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iriki üi« ««Ms kskns Mit einem hohlen Krach fiel die Litfaßsäule quer über den Damm. Die großen gußeisernen Abwässcrungsrohre, die für die Erdarbeiten in der Pankstraße bereit lagen, wurden herangcholt. Balken und Bretter polterten. „Vorsicht - Genostcn!!" Bumms der schwere Bauwagen lag aus der Seite in dem Eingang der Gasse und streckte wie ein großes träges Tier seine Näder hilflos in die Luft. Mit zerspringenden Glasscherben stürzten die Gaskandelaber um. Hunderte harte Hände pacllen zu. Beilpiclen schlugen in das feste, graue Asphalt. Sand flog von den Schippen und türmte sich zu unregelmäßigen Haufen, die von den Weibern festgestampst wurden. In einer entfernten Straße knallten Schüsse, sie beschleunigten nur das Tempo der Arbeit. In einem schicjen Dreieck wuchsen langsam die behelfs ¬ mäßigen Barrikaden vor der „"Noten Nachtigall". Sie riegelten die W e d d i n g st r a ß e, die Gasse und den Eingang von der Pankstrnßc her ab. Schon seit zwei Tagen lag aus einem Hof eine alte zerrissene Matratze. Iwei grauen brachten sie jetzt angeschleppt und warfen sie aus die Barrikaden. Aus den Häusern wurden die eisernen Müllkästen geholt. Die großen Kästen waren ein brauchbares Hindernis. Zwischen den Sandhausen und Balken kletterten die Arbeiter herum. Die Weiber halfen die ausgerissenen Pflaster steine nuseinanderschichten. — "Als zwei junge Arbeiter mit einer auggehobenen Hostiir die Straße hcrunterliefcn, ging ein Helles Lachen durch die Weiber und Männer. „Jupp . . . Holste oooch noch de Bettstellen?!" rief ihnen eine junge Iran nach. „Sicher, Venn wenn wir Dein Bett nehmen, würden ja die Wanzen die ganze Barrikade wcgschlcppcn . . .!" „Oho, mein Bett ist prima, hat schon manchen Stoß ver tragen, wenn ooch noch kecncn von der Polizei!" Alles lachte und schrie durcheinander bei der Arbeit. Im Laufschritt wurden Kisten, alte Körbe, Stangen, Bretter und alles, Was gerade zu fassen war, herangeholt. Auf dem Damm ging eine alte Iran gebückt herum und sammelte Steine in ihre Schürze. Das Fenster ihrer kleinen Wohnung lag kurz vor der Barrikade. Die Schüsse kamen näher. Thomas schickte eine kleine Ab teilung junger. "Arbeiter los mit dem Auftrag, die Polizei so lange wie irgend möglich von der Gasse abzuhalten. - Er war nicht mehr so ruhig wie zuerst. Mehr als einem Arbeiter hatte er schon die Masse aus der Tasche holen müssen! Es war jetzt nicht die Zeit, ihnen klarzumachen, daß die Barrikaden nur zur Abwehr für die Polizelautov bestimmt waren. Barrikaden waren bei der jetzigen Bewaffnung der Polizei selbst in einem regulären Straßenkamps kein besonderer Schutz oder gar eine Angrisfsstellung mehr. „Hallo . . . Thomas?" „Wo ist Thomas?" Er sah sich um. Auf der Barrikade standen die Arbeiter und sahen zu ihm herüber. Schnell ging er zurück. Der Kurier stand mit dem Fahrrad auf der anderen Seite, ließ, als er Thomas' sah, das Nad fallen und rannte zu ihm herüber. Sein junges Gesicht war schwcißbcdcckt. „Thomas . . ." sagte er leise, als er dicht vor ihm stand.. . . „vom Bahnhof Wedding sind zwei Autos, mit einem Maschinen, gewehr auf dem Ersten Wagen, nach hier unterwegs!" Thomas.ließ ihn kaum aussprschen Er drehte sich zu den Arbeitern herum: „Genossen . . . sofort alles in die