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Sächsische Volkszeitung : 19.06.1937
- Erscheinungsdatum
- 1937-06-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-193706192
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19370619
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19370619
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1937
-
Monat
1937-06
- Tag 1937-06-19
-
Monat
1937-06
-
Jahr
1937
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 19.06.1937
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Sonnabend/Sonntag. 1S./L0. Juni 1SS7 Söchfische Dolkszellung Nummer 141, Seite 8 Religion des V Leopardi ist unter den groben Dichtern Italiens viel leicht der einzige, der sich mit vollem Bewußtsein von der Reli gion losgelöst hat. Auch er vollzog diese Lösung gewiß nicht mit frivoler Leichtigkeit, sondern klammerte sich noch lange Zeit an den Gedanken einer Identität von Natur und Gottheit, ehe er sich zur unbedingten Alleinverherrllchung der „Natur" etwa im Sinne des französischen Sensualismus entschloß. Ein leicht herziger Spötter ist er auch dann nicht geworden — denn nun fiihlte er sa innerhalb seiner entgotteten Welt erst so recht die volle Grausamkeit des gleichsam zur Ersatzgottheit erhobenen kosmischen Prinzips und stiirmte denn verzweifelnd weiter auf dem Wege der Negation, bis er geradenwegs zu einer Art R e - ligion des Nichts gelangt war Hätte ihm die, wenn er länger am Leben geblieben wäre, wohl auf die Dauer genügt? Wir ivittzten es nicht zu sagen, aber das eine möchten wir doch meinen, daß die in Leopardis persönlichen Aeußerungen durch g.'le Bitterkeit im einzelnen immer stärker durchleuchtende Teil nahme am Schicksal seiner menschlichen Leidgefährten sich in seiner so vieler Zartheit und Wärme fähigen wie bedürftigen Seele immer stärker befestigt haben würde. Und vielleicht würde ihn diese Liebe zur Kreatur auch einmal zur Gottesminne zu- riickgefiihrt haben! Jedenfalls ist des Dichters Lösung von der Glaubenstradi tion sdie ihn übrigens nie davon abhielt, mit Kirchenfestnamen zu datierens, gutenteils in der besonderen Gestaltung seiner Lebensumstände begründet: als ein nichts weniger als fügsamer Geist zu entschiedener Opposition gegen den Geist des eigenen Vaterhauses eingestellt, sah er sich gerade einem in allen, auch religiösen, Belangen streng konservativen Familienregime gegen übergestellt. Del Manzoni waren die Dinge genau umgekehrt gelegen: die Umgebung, In welcher der Dichter der „Verlobten" aufwuchs, trug ein ausgesprochen freigeistiges Gepräge und er gewann sich den Glauben auf ganz persönlichem Wege. Die Wichtigkeit dieses Unterschiedes Ist nicht zu unterschätzen. V!« ArniMe Mit Leopardis Kampf gegen die Tradition seiner Familie hatte es aber folgende Bewandtnis: In Recanati, diesem freund lich-geruhig auf die unferne Adria niederschauenden Landstädt chen unweit des Gnadenorts von Loreto, waren die Grafen Leo pard! die Ersten Im Range, ihre Vermögensverhältnisse waren jedoch nicht die besten, und es bedürfte der ganzen fanatischen Sparsamkeit von Giacomos Mutter, einer geborenen Marchesa Antlci, um nur eben die unumgänglichste „Repräsentation" im würdig-kahlen Familienpalast des Geschlechts ansrechterhalten zu können. Wirtschaftlich hochgekommen ist auch die jüngere Gene ration der Familie nicht mehr: der dem Dichter im Alter zu nächststehende Bruder Carlo schloß früh eine den Eltern wenig zusagende Liebesheirat: die geistig sehr regsame Schwester Paolina, um deren Versorgung sich auch Giacomo so redlich ge müht hat und mit deren nie verwirklichter Hochzeit sich sogar eines seiner bekannteren Gedichte beschäftigt, blieb zeitlebens unvermählt (durfte aber trotzdem erst nach dem Ableben der Mutter aslein spazieren gehen): und unser Dichter selbst sah sich, obsckon