ein in der Mei nung, dast alles sicher sei und dass sie Arras mühelos einnehmen könnten. Zwei deutsche Heeresabtci- lungcn marschierten auf und vereinigten sich bei B a i l l c u l. Am Nachmittag zogen 12 000 Deutsche in den Vororten ein. Gerade als sie bei St. Nicolas über die Brücke zogen, fiel ein Wa r n u n g s sch u st, und alsbald erschollen Salven aus allen Häusern, während Maschinengewehr« das Feuer auf dir Flanken und Nachhut der Deutschen er öffneten. Eine Abteilung Garde griff an in der Hoffnung, die Mitte der Stadt erreichen zu können. Durch «inen Ansturm der Dragoner wurden sie zum Stehen gebracht. Die übrigen gingen sofort zum Rückzug über. Französische Flieger zerstörten durch Sprengkörper die Eisenbahn, auf denen die Deut schen Züge herangcführt hatten. Die Franzosen ver mochten sich dadurch eines Zuges zu bemächtigen. Ilnt.r anderem Ntaterial befand sich auch ein 42-em-Mörser, der auf sechs Wagen verladen war; auf den übrigen Lvagen war die schwere Haubitze dieses Geschützes geladen. Eine Anzahl der Ingenieure der Firma Krupp wurde gefangen genommen. Im Lkrbreitcn solck>cr faustdicker Lügen leist«! nicht nur England, sondern auch der reure fran zösische Verbündete Erkleckliches. Ganz besonders de merkenswert ist folgend« Auslese aus den Ueber- schrlften einer ein zig.'n Nummer des .Figaro", jener vom 31. Oktober. Da lesen wir lin Klammern sind unsere Zusätze zur Erläuterung beigefiigt): Die eingebildete Reise (Ein Zeppelin ütkr Paris), Die (schlechte) Ausrüstung der letzten (deutschen) Rekruten, Die wilde Flucht der Deut schen (in Polen), Zwei 'deutsche Kreuzer aufge bracht? („Scharnhorst" und „Gneisenau" wegen Kohlenmangrls), Die deutschen Verluste (mehr als 100 (WO Mann an der Nordsecküste), und zum guten Schluß eine Mitteilung, dast der Deutsche Kaiser nach einer von den Deutschen selbst in der Türkei verbreiteten Meldung zum Islam iibergetr.'ten sei, um die Mohammedaner axif deutsche Seite zu bringen! Das wird wohl auch den verwöhntesten An sprüchen genügen. Weitere Mel-ungea. * Nach Blättermeldungcn aus Petersburg hat die amtliche russische Telegraphenagentur keine Meldung über die türkischen Erfolge im <Shwarzen Meer und über den deutschen Seesieg vor Chile ausgeben dürfen. * Der Bruder des G-ostrvesirs, Prinz Abbas Halim Pascha, ist zum Minister der öffent lichen Arbeiten ernannt worden. * Die „Aaencc d'Athönes" bezeichnet die in Bukarester Blattern veröffentlichte Meldung aus Risch über die allgemeine Mobilmachung in Griechenland als vollkommen falsch. * Der älteste Sohn Lord Balfours, des ehemaligen englischen Ministerpräsidenten. Robert Bruce. Master of Burleigh, ist bei den Kämpfen in Frankreich gefallen. Ein Urteil aus Norwegen. Ein Freund unseres Blattes stellt uns folgenden Bries aus Christi ania (Norwegen) vom 29. Oktober 1914 zur Verfügung: Lieber Herr! Vielen Dank für die Zeitungen, die Sie mir geschickt haben. Ich habe sie mit großem Interesse gelesen, und es hat mich sehr gefreut, Last die Nachrichten in unseren Zeitungen ganz gut mir diesen stimmen. Die verschiedenen Räubergeschichten, die die Zeitungen im Anfang des Krieges von Reuters oder Hanns' Büro erhielten, dementierten sie kräftig und baten, rnan möge sie in Zukunft damit verschonen. Uebrigrns halten sie sich streng neutral. Die allgemeine Meinung hier in Norwegen über die Ursache des Krieges glaube ich so