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Wandlungen des geistlichen Standes / Es gehört zu den schönen Hoffnungen unserer Zelt, datz sie die Aufgabe in Angriff nimmt, die Lebenswirklichkeitcn aus den geschichtlichen Bindungen zu lösen, die, statt lebendige Tradition zu bewahren, das Leben wie mit einer Kruste um geben, daran es zu ersticken droht. Maa in solchen Lebens prozessen manches fallen müssen, dessen geschicktliches Verdienst unbestreitbar und dessen Patina liebenswert ist, so ist im Ab werfen dessen, was keine gegenwärtige Notwendigkeit mehr für sich hat, die Möglichkeit eröffnet, datz der wesentliche und überzeitliche Kern von Institutionen und Traditionen reiner gesehen, herausgearbeitet und neu gestaltet werde. Damit soll keincsivcgs gesagt sein, dah radikaler Neuansang geschichtlicher Kontinuität grundsätzlich vorzuziehen sei; das Leben kennt keine Radikalismen des neuen Anfangs, sondern wahrt immer den Zusammenhang mit dem Vorangegangenen. Zwar kommt es ost genug vor, datz die Unaemähheit, die zwischen der Lebenswirk lichkeit und dem Ueberkommenen besteht, keinen anderen Aus weg zuzulassen scheint als die Vernichtung der überkommenen Formen; damit ist dann freilich die Gefahr gegeben, dah das Leben und die Wirklichkeit, die von diesen Formen geschützt werden sollten, nicht mehr oder nicht mehr richtig gesehen werden und man so das Kind mit dem Bade ausschüttet. Es kann nicht übersehen werden, dah unsere Zeit von Wesen und Notwendig keit eines geistlichen Standes keine sehr hohe Meinung hat, um nicht zu sagen, dah sie von einem heftigen Affekt gegen diesen Stand erfüllt ist. Prüft man aber diesen Affekt genauer- hin aus seine Begründung und Artung, so wird man meist finden, dah es sich weniger gegen das Wesentliche als vielmehr gegen geschichtliche Belastungen dieses Standes richtet. Daher ist es sinnvoll, mit dem Versuch einer begründeten Unterschei dung zwischen Wesentlichem und Zugewachsenem den Blick zu öffnen für den rechten Ort des geistlichen Standes. Wesen nnd Geschichte tcn. Es hat an die 400 Jahre gedauert, bis sich der Ritterstand als eigene soziologische Schicht zwischen Adel und Bauerntum soweit konstituiert hatte, dah er einen «rohen Teil der staat lichen und Verwaltungsausgaben des Reiches übernehmen konnte, — wie wäre es da sinnvoll gewesen, den Klerikerstand, der sä)on eine soziologische Funktion erfiillie, aus die Pflichten seines übernatürlichen Amtes zurückzuwersen, wo er doch un entbehrlich war für die ständischen Funktionen im Voiksganzcn? Damals muhte das Reich gebaut werden, und wenn sich auch späterhin, nach Jahrhunderten, herausstellte, dah die Ueber- lastung des geistlichen Standes mit weltlichen Aufgaben ihn zum Schaden seiner rein geistlichen Ausgabe auch in die Gefahren weltlicher Standesherrlichkeit verstrickte, so konnte man das zu Beginn jener Entwicklung keineswegs ahnen und vermeiden. Als mit dem Ausgang des Mittelalters die ständische Ordnung sich immer mehr auflöste und eine Rückwärtsentwick lung begann, in der wir heute noch stehen, da war es wiederum nach den Gesehen geschichtlichen Wandels nicht zu erwarten, dah der Klerus auf einmal alle Aufgaben aus der Hand lieh, die ihm als Stand innerhalb der Volksordnung zugewachsen waren, und sich auf die rein geistlichen Ausgaben zurückzog, in Richtung aus die Praxis der Urkirche, die den geistlichen Stand nur innerhalb der Gemeinde kannte, während seine Glieder den verschiedensten Berufsständen angchörtcn. Denn mit dem Zerfall der ständischen Ordnung war nicht ohne wei teres schon gegeben, dah die staatliche Führung alle Initiative aus dem Gebiet der Erziehung, der Wissenschaft, der Kunst, der Wohlfahrt übernahm, und es blieb noch aus Jahrhunderte hinaus so, dah der Klerus auch in weltlichen Dingen