frühzeitig in der wissenschaftlichen und literarischen Welt zu Ansehen gelangt, ebenfalls stets vom Tisch des Reichtums ausgeschlossen, so sehr ausgeschlossen, daß er beständig tätiger Beihilfe von Freunden bedurfte, um überhaupt ein bescheidenes Auslangen finden zu können. Wenn also der Vater Monaldo, ein immerhin geistig nicht ganz durchschnittlicker, sogar selbst literarisch etwas tätiger Provinzedelmann, seinen begabten Aeltesten solange mit sanfter Gewalt in der Heimat festhielt, bis ihm endlich das Anerbieten eines großzügigen Mailänder Verlegers einen ersten Weg ins Freie öffnete, so lag das doch nicht allein in egoistischen Motiven begründet, die gewiß auch mit vorlagen, da der Vater auf den täglichen Umgang mit Gia como nun einmal nicht freiwillig verzichten wollte, sondern die Familie verfügte einfach nicht über die für den Unterhalt eines Familienmitglieds außer Haus erforderlichen Mittel. So verständlich dies alles für uns ist: für Giacomo war die lange Bindung an das geistig wenig lebendige Städtchen eine Qual und ein Grund zu lebhaftester Antipathie auch gegen das arme Recanati selbst, die erst in seinen letzten Lebenswochen einigermaßen nachzulassen schien denn damals dachte der Dichter nach langer Abwesenheit doch recht gern wieder an einen Besuch daheim. Seine schwierige Finanzlage durch Eintritt In einen Beruf zu erleichtern, hat sich Leopard! übrigens doch auch nie entschließen können, zumal für die ihm noch am meisten zu sagende Tätigkeit an der vatikanischen Bibliothek seine Zu gehörigkeit zum Priesterstand als Voraussetzung gestellt worden nmr. Hier sprach, ebenso wie dabei, daß er nie an Verheiratung dachte sund auch seine mannigfachen, früh erwachten Liebes regungen blieben fast immer unerwidert!), sein körperlicher Zu stand stark mit: von Haus aus leicht verwachsen, im übrigen gewiß nicht unschön, ein wenig an Schiller gemahnend, hatte er durch allzu frühe geistige Ueberanstrengung seinen Körper so ge- schwächt, daß er nie mehr ganz gesund geworden ist. Es fehlte, wie man sieht, In seinen Lebensumständen also gewiß nicht an Vestlmmgrllndcn zu einer melancholisch-pessimistischen Welt auffassung! Freundschaft und Wertschätzung blieben Ihm aber doch nicht versagt. Man braucht nur die Sammlungen seiner schönen Briefe durchzublättern, um sich davon zu überzeugen, daß Gia- Da» „Amen" der Luftschiffes Hindenburg Au» der Leichenrede de» P. Paul Schult« bel d«r Trauerst!«» in Newyork. „Ich habe vor Jahresfrist mit Genehmigung des Hl. Vaters die erste heilige Messe auf dem Luftschiff .Hindenburg" gelesen. Das war seit Bestehen des Christentums die erste hl. Mess« in der Luft überhaupt. Ick, habe die erste Predigt auf «inem Luftschiff in- der Lust gehalten. — Und nun halte ich di« letzte für di« .Hindenburg. Di« Einleitung dieser letzten Pr«. digt soll dieselbe sein wie die der ersten Predigt vor einem Jähre. Es ist «Ine historische Stunde. Die erste heilige Messe auf dem Lande hat der Heiland selber gelesen. Die erst« heilige Messe auf dem Wasser hat wahrscheinlich St. Peter oder St. Paulus gelesen. Dann haben wir 1900 Jahre warten müssen, ehe die erste heiltge Messe in der Lust hat gelesen werden können und dürfen. Es war vor Jahresfrist, als der Hl. Bater mir die Erlaubnis gab, auf dem deutschen Luftschiff „Hinden burg" diese historische Stunde zu begehen. Wir waren damals alle erfüllt von der Bedeutung dieser Stunde. Wir waren stolz, daß wir diese Stunde erleben dursten. Und heute er leben wir wieder «ine historische Stunde: sie ist anderer Art. Diese Stunde ist auch eine göttliche Stunde. Damals, als ich die erste heilige Messe auf der „Hindenburg" feierte, wo der Heiland selber auf den mit Blumen geschmückten Altar der ..Hindenburg" herniederstieg, war auch eine göttliche Stunde. Ein« heilige Messe