Suche löschen...
Sächsische Volkszeitung : 10.04.1937
- Erscheinungsdatum
- 1937-04-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-193704105
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19370410
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19370410
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1937
-
Monat
1937-04
- Tag 1937-04-10
-
Monat
1937-04
-
Jahr
1937
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 10.04.1937
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Thomas Morus an Gonellus Sz>ätinittel<rlterlr^es Ehe-Büchlein Ein heute unbekannte« lvevk -es Albvecht vsn Eyb Viele KeM vercisnllon sßrvn /lul8vi>t«ung äor «VIIIHI! Es Ist merkwürdig, daß das Schönste, was in deutscher Zunge über die El>e gesagt wurde, geschrieben steht in eines Domherren Buch: im Ehebiichlcin des Albrecht von Eyb. der 1475 zu Eichstätt starb. Das Geschlecht derer von Eyb zählt zu den ältesten fränkischen Adelsgeschlechtern und an vielen Kirchen und Toren Frankens prangt noch deren Wappen, die drei Pilgermuschcln. Die von Eyb waren kein abenteuerndes Geschlecht, sondern sic dienten in ruhiger, treuer Pflicht erfüllung dem Vaterland, sei es im Herrendienst als Krieger oder Beamte, sei es in geistlichen Aemiern. Heute noch blüht das Geschlecht. sächlich Im Erteilen von Rechtsgutachtcn für den Bischof vo8 Eichstätt und den Markgrafen. Es sind von ihnen genügend viele erhalten um den Stil seiner amtlichen Stücke mit dein der literarischen Schriften eingehend vergleichen zu können, und mit Befriedigung stellen wir fest das; sie vollkommen im Ton einer kunstgemäßen Prosa abgefaßt sind, so das; er Stellen dar aus sogar in seine Werke übernimmt Sie betreffen meist Geld sachen, Testamente und Pfründen: am stärksten aber tritt das Gebiet der E h e t r c n n u n g e n und Eheungültig erklärung in den Vordergrund. Auf diesem Gebiet erwarb er sich die tiefe Kenntnis von Glück und Unglück in der Ehe, die ihn befähigte, das „Ehebüchlein" zu schreiben. Die äussere Geschichte der lebten Zeit seines Lebens ist uns wenig bekannt: er lebte in Eichstätt, war aber sicher auch oft in Bamberg, wo er seinem Lieblingsheiligcn Sebastian eine Kapelle gestiftet hatte. Von seinem Tode geben die einzige Kunde die einfachen Warte Ludwigs: „mein bruder seligen Her Albrecht ist von dieser wellt abgeschieden an sant Iacobabent anno Domini im I.XXVten Iar" s— am 24. Juli 1475s. Sein Grabltein Ist nicht erhalten, wohl aber ein Bild aus einem Eybschen Ehrenmal im Dom zu Eichstätt. Ein Holzschnitt aus einem Druck des „Spiegels der Sitten" von 1511 gibt uns ein gutes Bild von Ihm. Die Nachwelt vergas; ihn bald, obwohl seine Werke leben dig blieben und immer neu gedruckt wurden. Erst bei der Wiedererweckung der alten deutschen Literatur am Beginn des 18. Jahrhunderts wurde man wieder aufmerksam auf den Reiz seiner Sprache, und jede Literaturgeschichte erwähnt jetzt seine Werke. De« -ickten-e Donihe«« Zwei Verdienste hat Albrecht um die deutsche Lite« ratur: er hat als einer der ersten die neu erschlossene Welt der Römer und Griechen seinen Landsleuten bekannt gemacht; dann aber hat er die Sprache in der Erzählungskunst aus den Fesseln einer überlebten Zeit besreit. Seine ersten Werke waren lateinisch abgefaßt. so auch ' das Werk, das seinen Namen zuerst bekannt machte, die „Mar garita poetica" Es ist ein Nachschlagewerk, eine Sammlung der schönsten Aussprüche der Alten über Lebenskunst und über die Kunst der Beredsamkeit. Es hat unendlich viel dazu bei getragen. den geistigen Horizont der Zeit zu erweitern. Kurz vor seinem Tode beendete er noch ein Werk ähnlichen Inhalts, aber