Ausgaben hatte, die ihn als einen führenden Stand auch in der weltlichen Ordnung hervorhoben. Ja, die Entwicklung des Bildungswesens, die den „Fachmann" herausstellte, gab dem Priester insofern er Theologe war, eine neue Qualität, die ihn als einen der führen den Bildunstsstände aussonderte. So kam cs, dah der Klerus bis in die jüngste Zeit einen hohen Rang unter den gesellschaft lichen Ständen einnahm, dann aber auch Objekt jener Entwick lungen und Assekte wurde, die sich gegen den Führungsanspruch der alten Stände richtete. Der Anspruch des geistlichen Standes aus die Geltung als soziologischer Stand kann nur innerhalb einer Gesellschaft, die — wie es im alten Reich war — bewuht mit der kirchlichen Ordnung znsammensallen will, durch den unveränderlichen geistlichen Standescharakter begründet werden. Denn keineswegs folgt aus der Unveränderlichkcit des von Christus gestifteten geistlichen Standes, dah auch in der welt lichen Ordnung der Stände der Priesterstand unveränderlich be stehe. Es ist nicht notwendig, dah der Priesterstand in der weltlichen Gesellschaft aller Zeiten denselben Rang und die selben Ausgaben habe, und es hätte auch kein Recht für sich, wenn die veränderte soziologische Struktur der Gesellschaft und die veränderte Funktion des Priesterstandes in ihr aus die Wür digung des innerkirchlichen Standescharakters einen anderen Einsluh haben sollte, als den, die Reinheit des geistlichen Amtes nach der Ordnung seiner göttlichen Stiftung herauszuarbeiten. Eine andere Frage freilich ist es, ob eine gesunde und den Lebensgesehen der Völker entsprechende Entwicklung sich voll zieht, wo unter Verletzung der geschichtlichen Kontinuität eine jahrhundertelange Erfahrung und Verantwortung des geistlichen Standes im Dienste des Volkes brachgelegt wird. Kinn und Geschichte Es Ist eine auffallende Tatsache, dah das Priestertum neben Bauerntum und Soldatentum in gewissem Sinne den Naturständcn zuzurechnen Ist, da es in allen grohcn Kuliuren aller Zeiten ein Priestertum mit ständischen Rechten und Pflich ten gegeben hat, dah aber das christliche Priestertum, obgleich es als Amt gestiftet war und den, zu ihm Geweihten eine besondere Stellung in der frühchristlichen Gemeinde gab, nicht auch sofort in der Kirchengeschichte soziologisch zu einem Stande geworden ist. Das christliche Priestertum bildete im Ansang so wenig einen besonderen soziologischen Stand, dah die meisten Priester einen Beruf ausübten, der sie irgendwelchen anderen soziologischen Ständen zuordnete. Daraus ergibt sich, dah die Frühklrchc, wenn sie das Priestertum als einen Stand inner halb von Gemeinde und Kirche betrachtete, ihn nicht als einen Stand neben den weltlichen Ständen, überhaupt nicht als einen Stand im weltlichen Sinne ansah, sondern als einen Stand innerhalb eines übernatürlichen Ordnungsgefüges; weil „Stand" etwas Bleibendes, etwas, das Bestand hat, bedeutet und weil die Weihe für den christlichen Priester einen Stand begründet, der sich nicht ändert und nicht aufgenoben werden kann, deshalb kann man das aus der Vollmacht Christ! handelnde Priestertum als „Stand" bezeichnen, sofern und solange man sich dessen bewuht ist, dah damit nicht ein Naturstand neben anderen gemeint Ist. Dieser übernatürliche Charakter als besonderer Stand innerhalb der Kirche eignet dem christlichen Priestertum über alle Zeiten hinweg, In allen Völkern, ganz gleich ob sie eine ständische Lebensordnung haben oder nicht. Wenn aber ein Volk in seiner Gesamtheit der christlichen Kirche angehört und sie In ihrer geistlichen Autorität anerkennt, wie es im ger manisch geführten Mittelalter durchaus der Fall war, und wenn dieses Volk seine Volksgenossen ständisch gliedert, wie es im Mittelalter ebenfalls geschah, so ergibt sich mit geschichtlicher Notwendigkeit, dah