Kan» man nur anhären im Geist« des Glaubens, nicht mit dem Geiste «Ines Skeptikers. Sie bedeutet, daß Gott wahrhaftig und wirklich unter den Gestalten von Brot und Wein herniedersteigt. — Und auch heute ist eine gött liche Stunde. Gott hat uns in dieser Trauerstunde etwas zu sagen. Es ist der Gedanke an den Tod, der uns in den Trümmern des stolzen Luftschiffes und in den 38 Särgen ent- gegentritt. Wir fürchten den Tod nicht, aber wir fürchten den, d -L- / Sin Nachwort / zum 100. Todestag » Giaesino Leopard!» eomo Leopard! viele nahe Freunde hatte, unter denen aller dings nur wenige seinem geistigen Flug ganz zu folgen vermoch ten. Und auch manchen starken Widerhall seiner Werke hat er schon selbst erleben dürfen, seiner dichterischen sowohl als seiner wissenschaftlichen: denn man darf nicht vergessen, daß er, ob schon reiner Autodidakt, es in der klassischen Philologie so weit gebracht hat, daß ihn ein Kenner wie B. G. Niebuhr als einen Gelehrten von ungewöhnlicher Bedeutung ansah, den persönlich kennenzulernen ihm sehr wichtig war. Später wurde ihm denn auch von deutschen Freunden sogar eine Bonner Professur an geboten. Wir haben damit zugleich nun ein neues wesentliches Element der Leopardischen Geisteshaltung angedeutet: seine ganz starke Verbundenheit mit der Antike, die übrigens durch eine gründliche Uebersicht der italieniscken Dichtung und Forschung, der französischen Philosophie und Literatur wie auch des deut schen Geisteslebens nock wirksam ergänzt ward. Zwar schöpfte er sein Urteil Uber die Deutschen zum Teil aus indirekten Quel len, aber zumindest mit der deutschen Wissenschaft stand er ans unmittelbar vertrauten, Fuß und hat auch seinesteils, wie z. B. Aeußerungen Bachofens und Schopenhauers (der sa vollends in ihm die gleichgestimmte Seele begrüßte) erweisen, sehr bald in Deutschland verständnisvolle Leser gesunden. Wie denn vielleicht in keiner anderen Sprache überhaupt ein so tief von Erkenntnis und verstehender Liebe durchleuchtetes, dabei aber auch als bloße Lektüre erquickendes Buck über Leavardi aeschrieben worden ist wie das von Voßler -München 1922). Auch deutsche Ueber- setzungen seiner Hauptwerke erschienen früh. Dee» Venkev Wer näher vor allem an den Denker Leopard! heran kommen will, wird freilich doch an die italieniscken Orininal- ausaaben Herangehen und. wenn er auch den gesamten Brief wechsel des Dichters zu übersehen wünscht, sogar noch einige Geduld walten lallen wüsten, denn Leovardis Briefe sind bisher Immer noch nicht vollzählia veröfkentlicht. im Gegensatz zu den Notizenbüchern. dem „Zibaldone", dessen 4500 eng- beschriebene Blätter zu Ende des nennrehnten Iakrhunderts un ter dem Titel „Pensierl di varia filososia e di bella letteratura" in sieben Bänden herausgegeben worden lind. Von diesen gewaltigen Brief- und Notizenkonvoluten abgesehen. Ist die literariscke Hinterlassenschaft Leopardis dann auch gar nicht mehr so besonders umfangreich, namentlich, wenn man von den philologischen Spezialarbeiten und jenen weitschichtigen Elabo- rvas hat -er In keiner anderen Stadt haben deutsches Schaffen und deutsches Wollen so tiefe Spuren hinterlassen, wie im ewigen Rom. Gregorovius sagt mit Recht: „Rom ist ein un auslöschlicher Ruhmestitel für die deutsche Nation. Die mittel alterliche Geschichte der ewigen Stadt ist ein untrennbarer Be standteil der Geschichte Deutschlands selbst." Es wäre nicht schwer, hier ein« lange Liste deutscher Persönlichkeiten zu nennen, di« im Laus« von zwölf Jahrhunderten im Süden geistig führend gearbeitet haben. Sozusagen jedes Jahrhundert hat seinen Beitrag gegeben auf allen Gebieten von Wissenschaft Kunst, Technik, Industrie und Politik. Doch wir wollen viel mehr ideengeschichtlich den deutschen Genius auf seinem Gang durch die Geschichte Roms begleiten, um klar zu