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K Olüeklic)k68 Zelter Von Pfarrer Kirsckenkauer „Die Furcht des Herrn erfreut das Herz, gibt Lust, Wunne und langes Leden." Sir. 1,12. Zwei Fuhre nuch seiner Pensionierung verlor Rech- nungsrat Büchting seine Lebensgefährtin Nun stund er nllein. Ein Sohn wur in Frankreich gefullen. Der andere in englischer Gefangenschaft gestorben. Zwei Töchter sind in Südnineriku verheiratet. Was sollte er tun? Mit gewohnter Gründlichkeit überlegte er und beschlos;, zu den Schwestern nuch „Be thanien" zu ziehen, einer Ordensniederlassung für ambu lante Krankenpflege in einem ruhigen Stadtteile. Dort habe ich den alten Herrn besucht und ihn — trotz seiner 75 Fahre — munter und gesund gefunden. Seine Gesundheit erhält er sich durch folgende Mittel: 1. Geistige Arbeit. — Buchführung des Schwestern hauses. 2. Körperliche Arbeit. — Leichte Gartenarbeit. 3. Humor. 4. Religion. Bevor ich von seiner Religion spreche, etwas über seinen Humor: Vater Müller liebt einen guten Kaffee. Schwester Bernhardt»«, die ihn bediente, brachte ihm anfangs eine Mischung von schwachem Bohnenkaffee und starker Zichorie. Eines Tages fragte er die Schwester: „Haben Sie Zichorie?" „Ja." „Genug?" „Es langt." „Bringen Sie mal alle Zichorie her." Der ahnungslose Engel schleppte den ganzen Vor rat in das Zimmer des Herrn Rechnungsrat. „So, nun bereiten Sie mir ein Kännchert Dohnenkaffe c." Als Schwester Bernhardina krank war, servierte ein Küchenmädchen — Ochsenzunge. Der Herr Rechnungsrat sah die Zunge kritisch von der Seite an und sagte: „Pfui, die hat schon jemand im Maul gehabt." Das Dienstmädchen errötete und stotterte: „Herr Rechnungsrat, Sic irren sich." „Nein", entgegnete er streng, „ich irre mich nicht, ich kenne mich in solchen Sachen aus." Hilflos eilte das Mädchen davon und meldete den Vorfall der Oberin. Die Oberin erschien mit grotzcr Assistenz und de klamierte todernst: „Herr Rechnungsrat, bitte, sagen Sie mir, wer die Zunge schon im Munde gehabt hat?" Trocken erwiderte Vater Müller: „Der Ochs." Versöhnung und fröhliches Lachen im ganzen Hause. Das Hauptkonservierungsmittel des Herrn Rech- nnngsrat ist die Neligon. Religiös war er zwar immer gewesen. Kein Sonntag ohne heilige Messe, kein Monat ohne heilige Kommunion. Aber er schielte doch manch mal, wie er sich ausdrückte, nach der Welt, hinkte auf beiden Seiten. Jetzt hat er sich ganz von der Welt los gesagt, lebt allein seinem Gott und seiner Kirche. Die heilige Messe hat er im Hause. Doch er zieht es vor, bei gutem Wetter in seine Pfarrkirche zu gehen, wo für ihn immer ein Kronleuchter von schönen Er innerungen brennt. Sein Stolz ist eine Entdeckung, die er im Reich der Seele gemacht hat: „Je mehr sich der Mensch von der Welt abwendet, umso mehr wendet sich Gott zu dem Menschen. — Mags dunkel werden, die Sterne der Ewig keit strahlen dann umso Heller." Er beneidet nicht die Menschen, die ihren Ver gnügungen nachgehen. Wenn er auf seinen Spaziergän gen an dem in prachtvollen Anlagen gelegenen Landes theater vorbeikommt, das er früher gern besucht hat, ge denkt er der Künstler, die — verehrt und gefeiert — über die Bretter gegangen, nun schon lange in den vier Brettern ihres Sarges ruhen. Andere wären wehmütig geworden. Er nicht. Warum? Das hat er mir einmal geschildert: „Wenn ich in das müde und mürrische Gesicht mancher Altersgenossen blicke, dann lese ich deutlich Ueberdrus; darin. Sie führen ein trauriges Dasein. Rings um sie fallen die Blätter. Es ist Herbst, Spätherbst. Bald breitet der Winter sein Leichentuch über ihr Leben aus. Neulich setzte sich ein pensionierter Universitäts professor zu mir auf eine Bank im Schlotzpark. Er zeich nete mit seinem Stock