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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 30.01.1916
- Erscheinungsdatum
- 1916-01-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191601307
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19160130
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19160130
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1916
-
Monat
1916-01
- Tag 1916-01-30
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Monat
1916-01
-
Jahr
1916
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s. Vellage. Tonrrtag. 30. 2anuar rsia LeLp^Iger Ltttzeblatt Nr. 5L. Sorratags-Aiisgabe. Seite 1» Unterhaltungsbeilage Genoveva« Bühnenlaufbahn Von Wilhelm Widman» (Nachdruck verboten.) Genoveva von Brabant, Gemahlin de- Pfalzgrafen Siegfried, von deren rührenden Schicksalen Urkunden -er Volkssage schon im 14. Jahrhundert zu berichten wissen, wurde bereits im 16. Jahr hundert dramatisch verherrlicht und in Schulkomödien und Fast nachtslotelen aus die weltbedeutenden Bretter gebracht. Als nach dem Muster der englischen Komödianten sich auch in Deutschland Wandertruppen von Berufäschauspielern bildeten, nahmen auch diese alsbald den dankbaren Stoff in den Plan ihrer Stegreif spiele und Staatsaktionen' auf. In der Breslauer Stadtbidliothek befindet sich noch ein Theaterzettel aus dem Jahre 1680, der eine dortige Ausführung einer Tragödie .Genoveva' mit gereim ter Inhaltsangabe ankündigt, mit dein Beisatz, daß dem rührenden Stück zum Schluß eine lustige .PickeihäringSkomödie' (Hanswurst- Posse) solgen werde. Der Bersasjer ist nicht genannt. Vermut lich handelt es sich um eine deutsche Bearbeitung der im Jahre 1669 in Paris erschienenen und bald darauf in Frankreich viel gegebenen, mit Chören ausgestatteten Berstragödie .Gene- vidvede Brabant ou l'Jnnoncence Reconnue' von Certsiers. Im Laufe des 18. Jahrhunderts folgten etliche Genovevaslücke, darunter Josef Haydns Singspiel .Geno veva', das der Meister auf Veranlassung des Fürsten Esterhazy für dessen Puppentheater schrieb, das 1706 in München anonym erschienene Ritterschauspiel .Siegfried und Genoveva', das schon vor diesem entstandene, aber erst nachher veröffentlichte Drama .Golo und Genoveva' von Friedrich Müller, genannt Maler Müller, und das durch Müllers Dichtung an geregte Tiecksche Genovevaürama, das 1799 entstand und ein Jahr später im zweiten Band der .Romantischen Dichtungen' gedruckt erschien. Müllers Werk ist die erste Bearbeitung des Genoveva- stoffes von literarischem Wert. .Er hat ein großes Drama fertig, Genoveva, voll von Fürtrefflichkeiten, welches er selbst für das einzige Gute hält, was er gemacht hat', schrieb darüber Mül lers Freund Wilhelm Heinse im Oktober 1781 an Iaobi aus Rom, wo Müller seit 1778 weilte. Müller war der Romantiker unter den .Stürmern und Drängern' jener Zeit. .Golo und Genoveva', unter dem Einfluß von Goethes .Götz entstanden, war dem Dich ter besonders ans Herz gewachsen, wenn er auch später erklärte, das Stück sei nur ein .Jmproviso', das niemals die gediegene Rundung haben könne wie ein .durch die Zeit rein ausgetragenes und nach verschiedenen Ruhepunkten auf Gemütlichkeit ausgeputz- ies Werk'. Das Hauptgewicht der Müllerschen Darstellung ruht auf Golo, in dem anfangs, wie schon Hettner bemerkt, die Werther- siimmung nicht zu verkennen ist, der aber mit dem heldenhaften Trotz eines Macbeth endet. Genoveva spricht durch schöne edle Weiblichkeit an, einzelnes an ihr erinnert an Desdemona. Trotz aller Vorzüge, trotz des poetischen Dustes, der das Ganze um schwebt, übt das Werk jedoch nach Robert Prölß' treffendem Ur teil .durch das Ileberwuchern des Nebensächlichen und durch die wunderliche Mischung