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Vinurrstav, 22. Juli idlS. Lelpztgrr Tageblatt ür.SS7. Morsrn-Kusgave. SeUr7. lmsüNWiKN Kunst unä Wissensekatt M LeWM kllliWeii Heinrich Wölfflin. einst Professor für Kunst- geschichte in Berlin, jetzt in München, hat am 14. No vember 1914 in der Bayrischen Akademie der Wissen- sct»aften einen sehr wertvollen Vortrag über ..Die Architektur der deutschen Renaissance" gehalten. (München 1914. Verlag der K. B. Akademie der Wissenschaften.) Ls stehen in dieser gedruckten Rede markige Sätze wie programmatische Aussprüche für eine Zukunft. Den Schluß möchte ich daher hierher setzen, damit er weitere Kreise erfasse und ins Fernere wirke, als sonst Akademiereden. „Kunstgeschichte und Kunst laufen parallel. Es ist kein Zufall gewesen, das, die historische Bemühung um die deutsche Renaissance seinerzeit zusammensiel mit der künstlerischen Wiedererweckung des Stils. Vielleicht ist es auch möglich, gewisse Tendenzm der heutigen Kunstforjchung mit künstlerischen Strö mungen in Vergleich zu setzen. Die Wissenschaft jucht heute eifriger als früher das Einheitliche im Wechsel zu erkennen, die groben nationalen Grundtypen für die Kunstgeschichte zu gewinnen: es scheint, vast in der Baukunst ähnlicl-e Prozesse im Gange sind. Vieles deutet darauf, dab das historische Jahrhundert, die Wiederholung des sä>on einmal Dagewesenen, zu Ende geht. Das Neue, das kommen will, wird aber nicht als Bruch mit der Vergangenheit sich darstellen, sondern nur als eine engere Fühlungnahme mit dem, uas der Norden bisher als seinen eigentümlichsten Ausdruck gegeben hat. Mit Ehrfurcht und Span nung horcht man wieder auf die Melodien der unter irdisch rauschenden Wasser der Vergangenheit. Und wenn Deutschland aufs neue die Waffen niecerlegen wird, dann werden die Tempel des Friedens nicht in italienischer Form erstehen, aber auch jede schon ge prägte Formel aus den zurückliegenden Fahr- Hunderten wird als zu eng empfunden werden. Wir wollen nicht prophezeien, aber es wäre mög lich, dab das, was jetzt, da und dort erst als einzelner Quell und einzelnes Rinnsal sichtbar wird, dann plötzlich als mächtiger Strom hervorbricht. Das wäre dann die eigentliche Architektur der deutschen Renaissance, der Begriff genommen in seiner ge heimnisvollen Bedeutung: als eine Wiedergeburt des deutschen Geistes aus sich selbst." Gleich Wölfflin horchen und lauschen wir alle, wo das Rauschen der Quellen einseht, nicht nur für die Baukunst allein? Wir haben in den Tagen des Kriegsjahres so Schlveres und Tiefes empfunden, dab wir daran glauben, es mub sich dieses Erlebnis von Künstler seelen in bildsamer Form lösen. Allein was uns noch zurzeit entgegentritt, sei es in bildender Kunst, sei es in Dichtung, zeigt oft hier und da schwache An sätze, läsit unsere Hoffnung nicht verlöschen, aber Er füllung, der man sich ganz gefangen geben könne, fehlt. Und so horchen wir hinaus, wann werden die Brunnen springen und sprechen? Wann? Auch Erich Erler-Samaden, beliebt und gekannt als glänzender Schildere! der Hochgebirgs landschaft in den Spuren Segantinis, hat das Thema Krieg angefaßt. Es ist sein erstes Radier werk, das wir bei Beyer und Sohn, Thomas- ring 2 2, wo es auch verlegt ist, zu sehen bekommen. Für eine erste