sehen und das Verhältnis der beiden Kulturen, die der Menschheit die unvergänglichsten Werke geschenkt haben, gerade aus ihrer harmonischen Verbindung heraus bester würdigen zu können. Greifen wir zurück in die Geschichte Italiens! Auf den Schutthalden des alten römischen Reiches er blühten neben romanisch-germanischen Mischstaaten rein ger manische Staatswesen mit unzähligen Keiinzellen germanischer Kultur in Italien. Während aber die arianischen Goten im untergehenden römischen Imperium, ungeachtet der großen politischen Erschütterungen, die sie ausgelöst haben, spurlos, ohne kulturelle Nachwirkungen zu hinterlassen, verschwunden sind, ist der deutsche Genius, nachdem der Franke Chlodwig durch den Uebertritt zum Katholizismus die vom Arianismus zwischen Germanien und Rom gezogenen Schranken des Na- tionalkirchentums niedergerissen hatte, gerade durch die An nahme des Christentums in seiner katholischen, allumfassenden Gestalt auf ein Jahrtausend die Vormacht des Abendlandes geworden. Bis in den tiefsten Süden Italiens finden wir erner schon im frühen Mittelalter langobardisä)« Kloster- tiftungen, deren Bedeutung nicht bloß auf politischem Gebiete ag, sondern vielmehr auch darin, daß durch sie eine Reil)« von germanischen Rechtsauflastungen in die Organisation der römischen Kirche und ihres Ordenswesens eingcdrungcn sind. Als noch das übrige Italien teilweise im Halbdunkel lag, haben langobardisch« Fürsten in Spoleto und Salerno Mittel punkte van Wissenschaft, Dichtung und Kunst geschaffen. Wie der uns nach dem Tode entgegentritt. Aber noch etwas anderes hat m,s diese göttliche Stunde zu schien: Es ist der Gedanke an das Wiedersehen nach dem Tode. Denn wir sind nicht, wie es In der Totenmesse heißt: „Wie diejenigen, die an kein Wiedersehen glauben." Und diese Stunde ist auch eine Stunde der Liebe. Die erste hl. Messe vor «inem Jahre habe ich gelesen für alle Men schen, und besonders für alle Nationen, die auf dem Luftschiff vertreten waren. In dieser heiligen Stunde der Liebe wollen wir aller gedenken, aller ohne Ausnahme im Gebete gedenken, die bei diesem furchtbaren Unfall ihr Leben gelassen haben. Unsere Gebete sollen «in« Brücke der Liebe in die Ewigkeit schlagen. Und wir wollen beten zu Gott: „Herr, gib ihnen die ewige Ruhe". — Wir wollen über auch in Liebe derer gedenken, die noch in den Hospitälern von Newyork und Newjersey darniederliegen, auf daß sie genesen mögen. Ebenso schließen wir di« Angehörigen aller derjenigen in unser «lebet ein, welche di« letzte Fahrt der .Hindenburg" mitgemncht haben. Diese Stunde soll auch eine Stunde des Dankes sein. Eine Stunde des Dankes an Kapitän Lehmann und seine Be satzung, die nicht mehr unter uns weilen. — Eine Stunde des Dankes an den letzten Arbeiter, der an diesem Werke mit gearbeitet hat. Wir wollen ihrer nie vergessen. Diese Stunde soll auch eine Stunde der Hoffnung sein. Wir stehen vor der Asche des Luftschiffes, und wir stehen vor 35 Särgen. Aber trotz der Zerstörung des Luftschiffes glauben wir an den Fortschritt und di« Entwicklung weiterer Luftschiffe. Die 35 Toten bedeuten für uns eine fünsunddreißlalache Mah nung heiligster strengster Pflichterfüllung bis zum Tode Und so schließe ich diese letzte Predigt der „Hindenburg" mit einem Amen, das dos Luftschiff nicht mehr sggen kann. Das Amen kann nicht mehr kraftvoll in den Acther k'nans- geschmettert werden von den 4000-PS.