Häuser . . . Tore verschließen... Die Abteilung hinten in die „Aotc^Nach tigall" . . . Ein paar junge Arbeiter rannten durch die Gasse: „Alles in die Häuser. . . Türen schließen . . .!!" Vom Nettelbeckplatz tonte das laute durchdringende Signal der Polizeiwagen. Da war plötzlich wieder die Gefahr, die Hellen Gesichter wurden grau, wie der dunkle Schatten einer riesigen Pistolenmiindung, die in die Gasse gerichtet war . . . Die Türen waren noch nicht alle geschlossen, als das erste Polizsiauto in voller Fahrt um die Ecke der Pankstraße bog. 'li'sbeulend rissen die Bremsen den Wagen zurück. Schweigend und klrnbsnct IsZ knapp ein »leter vor Äem kuto — üte karr ksüe Die Gasse dahinter war leer. Nur aus den Fenstern hingen wieder die roten Fahnen und bewegten sich leise, fast spielerisch im Winde. Es war Totenstille. Der Motor des Wagens surrte und sang gleichgültig und monoton weiter. Aus ihren versteckten Ecken und Winkeln sahen die Arbeiter die nach vorn gerichteten Gesichter der Polizisten wie weiße, Helle Flecke auf dem Auto. — Der andere Wagen kam heran und hielt dicht hinter dem ersten. Wartend, verblasst, ratlos, erschrocken . . . Durch die Glasscheibe vor dem Führersitz des Wagcus irrte der Blick des Majors Peil über die Barrikade in die stumme, menschenleere Gasse ... Es dauerte Minuten, bis sein Gehirn damit fertig war, daß da vor ihm quer über den Damm eine große, breite Barrikade lag. Und was — was war hinter der Barrikade . . . !? ..Verfluchter Mist ein netter Nachrichtendienst!" Er sprang vom Auto. „Wüllner!" „Herr Major?" „Ich werde verhandeln beim ersten Schuß oder wenn ich pfeife — stürmen lassen!" „Zu Befehl, Herr Major!" „Auspassen, Wüllner, wo ich hingche . . .!" Er drehte sich um und ging aus die Barrikade zu. Der Lederricmen seines Tschakos lag wie ein dunkler Strich auf seinem farblosen Gesicht. In seiner Hand wehte — ein weißes Taschentuch! Neben der „Noten Nachtigall" öffnete sich die Haustür und Thomas trat hervor. „Sind Sic der Führer?',' Die knappe militärische Stimme des Majors war nicht so aufreizend wie sonst. Er stand vorläufig hier nicht als Sieger. 1. W ISA S11 Die Gefangenen sprangen schnell von den Wagen um mde» mit Kolbenstößcn in den Flur getrieben. Durch einen Stoß von hinten stolperte ein älterer Mann über die Bordschwelle. Jemand schlug ihn über die Schläfe. Auf schreiend taumelte er gegen einen anderen Polizisten, der ihn mit einem Kolbenstoß weiterbefördcrte. Auf der Treppe griffen plötz lich seine Hände in die Luft und mit einem ächzenden Laut fiel er die Stufe hintenüber. „Mal nicht so ein Theater hier machen!" rief ein Polizist und riß ihn wieder hoch, lieber die Treppe zogen sie ihn nach oben . . . Mit Entsetzen hatte Anna, die als Letzte auf dem Wagen stand, den Vorgang gesehen. „Nein . . . nein ... ich gehe nicht runter . . . Ihr schlagt uns ja alle tot!" schrie sie. Verzweifelt versuchte sie sich gegen den Polizisten zu wehren, der sie gepackt hatte und herunterholte. Vom Treppenflur aus wurden sie mit erhobenen Händen in das Wachlokal gestoßen. Elf Arbeiter, Anna war die einzige Fran unter ihnen. Die Wache war dicht mit alarmbereiten Mannschaften gefüllt, alles blutjunge, aufgeregte Gesichter, die erst vor einigen Stunden zur Verstärkung eingesetzt worden waren. „Aha . . . da sind