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Sächsische Volkszeitung : 16.08.1936
- Erscheinungsdatum
- 1936-08-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-193608162
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19360816
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19360816
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1936
-
Monat
1936-08
- Tag 1936-08-16
-
Monat
1936-08
-
Jahr
1936
- Titel
- Sächsische Volkszeitung : 16.08.1936
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Nr. 1S1. — 16. 8. 36. Sächsische Volkszeitung Seite 18 Vom weißen Burnus und Lunten Bazar / wandel und Handel der Araber in Tripolis von Adolf Rarl Sauer Leise leuchtet als «oldbrauner ebener Erdstreis nach langer siadrt durch blaue, iveih ausmallende Wasserwüste Land aus: Afrikas Küste kündet sich... Umwoben von Kimmel uno Meer, bealän;t von Gold und Blau ersteht die Stadt der drei Städte. Und der Traum einer glücklichen Meersakrt verwandelt sich in den machen Tag der Welt von Tripolis... Kastell und Kathedrale ragen königlich an der Küste auf. Masclxen und Paläste. Brun- nenhöfe. Säulenhallen Bogemzänge lino dahinter zu ahnen. Mit sanften Kuppeln und schlanken Türmen, mit malerischen Minaretts und den wiegsamen Kronen hochstämmiger Palmen entbietet die weiteste Stadt der Melt dem Wandersahrer schon aus dem Schiss ihren Gruh. — Auf breiten Straßen und Plätzen empfängt sic ihn am Meeresstrano. Hier fesselt die Augen vorerst eine glänzende Fassade, die die märchenhafte Anmut des Movgcnlanoes bemüht und wirkungs- voll in Stein gestaltet: mit sestlielxn Formen und malerischen Farben, die die gleihende Glut -cr Sonne zu einem bezaubern den Blendwerk steigert. Herrlich hebt sich im weilen Bogen der Meeresbucht das schimmernde Weih all der flach ülierdachteu Häu ser gegen das Blau des Himmels und des Meeres, gegen das Sanobraun der Küste und der Wüste ab und erweist Tripolis wahrlmft als weiheste Stadt der Erde. Das in blendender Schönheit schimmernde Angesicht der jüngsten ihrer drei Städte, der neuen italienischen Kolonie mn Strand, enthüllt freilich nicht das eigentliM Herz. Denn dieses Herz liegt tiefer innen und beherbergt ein anderes Volk als das, das mit jener leuchtenden Fassade der Stadt ein sichtbares Sie gel seiner Öl>erhoh«it auf die Stirn geprägt hat. Das Herz der Dreistadt ist die Heimstatt der Araber. — Sic hat sich inmitten einer verwandelten Welt wesenstreu beivahrt. wie es eines mah- Leben und Lockung des bunten Bazars Die malerischste Marktstrahe, durch die man sich ergehen kann. Klein sind die Läden und Schaufenster, aber gras; erweist sich das kluge Geschick der Handwerker und Händler, einen zu ihren Herrlichkeiten hereinzuziehen. Formschön und handfest sind die farbigen Erzeugnisse der Sattler: von kleinen bunten Geldbörsen und Handtaschen bis zu den materialgercchten Sät teln und Sitzkissen, die mit alle-'ei Zirkeln und Wappen ver ziert sind. Schön gezeichnete Streifen zarter Schlangenhnut schlingt der Schuster über fester Sohle zusammen zu leichten Sandalen Mit volltönigcm Gelb, Not und Blau und male rischen Mustern auf den langen Laschen fallen die arabischen Schuhe in die Augen, Mitteldinge zwischen Pnntosseln und Strahcnschnhen, die gut zum weihen Burnus stehen, aber im Staub der Straße hier bald Farbe und Form verlieren Da heim im Hause, wohin wir ein Paar entführen, werden sie sich wohl besser halten. Teppiche und Läufer, seidene Tücher und wollene Decke», in vielen Farben leuchtend, mit rätselhaften morgenländischen Mustern, suchen die Weber und Teppichwirker beredsam zum Berkaus zu bringen Handliche Körbe und bunt gemusterte Matten bezeugen die Meisterschaft der Araber im Flechtwcrk. Glatt u wohlgestaltet ausgesormte Krüge. Basen und Schalen die Tüchtigkeit der Töpfer. Bollends erweist sich ihr bewundernswertes Auswerten des Stosses und ihr feines