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Flurzwang und Bolksernührung Stu« Betrachtung von Dr. Frhr. von Friesen-Dresden In der Relrhstagssttzung vom IS. Oktober ISIS änderte der Präsident de» Krlegsernährungsamtes, Herr von Batockt, er könne nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn verlangt werde, ,-aß jedem einzelnen Landwirt vorgeschrieden werd«, welches Getreide er bauen solle, und andere unvernünftige Sachen*. Wir beschranken unS darauf, hier kurz zu untersuchen, ob in un serer jetzigen Zeit eine obrigkeitliche Vorschrift für Landwirte, diese oder jene Feldfrucht zu bauen — ein Flurzwang — tat sächlich eine so unvernünftige Sache ist. Wir gedenken dabei eines Besuches, den im Frühjahr 1916 der Schreiber dieser Zeilen bei dem unlängst neu hereingekommenen Pächter eines größeren Rittergutes machte, das, seit Jahrzehnten durch guten Boden und entsprechend« Verbindungen begünstigt, mit bestem Erfolg den Rübenzuckeranbau betrieben, jetzt aber ihn fast ganz eingestellt und an seine Stelle den erhöhten Anbau von weniger Arbeit er fordernden und zurzeit ebensoviel Gewinn versprechenden Futter mitteln gesetzt hatte. «Flurzwang besteht seinem Begriffe nach, wenn und soweit in einer Gemarkung die Grundbesitzer gehalten sind, aus ihrem Anbaulande einen im wesentlichen gleichen Fruchtbau mtt über einstimmenden Bestellungs-, Aussaat- und Erntefristen einzuhal ten , sagt da- Handwörterbuch für Staatswilsenschaften. Als hauptsächlicher Zweck und als Ursache des alten Flurzwanges wird übereinstimmend die Ausübung der Wegegerechtigkeit und di« Ermöglichung drr Weidegerechtigkeit genannt. Im Mittelalter überwog allgemein di« Vtehwirtschaft den Fruchtbau an Bedeu tung. Oeffentliche Wege waren selten oder gar nicht vorhanden. Es lag im allgemeinen Interesse, daß Brache und Stoppel möglichst gleichzeitig für die Beweidung frei wurden, und daß das Vieh — in Ermangelung von Wegen — die abgeernteten Fluren passieren l 'nnte. Der Flurzwang war daher allgemein und notwendig bei dem ursprünglichsten unserer Bodenanbausysteme, der sogenannten FeldgraSwirtschaft, und ist es auch während der Dreifelderwirt schaft geblieben. Er verschwindet, als gegen Ende deS 18. Jahr hunderts in den deutschen Landen die Fruchtwechselwirtschaft (hauptsächlich dnrch die Bemühungen des OesterreicherS Schubart von Kleefeld und von Albrecht Thaer) in Aufnahme kommt, und als zu Beginn des vorigen Jahrhunderts (in Sachsen am 17. März 1832) auf gesetzgeberischem Wege die sog. Gemeinheiten aufgeho ben wurden. Roscher nennt den alten Flurzwang einen «Zwang, bei den roheren Wirtschaftssystemen zu verharren', und bezeichnet ihn als ein Hindernis für eine höhere (landwirtschaftliche) Kultur kufe. Aebnltch bemerkt v. Schönberg in dem Handbuch der Polt ischen Oenonomte, -atz bet Beibehaltung deS FlurzwangeS Fort- chritte im Fruchtwechsel untunlich, wirksame Meliorationen er- chwert seien. Nach dem Angeführten mutz -er Flurzwang unS als etwas durchaus Veraltetes, ja Schädliches, und Herrn v. Batockis Be zeichnung desselben als «Unsinn* wohl als voll zutreffend er scheinen. Und dennoch möchten wir dem nicht voll zustimmen. Der große Weltkrieg hat so viele wohlbegründete Grundsätze auf mili tärischem, politischem und wirtschaftlichem Gebiete jäh umgestoßen, daß recht wohl auch hier ein mittelalterliches Stück, wenngleich in einem der Jetztzeit entsprechenden Gewände, wiederum eine beach tenswerte Stslmng etnnehmen kann. Unter den angeführten Fachschriften enthält die v. Schönbergs die Bemerkung, daß die die Benutzung des Grundeigentums be dingende wirtschaftliche Freiheit auch gewisse Einschränkungen