-Motoren der „Hinden burg". Das Amen kann auch nicht niehr gesagt werden von etwa 20 Mitgliedern der tapferen Besatzung. Sie sagen das Amen in der Ewigkeit. Möge das Amen ein glückliches sein; möge da» Amen die Anschauung Gottes sein, und möge der ganz« Himmel antworten: Lux aeterna luceat eis." raten absieht, die der frühreife Humanistenzögling über die wun- derlichsten Gegenstände mit schwerblütiger Gelehrsamkeit, aller dings doch nicht ohne Geist und Selbständigkeit der Ansichten, versaht hat. Leopardi hat eben niemals sprunghaft und hastig gearbeitet, gerade auch als Dichter nicht, so wenig auch die leicht schwebende Grazie, die seine Lyrik wie seine, trotz aller Me- sancholie so anmutige, geistvolle Prosa durchwaltet, auf den ersten Blick die darauf verivandte kritisch feilende Arbeit erken nen läßt. In Versen hat er neben den längeren, idyllisch-elegi schen Dichtungen, auf denen ja sein Poetenlum vor allem be ruht. eigentlich nur noch eine politisch-satirisch vermeinte Tier- fabej geschrieben, und als Proben seiner großen aphoristischen Begabung, die im „Zibaldone" zu so reicher und vielseitiger Ausprägung gelangt, hat er selbst nur 101 „Pensieri" m die Oesfentlichkeit gelangen lassen. Daß so streng autobiographische Aeußerungen wie ein von ihm mit gewisscnhastcster Tatsachen- treue im Alter von 19 Jahren ausgezeichnete Tagebuch seiner ersten Liebe erst nach dem Tode seines Testamentsvollstreckers herausgegcbcn worden sind sdie Woldesche Auswahlausgabe bringt aber bereits eine Uebersetzung dieser seltsam aufschluß reichen Arbeit), der wird ja schjießlich begreifen können, so zu rückhaltend und zart der Dichter auch stets über alles Per sönliche referiert. Uebrigens griffe man fehl, wenn man an nähme, daß der Dichter von Recanati ein völlig in sein eigenstes Privat- und Gefühlsleben verkapselter Eremit oder gar Solipsist gewesen ist: er hat seiner patriotischen Oden wegen schon früh genug das Mißfallen der österreichischen Polizeibehör den in der Lombardei erweckt, und im „Zibaldone" stehen neben den düstersten Negativismen seiner metaphysischen Betrachtungen zahllose Helle, freundliche und kluge Dinge nicht nur über den menschlichen Eharakter und die menschliche Gesellschaft, sondern auch über Iugendbildung, Staat und Nation, deren Grundton und Willensrichtung man oft genug geradezu als kraftvoll, aktivistisch, zuweilen sogar heroisch, ansprechen kann. So ist denn Leopardi, wenn auch als genialer Lyriker der Schwermut und Weltverneinung längst voll gewürdigt, als geistige Gesamt potenz immer noch nur wenigen bekannt, und selbst die gelehrt« Forschung über ihn ist noch so wenig in allen Stücken zu einem endgültigen Schlußurteil gelangt, daß man das zum hundert sten Gedenken seines Todestages — an dem selbst übrigens dem toten Dichter der kirchliche Segen keineswegs versagt blieb — angekündigte Buch Luigi Tonellis mit wachem Intereste erwar ten darf: versteht es doch der nun schon als Biograph Man- zonis, Petrarcas und Tassos gleichermaßen bewährte italienische Literarhistoriker wie wenige andere, Probleme ins klarste Lickt zu rücken und unbefangen allseitig zu erörtern, ohne dabei je Welenszusammeagehöriges vernunststolz zu zerlösen oder die natürliche Einheit zwischen einer Persönlichkeit und deren schöpferischem Tun zu sprengen. Genius Noin glänzte später, um nur einen Ort herauszunehmen, Mont« Cassino als Mittelpunkt der Kultur, als Desiderius, oder Dan- ferius mit seinem langobardischen Namen, der spätere Pastst Victor III-, diese ehrwürdige Pflanzstätte der Wissenschaft un Abendland als Abt leitet«. , , Wenn wir uns heute des Ernstes der römischen Liturgie freuen mit ihrem klassischen Formgehalt und ihrer unerreichten sakralen Würde, so wollen wir nicht vergessen, daß bald nach Karl dem Großen ein Einbruch der fränkischen Liturgie auf römischen Boden erfolgte, der eine volle Umwälzung herbei- führte. Was wir heute römisck« Liturgie nennen, ist bereits In vielen Teilen vom deutscl>en Genius im 9. Jahrhundert mit geformt worden. Zahlreiches germanisches Gut wurde so in das Ritualbuch der Gesamtkirche hinübcrgeleitct. Mittelpunkte dieser Umformung waren die Bistümer am Rhein und jenes in Salzburg. Dieses Ineinanderarbeiteo