Formgefühl angesichts der Kleinodien der Goldschmiede Da sind Korallenketten zu kaufen, wo dem Edelstosf des Meeres in gänzendcr Glättung jeder letzte Farbensunkc nbgewonncn ist und goldene oder silberne Armbänder, an denen das edle Metall zu feinstem Filigranwerk ausgeseilt ward. Spitzen aus Gold, die sich geschmeidig um das Handgelenk legen ... Hier sind die Händler besonders stolz auf die Meisterstücke des heimischen Handwerks und heben all ihre Vorzüge vor den fremden Frauen ins hellste Licht. Hier, wo höhere Summen verhandelt werden, hört man im gewohnten Sprachgewirr dieser Welt beinahe alle Sprachen Europas aus feiten der Käufer wie Verkäufer Das Spiel um die Schönheit und um die Mittel zu ihrer Erhöhung verschafft sich von selbst eine internationale Note. — Auch dort, wo in kleinen bunt ausgebanten Lüden zu all der wohlgefälligen Gewandung, zu all dem köstlichen Schmuck und handlichem Hausrat die Wohlgerücke Arabiens anaevriesen und ausgewogen werden Ans einem Ständer voll d'ckolasiger Flaschen sind sie aufaereiht: Ambra. Rosenöl. Jasmin Sadola und viele andere Sie wölken weiche und Hecke Woblaerüche auf. von einer Dichte des Duftes, wie sie nur das Blut von lausend Blüten zaubert. Die gemünichie 'Anzahl Gramme wiegt der Händler behutsam aus und füllt sie in ein kleines, buntes Taschenbehältnis das wie ein Herz, eine Tcklanae oder sonstwie geformt ist Der Mann, bei dem mir Kausen, tut das mit ge heimnisvollem Lächeln, wie wenn cs Liebestränke wären. Er will fick empfehlen und gibt noch ein Gramm "mtis dazu. Er kann sehr gut so grotzziiaia sein: denn dietr Wahlgerncke sind unter all den Waren des Bazars wohl das Teuerste Sonst aber erscheint das meiste verlockend billig ans die sem reichbestellten malerischen Warenmarkt Zumal nichts ge- radeweg gekauft, vielmehr erhandelt und gefeilscht sein will. Dies Handeln und Feilschen ist für den Fremden das höchste Vergnügen. Man bekommt eine Kanssreude wie daheim nur vor Weihnachten. Die Ungewihheit über die wahre Preiswür digkeit einer Ware verstärkt sich freilich durch dieses Handeln und Feilschen, das sich zwischen weilen Preisspannen abspielt. Aber anders als in dem angrenzenden Viertel der Faden von denen sich die Araber durch den Stolz der Religion und Nasse scharf scheiden, sind die arabischen Leute hier meist arm und jedes Geschäft ist sür sie ein Glück. Keine Angst, daß man da bei einander nicht verstündel Wo cs um Geld geht, versteht sich alle Welt! ren Herzens Lebenswille isl. Man hat ihrer Einwohnerschaft wie dem alten kulturbewuhten Arabervolk hie.-- weitgehend ihr eige nes Leben belassen. Ihr Recht darauf haben die Araber wieder holt Wort und Tat werden lassen. Nlxmdland und Morgenland begegnen sich hier: Äug' in Auge. Art gegen Art. Aber sie widerstreiten sich nicht und durchdringen sich nicht. Es besteht ein Abstand, der das Alte achtet und das Neue bclmuptet. — Labyrinth der Gassen Einqefriedet von weihen Wällen und Toren bewegt sie sich in ihrer eignen eingeivachseiten Lebenslust. Verwunderten Sin nes durchwandert man hier ein entrückendes Gewirre und Ge- winkel enger Gassen, zwischen deren weihen Wänden sich Licht und Schatten, Anmut und Armut, bewegtes Leben und verhal tene Stille zu eigenartigem Einklang durchdringen Hier Hausen die dunkelhäutigen Anhänger Mohammeds, die lwld nach der Hedschra als Glaubcnskämpfer und Kulturbringer ihre Herr« sclxrst hier hlntrugen. In das weiche, weihe und faltenreiche Geivand des Burnus eingehiillt, das schwarzlmarige Haupt oft elngerahmt von krausem Bart, begegnet einem der Araber in den Gassengängcn. über denen hie und da die ivcich gewölbte Kup pel einer Moschee die morgenländische Herkunft dieser ganzen Menschenwelt kündet. Selten gewahrt man Frauen im Freien, es sei denn, dah eine dicht verhüllt hinter ihrem Mann einher schreitet, wie cs die Sitte gebietet. Viel Menscl-en findet man ülx'ihaupt