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düng seines Werkes Hans von Bülow angekündigt hat: »Heute abend Schlag 8 Uhr wird das letzte c niedergeschrieben. Bitte um stille Mitfeier. Sachs." Durchwegs als kalligraphische Meisterleistung darf die 340 Seiten starke Originalpartitur des „Parsifal" ange sprochen werden: in ihr gibt es, ähnlich wie in den Rein schriftpartituren des „Ring", weder Rasuren noch Tinten- klexe, noch sonstige Flüchtigkeiten in der Ausführung; wo man sie auch aufschlügt, überall erhält man den Eindruck, daß Die große Aufgabe, die Gegenwart und Zukunft den deukschen Dichtern, Musikern und Malern stellen, endlich ein« wahre deutsche Volkskunst, au« der Ganzheit de« Volks tums für da« ganze Volk zu schaffen, nicht nur Bildungs kunst für bestimmte Schichten, hat Richard Wagner schon in seinem Werk vorbildlich gelöst. Seine Schöpfungen haben keine falschen „Bildungs"-Voraussetzungen, sondern sind jedermann, der nur Herzensbildung har, zugänglich, darum gehen sie den Verbildeten und tlbergebilderen so oft auf die Nerven, darum aber werden sie im deutschen Volke leben und wirken, solange es dieses Volk gibt. an ihr wirklich — wie Glasenapp mitteilt — »mit grenzen loser Muße und Freude" gearbeitet worden ist. Zu Beginn des 1. Altes sindet sich das Datum „23 /Zug. 79", am Ende des 3. Aktes jedoch, also auf der Schlußseite der Partitur, steht, ganz unten links: „Palermo", rechts: „25 Oer. 1881. k VV." und zwischen diesen beiden Eintragungen, durch größere Schrift hervorgehvben: „par vlckl" Der Sinn dieser Wid mung, sowie die tatsächlich erst am 13. Januar 1882 er folgte Bollendung der Partitur erklären sich aus dem Briefe Wagners an Albert Niemann vom 16. Dezember 1881, in dem eS heißt: „...ich hatte mir ein sozusagendes Gelübde getan, vor der Niederschrift der letzten Partiturseite meines „Parsifal" keine andere Zeile zu schreiben: ich wollte nämlich absolut am Geburtstage meiner Frau, 25. Dezember, damit fertig sein, und hoffte dies durch strenge Abstinenz nach jeder anderen Seite hin zu erreichen... Da — gingen die gehörigen Unterleibs-Teufeleien los, die mich auf einige Tage arbeits unfähig machten: — Adieu! Gelübde; die Partitur muß bis Neujahr warten ..." Um sie aber dennoch seiner Gattin aus den Geburtstagstisch legen zu können, schrieb Wagner einst weilen die Schlußseite nebst der erwähnten Widmung, was ihm «Nein deshalb möglich war, weil er den Umfang der ganzen Partitur im voraus berechnet hatte und so imstande gewesen war, jede ihrer Seiten zunächst mit den senkrechten Taktstrichen zu versehen. Die Originalpartituren der dramatischen Werke Richard Wagners umfassen insgesamt mehr als 7VOO Seiten. Bedenkt man nun aber noch die strenge Konsequenz von Wagners Arbeitsmethode, derzufolge er bei Ausführung eines jeden Werkes von einem Prosaentwurf ausging und über die Urschrift und eine meist noch folgende Reinschrift der Dichtung zur Kompositionsskizze und schließlich zur Orchesterskizz« fortschritt, um dann erst die Partitur selbst in Angriff zu nehmen, so kann man ermessen, welch un geheure Arbeitsleistung die Niederschrift jener mehr als 7000 Partiturseiten bereits voraussetzt. Was diese Leistung ermöglicht hat, war nicht allein die überragende geistige Krast, über die Wagner verfügte, sondern gewiß auch seine ganz un gewöhnliche nie erlahmende Arbeitsamkeit; denn wie kaum ein Zweiter bestätigte er als Schassender Lessings oft zitierte Worte: „Genie ist Fleiß." Richard Wagner und Dresden Bon Alfred Pellegrini ^^m Vertrauen auf den deutschen Geist" hatte A Richard Wagner sein heißerkämpftes Lebenswerk be- endet, eine schier unfaßbare Menschenaufgabe erfüllt, die durch die begeisterte Hingabe an sein Werk, ja förmliche künstlerische Besessenheit einstmals die gesamte Kulturwelt aus den Angeln zu heben schien. Aus diesem seinem Kreuzwege, den er als Mensch und als Künstler zu gehen hatte, spielen nun Dresden und die mi» dieser Stadt verbundenen Eindrücke eine höchst wichtige Rolle. Obwohl in Leipzig am 22. Mai 1813 geboren, empsing er doch in Dresden die ersten Anregungen seiner Kunst. Als Wagner in den Jahren 