beider Kulturen erreichte unter den Ottonen und ersten Saliern in den Jahren 959 bis 1050 seine höchste Stufe, wie uns auf künstlerischem Gebiet die Buchmalerei der Ottonenzeit beweist. Damals war die Vereinigung von südländischer und ger- manisä)«r Kraft, von Rom und Deutschtum, am iveitestcn gereist. Aber da kommen wir auf eine Zeitepoche deutscher Ge schichte, die von vielen als der stärkste Beiveis der Gegensätzlich keit von römischem und deutlciunn Wesen hingestellt wird. Ein ganzes Fragenbündel öffnet sich, wenn wir in unseren Tagen nur dieses Wort aussprechen: RömischesReich deutscher Nation. War diese Idee tatsächlich für das deutsche Volk eine Belastung mit fremdem Kulturgut, oder wurde nicht viel mehr durch die Krönung Karls des Großen in Rom und die Uebernahme des deutsclnm Schukrechtes für die römische Kirche dem uralten germanisch-nordischen Unendlichkeitsdrang, dem grenzenlosen deutschen Crobcrungswillen, ein weltweites Ziel gestecht: das universelle christliche Weltreich? War nicht diese Epoche, wenigstens in ihren ersten Jahrhun derten. gleichbedeutend mit dem größten weltgeschichtlichen und außenpolitischen Einfluß des deutschen Volkes? Wurde dieses Jahrtausend etwa ein Verhängnis für die römisch« Kirche und die ganze Entwicklung des Christentums? Hat vielleicht diese starke Bindung von Rom und Deutschtum dazu beiaetragen, den christlichen Orient Rom zu entfremden, da die Völker des Ostens in dieser kirchlich und weltlich gemilchten politischen Gewalt einen Mittelpunkt zur Verbreitung und Aufdrängung abendländischer, fremder Kultur erblicken konnten? Wir müssen bei der Beurteilung dieser Zeitcpoche vor allem beachten, daß die römische Kirche damals noch nicht jene zentral ausgebaute oberste Leitung aller religiösen Belange hatte, die erst viel später mit den K u r i a l re f o r nie n de» 15. und IS. Jahrhunderts, an denen die Deutschen nickt un wesentlich bcteiligt waren, immer stärker hervortrat. Es ist deshalb ganz verfehlt, den Kampf der Hohenstaufen gegen Rom als eine Auflehnung des freiheitsliebenden deutschen Genius gegen den römischen Zentralismus zu bezeichnen. Nicht Rom zentralisierte, sondern gerade die deutsche Kaisergewalt ver suchte das Reich zentralistisch stärker umzusormen, eine Ent wicklung, die nicht von Rom aus, sondern nur durch di« Sonderbestrebungen der Lchcnsfürsten und durch den Partt- kularismus gestört wurde. Jedenfalls hat Rom am Kampf gegen die Zentralisierung der deutschen Rcichsgewalt und da mit an der Zerschlagung der Reichseinheit keinen Anteil gehabt. Wenn wir leidenschaftslos diesen ganzen Zeitabschnitt deutschen Ringens überschauen, so wüsten wir vielmehr di« überraschende Tatsache zugestehen, daß gerade in dieser Zeitepoct)« ständiger Kämpfe und Kompetenzstreitig- kciten von Kirä)« und Staat das Deutschtum in Italien und besonders in Rom an der päpstlichen Kurie führend und gebend, anregend und nicht empfangend gewesen ist, «in Beweis, daß es sich in diesen politischen Kämpfen um keine arlhaft bedingte Antitl>ese van römis<l)ein und germanischem Menschen handelte. Sonst wäre diese Harmonisierung der beiden Kulturen in einer Kampfperivdc niemals vollzogen worden. Der kulturelle Einfluß des denlschen Genius auf Rom mar damals, ungeachtet dieser politischen Spannungen, viel stärker als jener der römiscl)«» Kultur, die in diesem Jahr- hundert immer mehr von ihren ursprünglichen Bestandteilen auslöste und unter dem Einfluß germanischer Ideen auf allen Gebieten die Einheitskultur des Abendlandes mitgestalten half. Niemand hat so viel zu dieser Entwicklung beigesteuert als gerade der deutsche Genius. Wenn Irgend ein Abschnitt der Geschichte, so verlangt des halb gerade dieser eine geistige Hochwart«, um ein Urteil zu
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