die Menschen, die innerhalb der Kirche als ein eigener Stand erscheinen, nun auch in der ständischen Volks ordnung einen weltlich soziologischen Stand neben Adel, Krie- gcrtum, Bauerntum und Bürgertum bilden. So ist der christ liche Klerus im Laufe des Mittelalters zu einem soziologischen Stand der volklichen Ordnung geworden und hat als solcher nn Leben des Volkes seine ständisch umrissene Aufgabe gehabt. Wenn schon das geistliche Amt des innerkirchlichen Standes schwer und gefährlich ist, — schwer wegen der Verantwortung und gefährlich wegen der Versuchung zur Macht — so muhte die Verbindung des übernatürlich geistlichen Amtes mit Funk tionen einer hochgestellten ständischen Ordnung Last und Gesahr des Priestcrstandes verdoppeln. Die Verbindung des geistlichen Standes mit den Aufgaben eines weltlichen Standes hatte im kirchlichen Altertum nur ganz geringe Ansätze mehr negativer Art, Insofern als sich die Geistlichkeit aus gewissen gehobenen Schichten der Bevölkerung ergänzte. Erst die Anerkennung des Christentums durch den Staat gab dem Klerus und insbeson dere den Bischöfen innerhalb des Staatswesens und der Gesell schaft eine neue Stellung und Aufgabe. Als im verfallenden römischen Imperium, das durch jahrhundertelange Kämpfe staat lich und wirtschaftlich zerrissen war und bki dem ständigen Wechsel der politischen Machthaber einer unnatürlich vergrötzer- ten Bürokratie ausgeliefert war, wurde das Bischofsamt, das seinem geistlichen Inhalte nach unveränderlich war, immer ange sehener auch im weltlichen Sinne. Der englische Kulturhistoriker Christopher Dawson schreibt über die Stellung des Bischofs in der Uebcraangszeit vom Altertum zum Mittelalter: „Der Bischof verfügte über eine nahezu unbegrenzte Macht in seinem Spren gel. Er war umgeben vom Glanz übernatürlichen Ansehens, und doch war zur selben Zeit seine Machtsülle wahrhaft volks tümlich, da er aus der freien Wahl des Volkes hervorging. Darüber hinaus hatte er noch, abgesehen von seiner religiösen Amtsmacht und seinem Ansehen als Stellvertreter des Volkes, anerkannte Rechtsgemalt nicht nur über die Geistlichkeit und das Eigentum der Kirche, sondern er war auch Richter und Rechtsbrecher In allen Fällen, in denen seine Entscheidung an gerufen wurde, sogar dann, wenn ein weltliches Gericht schon gesproclM hatte. Infolgedessen bot das Bischofsamt als ein zige Macht Im späteren Reich ein Gegengewicht, einen Wider stand gegen die alles durchdringende Herrschgier der kaiser lichen Beamtenschaft. Die anmahendsten Beamten scheuten sich, einen Bischof anzutastcn, und es gibt zahlreiche Beispiele für das Eingreifen eines Bischofs nicht nur zugunsten der Rechte eines einzelnen, sondern auch in den Angelegenheiten ganzer Städte und Provinzen. Man sieht, wie sehr das geistliche Amt des Bischofs in die Sphäre öffentlicher Verantwortung und politischer Entscheidun gen hineinwuchs. Man wird dieser geschichtlichen Tatsache weder gerecht, wenn man lediglich beklagt, datz damit der urspriing- siche pneumatische Charakter des Bischofsamtes vielfach verdun kelt wurde, noch wenn man darin einen Beweis für ein not wendiges Einmünden des geistlichen Amtes in politisch« Span nungen und Machtpositionen sieht. Man wird dieser Entwicklung im Gegenteil nur dann gerecht, wenn man ihre geschicktliche Notwendigkeit und ihren geschichtliclren Segen versteht. Für die ganze Entwicklung von dem ausgehenden Altertum bis zur Konsolidierung des Mittelalters, im Wirrwarr der Völkerwan. derung, war das Bischofsamt das einzige Unveränderliche, der Ruhepunkt, von dem Immer wieder feste Ordnung ausstrahlen konnte. Es hätte dem politischen Sinn der Germanen und Deutschen ein schlechtes Zeugnis ausgestellt, wenn sie bei dem Aillbau des Reiches, bei der staatlichen Durchformung des