des Vortrags' keinen vollbefriedigenden Eindruck aus. Noch weniger vermochte aber Tiecks Trauerspiel .Leben und Tod der heiligen Genoveva' Bühnen wert zu gewinnen, das unter den mannigsaltlgsten Eindrücken alt deutscher, italienischer, englischer und spanischer Porste entstanden ist und wichtige Züge der Müllerschen Dichtung verdankt. Schiller schrieb llr seinem Brief vom 27. April 1801 an Freund Körner: .Genoveva ist als das Werk eines sich bildenden Genie- schätz bar, aber nur als Stufe; denn es ist nichts Gebildetes und voll Ge chwähes wie alle seine (TieckS) Produkte. ES ist schade um die es Talent, das noch so viel an sich zu thun hätte und schon so vie gethan glaubt; ich erwarte nichts Vollendetes mehr von ihm. Denn mir düucht, der Weg zum Vortrefflichen geht nie durch die Leerheit und das Hohle, wohl aber kann das Gewaltsame, Heftige zur Klarheit und die rohe Kraft zur Bildung gelangen.' Bemerkenswert ist auch Gervinus' Urteil über dieses Tiecksche Drama: .Die Sage voll Weltlichkeit und Leidenscha t füllt Tieck mit Frömmelei und Christentum, behandelt einen Stofs voll Ge müt und Leben, ohne uns fühlen zu lasten, daß er den Gang der Leidenschaft aus der Seele und nicht blos aus dem Gedichte kennt. Und dies folgte vielleicht schon daraus, daß der Dichter diese Sage von häuslicher Treue aus einer Zeit und einem Kreise heraus singen will, in dem man dieser Tugenden spottete; er findet daher nichts als die schönen Konventionsphrasen der Poesie/ Durch Müller und Tleck wurde Hebbel zu seiner Geno veva-Dichtung angeregt. Bevor sein Werk herauskam, erschienen noch einige Genovevastücke, die auf verschiedenen Bühnen vor übergehend ein anspruchsloses Puolikum ergötzten: «Geno- vefa, Pfalzgräfin am Rhein', Schauspiel in 3 Akten von Crenzin und Schuster (Wien 1809), Genoveva oder Die Leiden der Unschuld', Schauspiel von Ltndl (München 1812), .Genoveva', Trauerspiel in 5 Akten von Ernst Raupach und .Goto und Genoveva', roman tisch« Oper in 3 Akten mit Tanz (nach Tleck) für die Bühne be arbeitet von L. A. Görner, Musik von LouiS Huth (1839). Die letztgenannte Oper kam am 25. Juni 1841 im Berliner Hof- theater/ur Aufführung, gefiel aber so wenig, daß Ne schon nach einer Wiederholung wieder vom Spielplan verschwand. Er folgreicher war das Trauerspiel des gewandten und um jene Zeit beliebten und überschätzten Raupach. Das gertnawertiae, auf den äußeren Effekt berechnete Stück erlebte am 2. Juni 1828 im Berliner Kgl. Schausplelhaufe seine Uraufführung, der 6 Wieder holungen folgten; bald darauf erschien es auf der Weimarer Bühne, dann in München, Augsburg, Frankfurt usw. Ins Wiener Burgtheater hielt eS am 27. Oktober 1830 unter dem Titel .Schuld und Buhe' Einzug und erlebte binnen Jahresfrist 7 Ausführungen. Von der dortigen LrstauWhrung berichtet Costenoble in seinen .Taaebuchblättern', das Diener Publikum habe die Dichtung Raupachs nicht begriffen und .manches belacht, was unsereinen schaudern machte und ties bewegte'; bei der zwei ten Auffahrung sei das Stück wärmer ausgenommen worden; dle Direktion hatte weislich alle anstößigen Stellen beseitigt. Am 13. September 1840 schrieb Hebbel in sein Tagebuch: .Habe dle Genoveva angesangen, weil ich die Tiecksche las, mit der ich nicht zufrieden bin. Die ersten Szenen sind recht geglückt. Doch wird es wohl kein Drama fürs Theater' und acht Tage später: .Thränen des Danks — nimm sie. Ewiger! Aus allen Tiefen meiner Seele steigt Genoveva hervor! Nur die Kraft, nur die Liebe — dann laß kommen, was da will!' Am 10. Januar 1841 war die Arbeit bis zum Abschluß des 8. Akts vorgeschritten. .Er ist sehr lang geworden', bemerkt Hebbel inbetrefs dieses Aktes, .aber er scheint mir im dramatischen Sinne daS Beste, was