1822—1827 als Schüler der Dresdner Kreuzschule in die Geheimnisse der großen Dramen und Dich ¬ tungen Schillers und Shakespeares blicken konnte und die erzählenden Werke der Romantiker kennenlernte, stand es für ihn fest, ebenfalls ein solcher Dichter zu werden. Mit der Musik selbst stand der Junge vorerst nicht auf allzu vertrautem Fuße, was die wenig anerkennenden Urteile seiner oftmals gewechselten Klavierlehrer beweisen, die in dem Sinne einig waren, daß er niemals ein Musiker werden dürfe. Und doch brachten ihm die Dresdner Schul jahre auch den ersten entscheidenden musikalischen Eindruck: Wagner hörte den „Freischütz" des Meisters Karl Maria v. Weber. Musik und Handlung begeisterten ihn so, daß er ausrief: „Nicht Kaiser und nicht König will ich werden, aber so Kästchen und dirigieren!" Durch dieses Berbuudensein erster entscheidender innerer Erlebnisse mit der Dresdner Schulzeit fühlte sich Wagner dann auch immer wieder nach Dresden, trotz aller dort später gemachten enttäuschenden Erfahrungen, hingezogen. Bo» Paris aus, von seiner entbehrungsreichsten Lebensepoche, schrieb er 1810 an seinen Freund Apel: »Dresden ist doch ge wissermaßen meine Vaterstadt, die man lieb haben muß!" Dresden wurde dann ja auch die Geburtsstätte von Wagner- Ruhm, und nach dem glanz vollen Erfolg des »Rienzi" erfüllt sich hier sein Jugend traum, als Webers Nachfolger „so dazustchen und zu diri gieren". Das mangelnde Ver ständnis, dem die hochfliegen den Pläne des Schöpfers von „Holländer",„Tannhäuser"und „Lohengrin" aber dann begeg neten, ließen im Laufe der sechs Dresdner Kapellmeister jahre steigende Enttäuschung und Verbitterung in ihm auf kommen. Und bald machte sich sein Groll über Dresden in den Worten Lust: „DaS eine wird mir immer klarer, daß ich nicht als Dresdner Kapell meister sterben werde." Schließ lich empfindet er es als eine Erlösung, als er nach seiner verhängnisvollen Flucht in die Schweiz am 8. Mai 1819 von dort aus über das in Dresden kennengelernte, ihm zum Ekel gewordene Kunsttreiben schrei ben kann: „Mit nichts kann ich das Wohlgefühl vergleichen, das mich nach Uberstehung der nächsten schmerzlichen Ein drücke durchdrang, als ich mich frei fühlte, frei von einer Welt marternder, stets unerfüllter Wünsche, frei von Verhält- nissen, in denen diese Wünsche meine einzige verzehrende Nahrung gewesen waren." In einem am 26. April 1850 nach Dresden gerichteten Briese liest man: „Ach, wenn mich nur kein Mensch mehr um den Verlust meiner Dresdner Stelle bedauern wollte! Wie wenig kennen mich die, die diesen Verlust für mich als ein Unglück ansehen." Arthur Schopenhauer, der Philosoph des Pessimismus, der ihm nun wie ein Himmels geschenk gekommen war, der in ihm „in furchtbarem Ernst, aber einzig erlösend" die end liche Verneinung des Willens zum Leben auslöste, kristalli sierte und reifte seinen Geist zugleich aber auch zur Be jahung des Daseins seiner Künstlerschaft, die jetzt als Reaktion in der reinen Zu neigung zu Mathilde Wesen« donck das hohe Lied der Liebe „Tristan und Isolde" ent stehen läßt. In dieser Resignation be ginnt bereits im Jahre 1854 Wagners Zorn über Dresden wieder langsam zu schwinden. Am 26. März schreibt er aus Lon don bei Gelegenheit der dortigen Ausführung der 9. Sinfonie von Beethoven: „Chöre miserabel! Hätte ich meinen Dresdner Palmsonntagschor!" — Nach wiederholten, dnrch Mittelspersonen befürworteten Amnestiegesuchen WagnerS, wurde endlich die Rückkehr auch nach Sachsen bewilligt, wie am 29. März 1862 im „Dresdner Journal" amtlich berichtet wird. Am 3. November desselben JahreS trifft der Meister zum ersten Male wieder in Dresden ein und stattet dem Premier minister von Beust seinen mit „lächelnder Eleganz" auf genommenen Dankbcsuch ab. Auch seine sonstigen Dresdner Beziehungen nimmt er persönlich wieder auf, aber er findet wenig Gegenliebe. Vieles wirkt verändert und befremdend. Er kann sich infolgedessen nicht entschließen, seinen für längere Zeit beabsichtigten Aufenthalt zu verwirklichen. „Ich durch- schritt die Straßen, welche zunächst den Eindruck einer großen Langweiligkeit und Leere auf mich machten, da ich sie