deutsch geschrieben, den „Spiegel der Sitte n". doch ist dies in scholastischem Sinn geschrieben und hatte nickt an nähernd den Erfolg der „Margarita". Auch als Uebcrsetzcr hat er sich glänzend bewährt und seine Uebertragung kreier Lustspiele des römischen Dichters Plautus stehen kür unseren Geschmack hoch über dein Hausen der Uebersetzungen keiner und der folgenden Zeit. Die handelnden Personen sübren gute deutsche Namen und sprechen nickt nur. sondern emnkinden auch deutsch. Namentlich macht der Ersatz der vielen Svrickwörter und Sentenzen durch Schmuckstücke aus der deutschen Svrach- und Spruckweisheit diese Uebersetzungen zu einer Fundgrube deutscken Sprackgutes. All seine Werke aber übertrifft an innerlichem, durch die Jahrhunderte hindurch gleichgebliebenen Wert und durch seine bahnbrechende Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Prosa das Büchlein: Ob einem manne sey zu »einen ein eelichs weyb oder nicht — ein Werk, das zu den schönsten Büchern der beginnenden neuen Zeit gehört. Schon die Titel der einzelnen Kavitel geben uns ein Bild seines reichen Inhalts. Sie lauten: Von der Liebe und Treue der Eheleute: von Schönheit und Ungestalt der Frauen; von Lieb' und Sorge um die Kinder: von Heiratsgut: Wider wärtigkeit der Ehe zu dulden. Die Antwort, daß ein Weib zu nehmen sei. Dak man Jungfrauen zur rechten Zeit Männer geben soll. Wie sie sich halten sollen In Abwesenheit des Man nes. Lob der Ehe, Lob der Frauen. Wie die Wirtschaft und Mastmahle seien zu halten. Von ellend und Krankheit und daß kein Sünder verzweifeln soll. Reform in Sachen -ev Liebe un- Ehe Eine deutsche Schrift Uber die Ehe ist vor 1450 nicht be kannt. Der moralische Zustand der Gesellschaft in Sachen der Liebe und Ehe war damals auf eine tiefe Stufe gesunken, und Franken sNiirnberg vor allem) machte hierin keine Ausnahme. So mochte es Eyb als Pflicht erscheinen, hier nicht nur al« Richter geschehenen Unheils zu wirken, sondern als Mahner dem Unheil vorzubeugen. Er tut das aber nicht als eifernder Moralprediger, sondern redet, wie ein liebevoller Aelterer zur Meine Töchter sotten durch dieses Sendschreiben immer mehr überzeugt davon werden, was sie zum Endzweck aller ihrer Kenntnisse machen und dak sie unter allen Früchten ihrer Arbeiten keine andere für wünschenswert halten sollen als diese einzige: Gott stets zum billigenden Zeugen und das gute Gewissen zum häuslichen Freunde zu haben. Dadurch werden sie in der Kunst geübt werden, Ruhe und Frieden Im Innern zu bewahren und sich weder durch das Lob des Schmeichlers, der ihre Kenntnisse erheben, noch durch das Gespött des Unwissenden, der ihre Wissenschaft lästern wird, aus dem Gleichgewichte wersen zu lassen. Vielleicht hast Du, mein Freund, schon lange eine Ein wendung bereit, nämlich, dak die Grundsätze zwar wahr seien, datz "der eine so starke Speise zu stark für den zarten Kinder wagen sei, denn wie viele fänden sich wohl unter geachteten und gelehrten Männern, die sich wider allen Kitzel der Eitelkeit hinlänglich vermauert hätten? Ich aber, lieber Gonellus, denke hierin so: Je mühsamer es sei. die Keime des Hochmutes aus dem Herzen zu reihen, desto früher muh man ansangcn, der Entfaltung dieser Giftpflanze entgegenzuarbciten. Ich meine, bah dieses unaustilgbare Ucbcl so tiefe Wurzeln im Herzen saht, kommt gerade dal-er, datz schon die Ammen den Samen dazu den Neugeborenen so geschäftig in die Seele legen, die Lehrer ihn erwärmen, die Eltern ihn nähren und zur Reife bringen. Lehrt man doch kaum etwas Gutes, ohne den Lehrling sogleich nach Lobsprüchen wie nach dem Taglohn der Tugend lüstern zu machen. So