Volltext Seite (XML)
Nelten kskrt in die Kindkeit / Hand reicht. Metten weih'nicht, was er sagen soll. Sein Bruder hat ihm nie davon geschrieben, dah er geheiratet hat. Völlig überrumpelt steht er in verbindlicher Haltung im Zimmer. „Ich verreise, Frau Kröntttn", sagt« Helnz Metten zu seiner Wirtin. „Es ist unbestimmt, wann ich wirderkomm«. Wenn je« mand nach mir fragen sollte, St« wissen nicht». Post lassen st« lieg«».- Pl» d«r alt«rnd« Junggeselle im Zug stht, b«ginnt «r vor sich htnzutraumen. Der Bruder au» der Kleinstadt hat ihm ge- schrl»L«n. vech» voll« Jahr« ist H«inz M«lt«n nicht zu Hause gewesen. Er träumt vor sich hin und hört di« Räder rattern, Ge sichter huschen schimmernd in seinen Traum, dunlle Bäume schatten vorüber. Au» dem Rattern der Räder werden Stim men, sein Vater steht plötzlich in der Tür und spricht zu ihm, der alte Vater, der schon längst gestorben ist, dann ist «« die Mutter, di« in der Küche mit gerosstem Rock di« Teller spült und irgend ein altes Lied singt. Funken stieben durchs Fenster, heplend tost der Zug über eine Brück«. Ein Ruck schleudert ihn plötzlich wach. Spukhaft weiß leuchtet die Tafel einer Station. „Krumpendorf!" ruft der Schafsner. Der alte Bahnhof ist wieder da. Metten steigt aus und geht mit den andern durch den kleinen Tunnel. Der Geruch im Wartesaal ist geblieben. Der Ober ist noch da mit dem schwar zen, geschweiften Schnurrbart. Aber der Ober erkennt ihn nicht, ey erkennt ihn niemand. Melten geht durch die Halle aus die Straße. Zwei Chauffeure stehen neben ihren Wagen und gähnen. Die Straßen sind leer. Melten geht weiter, vorbei am Gym nasium, gleich um die Ecke, denkt er, muh der Papierladen sein, in dem er seine Hefte gekauft hat. Namen fallen ihm ein, die er längst vergessen hat. Nizztbriicke, Heiliger-Geist-Platz, Mehl grube. An dieser Haltestelle, gegenüber dem Llndwurmdenlmal, hat immer der alte Oberst gewartet, der Saremba. Und dort, in der Nische, ja, dort steht noch der steinerne Fischer, dem ein Junge durch einen Steinwurf die Nase weggeschlagen hat. Immer weiter geht Heinz Melten in die Vergangenheit. Traum und Wirklichkeit verschwimmen, aus dem Koschathstiibl klingt Zitherspiel. Der alte Hopfgartncr tritt auf die Strahe, der Lat-inlehrer, und geht nach Hause. Melten bleibt stehn und steht ihm nach. Mählich verhallt sein Schritt. Melten geht weiter. DI« zweite Strahe links muh die Hoffmannsgasse sein. Sein Bruder wohnt dort. Die Zimmer liegen im Erdgeschoß. In der Wohnung ist Licht. Die Vorhänge bewegen sich, ein Schatten erscheint am Fenster und verschwindet. Vom Kreuz bergturm schlägt di« Uhr. Einsam schwingt ihre Stimme über dem dunklen Land. Eine Katze läuft über die Strahe und glei tet lautlos in ein Kellerloch, Dann sitzen st« in einem gemütlichen Zimmer mit alten, be haglichen Möbeln. Heinz Melten blickt seinem Bruder in das vertraut« Gesicht mit den kleinen, grllngrauen Augen, die voll Ruh« sind und ohne Leidenschaft, mit den Hellen, buschigen Brauen, und hat ein Gefühl, als ob er träumen würde. Ein große» Bücherregal steht an der Wand, die alten Klassikerbände stehen in Reih und Glied, ihr Golddruck leuchtet in sein Grübeln, alle» ist noch da, die Zeit ist stehengeblieben. Tin Mädchen kommt herein und deckt den Tisch, sie breitet «in großes Tuch au» mit blauen Stickereien. Dann bleibt sie noch eine Weile stehen, mustert den East mit einem frischen, herzhaften Blick und macht «inen Knix wie di« Mädchen vom Lande, wenn sie zum erstenmal in der Stadt sind. Wunderbar ist diese» Leben, denkt Melten. Von Zett zu Zelt huscht das Mädchen herein, ihre Schürz, streift ihn. ihr Atem berührt ihn, es