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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 05.09.1914
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-09-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140905022
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914090502
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914090502
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1914
-
Monat
1914-09
- Tag 1914-09-05
-
Monat
1914-09
-
Jahr
1914
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veur 2. Nr. 452. nvena-nuvvave. Lrlpzlgrr TagrdlaU Sonnavenü, 5. Leptrmder l9l4. Verwaltung in Spandau ist, wie die angestellten Er» Hebungen ergeben haben, auf da» von dem Leiter des Betriebes nicht gebilligt« Borgehen «ine» Angestellten in untergeordneter Stellung zurück- zusühren. Das Kriegvministerium hält e» für selbst verständlich, daß die Arbeiter bei ihrer Einstellung nicht nach der Konfession gefragt werden und hat Vorkehrungen getroffen, daß sich derartige Fragen nicht wiederholen. Vie Ostpreußen. Als das erfreulichste Zeichen der wieder cingetretenen Beruhigung der Be völkerung darf gelten, daß seit dem Siege von Ortelsburg—Gilgenburg die vorher austerordentlichen Abhebungen vvn Sparein läget» sofort aufgehört staben und sogar einem außerordentlich starken Zufluß von Spareinlagen Plast machten. Die Mehreiltlagen betrugen gegenüber den Abhebun gen ait einzelnen Tagen bereits über 150000 Mark. Aach einer Mitteilung des SenatSpräsi- denten der freien Hansestadt Bremen hat das dortige Hilfskomitee von den durch jreuvillige Beiträge gesammelten Mitteln 100 0!>0 Mark zur Linderung der Kriegsnöte in Ostpreußen dem Oberbürgermeister von Königsberg zur Ver fügung gestellt. Für die Ostpreußen wird ein vom Reichskanzler v. BctI; mann Hollweg, dem Stellvertreter des Reichskanzlers Dr. Delbrück, dem Minister des Innern o. Loöbell, dem Oberpräsidenten von Ost preußen v. Windheim, dem Landeshauptmann von Ostpreußen v. Berg uns dem Oberbürgermeister von Königsoerg unterzeichneter Ausruf veröjsentlicht, in dem es heißt: „Herrlich hat sich in dieser großen Zeit die Opfcrsreudigkeit des deutschen Boltes bewährt. Wo immer der -Krieg eure Rot schuf, in.en pch > lle Hände aus, nm sie zu lindern. Run hat die bar barische Kriegsführung unserer Feinde Sem Osten neue Schrecken, Rot über unser Vaterland gebracht. Weite Strecken unserer gesegneten ostpreußischen Fluren sind vorübergehend vom Feinde besetzt und fast überall barbarisch verwüstet worden. Viele unserer Landsleute sind grausam hin-gomordet; wer das nackte Leben gerettet hat, ist zumeist an den Bettel st ab gebracht. Namenloses Elend ist so über Tausende von Familien ge bracht worden. Wohlan denn, liebe Mitbürger, laßt uns ihr Leid als eigenes mitempfinren! Hel t unseren armen, von Haus und Hof vertriebenen ostpreußischen Landsleuten. Spende ein jeder freudig nach seinen Kräften. Jede, auch die kleinste (habe ist willkommen. Ganz Deutschland wird sicherlich freudig zu unserem Werke mithelfen. Geht doch durch diese, für unser Vaterland schwere, aber auch so große gewaltige Zeit, nur der eine Ge danke: Einer für alle, und alle für einen!" Diesen Aufruf des Oberpräsidenten der alten ostpreußisck>en Krönungsstadt, der sich wendete an die Königsberger und die preußischen Städte, nehmen wir auf für das ganze deutsche Vater land, für jeden einzelnen Deutschen. Es gilt den Dank des Vaterlandes abzustatten an die, die auf der Wacht im Osten standen. Beiträge werden von der > Reichsbank und ihren sämtlichen Neben- stellen entgegcngcnommcn. Die Zahlungen sind, P» richten: „Für das Konto für Kriegsnotleidende in Ostpreußen." ILrwlinschtc Aufklärung. Amtliche