ausdrücken zu können: Mit der gegenwärtigen Grostmachtgruppie- rung in Europa «nutzte der Krieg früh oder spät not wendig und unvermeidlich kommen. Deutschland ist seinen Gegnern zuvorgckommen, anstatt deren An griff abzurvarten. Die Zusammenstellung: Englisches Handelsinteresse mit Panslawismus können wir nicht gut verstehen, und England wird gewiß einmal diese Verbindung bereuen. Die Frage der Neutralitätstraktaten hat viele Bekümmernis bei uns erweckt. Die Notwendigkeit für Deutschland, den Weg durch Belgien zu nehmen, verstehen wir so gut, ebenso dast Frankreich diesen auch benützt hätte, wenn Deutschland nicht zu schnell gewesen rväre. Also: wenn ein Interrssenkonrlikt zwischen England und Rußland entsteht, so ist Nor wegen (ja Schweden mit) in derselben Lage wie Belgien, ja vielleicht auch, wenn sie Freunde sind. Nun behaupten die englischen Zeitungen, daß Ihre (die deutschen) „dreisten" Unterseeboote unsere Fjorde als Aussallstationen benützen. — ebenso dast wir uns nicht neutral hielten, sondern Kriegskonter bande nach Deutschland führten. — Meine Eindrücke von meiner Reise in D. stimmen vollständig mit dem überein, was Sie von dem deutschen Volke sagen, und ich habe cs immer hier in meinem kleinen Kreis hervorgehoben. Täglich bringen auch uns.'rc Zei tungen Mitteilungen von der einzigen Opfcrwillig- keit und Disziplin. Diese must alle darauf Hinweisen, Last der Krieg für Deutschland eine Dolkssache ist. — Mit allen guten Wünschen! Ihr ergebener . . ." Zranzöflsiher Wahnwitz. Wie uns aus dem Leserkreis« mitgeteilt wird, wurden in Lausanne kürzlich Zettel verteilt, auf welchen ein Auszug aus einer blutrünstigen Ver öffentlichung des „Matin" abgrdruckt war. Ueb«r- schrieben war der Zettel: Le Matin. Mercrcdi 10. September 1914, unterschrieben Jean d'Or say. Als Beispiel der wahnwitzigen Verhetzung mancher Köpfe folge hier di« Ueb.rsetzung: „Kein Mitleid würden wir haben in den näch sten Schlachten, wenn wir sie in unserer Gewalt haben würden, diese schrecklichen Verbrecher, aus denen Wilhelm vielleicht seine kaiserliche Garde ge stellt hat, die aber verdienten, erwürgt zu werden wie die Schwein«. Frankreich würde mit unwiderstehlicher Gewalt protestieren, wenn es glauben und fürchten müßte, dast man ihm solche als ltzefangene zuerteilte. Sie verdienen kein Quartier. Sie müßten geschlachtet werden wie ein wütendes Wild. Die Kriegsrechte dürsten nicht beachtet werden zugunsten so unwür diger Krieger, welche sie eigensinnig verleugnen; zu gunsten dieser Verruchten, die sich verbergen hinter Greisen, Frauen und Kindern, um dein Feuer der b-egner zu entrinnen: zugunsten derer, die morden, di« entehren und die, neulich in Lüttich, nach Er schießung von hundert unschuldigen Einwohnern deren Leichen aller Kleidung beraubten und sie dann mit einer Heugabel auf einen Karren warfen. Wenn inan sie fassen könnte, diese Scheusale, um sie zu töten. Sie entwürdigen das Gefängnis; sie erniedrigen den Kerker." So der Inhalt des Zettels. Der Verfasser hat natürlich von den Schandtaten der Deutschen selbst nickt das geringste gesehen; er hält sich an di« Liigcnberichtc Pariser Blätter. galim Daö, -er Indier. Deutsches Großes Hauptquartier, 5. November (r.) Nun sind in der Kampslinie in Westflandcrn auch die Indier aufgetaucht. In der blutigsten Schlacht, welche die Weltgeschichte kennt, vereinigen sich mit den