ist wie di« lebende, atmend« Heimat selbst. Er hält die Gabel stumm in der Hand und starrt in die Luft. „Was hast du?" fragt ihn der Bruder. „Ich würde das gar nicht so auohalten", sagt er, um die Stille zu übertönen. „Immer in derselben Stadt." Etwas Fremdes ist plötzlich zwischen den Brüdern, eine dumpfe Gegnerschaft. Heinz Melten beneidet seinen Bruder Hermann und möchte zurück in die heimatliche Stille, in das kleine Glück der Stube, aber er fühlt, dah es zu spät ist, er hat den Zusammenhang verloren mit den Dingen des leisen, inneren Lebens, er geht schwankend zwischen zwei Welten, von denen ihn keine befriedigt. Der ältere Bruder fühlt, was den andern be wegt. Heinz Melten ist eingebrochen i» seine Welt, die er sich redlich und mühsam erbaut hat. Menn nur diese Unruhe nicht in ihm wäre, die seine Umgebung vergiftet ... Die Brüder, die so ungleich sind, lieben sich, aber sie haben Angst voreinan der. Im Nebenzimmer wird es plötzlich lebendig. Ein Stuhl wird gerückt, eine Stimme sliistert. Ich habe eine Ueberraschung siir dich, sagt der ältere Bruder. Da geht mit eincmmal die Tür aus, eine kleine, brünette Frau, einen Säugling im Arm, tritt lächelnd ins Zimmer. „Meine Frau", sagt der Bruder. „Schön, dah Sie endlich mal gekommen sind", saat die Frau, indem sie Melten die „Da» ist wirklich eine Ueberraschung", sagt Melten. Lr nimmt da» Kind aus den Armen der Frau und hält es unbehol fen, al» ob es aus Glas wäre. Er fühlt, dah er nicht mehr in diesen Kreis gehört, da, flüchtige Leben der grohen Stadt hat ihn ausgezehrt. Mein Bruder, denkt er, hat Frau und Kind, er hat seine Wohnung, seine Bücher, seine schönen, stillen Spaziergänge. Ich lause in der Welt herum, und mein Bruder, der Junggeselle, hat sich eine Frau genommen, ohne mir etwas davon zu schrei ben, und aus dieser kleinen Frau ist eine junge Mutter gewor den mit einem sanften, innigen Lächeln, die ein kleine«, neue« Leben im Arm hält. Ich aber, denkt Heinz Melten, werde namenlos verlöschen wie eine Flamme, die keine Nahrung hat und sich selbst verbraucht, und niemand wird wissen, wer Heinz Melten gewesen ist, der an der Unrast seines Wesens zugrunde ging. Es ist spät geworden. Du wirst müde sein, Heinz, sagt der Bruder. Heinz Melten gibt der jungen Frau die Hand, eine ganz besondere Anerkennung liegt in diesem Händedruck, bei nahe eine Entschuldigung. Dann läßt er sich von seinem Bruder das Zimmer zeigen. „Schlaf gut", sagt der Bruder. Er steht in der Tür und wartet. Beide möchten etwas sagen. Von einem zum andern schwingt eine dunkle Frage. „Gut Nacht", wiederholt der Bruder. „Gute Nacht", sagt Heinz. Seine Stimme ist rauh. Hermann ist fort, die große Stille singlZm Zimmer. Lange sitzt Heinz Melten grübelnd aus dem Vettrand. Dann schreibt er einen Brief, legt ihn behutsam aus den kleinen Nacht tisch, nimmt seine beiden Kosser und stellt sie auss Fensterbrett. Leise schwingt er sich zum Fenster hinaus, ergreift die Kosser und geht langsam die Strahe hoch. Eine Stunde später sitzt er im Zug. Er fährt zurück in dt« große Stadt. Der Wald und die stillen Wege, die guten, kleinen Sorgen um das tägliche Brot, die gebenedeite Enge einer lieben Woh nung, das Lächeln einer glücklichen Mutter: siir Melten ist dies« Welt versunken, als er auszog, das Glück zu juchen, wo keine» war . .. Kriminalroman . Humoreske / von Andreas poltrer Melten steht vor der Tür und zögert. Dann saht er sich mühsam «in Herz und klingelt kurz und schüchtern. Eine alt« Frau öffnet mit freundlichem Lächeln und scheint, al» Melten feinen Namen nennt, eln« große Freude zu empfinden. Sie läßt ihn etwas verwirrt im Vorzimmer stehn und