mathematische Figuren in den Sand. Plötzlich gähnte er und brummte: ,Die Zeit ist langweilig. Wie langweilig wird erst die Ewigkeit sein! Nur gut, datz wir dann — tot sind.' Fch begegne manchem Brummbär, dem das Leben nicht mehr gefällt. Mir gefällt es. Fch sehe es natürlich und übernatürlich an. Fedes Lebensalter hat wie die Jahreszeiten seine Schönheiten. Fch habe eine strenge Fugend durchgemacht, die ich nicht noch einmal erleben möchte. Doch vielleicht verdanke ich grade ihr meine Zufriedenheit. Sittliche Verfehlungen habe ich nicht zu beklagen. Fehler umso mehr. Sie dienten mir als Lehre. Durch Kampf bin ich zum Frieden, durch Sturm in den Hafen gekommen, trotzdem ich allerhand Wider wärtigkeiten zu überstehen habe. Fch nehme sie geduldig hin. — ,Wer sich weigert, dem Herrn das Kreuz nach zutragen, der rede nicht von Liebe/ sagt mein Beicht vater. Fn meinem Urteil bin ich ruhiger und reifer, in meiner Gesinnung — verzeihen Sie das Selbstlob — reiner und feiner geworden. Manche alte Leute fühlen sich einsam und sie sind cs. Ich habe einen Freund, der mich nie verlässt, — meinen Heiland, und eine Mutter, die immer bei mir bleibt, — meine Kirche. Da» KZrelien unterm XVeillnacbt^ksum (Hckkrl-llilril.i'clien'».- v,.) Dankbar für jeden Tag, den Gott mir schenkt, suche ich nach Kräften Gutes zu tun. Dazu habe ich im Vinzenz- vcrein und im Winterhilfswcrk Gelegenheit. Mein Lebensabend kommt mir vor wie eine moud- beschienene, stille Landschaft, welche die Gewitter der Leidenschaft nicht mehr durchtoben. Damit Sie mich nicht zu hoch einschätzcn: Fch bin kein Aszet. Fch liebe meine Zigarre und eine gute Tassr Kaffee. Auch ein Gläschen Wein, die Milch des Alters, leiste ich mir. Aber alles mit Mas;. Fn der Mäßigkeit liegt die Weisheit des Lebens. Die Franzosen treten mit 50 Fahren in den Ruhe stand. Die Deutschen mit 05. Sie mögen acht geben, d"'; sie nicht verknöchern. Fch sehe grotzen Gewinn darin, wenn Geist und Körper sich weiter bewegen, solange cs geht. Abends lese ich in der Bibel, morgens in der Nach folge Christi. Mein Nachtgebet verrichte ich lateinisch, und zwar bete ich die Komplet aus dem Brevier der Priester. So viel Latein kann ich noch. Fch finde, dieses Gebet ist mit das Schönste, was es gibt. Es ist nicht nur der Ausklang des Tages, sondern auch der Ausklang d's Lebens, wie feierliches Abendläuten und willige Er gebung: In deine Hände befehle ich meinen Geist." Vineta 8teiZt Plauderei sm >Vockenende Von lllsi-kibu. Als wir Kinder waren, haben wir wohl in Sagen büchern von Vineta gelesen, der versunkenen Stadt. Einst war sie leuchtende Wirklichkeit, voll blühenden Lebens. Aber nun ist sie in der dunklen Tiefe des Weltmeeres versunken. Nur manchmal an Hellen Sonnentagen, wenn Fischer über die Stelle fahren, da die Stadt versunken liegt, glänzen aus der Tiefe die goldenen Türme her auf. Und am Abend beginnt es geheimnisvoll aus der Tiefe zu klingen: Die Glocken Vinetas läuten vom Grunde des Meeres zum Lichte empor . . . Vineta? Wenn die Weihnachtsglocken klingen, meine Freunde, wird da nicht in unserem Herzen die Sage von Vineta lebendig? Auch in unserer Brust ruht solch eine versunkene Stadt, ruhen all die goldenen Tage der Vergangenheit, ruht die Erinnerung an die tausend Seligkeiten der Kindheit. Auch das Menschenherz ist ein Vineta, und auch aus dieser versunkenen Stadt leuchtet es in sonnigen Stunden golden empor. Wenn die Weih nachtsglocken klingen, antworten ihnen in unserer Brust andere Glocken, die heiligen Glocken aus verklungenen Kindertagen ... , „Weisst Du noch?" so singen die Glocken aus M- neta. „einmal standest auch Du unter so einem glänzen- den Baum, wie sie jetzt in allen Häusern für die Kinder