Franzosen, Belgiern und Engländern jetzt auch die Indier zu den Leichenbergen, über welche di« Deutschen wie eine Woge des Ozeans am Pserkangl hinwcgstürmen. In den kalten Nächten, die nur durch den Brand des Heidekrauts und die Flammensäulen der Dörfer und Gehöfte ein wenig wärmer wurden, ist mancher von Len stolzen Söhnen Indiens gefallen, die bei ihrer Ankunst in Marseille von verzückten französischen Frauen und Mädchen mit Blumen geschmückt, umarmt und geküßt wurden. Die Wärme dieses Empfanges entschädigte sie aber nicht für die Kälte des Klimas; sie mußten zuerst in Südfrankreich verbleiben, um sich an das Klima zu gewöhnen. Auch wärmere Kleidung, die man ihnen gab, scheint nicht viel genützt zu haben. In den kalten Oktobertagen jagt« man sie an die Front. Nicht aber in geschlossenen Formationen, son dern in kleineren Abteilungen unter die englischen Truppen verteilt. Dort, wo der Kampf am heftigsten tobte, wurden die Indier von den Engländern vor getrieben. Es waren zumeist Bayern, die bei Dix- muidcn und an der Pser den Engländern die an feuernden Worte ihres Kronprinzen Rupprecht mit Gewehrkolben und Bajonetten verdeutschten; gewiß aber wird cs ihnen leid getan haben, wenn sie im Kampfgcwühl einen Indier, den modernen Sklaven Englands niedermachen mußten. Mit einem H«er von 220 000 Mann, von denen fast 150 000 farbige Eingeborene Indiens sind, hält England seine Faust auf Indien. Wie die eng lischen, so stehen auch die indischen Truppen unter der Oberleitung englischer Offiziere; eingeborene Offizier« dürfen nur die unteren Ränge bekleiden. Die indischen Soldaten sind in ihrer Heimat glän zend gedrillt und ausgezeichnet ausgerüstet. Das prächtige Mcnschenmatcrial gibt dort, wie mir m«i Kolleg« Professor Dr. Wegener aus eigener An ichauung erklärt, auch tüchtig« Soldaten. Seit 1857, seit dem großen Aufstand, vertrauen ihnen die Eng länder keine Artilleri« an: dies« ist ganz in der Hand der weißen Truppen. Nichr einmal die Bewachung von Arsenalen wird diesen Rettern Frankreichs in ihrer Heimat anocrtraut. Es wird ferner dafür ge sorgt, daß di« größeren Kaders der eingeborenen Sol daten aus Leuten verschiedener Religion und Sprache zusammengesetzt sind. Der Religion nach vornehm lich Mohammedaner und Hindus, werden Bekenner dieser beiden Religionen auch miteinander nie ver schwören. Die Soldaten, die jetzt in Frankreich kämpfen, sollen teils Mohammedaner, teils Hindus sein. Es sind Gurkhas, Leut« "vom Hymalaya. namentlich aus der Provinz Nepal, die Annäherung an die mongolische Rajs« haben, und Sikhs aus dem Penschab. arische Indier. Ob Pathansoldaten und die Ratschbuten, die besonders als reinblütige Arier gelten, auch nach Europa gebracht wurden, ist nicht bekannt. Die Truppenkontingente der eingeborenen Fürsten, die vertragsgemäß in Kriegszeiten den Engländern zur Verfügung zu stellen sind, sind naturgemäß weniger gut, aber desto phantastischer ausgerüstet. Das englisch-indische Heer wird in der Heimat seit Lord Kitcheners Militärpolitik nicht mehr in kleinen Gxrrnisonen gehalten, sondern in großen Lagern kon zentriert. weil sie so durch die Eisenbahn rasch an die Stellen Indiens gebracht werden können, wo man ihrer bedarf. Ihre Verwendung in dem jetzigen Feldzuge in Europa - also außerhalb Indiens — ist nicht ohne Beispiel. Indier kämpften seinerzeit in dem chinesischen Kriege ohne besonderen Erfolg