er fahren könne, so in Gestalt der Begünstigung der rationellen Gröhe und der produktivsten Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Grundstücke, und daß der Gesetzgeber (in landwirtschaftlichen Din gen) auch auf moralisch« und sozial« Zustände Rücksicht nehmen müsse. Der gegenwärtige Krieg aber, in den das deutsche Volk unter Anspannung aller Kräfte um Sein oder Nichtsein siegreich ringt, ist doch wohl ein außerordentlicher moralischer und sozialer Zustand zu nennen, so außerordentlich, wie er vorher nicht zu ver zeichnen gewesen ist. Ein« Retye der verschtedenarttgsten Gesetz« und Verordnun gen, deren Zabl mtt jedem Tage sich mehrt, sucht diesem Sonder zustande gerecht zu werden. DI« Beschlagnahme gewisser Er- nährungSmittel, daS Ausfuhrverbot für andere, di« Festsetzung von Höchstpreisen usw. beweisen, datz man stch nicht gescheut hat, im Interesse der A lgemeinheit und mit Rücksicht auf die außerordent liche Zelt auch die bisher als durchaus richtig erkannte wirtschaft liche und landwirtschaftliche Freiheit zu beschränken. Ist es mit hin grundsätzlich durchaus nicht als unsinnig zu verwerfen, wenn man heute von einer Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit durch den Staat spricht, so bleibt nur noch zu erörtern, ob im ein zelnen auch einer obrigkeitlichen Beeinflussung der Boden benutzung — einem den Zeitumständen entsprechenden Flurzwang — da- Wort zu reden sei. Ein unbedingtes «Ja* mag vermessen sein, solang« die Er fahrungen fehlen, ein einfaches «Nein* dagegen mit der Begrün dung, daß eS sich um Unsinn handele, erscheint unS als ein tadelns wertes Eichverschließen gegen neue Gedanken, deren unsere außer ordentliche Zeit so dringend bedarf. Um den Boden des Positiven nicht zu verlassen, möchten wir hier nochmals kurz jenes Gutes Erwähnung tun, mit dem wäh rend deS Krieges plötzlich eingeschränkten Zuckerrübenbau. Der Zuckerrübenbau gilt als die intensivste landwirtschaftliche Bodenbenutzung. Ein bekannter sächsischer Landwirt hat u. a. ermittelt, daß, der Lohnaufwand für Wetzen auf 100 gesetzt, der für Kartoffeln 228, der für Zuckerrüben aber 624 beträgt. Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts wurde in Deutschland die erste Zuckerrübenfabrik errichtet. Ihre Zahl hat sich bi- zum Jahre 1913/14 auf 378 bei unS vermehrt. In den letzten Jahren ist die Zahl nicht mehr gestiegen, eher ein wenig gefallen (Im Jahre 1886 87 gab es ihrer 401), wogegen die Menge der verarbeiteten Zuckerrüben beträchtlich zugenommen hat. Sie betrug 1871/72: 2 250 918 Tonnen, 1886/87: 8 306 671 Tonnen und 1913/14: 16 939 979 Tonnen. Die natürliche Folge hiervon ist eine dauernd zunehmende Rübenzucker-Erzeugung (im Jahre 1913/14: 2 444 283 Tonnen) gewesen, die auch die Oesierreich-llegarnS (1514 253 Tonnen), Rußlands (1 525 217 Tonnen) und Frankreichs (677 700 Tonnen) erheblich übertrifft, während England und Nordamerika auf die Einfuhr des (Rüben- und Rohr-) Zuckers angewiesen sind, und weiterhin, da unsere Bevölkerung den einheimischen Zucker nicht völlig selbst verzehrte, eine starke, alle anderen Staaten über flügelnde Zuckerausfuhr. So führten im Jahre 1913 auS: Deutsch land für 266,6 Millionen Mark, Frankreich für 74,7 Millionen Franken und Rußland für 18 287 tausend Rubel, während Eng land für 24 463 000 Pfund Sterling im selben Jahre einführte. Mit Ausbruch des Weltkrieges hat sich das Bild völlig geändert. Im Jahre 1914 glaubte man, da Deutschlands Ausfuhr zum größ ten Teile unterbunden und England von einem seiner besten Ab nehmer zu seinem grimmigsten Feinde geworden war, die deutschen Landwirte abmahnen zu müssen, zu starkem Zuckerrübenbau