angezündet werden. Gerade bis zur zweiten Reihe der Zweige konntest Du hinaufreichen. So schön wie der Baum war damals die schöne Welt: Auf jedem Zweiglein brannte ein Freudenfeuer . . ." „Weißt Du noch, wie Ihr gemeinsam in die Christ- wieder empor mette gingt in der Heiligen Nacht? Durch tiefen Schnee, durch den manchmal kein Durchkommcn war? Wie von allen Seiten die Laternen zu dem mit freundlichem Licht wiedergrützenden Kirchlein herbeieilten? Weisst Du noch den harten Winter damals vor dem Kriege in dem Fahr, da der Wein so gut geraten ivar? Wie Ihr dachtet, Euch fielen Ohren und Nase ab vor Kälte? Wie herrlich war es dann in der warmen Stube zu Hause, bei gutem Stollen und würzigen Kaffee!" „Weifst Du noch die schönen Schlittenfahrten durch den verschneiten Winterwald? An allen Zweigen hingen Schneelasten wie dicke Weihnachtsvnkete, die fröhliche Zwerglein dort abaeladen lxstten. Erinnerst Du Dich der Eisbahn, auf der Du so gern einmal laufen wolltest und nicht durftest? Auf der sich die Paare so prächtig zu den Klängen eines Leierkastens drehten? Und mitten auf der spiegelnden Dahn war ein Christbaum mit Lichtern auf gestellt . . . Erinnerst Du Dich der groken Schneeball schlacht auf dem Exerziervlatz, bei der Du die rechten Freunde unter Deinen Klassenkameraden entdecktest? Weißt Du noch?" So rufen und klingen die Glocken aus Vineta . . . Für jeden freilich ist es ein anderes Vineta, von dem er in der Heiligen Nacht träumt. Denn das Kinder land, aus dem diese heiligen Glocken heraufklingen, hat ja für jeden anders ausgesehen. Der eine träumt von einem Dorfkirchlein, das sich traut zwischen verschneite Hänge schmiegt. Einen weiten Weg mutz man gehen in der Christnacht: die Laterne wird vorangetragen und feste Schuhe sind nötig, um den winter lichen Weg zu überwinden. Ringsum ruhen unter der weißen Decke die Felder, auf denen man im Herbst Kartoffeln gelesen, aus denen man hat Drachen steigen lassen. Dort über den Berg geht der Weg zur Schule, den man täglich hinaufklimmt. Und hinter dem Buckel liegt der heimatliche Hof . . . Oder man sieht den Markt einer Kleinstadt, deren Antlitz noch die Züge des Mittelalters trägt. Alte schmale Häuser schlicken den viereckigen Platz ein. seiner Würde bewusst und doch schlicht hebt sich unter ihnen das Rat haus hervor, lieber die Giebeldächer aber siebt man den Turm der Stadtkirche heruorragen. von dessen Umgang bald feierlich das neue Fahr mit festlichen Trompeten klängen empfangen wird. Irgendwo in dem Gewirr der engen Gassen hinter der Kirche steht das Elternhaus. Da gibt es tausend heimliche Ecken, an die sich freund liche Erinnerungen eifriger Knabenspiele knüvsen. Fn wenigen Minuten aber hat man den Bannkreis der Häuser verlassen. Drautzen vor den Toren der alten Stadt, die seit Jahrhunderten nickt mehr wesentlich ge wachsen ist, dehnt sich die freie Weite mit Böcken, auf denen man im Sommer leine Schinlein segeln lässt, mit Teicken, gist denen nmn im Winter Schlittscknb föbrt, mit herrlichen Wäldern und weiten Feldern, über die man immer weiter wandern kann und hinter denen die Welt nickt auftzört . . . Oder man gedenkt der grotzen Stadt, deren stei nerne Mauern schon die Kindertage umschatteten. Gewiß, da gibt es keine rasche Flucht ins Grüne: stuudenweit dehnen sich die Vorstädte. Aber es gibt freundliche An lagen. in denen seine Spielplätze Schutz vor dem flutenden Großstadt-Verkebr bieten. Es gibt Auen und Parks, die sich bis in Hie Stadt hineinziehen. Aber nickt nur die Parks sind lustig und schön — auch die Parkplätze, wo man die Automarken und -nummern studieren kann, wo man lernt, wie viele Länder es doch in der Welt geben mutz. Herrlich sind die Promenaden am Fluß und iinge-