Volksganzen, das bischöfliche und priesterlich« Amt nicht In seiner Bedeutung als führenden weltlichen Stand erkannt hät- Line philosophische Neubegründung der Subjektivismus Eine gefürchtete Eigenart der deutschen Philosophie ist ihre Neigung zu weitausschweifender Systematik. Wenn sich die an erkennenswerte deutsche Gründlichkeit und der gedankliche Tief sinn mit dem Bestreben verbinden, möglichst alles vom eigenen philosophischen Standpunkt aus zu beleuchten und eine um fassende Darstellung des eigenen Weltbildes zu geben, kommt es leicht zu Werken wie die Hegelsche „Phänomenologie des Geistes", von welcher der eigene Verfasser sagte, ganz habe sie wohl niemand verstanden, ausgenommen er selbst — und auch er selbst habe sie nicht ganz verstanden. Auch der gcistesge- walttge Kant spricht in Hinsicht auf sein philosophisches Ge samtwerk einmal den recht merkwürdigen Wunsch aus, datz einer ihn besser verstehen möchte, als er sich selbst verstanden habe. Einen eleganten, gewissermatzen weltmännischen und damit auch leicht verständlichen Stil hat in der deutschen Philo sophie erst Arthur Schopenhauer geschaffen, nicht unbeeinflusst von der darin immer vorbildlicheren französischen Philosophie. Er ist in der Sache noch systematischer Denker, aber in der Form überwiegt der fein geschliffene Aphorismus über die systematische Abhandlung. Auch die beiden heute wirksamsten Philosophen des IS. Jahrhunderts, Kiergegaard und Nietzsche, bevorzugen den Aphorismus und sind Meister, ja Künstler lite rarischer Darstellung ihrer Gedanken. Ihr Einslutz hat sich darin in den letzten Jahren sehr wohltuend bemerkbar gen,acht. Ohne in falsche Popularität zu versinken, ist die deutsche Philo sophie lesbarer geworden, bevorzugt die kurze Abhandlung, die ständige Variation, um dadurch eine grössere Lebensnähe und Wirksam kelt zu erlangen. Wenn daher ein philosophisches Werk von über siebenhundert Seiten sich an das deutsche Lesepublikum wendet, so mutz es schon besondere Qualitäten aufzuweisen haben, um seine Quan tität entschuldbar erscheinen zu lassen. Es handelt sich um das Werk von Paul Hofmann, Professor der Philosophie an der Universität Berlin, „Sinn und Geschichte Historisch systematische Einleitung in die Sinn erforschende Philosophie." (Verlag von Ernst Reinhardt, München 1937.) Der Verfasser betont, dah er über zehn Jahre an diesem Werk gearbeitet habe und datz er es trotz mancher Bedenken schon jetzt in dieser Form, die geschichtliche und systematische Gedanken vermischt, der Oeffentltchkeit übergebe, um sich weiteren systematischen Unter suchungen zuzumenden. Es ist also weder ein Buch für den Tag, noch ein Buch aus der Zeit, da die in ihm entwickelten Gedanken aber in mancher Beziehung neuartige Gedanken sind, hat es ein Recht, auch von der Zeit gehört und beachtet zu werden. Hofmann geht von einem neuen Dualismus aus, dein Dualismus zwischen Sein und Sinn. Einer Weitsicht, die vom Sein ausgeht, ist die Welt als Gegenstand, als Objekt gegeben; sie wird sich bemühen, diese Gegebenheiten in erster Linie zu erkennen. Auch das nicht unmittelbar Gegebene, das Meta physische, wird in dieser Auffassung als das Transzendente ge genständlich, objektivistisch aufgefatzt. Diese Philosophie des Seins ist folgerichtig von den Griechen durchdacht und geformt worden und beherrscht mit ihrem Objektivismus bis heute noch die abendländische Kultur. Im Gegensatz dazu steht eine andere Auffassung, die nicht vom Sein, sondern vom Sinn ausgeht. die des Subjektivismus. Sie ist nicht intellcktualistisch. sondern voluntaristisch; es geht Ihr nicht um die Obicktivierung, sondern um die Entobjektivierung des Lebens. Ihr Thema ist nicht das Sein der Welt, sondern dex Sinn, das Heil des eigenen Ichs. Dieses Ich oder Selbst ist aber kein Gegenstand unter