Meldung: Wie bekannt, ist vor kur.zem in der Deutschen Dank «n Berlin eine Organisation ins Leben gerufen worden, die die Unterstützung der durch den Krieg an der Rückkehr nach Rußland behinderten Russen bezweckt. Da dieses Vorgehen verschiedentlich in der Oeffentlichkcit zu irrtümlichen Auffassungen geführt hat, so sei hiermit wiederholt, daß diese Organisation leineswcgs bezweckt, russisch« Staatsangehörige aus deutschen Mitteln zu unterstützen, sondern be güterte Angehörige der russischen Ration zu veranlassen, Beihilfen für den Unter halt ihrer mittellosen notleidenden Landsleute zu veulseve Männer. 17j Geschichtlicher Roman von Wilhelm Jensen. Zum erstenmal hatte sie dabei einen Ver such gemacht, ihre fest geschlossenen Augen zu öffnen, doch schlug sie die Lider, dem Blick des ihr gegenüber Sitzenden begegnend, mit zitternden Wimpern hastig wieder herunter, und furz lag jetzt Stille in dem kleinen Gemach. Auch Jakos' Grimm saß stumm; in seinem Gesicht stand zu lesen, er habe von dem (stanzen nichts begriffen und wisse mit der weiblichen Persönlichkeit, Vie der Freund ihm nach Mitternacht plötzlich in die Stube gebracht, keinerlei Vorstellung zu ver binden. Daun indes, nach einer kurzen Be sinnungszeit, klang Gibichs Stimme wieder: „Wollen Sic zu Ihren (Litern zurück?" Rur eben vernehmbar kam ein „Ja" vom Munde der Befragten, und nun stand er rasch auf: „So muß Anstalt dazu getroffen werden, eh' das Morgcnlicht anbricht. Halte du Demoi- sellc Faucon hier in Verwahr, bis ich zurück, komme. Ich bin ihrem Vater von früher her verpflichtet und will um seinetwillen versuchen, was sich tun läßt." Die kurze Anweisung und Erklärung galten Grimm, der jetzt ebenfalls vvn seinem Sitz in die Höhe suhr und ungewiß l-ervvrbrachtc: „Was willst du? Fort? Und ich soll hier — mit dem Frauenzimmer —?" Schreckhaftes klang aus dem nicht zu Ende gesprochenen Satze, und etwas komisch Wirken des lgg zugleich in der Bezeichnung für die hochelegante junge Dame, besagte, daß Jakob Grimm alle Angehörigen des anderen Ge schlechts unterjchiedloS mit dieser Allgemein benennung zusammenfasse. Doch Gibich er widerte nur: „Ich werde meine Rückkunft, so schnell es geht, beeilen," und verließ rasch die Stube. Aus dem Gebiete der deutschen Sprach forschung war ihm der jüngere Freund über legen, aber wo sich's um die Ergreifung einer notwendigen praktischen Maßregel handelte, hatte seine Natur ihm erkennbar eine Reifung cingebracht, Vie jenem vermutlich nie vom Leben zuteil werden sollte. Von hurtiger Erwägung zum Entscheid gelangt, was geschehen müsse, führte er dies aus; ungefähr eine Stunde ver ging, dann kam er, sem Reitpferd am Zügel führend und von einer kleinen, mit zwei am, gewähren, die sonst aus Mitteln der öffentltchen Armenpflege versorgt werden müßten. Da in Ruß land weit mehr Deutsche leben, als gegenwärtig Russen in Deutschland aufhältlich sind, und anzu nehmen ist, daß die Behandlung, die die Russen in Deutschland finden, nicht ohne Einfluß auf die Be handlung unserer Landsleute durch die russischen Be hörden sein wird, ist wohl verständlich, daß auch an gesehene deutsche Staatsangehörige, die genaue Kenner russischer Verhältnisse sind, sich um das Zu standekommen der obigen Organisation bemüht haben. Keims. Eher als erwartet ist Reims, die altehrwürdige Krünungsstadt der sranzösiichen Könige, in unsere Hänoe gefallen. Auch wieder ein Name, der reiche geschichtliche Erinnerungen weckt! Auch Reims hat seine großen Schicksale gehabt. Das alte Durocentum, wie es zur Römerzeit hieß, war die Hauptstadt der Remer und der römischen Provinz Belgica secunda. Als um 360 das Christentum Eingang fand, wurden hier vom heiligen Remigius viele