nicht drauhen in diesem volkreichen Viertel Denn ocr Araber ist häuslich und verschlicht sein Leben und Arbeiten lie ber hinter den Wänden seiner kargen, dämmerig Kühlen Wohn statt Aus Höfen und Gewölben tönt untertags häufig Häm mern, Drehen und Surren und überzeugt den Norüberziehenden dah der Araber vielfältigem hochftelwndem Handwerk oblieg»! Sonst aber steht und lehnt alles leer und lässig umher in die- sein Irrgarten der Gassen zur Zeit der sengenden Sonne, Wagen und Karren, Läden und Schänken. Erst der Abend und die junge Nacht mit ihrer jäh cinfallenden Kühle lösen die verhal- tene Stille dieser Hitze und Helle für eine kleine Weile In be- wegtcs Leben, in gesellige Scharung. Gewoge der weißen Gewänder Eine Gegend aber gibt cs In dieser still atmenden Alt- stad«, wo das Leben heftig pulst und wogend sich bewegt, wo Eigenart und Menschenwesen der Araber lebenswahr zum Aus druck gelangen, wo ihr lässiges Temperament sinnfällig in Wal- lung gerät und ihre undurchdringliche Haltung sich ausschlieht: das ist der Markt. Wenn der Markttag anbricht und das grohe bewegliche Warenlager dieses Wunderlandes ausgebreitct wird, wenn cs eine Karawane auszurüsten gilt, die In die Wüste wan dert, wenn man zahlreiche Fremde in der Stadt weih, dann er wachen In Handel und Wandel alle Triebkräfte der Wesensart dieses Wttstcnvolkcs. — Kein besserer Ratschlag Kann dem Rei senden zum Erlebnis dieser morgcnländischen Welt gegeben wer den, als dah er an einem Dicnstagmorgcn auf den grohen Wo- chcnmarkt gehe, wo alles von nah und fern zusammenströmt. Eben noch schlendert er, aus der Kolonie, aus der Küste kom mend, durch das gewunde WIrrsal der Gassen des Araberviertels. Da tut sich mit einem Mal nah den Toren rin weiter sandig weick)er Platz vor ihm auf. und ein echt orientalisches Bild von bewegter Blickwelte bannt seine Sinne. Aus der steinernen Stille der Gasscnstadt herausgeraten, durchwandert er hier ein Gewoge weiher Gewänder. — Tausende einheimischer und zu gereister Araber scharen sich auf dem geschäftigen Schauplatz eines sonncnheihen Handelstages. Der weite weihe Faltenwurf der Burnusse hüllt die hageren braunen Gestalten der Sonnen söhne sorgsam vor dem sengenden Himmelslicht ein. In der Bewegung und Gruppierung all ihrer tausend Träger bildet sich ein wandlungsreiches Wechselspiel von malerischster Wirkung. In der wechselnden Wendung allein scheint das lichte eintönige Weih immer wieder schöne Schattierungen zu gewinnen. Da zwischen leuchtet und staubt der braungelbe Sand der Steppe auf. In seinen weichen, flachen Fluten stehen, standhaft lei dend und unerlöst, die Tiere, die auf dem Biebmarkt fühllos fellgebaltcn werden, als Last- und Schlachttiere: Kamele, Pferde und Esel: Rinder. Ziegen und Schale. Stehen, flüchtig aukqe- schlagen, leichte Stände, die mit dem Fcirbcnspiel sonnengereiftcr Südfrüchte prächtige Stilleben bilden. Ausqeweitet zu stattlich gestapelter Fülle erscheint dieses farbenfrohe Warenlager des Wachstums der Erde in der Markthalle der Araberstadt, die Ihre Kühlen, weihen Wölbungen darüber schlicht. Hier spielt sich auch der Flsckmarkt ab, wo die Früchte des Meeres, vom Thunfisch bis zur Sardine, als schuppig schillerndes Lebensmittel feilgchalten werden. Drauhen und drinnen stehen oder sitzen die Araber Im Kreis herum, mit müden, glühenden Gesichtern, in denen sich Langeweile und Gleichmut ausmalen. Wenn aber Käufer kommen, springt Spannung In das gelassene Antlitz der Händler, und das Spiel der belebten Mienen und der sonn braunen sehnigen Hönde gestikuliert beinah beschwörend das er wünschte Geschäft Sic handeln mit allem kundig, wendig und beredsam. Das erweist sich mehr nock als auf diesem beweglichen Handelstag auf dem ständiaen Mark« der Araberstadt. Durch Eäulcngänge und Brunnenhöse gelangt man in eine geschäftige Gegend, zu den „Suks", wo lange Zeilen einladender