ich bis jetzt machte, denn er stellt alle-, waS geschieht, rein werdend dar.' Am 1. März war dos ganze Werk be endet. dessen Plan schon vor der Lektüre deS Tieckschen Dramas in Hebbels Phantasie reiste, wie seine Bemerkungen zu Maler Müllers Dichtung, aus dem Frühjahr 1839 beweisen. Hebbel reichte sein Stück zunächst bei der Berliner Intendanz ein, die es aber unter Hinweis auf die früher mehrmals ausge- führte gleichnamige Tragödie Raupachs adlehnte. Auch Versuch« bei anderen Bahnenvorständen scheiterten zunächst. Erst nach 13 Jahren kam dle Uraufführung in Wien zustande. Inzwischen hatte Robert Schumann mit teilweiser Benützung des Thieckschen und des Hebbelschen Stückes den Stoff zur Oper ge staltet. Seine vteraktige musikalische .Genoveva' kam im Sommer 1850 im Leipziger Stadttheater unter Direktor Wirsing mit Frau Schreiber - Kirchberger in der Titelrolle zur Urauf führung. Schumann war nach mehrjähriger Abwesenheit mit feiner Gattin Klara zu der Premiere nach Leipzig gekommen und leitete sein Merk selbst, das jedoch nur einen Achtungserfolg da vontrug und auch anderwärts (z. B. 1855 in Weimar) nur flüch tig interessierte. Dingelstedt, der Hebbel mit .Judith' und .Agnes Bernauer' in München eingeführt hatte, gedachte dort auch die Hebbelsche .Genoveva' auf dle Hofbühne zu bringen, drang aber mit seinem Vorhaben nicht durch und konnte erst während seiner Weimarer Theaterleitung Hebbels Wunsch erfüllen. Inzwischen ging unter Laubes Leitung am 20. Januar 1854 im Burgtheater die Urauf führung vor sich. Da die heilige Genoveva in Wien nicht aufs Theater gebracht werden durste, hatte Laube mit Hebbels Zustim mung die Titelheldin in .M oggelona' umaetaufk. Des Dich ters Frau, Christine Hebbel, spielte dle Maggelona mit besonderer Hingabe und Innigkeit. Ludwig Löwe war ein sympathischer Rheingraf, Joseph Wagner ein ausgezeichneter Vertreter des Golo, der hier in einen .Bruno' verwandelt war, und Julie Ret tich eine fesselnde Margaretha. Ungeachtet der Schädigungen, die die Dichtung nach den Forderungen der Zensur sich hatte ge fallen lasten müssen, hatte Hebbel doch große Freude an der Auf führung; beglückt meldete er Gutzkow: .Unendlich verkürzt und zugestutzk, war der ebenso nachhaltige als glänzende Erfolg für mich noch mehr überraschend als erfreulich, denn ich wurde nach jedem Akt und am Schluß zweimal gerufen, und die Theilnahmc steigerte sich bei den folgenden Darstellungen noch mehr, well doch zum Behagen am Detail einige Einsicht ins Ganze hinzukam.' Das Interest« an dem Werk hielt bei dem damaligen Wiener Publikum aber nicht lange an; schon nach fünf Wiederholungen wurde das Stück nach einigen Wochen abgesetzt. Vier Jahre später, am 24. Juni 1858, folgte dieWeimarer Erstaufführung unter Dingelstedt als Festvorstellung zur Feier des Geburtstages des Großherzngs. Diese Weimarer Aufführung, die erste unter dem rechten Namen und ohne willkürliche Zensur eingriffe hatte nach Dingelstedts Bericht einen sehr guten Ver laus, die Darstellung ging abg rundet und die Aufnahme war rück haltlos günstig — .ein echter Erfolg, nicht ein gezwungener der Achtung'. Die schlanke, blonde Daun erwies sich als besonders geeignete Darstellerin für Genoveva. Hebbel, der nach Weimar gekommen war, berichtete seiner Frau nach Wien: .Die Weimarer haben Genoveva mit verwunderten Augen angesehen, sie aber nichtsdestoweniger akzeptiert und sowohl mich als auch dle Dar steller öfter gerufen; das wilde, seltsame Drama, mit seinem echten Feuer und seinen spitzigen Auswüchsen hatte die Wirkung, die ich für dle beste halte: Spannung, die den Odem fast beklemmte, und Ansmerksamkeit, die das Theater mit dem Markt verwechselte.' Nach Wien und Weimar wagte sich