werden die Menschen frühe daran ge- -övreifung unl> r«d«kar — Lrovo Lu,«»HI Lkemnlßr ?!,«» cksr 8.8 I i 2 Da» Leben eine« -entsetzen Humanisten Albrecht von Eyb — er selbst nennt sich stets von Eybe —, dessen liebenswürdigstem Werk diese Zeilen gewidmet sein sotten, wurde am 24. August 1420 in Sommersdorf in Mittel franken geboren als Sohn eines In Hohenzollerndienstcn stehen den tüchtigen, aber mehr lebensfrohen als begüterten Vaters und einer trefflichen Mutter. Neben der Mutter dankt Albrecht in der „Margarita" in rührenden Worten einem Vetter Johannes, der Propst zu St. Gumbertus in Ansbach und ein bedeutender Jurist war. der viel zu auswärtigen Geschäften ver wendet wurde. Da er infolgedessen dem jungen Albrecht keinen regelmählgen Unterricht erteilen konnte, kam dieser, noch nicht sechzehnjährig, auf die Universität Erfurt; der Tod des Vaters rief ihn aber schon 1438 wieder heim. Im Testament hatte dieser den Söhnen ihren Lebensweg bestimmt und klar vorgeschrieben: Albrecht sollte Geistlicher werden, und er fügte sich, obwohl ohne sonderliche Neigung. Ueber die Vorkommnisse in der Familie sind wir unterrichtet durch das Familienbuch, das Ludwig, der große Staatsmann und Chronist der Hohcnzollern, gewissenhaft sein Leben lang führte; es be merkt kurz: „mcyn prüder Albrecht und Wilhelm verlegt ich nach meyns vaters tod zu Rotenburg und Erfurt IV jar zur schult!" Dann bemühte er sich für ihn um eine Stelle im Eich stätter Domkapitel, und nachdem Albrecht zuerst canonicus in herbis, d. h. ohne Gehalt, gewesen, wurde er vor 1444 dort Domherr. Der wcltkluge Ludwig sah wohl, dak zur Erreichung höherer Ziele juristische Ausbildung nötig sei: „Albrechten schickt' ich gen Pavia", berichtet er, und so bezog dieser 1444 dort die Universität. Mit Lächeln lesen wir im Familien buch schlechtgesaunte Einträge Ludwigs über das viele Geld, das Albrecht brauchte, er sorgte aber doch immer gut für ihn. Der Pest wegen übersiedelte er dann nach Bologna über. Bologna, die älteste Universität Europas, war das Ziel aller jungen Deutschen, die Juristen werden wollten, und heute noch sprechen in der Kapelle, die die Gräber der dort verstorbe nen deutschen Adeligen birgt, die Grabsteine eine beredte, ein drucksvolle Sprache zu uns. In der „Margarita" gedenkt Enb in rührender Dankbar keit vieler seiner Lehrer. Daraus sehen wir. dak er neben dem Jus von Anfang an den schönen Wissenschaften Liebe und Stu dium widmete, und datz er ba'd ein leidenschaftlicher Bücher sammler wurde' von seinen Biickern sind manche s— alle mit Einträgen von seiner Hand —) erhalten. Das begeisterte Lob, das er nach seiner Rückkehr seinem neuen Aufenthalt Bamberg widmet, kam gewik von Herzen, aber in einem erhaltenen Brief klagt er über die geistige Enge seines Lebens, und so wundern mir uns nickt, datz er. sobald seine Mittel dies erlaubten, wieder Ins gelobte Land Italien eilte. Am 0. Januar 1456 ist er erneut in Bologna als Mit glied der deutschen Nation verzeichnet, und wurde sogleich ein stimmig zu ihrem Prokurator gewählt finit Altdorsser „de Lantzutta" —). Trok knapper Mittel erwarb er allmählich eine hervor ragende Sammlung von Handschriften, von der mancher schöne Fostoband, namentlich in Eichstätt, erhalten ist. 1450 erhielt er In Pavia den Titel eines Doktors beider Rechte. Unterdessen war Aeneas Sylvius, der begeisterte Humanist, als Pius II. Papst geworden: dieser verlieh ihm die Würde eines römischen Kämmerers. Den Dienst anzutreten hatte er aber nicht Gelegenheit, denn er muhte am Ende des Jahres 1459 heimkehren. Dort traf er trübe Zustände: der Gegensatz zwischen Albrecht Achilles