Leistung auf neuem Gebiet ein mehr als viel versprechender Anfang. Ein reifer, tiefer Adensch, einer der Dichter war von Geburt ehe er Pinsel und Radiernadel angriff, sucht seinen Aus druck für tiefe Empfindungen. Allerdings noch nicht alle Blätter sind gelungene Würfe. Noch schaltet Erich Erler zu sehr mit abgegriffenen Symbolen. Wer tiefer schaut als Menschenauge sonst, mub neue Ge sichter und Sinnbilder finden. So stört mich bei dem glänzenden „Anmarsch", der schon in den Strichlagen das Vorwärtsstürmen betont, der Adler in den Lüften. Er ist unnötig. Ebenso der schreiende Kopf oben beim „Sturmangriff". Wundervoll hebt die Sammlung an mit dem „Aufruf zum Krieg". Man denkt an Rethel und findet doch eine ganz selb ständige Leistung. Ergreifend wirkt ferner „Neue Saat". Die Frau, die an Mannes Statt neue Saat ausstreut, neue Saat in sich trägt. Als technische Leistung bewundere ich die „Horchpatrouille". Der „Eiserne" ist etwas steif. Er patzt in 'einen Panzer nicht ganz hinein. Deutschland sitzt seine eiserne Wehr jedenfalls gewachsener am Leib. Auch die Vcr- suchung des Russen ist weder neu, noch überzeugend. Wo ist das Verlockende, was der Tod aufweist? Tiefer wieder sind die „Mütter", obwohl der Ge danke naheliegt. Erler will diese Sammlung noch durch mehrere Radierungen vervollständigen, daher unsere Einwände in der Hoffnung, datz manches, was uns an dem Vorliegenden stört, dort noch unterdrückt werde. Jedenfalls können wir schon nach dieser Leistung Erich Erler zu den hoffnungsreichsten Griffelkünstlern zählen. Auch bei Beyer und Sohn sehen wir die sehr gute Nikischb Liste von Kurt Kluge in Pla stilin. Der Künstler, der als Offizierstellvertreter im Felde verwundet wurde, hatte kurz vor Kriegsaus bruch in Ostende dies Werk modelliert. Jetzt ist es mit Vermittlung unseres Kaisers von Ostende nach Leipzig geschafft worden. Del Vecchio bietet in der Juli-Ausstellung sehr vielerlei und manches Gute. Ein feiner A. Hen ge l e r, „Posaunenbläser", erinnert an Spitzweg. Don A. v. Zumbusch «in kleiner weiblicher Akt wird manchen Freund finden. Fritz v. Uhdes „Holz fällerkopf" zeigt eine gute, nach meiner Ansicht frühe Studie des Künstlers. Von Hans Klatt erfreut eine feine Landschaft „Schneeschmelze". Außerdem sind für Sammler eine Menge Altniederlän» der, mittlere Meister guter Qualität, da. Von gra phischen Werken nenne ich einige Namen Hans Thoma, Heinrich Vogeler, Ingwer Paulsen. Das kleine Mittelkabinett ist ganz mit Werken Bruno Hsroux' gefüllt. Höroüx ist ein Künstler, der die Grenzen, die die Natur ihm gesetzt, zu sprengen sucht. Dieses grotze Wollen mutz man anerkennen, aber der Kritiker darf Las Fehlschlagen nicht verschweigen. Wo Hsrour sich an die Natur hält in den Porträts, in der hübschen Radierung mit der „Märchenvorleserin", schafft er anerkennenswerte Leistungen. Nur wenn er uns phantastisch kommt, lehnen wir ihn ab. In diesen Schöpfungen klafft eine unüberbrückbare Kluft zwischen Wollen und Vollbringen. Hier fühlt man wie ein kleiner Geist mit großen Problemen ringt und sie nicht bewältigt. Er besitzt keine eigenen Phantasievorstellungen und arbeitet wie ein Regisseur mit alten Requisiten und Symbolen. Will Hc^roux die Höhe seiner Künstler schaft wahren, dann bleibe er bei der