fränkische Große ge tauft. Der Vertrag von Verdun 843 war für die weitere Entwicklung entscheidend. Reims kam an Karl den Kahlen, also zu West franken. Nachdem die Stadt seit Ludwig IV. Erz bischöfen verliehen gewesen war, wurden deren Rechte unter Philipp August noch bedeutend erweitert. Sie erhielten den Herz, glichen Titel und wurden Herren über Stadt und Grafschaft. Seitdem ist Reims Krönungsstadt der französischen Könige. Auch bedeutsame Konzilien hat Reims erlebt, so im Jahre 813 und im Jahre 1049. Heiß umstritten war die Stadt in dem französisch- enguschcn Kriege des fünfzehnten Jahrhunderts. 1421 wurde es von den Engländern erobert, 1429 aber unter der Fiihrun' der Jumsrau von Orleans für die Franzosen zurückgewonnen. In einem russisch-lranzösstchen Gefecht 1814, das ebenfalls bei Reims stattsand, blieben die Franzosen Sieger. 1870 besetzten die Deutschen die Stadr. die als Eisenbahntnöicnpunkt starke strategische Bedeutung hat. ganz wie in umercm gegenwärtigen Kriege am 4. September. Reims wurde damals Sitz des General gouvernements. zu dem lämtliche von uns besetzten Gebiete außerhalb Etsaß-Lotnringens gehörten; denn dieses galt als ein Generalgouvernement für sich. Reims ist seit 1872 durch eine Anlage von zwölf Forts eine Lagersestung geworden. Aber ihre Be festigung hat nun doch nichts geholfen. Die Stadt wurde preisgegeben» ein Zeichen, wie start die Wucht unserer Angriffe in den vorhergehenden Schlachten gewesen ist. Es ist eine schöne Stadt, anmutig gelagert in eine von Weinbergen umsäumte Ebene, am User der Beste und der Awne-Marnekanal gelegen. Breit sind Straßen und Plätze. Im übrigen gehört Reims zu jenen reizvollen Städten, die Zeugen einer großen, geschichtlichen Vergangenheit sind, und so ist die Stadt natur gemäß reich an Bauwerken und Kunstschätzen. Am berühmtesten ist die gotische Kathedrale, ein Meisterwerk geschlossenster Frühgotik. Wertvolle Gemälde und Glasfenster, kunstreiche Teppiche und Govelins schmücken sie. In dieser Kirche wurde auch das legendarische Reimser Evangelienbuch aufbewahrt. 'Auf dieser legisn die Könige bei der Krönung den Eid ab Erst Peter der Große erkannte 1717 bei seiner Anwesenheit in Reims in ihm ein slawisches Schriftstück. Während der französischen Revolution wurde das prächtige Werk teilweise zerstört und der kostbaren Edelsteine, die den Band schmückten, be raubt. Die geretteten Bruchstücke befinden sich in der Reimser Stadtbibliothek. Aus dem vierten nachchristlichen Jahrhundert aber ragt noch die Porte de Mars, ein römischer Triumphbogen mit drei Toren. Reims trägt alle Merkmale einer Stadt, die Jahrhunderte hindurch eine hohe Kultur durchströmt hat. War es doch schon im 10. Jahrhundert Mittel punkt der französischen Renaissance. Hier lebte und lehrte ein Jahrzehnt kein Geringerer als Gerbert von Reims, der spätere Freund und Berater Kai er Ottos lkl. In ihm trat die nordfrünkvche Bischofs renaissance kluniazensischer Kirchlichkeit gegenüber. Rc>ms hat viel gesehen. Jetzt aber breiten sich weite Vorstädte, in denen die Industrie vorherrscht, EnglifH-sranMsches Maulhel-entum. Die „Köln. Zig." enthält eine köstliche Blülenlese von Großsprechereien englischer und auch einiger französischer Zeitungen, von denen wir hier folgen des herausgreifcn: In „Lloyds Weekly News" vom 31. August finden sich gleich auf der ersten Seite zwei Karten zeichnungen unter dem Titel: „D asNennen n a ch den Hauptstädten." Paris ist durch eine ge rade Linie mit Cambrai (100 engli-che Merlen) und mit Metz (173 Meilen), Berlin m.t Thorn (223 Mei len) und mit Polen (130 Meilen) verbunden. Dar unter sicht, daß die Deutschen vergebens Tausende aus. Denn Reims hat eine hervorragend« Tuch