ja die Barrikadenbouer . . . Komm mal her, mein Bürschchen!" Ein etwa Lojäyrigcr Blonder schlug einem Arbeiter mit der flachen Hand auer vor das Gesicht. „So neben bei, obenhin . . . zum Empfang! Ha . . . .das saß, was? Wozu hatte man es gelernt in Brandenburg auf der Polizeischule. Fleisch ist besser als ein lebloser Lederball .... vss 5rbvceln rtebt j» nrrrbk tiord einen Nsken links oben . . . Brauch . . . ? „Sri, mein Junge, da liegst«? . . . Wie federleicht das ging! Spielerisch, als wenn einer durchs Gras geht und haut mit einem Stock die grünen Spitzen ab. Den jungen Polizisten durchströmte eine heiße Freude von Kraft und Tapferkeit. „Machst einen noch dreckig . . . !" Sorgfältig wischte er sich mit dem Taschentuch den blutig gewordenen Rand seines Uniform ärmels ab. Seine Kameraden lachten aufgeregt. „Kommt rein..., hier ist es hübsch warm, Ihr Moskowiter." Klatsch .... brauch . ..! Ein Gefangener flog mit einem Wehlnut an die Wand. „Willst Du Mistoieh die Flossen hochnehmen . . .!" Ein Jungarbeiter brach an der Tischecke zusammen. „Los hoch. Du faules Schwein, schlaf Dich zu Hanse ans!" Der Gummiknüppel zerbrach bei einem Schlag. Wütend schlug der Polizist noch einmal mit der Faust hinterher. Die Geschlagenen schrien wie Tiere. Es roch in der Wach stube nach Leder und Schweiß. Jetzt wurden die Polizisten erst -richtig warm. Der enge Kinnriemcn stoppte das Blut. Mit gekrümmtem Leib stand Anna, fliegend vor Erregung und Angst, ick der Tür. Ihr Gesicht, in de-m die Augen wie zwei aroße dunkle Kresie brannten, war kalkweiß geworden, Mit zittkrndcn „Wat wollen Sie . . .?" antwortete Thomas kurz, ohne die Frage des Offiziers zu beantworten. Der Major machte einen Schritt auj die Barrikade zu. „«alt ... bleiben Li^ ztenen-" rief ihm Thomas scharf zu. Er wußte, daß sich der Offizier nur die Befestigung der Barrikade ansehen wollte-. Der Major blieb sofort stehen. „Wenn Sie sofort die Barrikade räumen lasten, Ziehe ich meine Leute solange zurück!" „And stürmen nachher die Straße, nicht wahr, Herr Major!" sagte Thomas höhnisch, „...die Barrikade wird nicht eher geräumt, bis die Polizei aus dem Wedding verschwunden ist und Sie uns die Garantie geben, del die Arbeiter unjehindert demon strieren können".. „Bravo!" Der Major drehte sich erschrocken um. Aus einem Fenster der Straße hatte eine Frau gerufen. Er wandte sich wieder an Thomas und sagte nervös: »Ich garantiere Ihnen dafür, daß Sie ungestört hier alles abräumen können." „Sic kennen unsere Bedingungen,'Herr Major!" — Die Tür neben der „Roten "Nachtigall" fiel mit einem Knall ins Schloß. Der Major stand allein vor der Barrikade. Er fühlte, daß jede Bewegung von ihm durch hundert jchcnfe, feindselige Augen beobachtet wurde. Er wußte, daß er hier der Besiegte war — wie eine,, Schuljungen hatten sic ihn behandelt. Frech nnd höhnisch hatte ihn dieses Weib aus dem Fenster vorhin angesehen, ohne Furcht zu haben, daß er seine Pistole heraus reißen und ihr eins in die Fresse knallen könnte...! Er ging rasch zu dem Wagen zurück. „Abfahrcn — zurück!" In diesem Moment zerbrach die Stille der Gaste mit einem gellenden und pfeifenden Johlen. Die Fenster flogen aus. „Haut ab — ihr Bluthunde!" „Feiges Gesindel!" „Not Front!" Die Gasse zersprang fast unter dem Geschrei und Hohn gelächter