sichtbaren Welt fern dem Reiche einer erzwungenen Phantasie. Künstler seiner Art dürfen sich nicht von der Griffel kunst auf die steilen Pfade jenseits des Reiches der Erscheinung verlocken lassen, ihnen gilt noch heut: Zurück zur Natur. vr. R. O. * Universitätsnachrichten. Privatdozent Dr. phil. Adolf Sieverts, Assistent am Laboratorium für angewandte Chemie und Pharmazie an der Universität Leipzig, ist zum außerordentlichen Pro- fessor ernannt worden. In Hamburg geboren, schloß Dr. Sieverts seine Universitätsstudien 1899 in Göttingen mit der Erwerbung des philosophiichen Doktorgrades ab. Er siedelte dann nach Leipzig als Assistent an das Laboratorium für angewandte Chemie über, wo er zunächst unter Prof. Beckmann und nach dessen Weggange unter Prof. Paal tätig ist. Im Jahre 1907 habilitierte er sich an der Universität Leipzig für das Fach der Chemie mit einer Arbeit über Themata physikalisch-chemischen Charakters. Er schrieb u. a. mehrere Abhandlungen für das „Hand- Wörterbuch der Naturwissenschaften" und veröffent- lichte eine Reihe fachwissenschaftlicher Aufsätze in Fachzeitschriften. * Kunstgewerbemuseum. Im ersten Stock — Raum der Silber- und Goldarbeiten — sind gegenwärtig einige Medaillen und Plaketten ausgestellt, die auf Anregung des Königlichen Münzkabinetts in Berlin von der jüngst ins Leben gerufenen Vereinigung der „Freunde der Deutschen Schaumünze" heraus gegeben wurden. Die Vereinigung verfolgt den Zweck, in diesen schweren Zeiten dem deutschen Volke eine historische Medaille zu schaffen, den Künstlern Gelegenheit zur Betätigung zu geben und ihnen dabei den Verdienst unge schmälert zu sichern. Es sollen nach und nach unsere großen Heerführer und ihre Erfolge, entscheidende Leistungen hinter der Front und überhaupt alles Las, was an Großem in deutschen Landen austritt und geleistet wird, in Werken der MUnzkunst fest gehalten werden. Als erste Arbeiten Lieser Art liegen vor: Medaillen und Plaketten auf Hinden burg, Bülow, Prinz Eitel Friedrich, den Kriegsfrei willigen von Dixmuiden, die gefallenen Krieger. Sie sind teils in Brönzegutz, teils in Silberprägung aus geführt. Um sie weiten Kreisen zugänglich zu machen, sind die Preise äußerst niedrig berechnet. Das Kunst- gewerbemnseum nimmt Bestellungen gern entgegen. * Oesterreichische Bibliothek im Jnselverlag. Im Inselverlag wird demnächst die Oesterreichi sche Bibliothek" zu erscheinen beginnen, im Verein mit anderen herausgegeben von Hugo von Hofmannsthal. In Format und Ausstattung schließt die neue Sammlung sich im allgemeinen der Insel-Bücherei an, und wie diese setzt sie sich zur Aufgabe, erlesenen Inhalt zu niedrigem Preise weit zu verbreiten. Wahrend aber die Insel-Bücherei ein Schatzkästlein der Welt literatur fein oder werden soll, handelt es sich bet der „Oesterreichischen Bibliothek" um ein literarisch» politischxs Unternehmen, das sich inhaltlich auf ein bestimmtes Land beschränkt. Vor mehr als hundert Jahren, in gleich drangvoller Jeit — 1809 — be gründete der große österreichisch« Minister Stadion „vaterländische Blätter". Einem ähnlichen Ge danken ist der Entschluß der Herausgabe einer Oester reichischen Bibliothek entsprungen. Oesterreich ist ein Ganzes, eine politische Wesenheit, gleich der Schweiz, gleich den