von Ansbach und Ludwig dem Reichen von Bayern führte zu offenem Krieg, und am 7. April 1460 bemächtigten sich die Bayern Eichstätts. In den nächsten Jahren war Eyb tätig als juristischer Berater seines Bischofs und als diplomatischer Agent des Markgrafen Albrecht Achilles. Zum Lohn dafür suchte ihm dieser die Pfründe Hahfurt zu verschaffen. Sie wurde Ihm von Rom verliehen: aber als er in Würzburg seine Ansprüche durch setzen wollte, lieh ihn der Bischof überfallen und auf einer Burg in der Rhön gefangen kalten, bis Ihn aus Betreiben seines Bruders Ludwig Albrecht Achilles befreite. Der rüstete ihn auch, dah er dort Recht suche, zu einer Reise nach Rom aus. In Mantua wurde er glänzend ausgenommen, denn dort war die Hohcnzollerin Barbara Herzogin, eine der fesselndsten Frauengestalten des 15. Jahrhunderts. Unter mantuntschem Schutz vollendete er dann die Reise nach R o m. Dort erreichte er rasch sein Ziel: am 11. Dezember ergeht eine päpstliche Verfügung an Würzburgs Bischof, Kapitel, Bürgerschaft, bei Vermeidung der Exkommunikation Enb schad los zu halten und ihn in den Besitz des Archidiakonat» Iphofen zu setzen. Die Sache verlies aber nach langem Hin und Her im Sand. Seine juristisch« Tätigkeit bestand Haupt« wöhnt, kaum etwas anderes als Menschenehrr hochzuachlen. Am Ende kommen sie so weit, datz sie sich schämen, gut zu sein, weil sie gerne den meisten, das heitzt aber im Wettlaufe des Schlimmeren, gefallen möchten. Um nun meine Kinder vor der Ansteckung durch diese Seuche zu bewahren beschwöre ich Dich und die Mutter der Kinder und alle meine übrigen Freunde, das; Ihr keinen Anlaß versäumt, diese Wahrheit den zarten Gemütern sanft ein- znslöhen, nachdrücklich einzuschärsen und unauslöschlich ein zugraben: Menschenruhm sei eine Sache, die der bessere Mensch zu gering achtet, um dafür zu arbeiten, und es lakle sich für Menschen nichts Erhöbe ne res denken als die Demut, die Christus gelehrt. Diese Demut wird Deine weise Liebe meinen Kindern nicht so sehr durch Bestrafungen ihrer Fehler als vielmehr durch einleuchtende Darstellungen von der Liebenswürdigkeit dieser Tugend, die Deiner ernsten Mahnung, leichteren Eingang und Deiner Warnung gute Ausnahme bereiten, bcizubringen wissen. Zu diesem Zweck wirst Du die Borschristen, die in den älteren Kirchenvätern zu finden sind, sehr brauchbar finden. Denn die Kinder sehen ivohl selbst ein, das; diese Väter nicht aus Zorn gegen diese diese Forderung tun konnten, und lassen sick gerne durch das Ansehen solcher Männer lenken, die das Beispiel ihrer Heiligkeit für alle Zeiten verehrungswürdig macht. Wenn Du nun solche passende Stücke aus den Kirchen vätern neben dem, was Sallust Genießbares bietet, meiner Margaret und Elisabeth — denn diese scheinen reifer zu sein als Johannes und Cäcilia — vorliest, so wirst Du mich und meine Kinder, die mit mir schon Deine grotzcn Schuldner sind, Dir noch dankbarer machen und wirst zugleich meine Kinder, die mir nach dem Rechte meines väterlichen Herzens schon teuer sein müssen, und um ihrer Tugend und um der schon erworbenen Kenntnisse willen jetzt noch teuerer geworden sind, durch diese neuen Fortschritte im Guten meinem Vaterherzen am nllerteuersten machen. Lebe wohl! Geschrieben am Hofe, einen Tag vor Pfingsten." Ein Brief über -ie Erziehung un- Bildung -er Ain-er Thomas Morus war eln Familienvater von bestem Format. Weltberühmte Gelehrsamkeit verband sich in ihm mit der demütigsten, tiefsten christlichen Weisheit und Liebe. Er wuhte, was ein christlicher Vater seinen Kindern schuldig ist. Selbst Inmitten der vielfältigen Arbeiten und Sorgen und all der lauten