fabrikation. - Der Einzug deutscher Truppen in die alte Stadt, die den Franzosen durch ihr« glanzvolle Vergangen heit ehrwürdig und heilig ist. mag uns ein Symbol sein auf unserem weiteren Wege zum Sieg. Zwischen To- un- Leden. Der Vater eines Fliegerojfiziers stellt dem „Lü becker General-Anzeiger" folgenden Brief zur Ver fügung : Lieber Vater! Als ich Dir den letzten Brief schrieb, ähnle ich noch nicht, daß ich in den letzten Tagen so viel erleben sollte ünd nur durch ein Wunder mit dem Leben davongekommen bin. Ich flog am 22. morgens bet nebligem Wetter mit Leutnant I., einem vortrefflichen Flieger, nach Sedan und stellte den Vormarsch feindlicher Truppen nach Norden fest. In der Gegend Bertrix kamen wir in schwere Regenwolken und mußten au; 1000 m heruntergehen. In diesem Augenblick hörten wir auch schon das Aufschlagen feindlicher Anilleriegeschosse gegen die Maschine, und es schien unter uns eine ganze französstche Division in Bereitstellung. 2. erhielt eine Kugec in den Leib Der Motor blieb stehen, und die Maschine sank steil herunter mitten auf die feindlichen Truppen zu, die ein raiendes Feuer auf uns gaben. In 800 m bäumte sich die Maschine auf, ich drehte mich um und sah I. mit einem Schuß mitten durch die Stirn tot da liegen. Nun ergriff ich über die Lehne des Sitzes das Steuer, und es gelang mir so, den braven Doppeldecker wieder in KleUflug zu bringen. Der Wald jenseits der Franzoien war mein Ziel, die Minuten, in denen ich in 200 Höhe über dem Feino dahinglitt, wu den zu Ewigkeiten. Ein Hagel von Geschossen sauste mir dauernd um die Ohren. Plötzlich lühlte ich einen heftigen Schlag c egen die Stirn, oas Blut lief über beide Augen. Aber der Wille siegte. Ich blieb bei Bewusst sein und dachte nur daran, die Masch:ne über den Feind fort und glatt herun.erzubrcneen. Da warf eui Windstoß die Maschine bernm, und da mein toter Kamerad auf dem Seilens», uer lag, tonnte ich nicht anders, als mitten lm Feind zu landen. Dabel über schlug sich die Maschine, die an einen Zaun anrannte. Ich flog in hohem Bogen hinaus. Von allen Seiten liefen die Rothojen a.a mich zu, immer noch schießend. Ich zog die Pistole und streckte noch drei zu Boden, dann sühlte ich ein Bajonett auf der Brust. Dann kam ein höherer Offizier und rief: „Lagt ihn leben, er ist ein tapserer Soloat!" Ich wurde zum kom mandierenden General des XVII. fran ösischen Korps gebracht, der mich aussrapte. natürlich ohne Erfolg. Dann sagte er mir, ich würde als Gefangener nach Paris georacht werden, wo schon vier Fliegerosfiziere wären. Da ich jeooch durch den starken Blutverlust sehr schwach war, blirb ich zunächst an Ort und Stelle Zwei Aerzte zogen das Geschoß, dessen Wucht durch den Sturzhelm gebr"chen war, aus meiner Stirn, die nicht durchschlagen war. Ich wurde verbunden und erhielt Rotwein. Ueberhaupt benahmen sich die Offiziere sehr nett und ach ungsvoll zu mir. In meinem Kopse lebte aber nur ein Eedante, der. aus der Gefangenschaft zu entfliehen. Der Donner der deutschen Geschütze kam immer näher, Gewehrseuer klang dazwischen, und nach zwei Stunden platzten die ersten oeut chen Granaten in unserer Nähe. Da eilten d,e Franzo.en an ibre Pserde. Ich benutzte den unbewachten Augenblick und kroch unter einen Busch, dort blieb ich liegen, bis der französische Rück zug hinter mir war. Dann schlepple ich mich nach Bertrix, wo ich im Ho.pital ireundliche Ausnahme für die Nacht fand. Am nächsten Morgen brachte mich ein deutsches Auto zu meiner Abteilung zurück deren Pferden bespannten Hasbkntsche begleitet, ans der Herberge zurück und trat wieder in das Studiergemach Jakob Grimms ein. Darin hatte während seiner Abwesenheit dieser sich nicht um Haaresbreite