zu Lebzeiten des Dichters kein anderes weiteres Theater mehr an das ^wilde, seltsame' Drama heran. Auch nach Hebbels Tode gingen die Bühnen »iesem Werke lange scheu aus dem Wege. Erst seit 1897 findet es ich wieder aus dem Eptelolan; in jenem Jahre gingchas Kgl. Schau- pielhaus in Berlin auf Betreiben von Max Grube mit einer würdigen Aufführung voran; inzwischen folgten das Breslauer Sladttheater, das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg, das Neue Schauspielhaus in Berlin, dl« Hoftheater von München, Weimar, Karlsruhe und Dresden, di« Stadttheater in Kiel, Dortmund u. a. m. Ihnen reiht sich nun auch Leipzig an. Nach Hebbel ist der Genovevastoff noch mehrmals für die Bühne bearbeitet worden, u. a. in einem fünfaktigen Schauspiel von 2. F. Lahmann (Bremen) und in einem vierakkigen drama tischen Gedicht von F. Wlchmann (Leipzig, 1890). Der hessische Komponist BernhardScholz schrieb ein« große Oper .Golo', die 1877 in Dessau die Bühncntaufe empfing, Jacques Offen bach führte in den 1860er Jahren ein« burlesk« Oper .Geno - veoavonBrabant' nach französischem Libretto den Bühnen zu und Franz Möge!« brachte 1888 eine parodistische Oper .Genoveva' aut den Markt, deren Text- und Regiebuch bei Rebay und Robltschek in Wien erschien. Alle diese Genoveven sind längst abgetan und vergeßen, während die Hebbelsche 75 Jahre nach ihrer Entstehung wachsende Anerkennung und Bedeutung gewinnt. Der Schatten Eine unerklärliche Gefchlchke von Karl Heidt. (Rachdrum verboten.) Der Doktor erzählte: .Ich wlll nlchk, daß ihr mir glaubt. Ich will nicht, daß ihr ein« Erklärung von mir sorderk, denn ich habe kein« und ich such« auch keine. Ich will hier nur erzählen, wcs mir berichtet wurde, und was drei einwandfrei« Zeugen mir gesagt und bekräftigt haben. . Drei einwandfreie Zeugen, obwohl sie selber und sie allein in die Sach« verwickelt waren... Unter den Schwerverwundelen, dle mir überwiesen wurden, befand sich auch der junge T. Ihr kanntet ihn ja von früher her als einen unserer genialsten Dichter, der ohne seine zerfahrene Art sich zweifellos nicht nur in feinem Kreise durchgefeht hätte, sondern dessen prachtvoll« Lieder and Sänge sich gewiß auch im Volke fest gesetzt hätten. Der Krieg hatte seinem Geiste ossenbar neue Im pulse gegeben, und herrliche KriegSlleder, flammend von Begeiste rung, nannte man da und dort verstreut lesen. Fast jeder Tag brachte ein Lied und fast jedes Lied war ein Fest. Dann plötzlich schien seine Leier verstummt, und eines Tages brachte man ihn — ml r! Bleich, röchelnd beinah«, mit halderloschenem Blick lag er da, und jeder schwache, kaum merkbare Atemzug brachte einen Bluts tropfen auf seine bleichen, sonst blutleeren Lippen. Die Brust war völlig zerschoßen, und es sah schlimm, sehr schlimm um den Wackeren aus. Trotzdem aber tat man natürlich alles, was mensch- llche Kunst vermochte, um ihn zu retten, wenn auch der Fall jedem, und nicht nur mir, als ein hoffnungsloser schien. Schwester Bertha hakte die Wartung unseres Kranken mit übernommen, und — ohne daß sie dle anderen vernachlässigt hätte, denn Schwester Bertha vernachlässigte keinen — konnte man doch sagen, daß unser armer T eigentlich i h r Kranker war. Keinen Augenblick, den sie nur überhaupt frei hatte, verkrachte sie von feinem Bett«. Taq und Nacht saß sie dort und strick mit ihrer Hand — ihr kennt sie ja. die feine, zarte, schlanke Hand -- über seine kalte, mit eisigen Sckwetßpersen bedeckte Stirn und netzte seine trockenen, bleichen, lechzenden Lippen mit einem feuchten Tuche oder stößt« ihm belebende, stärkende, lungenheilende Tropfen ein. Oft und oft nahm ich mir die sich Aufopfernde ernstlich vor. Sie überschätze ihre Kräfte, sie reibe sich auf und werde