zuletzt in dem phantastischen Zustand mit Barrikaden bedeckt gesehen hatte, wo sie sich so ungemein interessant ausgenommen hatten." Auch das Verhältnis zu seiner Frau Minna Planer vermochte sich nicht zu entspannen, so daß er bald wieder nach Süddeutschland abreiste, um, jetzt doppelt niedergeschlagen, ganz vom Schauplatz der Weltbühne zu verschwinden. Da erreicht ihn am 2. Mai 1864 im „Hotel Marquardt" in Stuttgart die erlösende Berufung des jungen Königs Ludwig II. von Bayern nach München; gerade in dem Augen blick der höchsten Verzweiflung. Mit Dresden waren die angeknüpften Fäden wieder stark gelockert, wenn er auch einige treue, von seiner Kttnstlerschaft 25. Januar 1866 erreichte ihn in Marseille die Nachricht vom Tode seiner in Dresden verstorbenen Gattin; er erwiderte da mals darauf: „Ruhe, Ruhe, dem furchtbar gequälten Herzen der Bejammernswerten! Dank allen, die meinem armen traurig-seligen Weibe letzte Liebe und Ehre bezeigten." Am 21. Januar 1869 gelangten die „Meistersinger" unter Hofkapellmeister Rietz in Dresden zur erfolgreichen Erst aufführung; am 21. September desselben Jahres brannte das Hoftheater mit allen Dekorationen und Requisiten ab. Im März 1870 wird in WagnerS Gedankenkreis zum ersten mal der Name Bayreuth genannt. Der siegreiche Krieg mit Frankreich verstärkte auch WagnerS schon zweimal in Dresden und München vergeblich versuchtes Bemühen, ein „DeutscheS NationalopernhauS" zu gründen, nun immer mehr. Am 24. April 1871 kommt er mit seiner Gattin Cosima in übermütiger Frohlaune plötzlich nach Elbflorenz, um nötige Beziehungen anzubahneu und lädt nach der von Pusinelli vermittelten Gründung eine- „Dresdner Richard-Wagner- BereineS" auch 1872 die Mitglieder der Dresdner Hofkapelle Schubert, Lauterbach, Rühlmann und Queißer zur Grund- steinlegmtg de- Bayreuther Festspielhauses ein, indem er be merkter „ES wäre doch fatal, wenn ich die ersten Orchester Deutschlands anmelden kann und die Dresdner Kapelle mit Achselzucken übergehen müßte." Auch in den folgenden Jahren 1873—1878 war Wagner oft in Dresden, wo seine Werke immer begeisterter aufgeführt wurden. Die alte Streitaxt war begraben, und man wurde sich in Dresden allmählich der Bedeutung Wagners bewußt. Zum letzten Male weilte Wagner am 5. September 1881 dort, wobei er anläßlich einer zahnärztlichen Behandlung bei vr Jenkins mit Gemahlin und Kindern im Hotel Bellevue abstieg. Am 6. September besuchte er eine Ausführung des „Fliegenden Holländers" mit Therese Malten als „Senta", am 11. September daö Grab Karl Maria von Webers, dessen sterbliche Überreste er einst 1844 von London nach Dresden hatte überführen lassen. Dann zeigte er den Seinen Losch- witz, Pillnitz und Großgraupa, wo er einst den „Lohengrin" schuf. Am 13. September 1881 verläßt Wagner Dresden, um nach Palermo zu reisen. Dort vollendete er seinen „Parsifal" als Bekenntnis keines aus höchster Stufe angelang ten Künstler- und Menschentums. Im November 1881 und im März 1882 richtete Wagner von dort aus Einladungs schreiben an Therese Malten und den Tenoristen GudehuS i» Dresden, bei den kommenden Parsifalausführungen in Bay reuth mitzuwirken. Die wohl letzte Erwähnung Dresden- im Schriftwechsel Wagners ist eine Nachricht vom Dezember 1882, in der er mitteilt, daß kürzlich in Dresden die Stimme» zu seiner Jugendsinfonie aufgefunden worden seien, aus denen der Kapellmeister Anton Seidl eine Partitur zusammeu- wagners Grerbesofa tm Palazzo Vendramin fest überzeugte Freunde und Anhänger dort befaß. Am gestellt habe. Bekanntlich führte Wagner Weihnachten 188S diese C-dur-Sinfonie in Venedig auf, wenige Wochen bevor er im Palazzo Vendramin für immer die Augen schloß. Dresden aber, das in der künstlerischen Entwicklung Richard WagnerS und seines Lebenswerkes eine solch be deutsame Stellung eingenommen hat, wurde sich fortan auch seiner Pflicht einer hohen kulturellen Mission bewußt und stellte sich stet- mit restloser Hingabe in den Dienst der Erfüllung dieser ehrende« Aufgabe. Palazzo Vendramin in Venedig, die Stätte von Wagners Tod <!em 8t«<Umo»e«mi Die Dresdner Rreuzschule, die Wagner als Gymnasiast besuchte