Vereinigten Staaten. Die Beseelung dieses Gebildes bildet das durch den Krieg mächtig gestärkte politische Pathos Oesterreichs. Die erste Serie der „Oesterreichischen Bibliothek" wird ent halten: Grillparzers politisches Testa, ment saus den Gedichten, den Prosaschriften und Dramen, zusammengestcllt von Hugo von Hofmanns thal), Heldentaten der Deutschmeister 1697 b i s 1914 smit einem Nachwort von Max Mellt, Custozza undLissa svon Heinrich Friedjung), Bismarck über Oe st erreich saus den Staats reden, den Gesprächen und Erinnerungen, zusammen gestellt von Franz Zweybriick), Audienzen bei Kaiser Joseph (nach zeitgenössischen Quellen), 'Achtzehnhundertneun sDokumente aus Oesterreichs Krieg gegen Napoleon). Für die zweite Serie sind in Aussicht genommen: Abraham a Santa Clara sAuswahl von Richard v. Kralik), Die österreichischen Muslemin von Robert Michel, Beethoven im Gespräch, eine Aus wahl aus den Schriftendes..Landsknechts" lFritz Schwarzenberg), Radetzkys politische Schriften, Oesterreichische Mann schaftslieder. Das allgemeine Programm der „Oesterreichisch.n Bibliothek" ist in diesen Titeln an gedeutet; ergänzend sei bemerkt, daß auch die Volks überlieferung der österreichischen Lande (Sagen, Märchen. Volkslieder, Sitten und Gebräuche) in die Sammlung einbezogen werden sollen. * Tin Hindenburgporträt von Hofmaler Artur Fischer gibt die graphische Kunstanstalt von Paul Bender, Zürich, heraus. Es gehört zu den besten, die wir von Hindenburg besitzen. Es ist scharf und sprechend in den Farben, und der Ausdruck des Ge sichtes hat ruhevolle, zusammengefaßte Energie. Bei aller Echtheit im einzelnen zugleich ein Ideal bild. Auch die graphische Ausführung ist ausge zeichnet. h-chschulnachrichten Die Berliner theologische Fakultät hat den ordentlichen Professor für neutestamentliche Exegese und Kritik an der Universität Heidelberg Lic. theol. Dr. phil. Martin Dibelius zum Doktor der Theo logie twooris causa ernannt. Dr. Dibelius (geb. 1883 zu Dresden), früher Privatdozent an der Berliner Universität, gehört seit 1. April 1915 dem Lehrkörper der Heidelberger Universität als Nachfolger des ver storbenen Prof. Dr. Johannes Weiß an. Sein Spezialarbeitsgebiet sind reltgionsgejchichtliche und literarische Probleme des Urchristentums. Im Alter von 45 Jahren starb der Königliche Bibliothekar, frühere Privatdozent für Archäologie an der Bonner Universität, Dr. phil. Heinrich Millers. Zum Rektor der Universität Würzburg wurde für 1915/16 Professor Dr. jur. Ernst Mayer gewählt. Der Privatdozent an der Universität Zürich Dr. Max St and fuß (Entomologie) wurde zum Honorarprofessor ernannt. In Wien ist der frühere Archivar des Feld marschalls Erzherzog Friedrich und Bibliothekar der erzherzoglichen Sammlungen „Albertina" Dr. phil. Richard Müller im Alter von 72 Jahren gestorben Geheimrat Professor Dr. Eduard Sachau, der Begründer und Leiter des Berliner Seminars für orientalische Sprachen, beging seinen 70. Ge burtstag. Kleine Mitteilungen Generalfeldma'r schall von Hinden burg, von Professor Hugo Vogel nach der Winterschlacht gemalt, ist jetzt in einer vorzüglichen Wiedergabe aus dem Verlage E. A. Seemann in Leipzig in den Kunsthandlungen von Louis Pern ttzsch und Pietro del Vecchio ausgestellt, worauf wir die Verehrer