zu treiben. Bald aber zeigte sich, daß der Zucker, insbesondere als Beigabe zur Marmelade und zum Honig, zu einem hochwichtigen VolksernährungSmittel geworden war, das w>r kaum in genügen der Menge mehr beschaffen konnten. Die Blätter, und zwar dar unter solche, denen man genaue Kenntnis der volkS- und land wirtschaftlichen Verhältnisse unseres Vaterlandes Zutrauen darf, mahnten jetzt täglich und dringend zum Bau der Zuckerrübe. Neben der Aufforderung« «Bringt euer Geld zur RetchSbank*, kann man allerorkS di« lesen: «Landwirte, baut Zuckerrüben!' Diese Aufforderung zur verstärkten Zuckererzeugung ist unseres Wissen- ebensowenig unwidersprochen geblieben, wie die das Gold betreffende. Der Gesetzgeber — wir verstehen hier den Begriff in sehr viel weiterem Sinne als sonst wohl üblich — hat, wo er es für gut im Interesse der Allgemeinheit ansah, mit ZwangSmatzreaeln nicht gespart: auf Molle und Baumwolle, auf Kupfer und Messing hat er dle Hand gelegt, und im besonderen zur an- Autbesserung der Volksernährung hat er Lebensmittelkarten, fleischlose Tage, Beschlagnahme zahlreicher Nährmittel angeordnet. Viele Maßnahmen haben sich als vortrefflich bewährt, manche weniger, einig« als durchaus verfehlt. Nicht am aulen Willen hat eS gefehlt, weder beim Gesetzgeber noch beim Landwirt — aber an Erfahrung. Lin solcher Weltkrieg ist noch nicht dagewelen. Ist eS da «unsinnig', den Versuch zu wagen, einzelne unent behrliche VolksernährungSmittel in größerer Menge zu beschaffen, indem man den Landwirt zwangSwei e anhält, diese oder jene Feldfrucht in größerer oder ebenso großer Menge wie bisher zubauen? Eine derartige, wenn auch nur vorübergehende Be schränkung der Freiheit unserer hockentwickelten Landwirtschaft hat selbstverständlich mit größter Vorsicht zu geschehen. Das All gemeinwohl aber geht unbedingt vor. Auch scheint unS die Durch führung eines solchen modernen Flurzwangs gerade hinsichtlich der Zuckerrübe nicht allzu schwer zu sein. Aus mancherlei finanziellen, wirtschaftlichen und anderen Gründen ist der Zuckerrübenbau in der Hauptsache auf den größeren Grundbesitz beschränkt geblieben. Diese Tatsache vereinfacht erheblich die Beaufsichtigung. Ins besondere aber wird der mit Politik und Volkswirtschaft meist besser vertraute, dabet kreditfähigere größere Grundoesiher sich leickler mit einem solchen Zwang adftnden, ihn kaum noch als solchen empfinden. Ob die Ausdehnung des hier kurz erörterten Flurzwangs auch auf andere Vodenerzeugnisse, z. B. die Kartoffel, tunlich erscheint kann ebenfalls sachlich erörtert werden, ehe es kurzerhan- als Unsinn bezeichnet wird. Kriegszeit in Rumänien (Nachdruck verboten.) Unser Stockholmer Korrespondent, Wolffgang Sorg«, entsandt« kurz nach dem Eintritt de« Kriegszustand«- zwei Persönlichkeiten nach Rumänien, die eine genau« Bertrautdett mit den Verhältnissen des Landes mit der Kenntnis Deutsch lands verbinden, di« jedoch durch ihre Staatsangehörigkeit di« Möglichkeit zu Reisen im feindlichen Ausland desitze». Nach der Rückkehr reichten sie ihre ausführlich«» Bericht» ein, di« in den folgenden Aufsätzen Vorarbeiter sind. Der Zug, der jeden Abend vo» Odessa nach der rumänische» Grenz» abgeht, ist stet- in gleicher Weise überfallt. Die Fahrkarten wurden, sobald nach Kriegsausbruch di» Verbindung wieder eröffne« wurde, aus den Namen ausgestellt und mußten unter Vorzeigung deS Paffe- mit vollgültigem Visum vorausbesteltt werden. Dieses Visum ist an sich bereit- äußerst schwer zu erlanoen. Vor dem rumänischen Konsulat, da- um 11 Uhr seine Pforten öffnet, steht schon um S Uhr eine lange Reih« von HotelportierS, eleganten Damen, Dienstmännern, gewagt