Läden und weite Reihen kunterbunter Stände Vielfalt und Höbestand des heimischen Handwerks zur Schau stellen. Hier umfangt einen farbenfroh und handelsfreudig Lärm um zwei Schuhe Unser Mathematikprofessor Antonius Ferdinand Stcinstccher war ein kleines, rundes Männchen mit viel Bauch und zwei merkwürdig runden Augen. Von diesen Kaninchenaugen be hauptet« der Herr Professor, dah er mit dem einen sehe und mit dem anderen höre. Manchmal haben sie Ihn aber doch im Stich gelassen. So wohl im Sehen wie im Hören. Und wir, seine „Bande", wie er uns zu nennen pslegte, hatten eine höllische Freude daran, dah es so ivar. An einem heißen Sommernachmittag beackerte der Herr Professor wieder einmal sein Lieblingsgebiet, die kubischen Gleichungen. Bei 26 Grad im Schatten kubische Gleichungen I So unerbittlich kann nur ein Stcinstccher sein! Während Antonius Ferdinand Steinstccher an der Schul tafel eifrig mit seinen Quadratwurzelexperimenten beschäftigt war, drehte sich Emil Fleißig, mein Vordermann, vielsagend nach mir um und spielte mit sarkastischem Grinsen aus der gan zen Klaviatur seiner Gesichtsmuskeln. Mas immer ein Zeichen war, das „besondere Dinge" sich im großen Werden befanden. Gleich hinterher richtete sich Emil Fleißig halb auf und streckte beide Arme hoch, damit auch die anderen merkten, daß sich Außergewöhnliches vorbereite. Und alles lächelte still-spitz bübisch, weil man wußte: was Fleißig macht, wird gut. Emil Fleißig, der Sprößling eines kleinen Schuhmachers, der selber nicht recht wußte, welchem verhängnisvollen Versehen cr seinen Familiennamen verdankte, war in Mathematik und Geometrie genau so unbeschlagen wie im Lateinischen, aber im „Dingcdrehen" blieb er die Kanone, gegen die nichts auskam. Während wir noch darüber grübelten, was werden könnte, sauste plötzlich, von Fleißigs Arm geschleudert, ein Schuh durch die Luft, — direkt auf die Tafel, wo der Herr Professor sich in seinen kubischen Gleichungen bereits weidlich ausgctobt hatte. Wie vom Donner gerührt, drehte sich Antonius Ferdinand Steinstecher um sich selber. Dann war er eine ganze Weile sprachlos. Mit den sprühenden Aeuglein graste er die „Bande" ab. Einen wie den anderen. Dann schrie er: „Welcher Lümmel war das?" Schwelgen wie auf einem Kirchhof. »Fleißig, du . . .?" Antonius Ferdinand Steinstechcr kannte seine Hauptpappen helmer sehr wohl, wenn er auch nie recht wußte, wer im „Dinge drehen" programmäßig an der Reihe war. „Ich???" gab Emil Fleißig im Tone der ticsverwun- deten Lebcrwurst zurück. „Ich? Ganz ausgeschlossen, Herr Pro fessor! Ich hab' die ganze Zeit still gesessen und aus die Tafel geschaut." „Nun. ja!" meinte der Herr Professor, .den Burschen werd' ich mir nachher schon 'raussuchen! Es fall ein leichtes sein." Sprach's und warf den Schuh durch das ossenstehende Fenster auf den Hof hinaus. Antonius Ferdinand Steinstechcr setzte die Arbeit an der Tafel fort Gleich daraus flüsterte Emil Fleißig seinem Nebenmann Paul Minner etwas ins Ohr. Paul Minner, der auch den Spitz namen „Saftladen" führte, weil sein Vater einen Essig- und Oelhandel hatte, antwortete mit einem kurzbcsonnenen Nicken und schmunzelte dabei. Zehn Minuten später meldete sich Paul Minner beim Pro« fessor. „Herr Professor, ich bitte, mal austreten zu dürfen." Antonius Ferdinand Stcinstccher machte eine zustimmende Bewegung mit dem Kopf, und Minner hüpfte zur Tür hinaus. Alsbald kam der „Saftladen" wieder und glänzte über dis ganze Breite des Antlitzes Als cr wieder Platz genommen hatte, hob er bedächtig die Weste hoch, zog einen Schuh hervor und reichte ihn rasch dem faulen Fleißig. Emil Fleißig hatte den Schuh kaum wieder am Fuß, als die Pauseglocke wie ein« lang ersehnte Lösung durchs Pennal schrillte. Im gleichen Augenblick pslanzte sich Antonius Ferdinand Steinstechcr neben der Tür auf, um zu kontrollieren, welchem von der „Bande" der Schuh fehle. Aber