de» gefeierten Heerführer» aufmerksam machen. Der Dialektdichter Ernst Albert Räppel aus Annaberg im sächsischen Erzgebirge, der in einem Landwehrinfanterie-Regiment rin Osten kämpfte, ist gefallen. Räppel hat sich durch Dichtungen in seiner sächsischen Heimat einen guten Namen gemacht. Die tschechischen Blätter berichten, datz die Pil sener Stadtvertretung den Bau eines Hushause» beschlossen hat. Für diesen Zweck bestimmte sie den Betrag von 700 000 Kr. In dem Hause soll eine Husbibliothek und ein Husmuseum eingerichtet werden. Diese Stiftung soll die wegen des Krieges entfallene Husfeier ersetzen. Das sozialdemokratische Organ „Pravo Lidie" schlägt als Ersatz der Hus- jeiec die Errichtung einer tschechischen Volksuni. versität, die Hueuniversität Heiken soll, vor. Dort sollen verschiedene Vorträge für Volksaufklärung ge halten, Musikaufführungen, wissenschaftliche und tincmatographische Vorstellungen stattfinden. Das Husdenkmal, das jüngst in aller Stille in Prag der Oeffentlichkeit übergeben wurde, ist aus einem Wettbewerb heroorgegangen, der schon vor acht Jahren ausgeschrieben worden war und aus dem der Bildhauer Schalonn als Sieger hervorging. Tas Denkmal ist ein Gruppenbild. Der Reformator in langwallendem Gewände, über lebensgroß, stellt erhöht über Nikolaus von Leito» mischl, Stanislaus von Znaim, Prokop dem Großen und Ziska. Ein Jdeewettbewerb unter deutschen und österreichisch-ungarischen Architekten und Garten architekten zur Erlangung von Entwürfen für gärtne rische Anlagen und Gebäude zu einem Friedhof wird jetzt von der Stadt Mülheim a. d. Ruhr ausge schrieben. Drei Preise von 5000, 3000 und 2000 sieben zur Verfügung Je 750 für zwei Ankäufe sind vorgesehen. Die Arbeiten müssen Lis zzrm 31. August d. I. an den Oberbürgermeister von Mül heim eingeliefert werden. Der Badische Kun st verein in Karls ruhe veranstaltet im Oktober eine Ausstellung von Werken badischer Künstler. Es wurde eine Ankaufskommission eingesetzt, der auch Vertreter des Hilfsausschusses angehören. Um einer möglichst großen Zahl von Künstlern Gelegenheit zum Verkauf ihrer Arbeiten zu Liefen, darf die An kaufskommission nur Werk« erwerben, die nicht mehr als 250 kosten. Die Gesamtsumme der für Ankäufe zur Verfüguim stehenden Gelder beträgt 6000 bis 10 000 -4t. Bei der zu treffenden Auswahl wird neben dem künstlerischen Wert der Arbeiten auch die wirtschaftliche Lage der Urheber maßgebend sein. Einer der begabtesten jüngeren Musikgelehr- ten Deutschlands, Dr. Robert Staiger, dessen Habilitationsschrift „Benedikt von Watt" Beiträge zur Kenntnis des bürgerlichen Meistergesanges um die Wende des 18. Jahrhunderts lieferte, ist jetzt in Frankreich gefallen. Dr. Staiger war Vorsteher des Göttinger Collegium musicum und designierter Privatoozent für Musikwlssenschasten an der Göttinger Universität. Julius Bittner, der bekannte Wiener Dichterkomponist, der, 41 Jahre alt, in Wien als k. k. Richter lebt und sich besonders durch seine Opern „Der Musikant" (Wien 1910) und „Der Bergsec" (Wien 1911) ausgewiesen hat, erhielt den dies jährigen Preis der Eustav-Mahler- Stiftung. Dieser 1912 zur Erinnerung an den großen Dirigenten gestiftete Preis, dessen Kapital 55 000 Kronen betragt, verwendet seine Zinsen zur Unterstützung schaffender Musiker. Das aus Richard Strauß, Busoni und Bruno Walter bestehende Kura torrum verlieh den Preis zum ersten Male 1913 an Arnold Schönberg. Im Harvard-Stadion bei Boston (Ver einigte Staaten) fand, nach der „Köln. Ztg." eine Freilicht-Aufführung von Wagners .Siegfried" statt. 