Dinge, in die er am Königshofe von Londov und dann erst recht als Reichskanzler hineingestellt war, hat er sich um alles, was seine Kinder anging, und um alle ihre großen und kleinen Anliegen, Freuden und Leiden, mit der zartesten Sorgfalt gekümmert. Morus nannte seine Kinder auch wohl seine „Schule". Und diese Schule ist damals in ganz Europa berühmt ge wesen, Insbesondere durch den großen Freund des Hauses, Erasmus von Rotterdam, der sie als ein christliches Gymnasium, als eine Pflanzstätte Gottes gepriesen hat. Thomas Morus hat vom Königshofe in London aus einen Brief an den Lehrer seiner Kinder, an den Haus- jehrer Gonellus, geschrieben, in dem seine Auffassungen von Erziehung und Bildung einen schönen Ausdruck gefun den haben. Wenn der Bries auch die humanistische Prägung seiner Zeit trägt, so gehört er doch zu den nie veraltenden Dokumenten christlicher Pädagogik. „Deinen Brief, so schön und liebevoll wie alle Briefe, die von Dir kommen, habe ich richtig erhalten. Deine Liebe sür meine Kinder sah ich aus Deinem, den Fleiß meiner Kinder ans ihren Briefen. Ich hatte an allem große Freude, aber daran hatte ich di« größte, dah meine Tochter Elisabeth sich auch in Abwesenheit ihrer Mutter so anständig und züchtig betragen hat, als andere Kinder wohl schiverlich unter den Augen ihrer Eltern zu sein pflegen. Und daß gerade diese Sittsamkeit mehr bei mir gelte als atte Wissenschaften aller Sterblichen, das mußt Du, lieber Gonellus, meiner Tochter In meinem Namen beibringcn. Denn so wie ich den Wissenschaften, wenn sie im Wndnis mit der Tugend sind, vor allen Schätzen der Könige den Vorzug gebe, ko sehe ich nicht, wozu Wissenschaft, wenn sie von der Frömmigkeit getrennt ist, anders nützen könnte, als die Menschen im Angesicht der Welt zu brandmarken und ihre Schande auszuposaunen. Wenn aber Irgendeine Frau swas Ich auch von allen meinen Töchtern wünsche und unter Deiner Aufsicht auch hoffe) Kenntnisse mit ausnehmenden Tugenden zu verbinden weiß, dann hat sie. nach meiner Rechnung, mehr wahre Güter erobert, als wenn ihr die Schönheit der Helena und die Reichtümer des Krösus wären zuteil geworden. Und diese ausnehmende Tugend empfehle Ich nicht des wegen. weil sie Ehre bringen wird, obgleich Tugend und Ehre sich zusammen verhalten wie Körper und Schatten, sondern deswegen empfehle ich die Tugend, weil sie einer andern, weit dauerhafteren Belohnung empfänglich wert ist als jener, die mil eine», schönen Gesicht verblüht oder mit dem Reichtum verfällt. O. die rechte Tugend findet auch schon jetzt Lohn genug in dem Bewußtsein, recht getan zu haben, und sucht ihn nicht In dem Urteile der Welt und hält es für Torheit und Pestilenz, ihn da zu suchen. Der gute Mensch hütet sich. Sckande zu ver dienen — aber sein Leben nach dem Winde des Menschenlobes wenden und drehen, das heißt nicht nur seine Eitelkeit, sondern auch sein Elend zur Schau tragen und sich selbst dem Gelächter der Zuschauer preisgeben. Bott Unruhe muß ein Herz sein, das immer die Ebbe und Flut von Freude und Kummer an Men schenlob und Menschentadel in sich hat. Wenn uns die rechte Gelehrsamkeit Vorteile gewähren kann, wie sie uns viele ge währt, so halte ich diesen für den größten, daß sie uns unter richtet: in allem, was lernen und lehren heißt, nicht auf das zu sehen, was Lob verschaffen, sondern was uns wahrhaft nützen kann. Und darauf haben die gelehrtesten Männer, besonders die wahren Philosophen, „diese Hofmeister des menschlichen Lebens", gedrungen, wenn es auch leider nicht geleugnet werden kann, dah cs nie an Gelehrsamkeit gemangelt hat, die das gelehrte Wissen dazu gebraucht haben, wozu der