und nahmen auch an dem südafrikanischen Feldzüge teil. Der deutsche Kronprinz hat bei seinem vor vier Jahren erfolgten Besuche Indiens großes Interesse für die indischen Reiter an den Tag gelegt, und es machte ihm eine besondere Freude, einmal bei einer Parade in Sikandcrabad (bei Heiderabäd) ein Regi ment von Bengal Lancers in toller Karriere den indischen Fürsten persönlich vorzuführen. Vielleicht war auch Bal im Dad unter ihnen, dessen kleines, rotes Soldbuch nun vor mir liegt. Hat ihn die Kugel oder die Lanze eines deutschen Soldaten niedergestreckt? Genug, er zählt zu den Toten, deren Blut den Boden Flanderns getränkt hat. Das Soldbuch und die bleierne Erkennungs marke mit dem eingestanzten Namen Balims erzählen uns den Lebensroman des indischen Soldaten in eng lischer, türkischer und indischer Sprache. Das „Indian Soldiers Pay Book" ist auch seine Stammrolle und sein Paß. Zar Khan heißt Dalim Dads Vater. Er mag ein armer Mann, vielleicht ein Lastträger oder ähnliches sein, denn sein Sohn hat nicht einmal Schreibunterricht genossen. Ein Finger abdruck mit roter Tinte ist seine Unterschrift im Soldbuche, wo die ..Signatare of Soldiers" ver langt wird. Patwate ist das kleine Dorf, in dem Palim Dad geboren wurde, Sarwakai heißt der Bezirk, Wano der Distrikt. Auf der letzten Seite ist nur sein Bruder noch genannt. Es braucht also kein Weib als Witwe Dads den brennenden Holzstoß zu besteigen. Sein Sold betrug 11 Rupien monatlich — herzlich wenig! Mit Nebengebühren bezog er seit dem 15. August, an dem Tage, an dem er sein sonniges Indien verließ, bis zum 15. Oktober 56 Dem modrigen Bildungsgrad des indischen Soldaten ent spricht der Text des Soldbuches, das wie zu Kindern spricht. Es prägt ihnen ein: „Wenn du dieses Buch verlierst, so komme zu uns, es geschieht dir nichts. Du erhältst ein neues Soldbuch Aber wir können dir nicht mehr Geld geben, wenn du nicht dieses oder ein neues Buch erhältst." Der deutsche Soldat, vor dessen Ansturm Balim Dad gefallen ist, darf stolz sein: er hat einen Tapferen erschlagen. Einen Tapferkcitsordcn der indischen Armee nannte der Ge fallene sein eigen. Die Engländer scheinen also nicht die schlechtesten ihrer indischen Soldaten nach Europa gerufen zu haben . . . Julius Hirsch, Kriegsberichterstatter. 8vdr«1dML8vdioov Lkemdirz «. LnUsdSr. t-rimmaimrbo 8tr. -4. Tel. 12989. Le« Königreich vadeim. 2) Roman von Ava von Gersvorff. Tic „Queebcck" der Paeific-Stearn-Navi- galion-Eompanh war am Horizont verschwunden. Wie eine Menschenbrust, die ausatmet von schwerem Kampfe, lag das Meer. Wie ein Lächeln der Erlösung zitterte der goldene Abendglanz über die brcitwallende Dünung. Kein Toben und Zürnen mehr. Einem uralten Wiegenlied gleich wllte. der eintönige (besang der müden Wellen. Pcrlmnltcrfarbener Glanz über der See. Der ^.rovenabend war hereingebrochen. Stille lag über dem 'Wasser. Einsamkeit, Verlorenheit, Verlassenheit, und doch ein Fric den, >vie er tiefer kaum gedacht werden tann. Auf dem. Wrack des gestrandeten Schisses aus dem Korallenriff lehnte ein Mann. Regungslos sah er der „O.ueebect" nach. «Ls war, als habe sich der Reif einer ersten Herbst-, nanit über grünes Feld gelegt, so silbrig sclüm mene es an den dunklen Schläfen, und der Blick des Mannes hatte ieues Siäi-in die Weite oer- licrcn, wie ihn 'Menschen haben, die Tage nnd Nächte lang dem Schwersten im Leben, der