geregt, noch war ihm ein Laut über die Lippen gekommen; nur jetzt atmete er einmal tief auf und sah, als falle ein Angst- tranm von ihm ab, drein, wie die glänzende Hostracht des „Frauenzimmers" unter einem von dem Zurückgekehrten mitgebrachten großen Mantel versank. Dann war auch ihre unheim liche Erscheinung selbst aus seiner Stube ins Innere des Wagens weggeschwundeu, vor der Haustür schwang Gibich sich in den Sattel und nahm, dem Freunde die Hand reichend, kurz Abschied: „So kann ich dich morgen früh nicht wieder aufsuchen, und wir müssen den Wer wolf für ein anderes Zusammenkommen ver schieben." Das starke Schneegestöber hatte aufgehört, nur einzelne Flocken irrten noch vom Himmel, an dem Sterne hervorzuschimmern begannen, herunter; doch machte eine weiche Decke auf der Straße den Hufschlag und das Fortrollen der Räder unhörbar. Jakob Grimm stand noch eine Minute lang nachblickend mit der Lampe in der Hand, ihm war's, als habe er zum erstenmal persönliche Bekanntschaft mit dem Be such einer Nachtmar gemacht, und er sprach halblaut vor sich hin: „Wie ist's möglich, daß ein Mensch so etwas zustande bringt?" Aber lvas gewesen und lvas Hans Gibich eigentlich bewerkstelligt habe, davon rührte den jungen Gelehrten lein leisester Verständnisschimmer an. Der Kutscher war angewiesen, welche Rich tung er einzuschlagcn habe, und der Wagen wandte sich dem nach der Stadt Münden fuh- rendcn Tore zu; Kassel lag in tiefen Schlaf versunken, einzig vom Schloß Bellevue klang noch die Festmusik weiter. Sie verursachte Hans Gibich ein ihn widerwärtig durchrinncndes Ge. fühl; auch darin unterschied er sich von Grimm, daß seinem Nachdenken mehr und mehr bis zu klarer Gewißheit aufgedämmert war, was sich in dem Schloß zugetragen und die neben ihm Fahrende zum plötzlichen Hinauslaufcn in die Nacht veranlaßt haben müsse. Eine eitle, von ihrer Mutter zur hoffärtigen Verschrobenheit großgezogene Närrin tvar'S, doch was er getan und tat, hatte ihm ein Pflichtgefühl aufgenötigt. Vielleicht, wahrscheinlich sogar war sie's nicht wert, und wenn er gleich gewußt, wer eS sei, die ihn in dem Schneegewirbel um Beistand gebeten, so hätte er sie wohl ihren Verfolgern überlassen. Aber da der Zufall cs so gefügt, besaß Lorenz Falke ein Recht, von ihm zu ver langen, daß er seine Tochter in ihrer Notlage vom vollständigen Untergang rette und in ihr Elternhaus zurüübesördere. Als die Kutsche bei Münden die Weser kreuzte und danach der großen, ostwärts gegen das Eichsfcld gerichteten.Straße folgte, hob der Tag an zu dämmer»; hier war kein Schnee gefallen, die kräftigen Pferde brachten das leichte Fuhrwerk rasch vorwärts. Das Morgen licht ließ jetzt unter dem halben Schutzdach überhang des Wagens das Gesicht der in den dicken Mantel Eingewickclten unterscheiden, sie sah sehr blaß und überwacht aus, augenschein lich während der Nacht zu keinem Schlaf ge langt. Je nach der Wcgbeschaffcnheit ritt Gibich hinterdrein oder nebenher; ihm drängte sich der Gedanke auf, er habe nunmehr die ihm znge- fatlene Pflicht erfüllt, und cs sei töricht, daß er die in Sicherheit Gebrachte noch weiter nach ihrem Fahrtzicl begleite. Doch leistete seine Willenskraft gegen die Versuchung zur Umkehr Widerstand; was er auf sich genommen, mußte er auch bis zum Ende durchführen. Dazu ge hörte ebenfalls Fürsorge für die leibliche Be- nötiguna des Mädchens, das zweifellos der Nah rung bedurfte; so ließ er ihr vor einem Wirts hause an der Straße das Erforderliche in den Wagen hiueinrcichcn. Daß sie mechanisch davon aß, erwies die Richtigkeit seiner Annahme, auch er tat im Weiterleiten das gleicl)e; der Tag durchschritt den Mittag, ohne daß er ein Wort mit ihr wechselte, seine Geleitung