klopft an eine Tür. Herr Doktor, ruft die Frau bewegt, Herr Doktor, Ihr Herr Bruder ist dal Da öffnet sich die Tür mit einem Ruck, und der alt« Bruder erscheint, «rnst und würdi«, die hellblonden Haare peinlich ge scheitelt, auf der langen, geraden Nase eine Brille mit feinem Gestänge, wie ein Gelehrter sieht der Bruder aus. „Na," sagt der Bruder, jetzt bist du ja dal" Er räuspert sich und legt di«s«m fremden Herrn Melten, der aus der Großstadt kommt, di« Hand auf die Schulter. „Du mußt e, dir recht bequem »ach«»", sagt er. Diese Geschichte sollte» nur Leute mit starken Nerven lesen. Ein Mann verließ an einem nebeligen Herbstabend ein kleines einstöckige» Haus. Es befand sich in einem stillen Vor ort, der zu dieser Zeit vollkommen ausgcstorben dalag. Der Mann, der jetzt die Straße betrat, war an einem 17. Oktober geboren und hatte eine rötliche Nase. Die beiden Tatsachen sind von ungeheurer Wichtigkeit; gelang doch dank ihnen Untertnspektor Lawrence Kabruss von der !I8. Polizei inspektion die ebenso geniale wie verblüffende Lösung der über aus mysteriösen Geschichte. Der Mann mit der rötlichen Nase — er Härte aus den nichr alltäglichen Namen Manöver-Dhürenshytz — stand einen Augen blick fröstelnd do, dann entfernte er sich zögernd in nordwest licher Richtung. Seine schweren Schritte widerhallten ge spenstisch: schattenlos und flackernd, wie durch einen dichten Trauerflor, leuchtete das dünne Licht der nächsten Gaslaterne. Den Mann, der Manöver-Dhürenshysi hieß und kein Feigling war, beschlich ein peinlich beunruhigendes Gefühl; eine Vor ahnung kommender Ereignisse, wie sie manchmal den Menschen in hellsichtigen Momenten kurz vor Eintritt einer großen Ge fahr befällt. Einen Augenblick verspürte der Mann ein kaum zu bändigen des Verlangen, umzukchrcn und Hals über Kopf in das Haus zu stürzen, die Geborgenheit eines warmen, hell erleuchteten Zimmers mit dunkelgelben Tapeten und lauten, fröhlichen Männern um einen schweren Eichentisch. Manöver-Dhürenshytz verscheuchte gewaltsam dieses lockende Bild und schritt entschlossen weiter. Kaum hatte er jedoch die nächste Ecke passiert, standen plötzlich, wie aus der Erde ge wachsen. zwei unbeimliche Geltalten vor ibm Trotz der spür- Kur? 8ind die Plauderei am >Voekenende Von jslsrsku. Verehrte, gnädige Frau, oben im Schwarzwald sitzen Sie jetzt langst, um zwischen grünen Bergen und stillen Wäldern die Akkumulatoren der Verven wieder aufzuladen. Hcrrenalb wird Ihnen gewisz noch ebenso gut gefallen wie damals vor zwei Jahren. Und wenn e« dann doch einmal regnen sollte, dann haben Sie ja nicht weit bis nach Baden-Baden hinunter. Wissen Sie noch, wie wir damals Ende Oktober ans der sonnenüber- glänzten Nheinebenc kamen und plötzlich im Schwarzwald auf verschneiter Strasze fest saßen? Eigentlich war daran freilich nicht der Schnee schuld, sondern das Bersiinmnis, Kühlwasser nachznsiillen. Das war sehr spaszig, als wir Schnee in den Kühler stopften, um weiter fahren zu können . . . Aber wenn ich Kühlwasser sage, bekomme ich schon wieder Durst. Obwohl ich nicht etwa in der Sommerhitze des Mittags schreibe — bewahre, da ist man ja jetzt zu gar keiner vernünftigen Arbeit fähig — sondern in der Nacht, wenn cs einigermaßen erträglich kühl wird. Eigentlich sollte man jetzt überhaupt die Weltgeschichte umkehrcn: Am Tage schlafen und in der Nacht arbeiten. Das wäre einmal der Arbeit sehr dienlich, die in der frischen Kühle der Nacht sicher besser vorangehen würde als in der Elul- zone des Tages. Und zweitens würden dadurch alle Men schen zum Erlebnis der Sommernacht kommen. Und diese Julinächte sind wert, erlebt zu werden . . . * „Wen