tiefen 'Nacht menschlichen Leidens ins Auge gesehen ha ben, ihre Tiefe nnd Dunkelheit zu ergründen, den fernen, stillen Lichtfunken zu finden, den jede Erdcnnacht haben soll. Im Ausdruck seines ernsten Angesichts schien die große Ruhe eines stillen Bejahens zu liegen. Ja, er halte Schweres, vielleicht oas Schwerste in eines Mannes Leben gesehen, hatte dem Auge des allein geliebten Weines entgegen, geblickt, das in Geringschätzung nnd Verachtung auf ihm ruhte. Er batte den Mund, dessen .stuf; ihm allen MückeS Preis schien, Worte sprechen hören, die kein Mann je vergessen nnd hin. nehmen darf, die dieser Mund znrncknehmen muß, ehe der Tod ihn versiegelt. Und in der letzten Stunde ttzittc Kinil Jarl der sähen Vernichtung alles irdischen Lebens ins Auge gesehen und neben ihm das W<ib, das er liebte nnd das ihm die Liede mit Haß nnd Verachtung vergalt . . . Und wieder und wieder, stärker als alles Starke in ihm und seinem Leben, hatte ihn jener gewaltigste Trieb in Leib und Seele gepackt, zu wiederholen, was er ewig bereuen mußte und — nicht konnte! — sie an sich zn reisten, als seinen seligen und unseligen 'Besitz und mit ihr zn vergehen. Mit stählerner .Mast, die man dem zarten, schmalen Geschöpf nie zngetraut hätte, batte sic sich in jener Nacht seinen Armen entwunden und das weiße Kinderhändchen, das er später so schwach und hilflos aus der Decke ihres Kranken, lagers liegen sehen sollte, mit der ganzen Kraft tödlich beleidigten Weibesstolzcs in sein Gesicht geschlagen nnd war in wilder Flucht über die Stufen hinabgeflogen, aus dem Hause hinaus über die Straßen, in die Dunkelheit der Nacht, dem Hanse ihres Bruders wieder zu, in das in zwischen vielleicht der Tod schon eingetrcten war, während sic sich versäumte in den Armen eines gewissenlosen Arztes, dein ihre in Entsetzen t>er« stnmmten Lippen nicht einmal die hilseslehendc Botschaft zn stammeln vermocht hatten. - Als sic das Hans des Bruders erreicht Hane mit letzter Kraft, nichts im Bewußtsein, als das Empfinden maßloser Schmach, den Stachel von Haß und Widerwillen, dachte sic nichts und fragte sic nicht, ob ihr Halt, ihr Freund, ihr Schützer nnd Verteidiger noch da sei für sie, ob er nicht inzwischen abgeschieden ivar. Ta staunte sie auch nicht, freute sic sich nicht. Tie Dovpclgewalten von Has; nnd Liebe übermannten sie, und altes war überrauscht von der natürlichen Selbstsucht, lind als sie den geliebten Bruder lebend, ja irisch und erholt von dem schweren Anfall seines alten Herzleidens fand, brach sic in wildem Schluchzen zn seinen Füßen nieder, und über ihre Lippen strömten endlich Worte! Worte, stammelnd von Schmach und Beleidigung, non Geiahr nnd Angst, vor Grauenhaftem. Langsam erst kam sie wieder zu sich, zum Bewußtsein, zum Trennen von Erlebtem und ^befürchtetem, konnte die starre Seclcnangst des Bruders sic zurückrufen. Und daun, als sic anfing zu überwinden, als sie ruhiger und stiller meinte, nun sei mit der Verachtung ihres Todfeindes alles beendet, er- schrak sie bis in den tiefsten Grund ihrer Seele, stiegen Haß und Zorn zu unerträglicher Höhe gegen Knut Jarl empor. Ihr Bruder, der ge- liebte, kränklich alternde Mann, hatte, solange seine Hand eine Waffe führen konnte, den brennenden Wunsch und die Pflicht, die Ehre seiner Schwester zu schützen, zn rächen. Nun mußte werter gesprochen, weiter gehört werden, nun bildeten sich