der Kutsche hatte etwas von der eines stummen Schattens, erkennbar Widerwilliges. Der unverändert blei benden Farblosigkeit ihres Gesichtes war an- zusehen, daß sie friere, manchmal durchrüttelte wahrnehmbar ein Frostschaucr dcn Körper. Wenn er seitwärts neben dem Gefährt ritt, hielt sich ab und zu ihr Blick nach ihm mit einem eigentümlichen Ausdruck aufgcschlagen, als ob zugleich ihr Ohr sich anspanne, nach einem Ton, der aus der Lust klingen müsse, horche; etwas TraumartigcS lag darin, und als werde sie von wachem Bewußtsein verlassen, sanken ihr die Lider über die Augen herab. Das frühe Januar dunkel war schon seit Stunden cingebrock)en, als sie die Stadt Nordhausen erreichten; Gibich hatte erkannt, es sei unerläßlich, auch für ihn selbst, hier Nachtrast zu halten. So kehrten sie m einer Herburge ein, wo er seiner Begleiterin opferten, um nach Paris zu gelangen, daß aber unter- dessen die R«ss«n mitden Deutschen leich te» Spi«l hätten und sie in zwei Echlachtreihen zurücktrieben. Der Umstand, daß als Ausgangspunkt bei dem großen Rennen für di« Russen Thorn und Posen angegeben ist, hat angesichts der großen Nieder lage der Russen einen besonder» Reiz. In der „Central News" werden besonders die Tur ko» und Zuaoen gefeiert. Man lese, ohne zu lachen, folgendes Intermezzo aus einem An griff der Turkos auf die preußische Garde: „Als wir", erzählt ein französischer Offizier, „einige Meter von den Riesen der Garde entfernt waren, hörte das Feuer der gegen un» gerichteten Malchinengewehre aus, und ein schrecklicher Baionettkampf begann. Die Männer fochten wie Teufel, sie benutzten den Kolben, um mörderische Schläge auszuteilen und schossen rechts und links mit Revolvern. Meine Leute fielen über die Deutschen her, und vor ihnen waren di« furcht baren Schlachtreihen Wilhelms II. nichts a l s k l e c n e K i n d e r. Ich für meinen Teil habe mit meinem Revolver ungefähr hundert er ledigt. Die armen Kerle rerlo-en den Kopf, war- fen die Waffen fort und flohen. Nahe bei Tharleroi verlies die Sache anders. Unsere Feinde versteckten eine Batterie von Maschinengewehren in einem Kirchturm und hißten dann eine weiße Fahne und die Flagge des Roten Kreuzes. Unsere Truvpen näherten sich, ohne Bö es zu ahnen, der heiligen Stelle, da begannen die dcut'chen Banditen loszu schießen und den Tod in unsere Reiben zu senden. Das ist ihre Weise, Krieg zu führen." Dieser Bericht, der von der „Central News" verbreitet wi-d, verdient als Zeichen gallischer Windbeutelei und N'edertracht, als Zeichen britischer Bosheit und Leichtgläubigkeit im Gedächtnis bewahrt zu werden. Das franzöfiiche Armecblatt, das bei den Soldaten in der Front verteilt wird, erzä'elt von einem belgischen Soldaten, namens Bogaert, der seit Beginn des Krieges mit seiner Flinte 139 Deutsche erlegt hat. „Der General l'eglückwün'chte ihn vor versammeltem Kriegsnolk und fragte ib : - " > 209 Deutsche getötet? — Nein, Herr General, war die bescheidene (!) Antwort, das ist eine Ucber- treibung, es waren nur 150." Begaert ist ein leben diges Beispiel, daß man mit Bescheidenheit doch weit kommen kann. Bogaert hat übrigens auf eigene Faust gekämpft, er hat sein Bataillon verlassen und, in Gehölzen und Sümvfen verborgen, die Prcnßsn „wie Hasen" abgeschossen. Es wäre interessant zu wissen, in welchem Kostüm Bogaert gejagt hat. öltriot über -en -rutschen Ursprung -er Zlugzeuge. Bei dem Erscheinen von Flugzeugen über Paris haben die Franzosen höhnisch darauf hingcwiesen, daß die Deutschen nur mit „franzö,ischem Geist" Paris bedrohen können, da sie eine Waste benutzen, die von Franzosen erfunden und ausgebaut worden ist. Allein wären die Deutschen nie im Stande gewesen, eine so geniale