sich selber noch krank machen; sie aber schüttelte nur mit dem Kopfe: .Ich würde krank werden, wenn ich ihn nicht pflegen könnte!' sagte sie, und dabei blieb sie. Trotzdem wollte es aber mit unserem Kranken nich' bester werden. Da eines Tages stürzte Schwester Bertha zu mir Herei». Ganz aufgelöst^anz erschreckt. .WaS ist Ihnen, Schwester?' .Oh . . . nichts . . . etwas so Furchtbares . . . etwas so Ent setzliches ...' Und nun erzählte sie mir: Sie hatte, wie immer, bei dem Kranken gesessen. Da plötzlich hatte er sich ganz leise geregt. Sie halte ihm geholfen, ihn in die Rückenlage zu bringen, der er offenbar zustrebte, und da, gerade als sie nach dem Medizinfläschchen habe greifen wollen, habe sie an der Wand einen Schütten gesehen. Einen Schatten in Menschen gestalt, der sich förmlich emporlöste, über die Wand hingiitt, bis zu dem offenen Fenster hin, und aus diesem verschwand. Der Atem habe ihr gestockt und sie habe laut aufgeschrierr. T. aber habe in seinem Bette gelegen und zum ersten Male gelächelt. Lächelnd batte auch ich die Erzählung der Schwester mit an gehört. .Sie sind überreizt, Schwester, Sie müssen ruhen, und heute vor allem ein Beruhigungsmittel nehmen.' Das wies sie aber mit Entrüstung zurück. Wenn s i e etwas sage, so sei es so, sie glaube denn doch Beweise gegeben zu haben, daß sie in keiner Einbildungswelt lebe, sondern genau wisse, was sie sage und waS sie tue. .Das wissen Sie auch', beruhigte ich ihr verletztes Ehrgefühl, .aber, wie wollen Sie das Gesehene erklären? Messen Schatten soll der, den Sie — angeblich sahen, gewesen sein? Seiner? Ihrer? Oder der eines Fremden?' .Seiner.' .So ist er tot?' fragte ich. .Nein. DaS ist es ja, deshalb schrie ich ja auf, weil ich auch glaubte, seine Seele habe sich von seinem Körper gelöst; dann aber, dann sah ich, daß er zwar immer noch regunaslos dalag, daß aber das Lächeln auf seinen Lippen noch nicht erstorben war, und daß seine Brust ein tiefer Atemzug regte.' .Und deshalb kamen Sie zu mir?' .Ja. Jetzt, Herr Stabsarzt, ick weiß cs, ick suhle es, jetzt muß Ihre Hand, muß Ihre Kunst einsctzen. Jetzt können nur Sie ihn noch retten.' Zwei Minuten später stand ich am Bette unseres Todwunden. Aber . . . welche Veränderung war mit ihm vorgegangen!! Eine leichte, allerdings kaum merkbare Röte lag aus seinem Gefickte. Ein säst seliges, verklärtes Lächeln auf seinen Lippen, und jetzt schlug er sogar die Augen auf. Er sah uns an, seine Lippen schienen sich wie lispelnd zu bewegen, dann schloß er die Augen wieder und sank zurück. Lächelnd. Mit dem Lächeln des Glücks. Hier war ein Wunder geschehen. Ganz ohne Zweifel ein Wunder. Und die Wissenschaft konnte sich dieses Wunder nickt zugute schreiben, höchstens die liebreiche, aufopferungsvolle, un glaubliche Pflege. Schwester Berka aber lehnte jeden Anteil an dem Wunder, wie auch sie es nannte, ab. .Es ist ein anderes, ganz anderes, das da mitgespielt hat', sagte sie. .Ein Rätsel. Eines jener Rätsel, hinter deren Lösung wir niemals kommen werden.' Und sie batte recht, obwohl wir der Lösung recht nahe kamen. Mit unserem Kranken ging es seit senem Tage ravid vorwärts. Das glückliche Läckeln verschwand nicht mehr von seinen Lippen, und der Ausdruck des Glückes und der Dankbarkeit wurde noch größer, wenn sein Blick, dieser innige Dichtcrblick, auf seiner Pflegerin ruhte. Und eines Tages erzählte er ihr: .Es ist wie ein Traum. Aber ich weiß, daß es Wirklichkeit war. Ich lag hier in diesem Bette und wußte von nichts. Da plötzlich hörte ich eine Stimme, die rief mich. Eine Stimme des einzigen Wesens, das ick ans dieser Welt liebe über alle Maßen. Und die Stimme rief in so herzzerschneidendem Weh und in so unendlicher, grenzenloser, ver zehrender