Parteien, kamen Vermutungen, Fragen, Beschuldigungen. Und es kam dahin! Vergeblich war Anna Scholastikas Bitten und 'Weinen, ihr Bruder möge sich nicht den Gefahren anssctzen, die Aufregung allein scl)vn für seine zarte Gesundheit bcden- ken, sic nicht für ihre besinnungslose Err-egtheit in jener Nacht so entsetzlich strafen. Er ließ sich nicht zurückhalten, der Netter und Racher seiner Schwester zu sein, die Ehre seines Hauses, die jetzt in der ganzen Stadt beredet wurde, zu verteidigen. Und der schlimme Ehrenhandel kam zum Äustragc. Er verlief unblutig, aber Anna Scholastikas Herz blutete vor Schinerz nnd Angst um den Bruder und in ihrem Blut kochte der Groll gegen den Mann, der den Frie den ihrer Familie 'so brutal gestört hatte. Von der Geselligkeit zog sie sich mehr und mehr zurück und die Gesellschaft von ihr. Man ließ es die stolze, eitle Nelotius direkt und indirekt fühlen, daß alle Snmpathien auf feiten ihres Feindes, des Dollars waren, daß man ihr die Schuld gab, den Skandal provoziert zu haben. In unvollkommener Kenntnis der m Wahrheit so guten, reinen Motive für den nächtlick;en Besuch im Balkan zu gc bei dem jungen Arzt, ihrem glühenden und abgcwicsenen Verehrer, fand man sogar boshafte Deutungen. Hatte doch niemand nachher von einer so schweren Erkrankung des Konsuls gehört, die ein Hilseholeu nötig ge macht hätte. Mait wollte das schone, gefeierte Mädchen, die vielumworlwne Ballkönigin unmög lich machen und rhre Stellung erschüttern, nnd eS gelang nur zn gut. Wenn 'Anna Scholastika nicht gesonnen war, sich das gefallen zu lassen, so mußte sic fliehen! Und so gab sie denn ihrem schon iimner gehegten Wunsche nach. Fast aus der Welt wollte sie weiten. In Peking hatte sie sehr liebe Bekannte, und so ging sie eines Tages an Bord des Passagier-- dampfers „Anna Brinkmann". Ihre Geschwister hätten sic gern auf einem anderen, hochmodernen Schiff reisen selien, aber sie wollte nun einmal so schnell als möglich fort, und was sie wollte, pflegte sic stets zu tun, gleichviel >vcr und was dagegen sprach. Bald nachdem die neue Umgebung auf dem Schiffe, das geregelte L-eben, die Großartigkeit der Meercsnatur sie umgaben, gaben ihre ge reizten Nerven Plötzlich nach, und ein nervöses, ' nicht ungefährliches Leiden warf sic auf das Krankenlager. 'Doktor Jarl gehörte zu den Menschen, die ein einmal ins Auge gefaßtes Ziel nicht eher aufgeben, bis Goll und Geschick selbst ihr Machtwort dagegen sprechen. Dein Lebenswunsch war Anna Scholastika Nelotius — nicht nur ihr Besitz — nein, auch ihre Liebe. Nicht weniger entschlossen und energisch als als sie behielt er diesen Wunsch im Auge. Er hatte schon vielfach große, interessante Reisen, wissenschaftlichen Zielen dienend, in fremde Et-d- teile gemacht. Und so belegte er ebenfalls eine Kabine auf der „Anna Brinkmann", nachdem er erfahren hatte, daß die Geliebte, die nun noch mehr seine Seele eingenommen, auf jenem Schiff reisen würde. Er beherrschte mehrere Sprachen und hatte ermittelt, daß ein tüchtiger, selbständiger Arzt, ein Mann der Wissenschaft mit Vermögen auch im Frcmdcnviertel von Pe king nicht zurttckgewicscn würde. So ging auch er an Bord, mit einer glanzvollen Ausstattung an Büchern, Instrumenten, Präparaten und allem, was iein reiches Laboratorium zum Weiterstiidieren, zum Neneriocrben wissenschaft licher Resultate bedurfte. (Fortsetzung in der Morgenausgabe.)