der Männer und Frauen. Wie eine Rollsalve krepierender Handgranaten zerriß das Brüllen und Lachen die Luft und schlug über den geduckten Köpfen der Polizisten z-u- sammen. Das wütende, ohnmächtige Knattern der Motore wurde leiser. Sie waren fort abgezogen. Geschlagen, ohne einen Schuß, ohne einen Steinwurz. Eine einzige kümmerliche, behelfsmäßige Barrikade genügte, um ihnen ein tödlichen Schreck einzujagen. Auf Widerstand waren sic nicht vorbereitet gewesen. Händen hielt sie das Umschlagtuch vor der Buch zusammen. Das blonde Haar hing wirr in die Stirn. „Ha. . .ha sta . . .!* Vie poliristen brüllten vor l-srbev als sie die junge Fran in ihrer Todesangst dastehen sahen. Mit der mußte man sich einen Hauptspaß machen. Hübsch ist das Aas! „Komm nur, meiu Schätzchen . . . hier kriegste alles, was Du brauchst!" Einer stieß sie nach vorn. - - Von den Arbeitern drehten sich cipige langsam um. „Fresse an die Wand, hoch die Hände!" schrien sie die Poli zisten an. -- Nur ein junger Arbeiter sah noch immer zu Anna herüber. Er war unter den Verhafteten der einzige Kommunist und wußte, daß sie die Frau des Genossen Zimmermann war. Sein Blick verdunkelte sich. Die Nägel bohrten sich in die Hand flächen . . . Und dann schrie er los: „Mörder . . . Hunde Ihr, feige Hunde ...» wenn wir Waffen hätten — —!" Er konnre nicht mehr länger still sein. Egal, egal rvas kam. Er mußte diesen brutalen, höhnisch grinsenden Gesichtern das mitten hinein schleudern —, Hier oben bei den wehrlosen Gefangenen hatten sie Akut, und unten , . .? da schossen sic aus Angst vor den Fäusten der Proleten wie tobsüchtig alles über den Haufen, was sich an den Fenstern nnd auf der Straße zeigte. Seine schreiende, vor ohnmächtiger Wut weinende Stimme zerbrach unter dem Hagel von Schlägen.Mit einem wütenden Aufheulen stürzten sich sieben — acht Schupos auf ihn. „Verfluchtes Kommunistenaas! Hältst Du die Fresse!" „Haut ihn dot, det Schwein!" „Dich schlagen wir dämlich!" Mit roten, verzerrten Gesichtern stießen sie sich gegenseitig fort, nm ihn treffen zu können. Er fiel zu Boden nnd versuchte mit den Händen vergeblich seinen Kopf zu schützen. Immer noch schrie er! Mit den Stiefeln trampelten sie In sein Gesicht, in den offenen, schreienden Mund. Bis er die Be sinnung verlor und sie die Kolben in den regungslosen Körper stießen . . Keuchend sahen sic sich endlich um. Einigen staub veißer Schaum vor den Lippen. „So - der Strolch ist fertig -- dieses Aas!" Wortlos vor Erregung brachten sie ihre Anzüge in Ordnung. Der Blechschirm einer elektrischen Lampe, d>? von der Decke herab hing. pendelte hin und her. Das Licht flackerte über die zu- samincngedrängtc Grupp der Verl.aftricn in dbr Ecke. Anna war zitternd hinter einen Tisch geflüchtet und starrte zu dein jungen Menschen hinüber, der. ohne sich zu bewegen, mit dem Gesicht nach unten, auf dem Fußboden lag . . . Durch sein dichtes Haar sickerte langsam und lautlos ein dunkler, roter Streifen, der über den Weißen Nacken rann und auf die schmutzigen Holzdielen tropfte . . . nnanfhörlich. Sie hatte ihn ein paarmal mit Kurt zusammen gesehen, der den Iutrgen als einen stillen, zuverlässigen Genossen schätzte. „Na, ihr Schweine, habt ihr gesehen - so »zachen wir das mit euch allen. Euch werden wir schon lehren, den 1. Mai. zu fet«»n...l"