Sehnsucht, daß ick ihr Folge leisten mußte. Und ich fühlte, wie meine Seele von meinem Körper sich löste. Und fühlte, wie sie sich aus mir erhob, und wie sie durch den Raum glitt und ihm spurlos entwich. Und ich sah denWeg, den me'ineSeele nahm, und sah den ganzen Weg, über den sie dahinzog. Ich sah die Berge und Hügel, über dle sie schwebte, sah die im Dunkel liegenden Felder und Wälder, ich sah das Gleis, über das schnaubend die Bahn fuhr, und flog drüber hinweg, immer dem Rufe, dem Sehnsucktsrufe entgegen, der fast wie in einem Schluchzen verklang. Und dann war ick da. Und meine Seele stand am Bett der Geliebten und sagte: .Ver zage nickt, du einzige, der auf dieser Welt mein Herz, meine Seele gehört. Verzage nicht! Denn sieh, wenn ich auch krank und wund bin. um deiner Sehnsucht, um deiner Liebe willen werde ich wieder gesunden.' So sprach meine Seele. Und die, die mich von so welk her zu sich gerufen, lächelte und war glücklich.' DaS erzählte er uns, und wir sahen einander betroffen an, ich und die Schwester. Aber wir sagten kein Wort. Nur als ich sie noch ein paar Stunden wicdersah, sah ich, daß sie bitter geweint hatte. Und wieder war ein Tag oder waren zwei Tage vergangen. Da kam ein Brief an ihn. Ein Brief, von einer kraftvoll - zarten, vornehmen Frauenhand geschrieben, und als er den Brief sah, lächelte er wieder fein schönes, frohes Lächeln des Glücks, und er bat, man möge den Bries doch erst auf sein Herz legen, und dann an seine dürstenden Lippen führen. Das tat Schwester Berta, aber sie tat es so, als ob ein weher Schmerz sie dabei dprchzucke. Trotzdem erfüllte sie auch seine wettere Bitte und las. Las einen Brief, wie sie noch keinen ge lesen. Las den Bries, der nichts war. als ein Wunder. «Innigstgeliebter! Einziger! Du Seele meiner Seele und Du Herz meines Herzens!', so begann dieser Brief. ..Wie habe ich mich nach Dir, nach einem Zeichen von Dir gesehnt! Wie habe ick in meiner Angst und in meiner Sehnsucht nach Dir geschrien! HanSi Hans! — und jetzt warst Du bei mir und hast Trost diesem ich um Dich verzehrenden, sich nach Dir sehnenden Herzen ge- pendet. Ja, Du warst bei mir. Heute Nacht bist Du zu mir gc- commen, und Du standest greifbar, fühlbar an meinem Bette und trichfl mit Deiner Hand, mit der so süßen, schönen, zarten Hand, >eren Griff wie ein Streicheln ist, über meine Stirn hinweg und agtest: .Verzage nicht. Du Einzige, der auf dieser Welk mein Herz, meine Seele gehört. Verzage nicht, denn sieh, wenn Ich auch krank und wund bin, um Deiner Liebe, um Deiner Sehnsucht willen werde ich wieder gesunden.' So sagtest Du mir, und ich weiß. Deine Seele, die mir noch niemals gelogen, kann mir auch diesmal nicht lügen. Ich glaube und warte. Ich warte, biß daß Du zurückkommst in die Arme Deiner Dick so unendlich liebenden Miriam.' So lautete der Brief. So laS sie ihn vor. Als sie aber ge endet, do war es mit Ihrer Fassung vorbei, da schluchzte sie laut auf und brach an seinem Bette zusammen. lind da, da geschah unter all diesen Wundern das Wunder barste Seine zitternde Hand tastete sich bis zu dem blonden Haar der Meinenden hin, und mit dieser zarten, schwachen blutleeren Hand streichelte er über ihr Haar weg und sagte: „Es ist meine Mutter.' Der Doktor machte eine Pause. Ja, sa. ick weiß. waS ihr sagen wollt, aber ick babe den Brie* selber gesehen. Ich hab« die Worte, die er taas vorher gesprochen hat, selber gehört, und ich gebe <«uch mein Wort darauf diese Worte waren ein und dieselben. Und wenn ihr s nickt olaubt, so fragt Schwester Berta doch selbst Dort geht sie, die Glücklich«, und der Kranke, den sie so liebevoll führt, ist Er. Wer sollte eS auch sonst fetn?'
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