merkwürdig: nicht bei einem einzigen ließ der aller unterste Mensch etwas zu wünschen übrig! . . . Der Herr Professor brummte etwas vor sich hin, was mit trigonometrischen Funktionen wohl ebenso wenig zu tun hatte wie mit dem Zentriwinkel eines Kreises. Als acht Tage später, bei der nächsten Mathcmatikstunde, der Herr Professor von neuem an der Tasel beschäftigt war, prallte zu seinem unbeschreiblichen Schreck abermals ein — Schuh gegen die Tafel. Steinstechcr stampfte diesmal mit beiden Füßen und schrie: „Na warte! Heute, mein Junge, entwischst du mir nicht. Heute wird mir keiner austreten und den Schuh wieder hercinholenl Heute werd' ich mir den Hecht schon fangen!" Und ehe man sich recht versah, flog auch dieser Schuh glatt und sauber zum Fenster hinaus . . . Bei beginnender Pause wieder das gleiche Bild: Steinstecher hatte sich abermals neben der Tür ausgestellt und besah sich wie ein Luchs die Füße. Und so unglaublich es klingt: keinem fehlt« ein Schuh. Nicht einmal dem Fleißig. Antonius Ferdinand Stcinstccher nahm ein« Pole an, al» ob er über das schwierigste aller Probleme Betrachtung halte, und er wäre möglicherweise auch heute noch nichr mit dieser Betrachtung zu Ende, wenn ihm Emil Fleißig nicht einige Zeit später, als wir uns nach der Entlassungsfeier von der oft ge quälten Seele Stcinstccher verabschiedeten, stolz wie ein Spanier gestanden hätte: „Das mit den Schuhen. Herr Professor, war nämlich so: Ich hatte mir beim zweiten Male einen alten, ein zelnen Schuh eigens mitgebracht. Den konnten Sie natürlich getrost zum Fenster hinausseuern..." Und Antonius Ferdinand Steinstecher lächelt« süß-sauer. So, als ob er sagen wollte: es war wirklich 'ne Bande! . . . Heißen Sie Roth? — Sind Sie aus der Schweiz? Wenn man sonst von amerikanischen Erbschaften hört, dann gehen die Ziffern immer gleich in die Millionen. Leider stellt sich dann nach einiger Zeit heraus, dah es mit jenen Millionen nicht so weit her war. Wenn jetzt die Iustizdirektion in Bern die in Frage kommenden Personen sür eine amerika nische Erbschaft sucht, dann bescheidet sie sich mit 25 000 Dollar. Aber diese 25 000 Dollar sind — wirklich vorhanden. In Bryan im Staate Ohio starb nämlich ein gewisser Jakob Roth, von dem man nur weih, dah cr Schweizer war. Das ist aber auch alles. Man weih kein Geburtsdatum, hat keine Ahnung, ob er jemals als Schweizer Bürger registriert wurde oder wo seine Eltern das Bürgerrecht in der Schweiz hatten. Der Schweizer mit dem Namen Roth gibt es viele. Man kann damit rechnen, dah ein grohes Wettrennen zu den Gemeinde-Registern anhebt. Wenns auch keine Millionen sind, die man aus Amerika er wartet, — 25 000 Dollar sind auch nicht zu verachten. Mider die Aleinschrist Jener Obergerichtsrat in Zürich, der den Bericht einer Kommission zur Schätzung einer Abtretung von Privatrrchtcn prüfen muhte, glaubte zu träumen. Er rückte die Brille hoch, er putzte sie. Es war und blieb so: Jene Kommission hatte alles mit kleinen Buchstaben geschrieben. Dies« Ueberraschung mar der Anlah zu einer amtlichen Auslassung, in Ser es wie folgt heißt: „Der Versuch zur Ausmerzung der großen Buch staben in der deutschen Schriftsprache hat sich bisher auf den Privatverkehr beschränkt. Ob sich die Neuerung durchsetzt, bleibt abzuwarten. Solange dies aber nicht der Fall ist. sind amtliche Schriftstücke auf keinen Fall als orthographisches Ver suchsfeld zu betrachten. Die neue Schreibweise bedeutet nämlich für den Leser, der nicht an diese Neuerung gewöhnt ist, eine erhebliche Erschwerung." Mit diesem amtlichen Vermerk ging der Bericht der Schätzungskommission postwendend zurück Man wird ihn neu schreiben müssen. Denn beim Obergerickt in Zü rich will man das Deutsche so^schreiben und geschrieben haben, wie es bislang üblich war. .mvongukun-SlbvM ÄiMevEM Ve-r e Oese<cr>os-
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