die Köller lieben, der stirbt snng", sagten die alten Kriechen. Ans ein kurzes Leben ist ost aller Zauber dieser Welt verschwenderisch ausgeschütlet, der anderen in IMokte im )uli langen Jahrzehnten versagt bleibt. Und so hat es auch -en Anschein, als ob die kürzesten Nächte des Jahres die reizvollsten wären. Kurz sind die Nächte im Juli, kaum 7 bis 8 Stunden dauern sie — aber welche Anmut und Schönheit bergen sie! Kunst und Dichtung sind nie müde geworden, den Zauber dieser Sommernächte zu preisen. Schade, dass Sie jetzt nicht mit mir durch die neue Kunstausstellung in Dresden gehen können. Da würde ich Ihnen einige Bilder zeigen, die geradezu wunderbar den Zauber der Julinacht ausdrücken. Sie müssen sich diese Ausstellung unbedingt ansehen, wenn Sie wieder znrück sind. Nicht nur wegen der Kriegsbilder, die hier erstmalig für das ganze Neich zu einer großen Schau vereint sind. Sondern auch wegen der optischen Köstlichkeiten, die sie sonst bietet. Da hat Paul Nicken eine Spmphonie in blau gemalt: „Abend": Vor dem weilen Himmel, an dessen unterem Rande der letzte Helle Schein zittert, und in dessen Höhe schon Mond und Sterne erstrahlen, sind ein paar Fichten ganz fein hingestrichelt: So überwirklich dünn und und durchsichtig, wie sie eben in solcher Nacht erscheinen. Der ganze Zauber der Julinacht ruht auf diesem Bild. Aber ich will Ihnen nicht weiter beschreiben, was sich nicht durch die Feder eines anderen, sondern nur durch das eigene Ange offenbart. Richard Dehmcl, der noch vor zwei Jahrzehnten so modern war und heute schon so gut wie ver gessen ist, hat den Zauber eines solchen Abends, der un merklich in die Helle Sommernacht hinüberleitet, einmal beschrieben: „Wenn die Felder sich verdunkeln fühl ich, wird mein Ange Heller. Schon beginnt ein Stern zu funkeln und die Krillen wispern schneller. Jeder Laut wird bilderreicher, das Kewohnte sonderbarer überm Wald der Himmel bleicher, jeder Wipsel hebt sich klarer. Und du spürst es nicht im Schreiten, wie das Licht verhundertsältigt sich entringt den Dunkelheiten. Plötzlich stehst du überwältigt." * Eigentlich brauchte ich Ihnen das ja nicht zu erzählen, denn ich weis;, wie Sie gewohnt sind, aus die Stimmen der Natur zu lauschen und ihrer geheimen Schönheit nachzu spüren. Kewijz haben sie schon i» dieser ersten llrlanbswoche eine klare Nacht benutzt, um die ganze Schönheit solcher Stunden wieder zu erleben und zu empsindcn Der „eherne Himmel" unserer Breiten, über den einst Koelhe so klagte, verhüllt uns ja in vielen Nächten den Anblick des gestirnten Himmels und läßt uns diese erschütternd große Schau nicht mit der Klarheit empfinden, wie sie dem Südländer be schert ist. Aber in den Jnlinächten dürfen auch wir oft und oft ganz klar den Königsmantel aus blauem Samt sehen, aus den tausend Diamanten und Brillanten gestickt sind. Auch ein kleiner Nubin ist darunter, der Akars. Und eine ganz feine Seidenschärpe ist über die Mitte des Man tels gebreitet: die Milchstraße . . . „In solcher Nacht . . ." Eie erinnern sich an die Szene aus Shakespeares „Kaufmann von Venedig", wo die Liebenden den Zauber der Sommernacht bewundern und nicht müde werden, itkispiele dafür auszusühren, daß die Liebe in diesen Sommerstunden allmächtig sei: „In solcher Nacht . . ." Aber mit dem gleichen Anfang könnte man auch von anderen großen Dingen sprechen: In solcher Nacht hat Immanuel Kant wohl zencn großen Kedanken empfunden, den er dann in das Wort goß, daß zwei Dinge ihn zu höchster Bewunderung zwängen: „Der gestirnte Himmel über mir und das moralische Kcsetz in mir". In solcher Nacht hat der alternde Koelhe, der nach dem Tode