andern, sondern steht zu allem Neaenltändlichen gewissermatzen in Ovposition. Das Heil wird nicht In einem Transzendenten zur Welt, sondern in einem „Introszendenten", in einem Jen seits der Tiefe des eigenen Ich gesucht. Eine dritte Art der Weltsicht im weitesten Sinne sieht Sein und Sinn nicht im Gegensatz, sondern in untrennbarer Einheit, alles Seiende ist Ausdruck von Sinn, es gibt hier wohl eine ewige Ordnung der Welt, aber kein personaies Ich und Du. Es ist die Weitsicht Chinas. Aus dem griechischen Objektivismus entsteht die Wll- sensclmft, ans dem Subjektivismus Indiens und Israels entstehe» Religion und Philosophie, aus der chinesischen uns sehr fremden Haltung eine künstlerische und gesellschaftlich-moralische Kultur. Das Entscheidende an der Philosophie Hofmanns liegt in dem krassen Dualismus zwischen Sein und Sinn. Der Sinn kann nickt in den Objekten, auch nickt in der Welt als dem grötzten Objekt, auch nicht in einem Sein jenseits oder inner- >alb oder zugleich jenseits und innerhalb der Welt liegen, andern der Sinn kann nur durch das Subjekt, durch das Ich- agen. das Sich-selbst-wisscn und Sich-selbst-vcrstchen gefunden werden. Dazu ist es aber nötig, datz das Ich, das Subjekt, aus der Welt des Objektiven herausgenommen wird. Denn Sinn ist nichts Objektives, sondern die Subjektivität, des Subjekts, das Ich ist geradezu das korrelative Gegenteil vom Sein. Um nun zunächst in seine, wie der Verfasser selbst uigibt, schwer zugänglichen und abstrakten Gedankengänge ciuzuführen, die stets die angefuan»«e Haltung in'rnszendenter Selbstbesin nung erfordern, gibt Hofmann zunächst eine weit ansbolende historische Einleitung. Daher auch der zunächst irreführende Titel des Buches „Sinn und Geschichte", denn es handelt sich weder um den Sinn der Geschichte, noch um den Gegensatz von Sinn und Geschichte, sondern höchstens um eine Geschichte des Sinnes; der bessere Titel wäre Objekt und Sinn gewesen. Es ist dem Verfasser natürlich auch nicht entgangen, datz in der abendländischen Geistcsgeschichte trotz ihrer objektivistischen Grundhaltung die Frage des Sinnes eine grotze Nolle spielt, und datz Subjektivismus und Voluntarismus fast als ständige Gegenspieler zu Objektivismus und Intellektualismus austreten. Schon zu dem reinen und in sich beglückenden Objektivismus, wie er uns aus der homerischen Welt entgegentritt, tritt der Subjektivismus der Sophisten und der Tragiker in Gegensatz. Der philosophische Ansatz oes Sokrates geht durchaus auf den Sinn, ist ethisch und nicht gnoseologisch bestimmt, bedeutet eine Erschütterung des Objektivismus. Aber bereits in der Ideen lehre Platos und noch stärker in der Gotteslehre des Aristoteles wird diese ethische Opposition umgebogen durch die Zwischen lösung des objektiv Transzendenten, der Sinn wird zum Sein zu einem neuen transmundanen Objekt. Dasselbe wiederholt sich beim Auftreten des Christentums. Hosmann sieht Jesus mit den Augen Adolf von Harnacks, als den Lehrer einer dogmenlosen Ethik. Aber bereits bei Paulus wird nach ihm aus der religiös-ethischen Sinneinsicht Jesu eine metaphysische Seins-Erkenntnis. Und dasselbe wiederholt sich zum dritten Male in der Periode Rousseau—Kant; der Irrationalismus, Voluntarismus, Subjektivismus kann sich in einer itellektua- listischen Kultur nicht durchsetzen, aus den Sinnbildern, den Symbolen werden immer wieder hqpostasierte Sachen, Gegen stände. Als ein derartiges hypostasiertes Symbol sieht der Ver fasser auch, um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, den christlichen Gottesbegrisf. Nachdem durch das ständige Ein dringen subjektivistischer und voluntaristischer Strömungen die alte Naivität des Objektivismus erschüttert ist und weder Po sitivismus noch Irrationalismus noch Idealismus das Problem der