Erfindung zu machen. Zur Widerlegung dieser törichten Be- schimpfung sotten einige Urteile des französischen Flugzeugerbauers BlSriot angeführt werden, den die Franzosen doch gewiß als unbefangenen Fachmann werden gelten lassen. Während seiner Anwesenheit in Berlin vor einigen Jahren hat sich Blvrivt mit folgenden Worten, die hier in Abschrift wieder gegeben werden, über den Anteil Deutschlands an der Erfindung der Flugzeuge geäußert: „Es ist stets die Frage, ob wir auf Deutschland stolz herabsehen, weil wir die ersten Erbauer von Flugzeugen gewesen sind. Ich erkläre Ihnen, daß wir alle tranzösilchen Erfinder lehr genau wissen, welchem Lande uns welchem Volke der Anst ß zum Werde gang der Aviatik zu verdanken ist Deutschland »st es, und der deutsche Lilienthal war der erste, der Eleitslü,e unternahm und der alle späteren Erfolge zu verdanken sind. Alle Versuche gründen sich auf seine Ergebnisse. Unbedingt muß ein Deutscher, muß Lilien.Hal also der Vater der modernen Aviatik gelten und auch der Stand, der gegenwärtig von der deutschen Flugtcchnik einge nommen wird, ist durchaus kein geringer, nur ist das Interests Deutschlands bisher auf em anderes Gebiet der Luftschistahrt konzentriert gewesen, und SvärsidMLLvllllren 1 arddlinckkr n. Xoiilepapieie, Ovimmaixelie >1v. 2t. eine Abendmahlzeit auf die ihr angewiesene Schlafkammer bringen ließ, während er sich noch zu einer Flasche Wein in die Gaststube setzte. Hier klangen ihm die Gespräche nmstersitzenoer Bürgersleute aus Ohr, die über die Zugehörig keit ihrer Staat zum neuen Königreich West falen redeten und übereinkamen, wer richtige Ver nunft im Kopfe habe und sich danach verhalte, der könne cs unterm jetzigen Regiment in seinem Gewerbe vorteilhafter zu etwas bringen als früher. Doch bewältigte den übermäßig An gestrengten, der seit seinem Wegritt von Mar burg sie Augen nicht mehr geschlossen hatte, bald solche Todesmüdigkcit, daß er schwanken Fußes seine Lagerstatt aufsuchte und in be wußtlosen Schlaf fiel. Wenigstens empfand er nichts von der Widersinnigkeit eines über ihn geratenden Traumes, sondern ihm erschicn's ganz , begreiflich, daß Ferdinand Schill zu dcn Bür gern in der Gaststube hineintrat und eine mah nende Anrede an sie hielt, mit ihrem neuen Zustande zufrieden zu sein und sich zu ihrem eigenen Besten als gehorsam-verständige Unter tanen zu betragen. Ob Preußen eine Festung mehr oder weniger behalte, bleibe bei der all gemeinen Lage vollkommen gleichgültig, dcn den kenden Menschen gehe nichts anderes an, als sich ganz seinen wissenschaftlichen Aufgaben hin. zugeben, für die das Königreich Westfalen in - dankenswertester Weise durch Wiederherstellung der Universität Halle eine fruchtbare Pflanzstätte bereite. Dem pflichteten auch alle Zuhörer mit Kopfnicken und zustimmendem Gemurmel bei; vlötzlich einmal indes erkannte der Träumende, der das gesprochen habe, trasse keine Soldaten montur, sondern einfache bürgerliche Kleidung und sei Jakob Grimm, während im Hintergründe Schill sich auf ein stürmisch anspringendeS Pferd schwang, mit dem er yradauf in die Luft stieg. Zugleich aber warf plötzlich eine unverkennbare Gestalt ein Falkenhemd über sich, ward dadurch in einen Falken verwandelt und schoß blitzschnell dem Reiter nach. TaS sah Gibich mit ungläu bigem Staunen, doch Jakob Gr,mm saß jetzt in seiner Stube beim Lampenschein neben ihm und sagte: „Ja, die alten Mären sind nicht tot und begraben, können durch einen Anstoß aus einmal wieder lebendig werden. Sie fliegt, zum Falken geworden, dem Werwolf nach, und du wirst gleich merken, daß die Musik im Könias- schloß aufhört." (Fortsetzung t» d«r Sonntovsan»«-«^
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