20000 Personen wohnten der Aufführung bei. Die Besetzung stellten Mitglieder der New Parker Metropolitan-Oper. Die durch kühles Wetter beeinträchtigte Vorstellung zeitigte mehr finanziellen Erfolg als künstlerischen Genuß, um so mehr, als das Stadion so riesig ist, daß die wenigsten Besucher etwas hörten. Sie mußten sich mit der Sensation begnügen. M AW Wem Rheine... Roman von 43s Erica Eruve-Lörcher. Fast wie eine Traumstimmung kam cs wieder über sie, wie damals an jenem Abend bei Mon- telets, die ihr Charlots Liebeserklärung gebracht. Ein eigenartiges Gefühl lullte sie ein. Ein Ge fühl, als ginge das alles ringsum sie gar nichts an, als sei sie selbst eine Zuschauerin bei dem allen. Tie Herren sprachen dem feinen und aus erlesenen Menü eifrig zu. Besonders die beiden Trauzeugen, denn es imponierte Louis Hage nauer besonders, daß er nun auch einmal ein solennes kleines Diner bei Valentin verzehrte. Ter Sekt perlte noch in den Gläsern und Louis Hagenauer löffelte noch an seinem Eis, als Charlot nach der Uhr sah. In dreiviertel Stunden ging der Zug. Man wollte von hier aus direkt zur Bahn fahren. Er hatte sein Ge päck durch einen Boten direkt zum Bahnhof brin gen lassen, und Lilian gab ihr Gepäck für die Hochzeitsreise bereits auf, als sie am Tage vor her vom Palais Montelet aus offiziell zur Bahn fuhr. Als Cyaclot zum ersten Male leise an den Aufbruch mahnte, erklärte Louis Hagenauer in seiner leicht burschikosen und komischen Art, daß die eben angebrochene Flasche Sekt durchaus noch geleert werden müsse. Ueberhaupt sei ja noch kein Toast gehalten. Und zu einem richtigen Hochzcitsdincr, wenn cs auch noch in so engem Kreise war, gehörte ein Trinkspruch. Charlot lachte: „LK bisv, tu' deinem Herzen keinen Zwang an, Louis, kurz und bündig!" Louis erhob sich, das Glas in dec Hand. Er blickte auf Lilian nieder, für die er eine große Sympathie empfand. Er wurde plötzlich ernst, als er sich die ganze Lage der jungen Braut vor Augen stellte. „Ob die Reden bei den Hochzeitstafeln lang oder kurz sind: eines ist ihnen immer gleich, und ihr Gcdankengang ist immer der: dem jungen Paare Glück zu wünschen. Ich möchte jetzt die Quintessenz dieser Reden in kurzen Worten aus sprechen und wenn ich auch nicht viel Worte machen kann und darf, so ist's doch ehrlich ge meint, was ich jetzt sage: Dem Brautpaar die herzlichsten Glückwünsche zu seinem Bunde!" Tie Gläser klangen zusammen, hell und har monisch. Louis Hagenauer näherte sich Lilian und er freute sich ihres lachenden, glücklichen Ausdruckes. „Wenn es doch ein Glück für sie würde!" dachte er. „Ein Schuft wäre er, wenn er nicht alles daran setzte, sic glücklich zu machen!" „Jetzt mußt du sprechen!" sagte Lilian gleich darauf zu Charlot, als sie alle vier noch standen und die Gläser in der Hand hielten. Charlot sann einen Augenblick: „Es gibt auch für mich nicht viel zu spre- ck>en. Ich danke euch für eure Glückwünsche und ich danke euch, daß ihr euch bereit erklärt habt, diese Stunden