Sinngewinnung haben lösen können, kommt es zum Sinn verlust in der Existenzphilosophie und der dialektischen Theolo gie. Die Kultur wird seelenlos. Der Verfasser sucht nicht die Losung in der entgegengesetz ten Einseitigkeit, wie sie uns etwa die indische Philosophie und gewisse mystische Strömungen innerhalb der abendländischen Welt darbieten. Sondern er bezeichnet als den Weg zur Sinn-* erfüllung die Selbstverwirklichung des Ich in Liebe, Du und Gemeinschaft. Wenn jemand auf die alte Frage: „Was ist der Sinn de; Lebens?" mit „Die Liebe" antwortet, so kann dies eine flache und sentimentale Banalität oder eine tiefe Weisheit sein. In der Mitte zwischen beiden läge dann wohl die scheinbar harm lose, in Wirklichkeit tragische Illusion. Hosmann lehnt zunächst, und zwar mit Recht, als falsche Sinncrsüllungen des Lebens ab die blotze Selbsterhaltung, den Kampf, die Abwechslung, die Erlangung objektiver Güter, die Macht und die Lust. Auch Wissen, Kultur und Schönheit geben nicht die letzte Sinnersül- lung. Zwar zeigt sich uns das Wissen als eine Annäherung an die Liebe. Das Wissen bedeutet Sclbsterweitcrung. es dehnt das Ich aus über das Objekt hin und in dieses hinein, aber erst die Liebe vollendet es. Liebe wird hier aber nicht iin griechisch- pjatonischen Sinn aufgefatzt. als Eros, der in sich wertvoll ist, für den das Objekt der Liebe nur Anregung ist und der not wendig in der Liebe zum Absoluten enden mutz. Sondern Liebe ist hier Ia-sagen zu einem Du. Liebe ist der Wunsch, den andern zu fördern oder ihm selbst zu gehören, in dem Bewutzt- sein, eben damit seinen und den eigenen Sinn zu erfüllen. Sie ist Sich-vcrstchen, sich-ergänzen-, zueinandergchören. „Der Liebende fühlt sich aus den Geliebten angewiesen, er bedarf seiner für sein wesentlichstes Leben, glaubt nur für ihn und durch ihn eigentlich leben zu können" (S. 520) ..Der ge liebte Andere ist für mich ja der, an dem sich der Sinn meines Lebens erfüllt, nicht zwar der meines Lebens als objektive» Individuum, aber der mich zum Ich, zur Person machenden Subjektivität meiner selbst. Darum aber kommt es weniger darauf an, ob meine Liebe viele oder wenige geeignete Du findet als vielmehr, datz sie gerade das Du findet, datz sie etwas überhaupt findet, in dem sie sich mit letzter Wahrhaftig keit und Echtheit zu verwirklichen vermag" (S. 522). Diese Liebe entspringt gewitz aus tieferen und allgemeineren Schickten des Lebens und des dasselbe beseelenden Geistes als die Ge- schlechtslicbe, aber sie offenbart sich aus diesem Gebiet infolge seiner symbolischen Natur am eindringlichsten. So wird nicht nur das Ich, sondern auch das Du aus der Welt d's Obi-'ktiv'n herausgenommen, schliesslich auch die Gcmeinschast, die kein objektiver Wert ist, sondern die nur die Möglichkeit des Sich- vcrstehens bietet, aus Grund derer ich mein Du linden kann. Gott kann das Du dieser Liebe nur als hypostasiertes Snmbol sein, er ist nicht mehr als der letzte Grund der Subjektivität des Ichs. Eine Welt trennt diesen Gottesbegrisf von dem transzendenten Sein des Seienden. Richtig ist an dieser Philosophie der Liebe gewitz manches gesehen. Die Du-Sphäre ist zweifellos die primäre Sphäre, nicht nur im menschlichen Wollen, sondern auch im Erkennen, lind zweitens bedeutet die Erfüllung der Du-Sphäre im Menschen durch eine verstehende und ergänzende Liebe zweifellos die stärkste Sinnersütlung, die dem Menschen überhaupt möglich Ist. Aber dieses Du ist bei Hofmann doch immer nur ein endliches und menschliches Du; sein idealistischer Ausgangspunkt lätzt ihn Gott immer nur als Symbol erfassen. Ganz abgesehen davon, datz die radikale nicht nur dialektische Trennung des Sinnes vom Sein die objektive Seite des Menschen überbelastet, so datz der Mensch noch stärker an ihr zerbrechen mutz als an einer