Vogelfänger den Lock vogel gebraucht — Beute zu machen und Volksruhm an sich zu reißen. Ich habe, mein lieber Freund, über die Verachtung des eitlen Ruhmes deshalb ausführlicher geschrieben, weil Du in Deinem Briefe die Worte fallen ließest, man sötte das Genie meiner Tochter Margaret nicht zerdrücken und den edlen großen Sinn in ihr nicht zerstören. Ich bin mit Dir in der Hauptsache einig aber ich denke, gerade das hieße das Genie zerdrücken, den Keim des großen Sinnes zerstören, wenn man sie niedrige und eitle Dinge hochachtcn lehrte: und gerade das hieße das Genie und den großen Sinn mächtig cmporheben, lvenn man sic die Tugend und atte wahren Güter hochschätzcn und im feste» Anblicke des Unvergänglichen auf das Vergängliche richtig cinordnen lehrte, während die meisten nach Schatten gütern, die sie aus Unkenntnis der wahren für die wahren haltem blind dahinlaufen. Ueberzeugt, daß diese Weise, die Jugend zu leiten, die einzig rechte fei, habe Ich nicht nur für Dich, mein treuester Gonellus, dessen Menschenliebe ich diese edle Bemühung zu trauen kann, nicht nur für mein Weib, dessen mütterliche Sorgfalt mir auch hierin sehr bewährt ist, sondern atte meine Freunde recht oft gebeten, daß sie in ihrem Unterricht auf diese Hauptsache den ersten Fleiß wenden sotten. Nämlich: Meine Kinder sollten sich nie versteigern auf die steilen Höhen der Eitelkeit und des Stolzes, sondern im niederen Pfade der Demut und Sittlichkeit ruhig wandeln lernen: sollten bei dem Anblick des Goldes nie in Erstaunen geraten, nie darüber seufzen, daß ihnen Dinge mangeln, die man nur aus Irrtum an anderen hochachten kann; sollten sich nie für höher halten, wenn ihnen äußerliche Zier gegeben, nie für geringer, wenn sie ihnen genommen wird; sollten zwar die Gestalt, die Ihnen die Natur gegeben hat, nicht durch Unreinlichkeit zerstören, «der auch nicht durch niedere Künste erheben wollen: sollten unter allen Dingen der Tugend den ersten und den wahren ein gehenden Kenntnissen, die man Wisscnfckast nennt, den zweiten Platz einräumen: sollten selbst unter Wissenschaft und Wissen schaft unterscheiden und jene obenan setzen, die sie lehrt, fromm gegen Gott, liebevoll gegen alle Men schen und für sich sittlich und christlich - demiitlg zu sein. Auf diese Weise werden meine Kinder unschuldig bleiben und gut werden und um dieser Unschuld und dieses Gutsrins mitten eine Anwartschaft auf die Belohnung Gottes in sich bekommen, die sie gegen Todesfurcht bewaffnen und im Vor geschmack einer besseren Freude vor Aufgeblasenheit In den Tagen des Ruhms und vor Niedergeschlagenheit in den Stunden der Lästerung bewahren wird. Diesen stillen, ruhigen Sinn halte Ich für die wahre und echte Frucht wahrer Gelehrsamkeit, die mit Tugend und Reli gion so Innig verknüpft ist. daß sie für eins mit denselben gehalten werden kann. Zwar wissen viele Gelehrte um diese Frucht so viel wie nichts, aber sie würden sie zuverlässig zu schmecken bekommen, wenn sie den Baum des Wissens vor nehmlich pflegen möchten, um diese Frucht zu erhalten. Und in Hinsicht auf diese Frucht nützlicher Kenntnisse kommt es wahrlich nicht auf den Unterschied des Geschlechts an. Die Ernte ist Zweck: mag die Hand, die den Samen austtreut, eine männliche ober weibliche gewesen sein. Alles, was Mensch ist, es sei männlichen oder weiblichen Geschlechts, unterscheidet sich durch die Vernunft vom Tiere, und alles, was Vernunft hat, soll die Vernunft bilden, das heißt, soll Saatkörner der Weisheit auf fein Feld ausftreuen und di« hervorsprießenden kenne derselben zur Reife bringen lernen.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)