heute mit uns zn verbringen. TaS alles heute soll die stille und leise Introduktion zu einer Melodie sein, die hoffentlich bald zu einem harmonischen und vollen Lcbensfted er klingen darf. Eine Heimat haben wir uns heute hier geschaffen und eine Heimat soll eS uns hier immer bleiben! Wir beide sind glücklich, daß wir im Elsaß bleiben dürfen. Wo vor vier zig Jahren in schweren Zeiten unsere Väter mit einander gekämpft, stehen wir beide nun friedlich nebeneinander, um durch unser« Lebensbnnd eine Vereinigung der Gegensätze zu erringen. Wir beide sind hier heimatberechtigt. Wir beide sind hier festgewurzelt. Und so spreche ich auch wohl in deinem Namen, Lilian, wenn ich jetzt bitte, unsere Gläser auf unsere Heimat, unsere gemein same Heimat zu erheben: Tas Elsaß, unser El saß lebe hoch!" Nach kurzer Zeit drängte Charlot von neuem zum Aufbruch. Tr. Picard und Hagenauer frag ten, ob sie das junge Paar noch mit zur Bahn begleiten sollten. Nach kurzer Beratung sprach Charlot den Wunsch aus, sie möchten es tun. „Wir könnten vielleicht gerade Bekannten am Bahnhof begegnen, und man würde sich wun dern, wenn man Lilian und mich allein am Bahnhof sähe. Ter Zufall spielt ja oft die un glaublichsten Komödien. Tas Aufgebot in den Zeitungen habe ich auf dem Standesamt recht zeitig verhindert. Nun fehlt es gerade noch, daß wir vielleicht jetzt am Bahnhof Onkel Ca mille in die Arme liefen." „Warum seid ihr nicht einfach nach London gefahren und habt euch nach den englischen und einfacheren Gesetzen trauen lassen?" „Ich habe das Lilian auch vorgeschlagen. Aber sie wollte nicht." Auf die Antwort von Charlot blickte Louis Hagcnauer etwas überrascht zu Lilian hinüber. „Nein, ich wollte nicht, es widerstrebte mir. Diese Trauungen haben einen zu abenteuerlichen Beigeschmack. Die werden immer bei .Heiraten unternommen, die übers Knie gebrochen wer den. So quasi als letzter Verzweiflungstrick widerstrebenden Eltern gegenüber. Eine solche Form sagt mir nicht zu. Ich bin zu stolz für eine solche abenteuerliche Reise. Mag eine Tän zerin oder Varietäkünstlerin das tun, die sich einen Grafen, oder vielleicht auch einen Hochstap ler kapern will. Das ist in meinen Augen nicht standesgemäß." Am Bahnhof herrschte reges Leben. Tas herrliche Frühlingswetter lockte zum Reisen, und viele benutzten den SamStag nachmittag, um fortzufahren, und den Sonntag im Schwarz wald oder den Vogesen zu begehen. Die Vorsicht, zu viert auf den Bahnhof zu kommen, war gut, denn in der Schalterhalle begegnete Lilian eini gen Bekannten ihrer verstorbenen Eltern. Oben am Zug bestieg Lilian ein Coupö zweiter Klasse, das leer war. In der Nähe unterhielt sich Char lot noch einige Zeit auf dem Bahnsteig mit bei den Freunden. Kurz vor Mgang des Zuges ver abschiedete er sich von ihnen und bestieg unauf fällig das Coupe, in dem Lilian vorher Platz ge nommen und sich in die Kissen zurückgelehnt hatte. „Wie schön, daß wir allein sind!" sagte er, die Tür nun hinter sich schließend. Noch einmal wandte er sich am Fenster um und grüßte zu Louis und Dr. Picard hinaus, welche soeben die Treppe hinabstiegen, um den B chnhof zu ver lassen. Sie hatten vereinbart, daß sie nicht vor dem Coup«? stehen bleiben, sondern sich entfernen wollten. (Fortsetzung in der Abendausgabe )