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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 07.01.1916
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1916-01-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19160107029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1916010702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1916010702
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1916
-
Monat
1916-01
- Tag 1916-01-07
-
Monat
1916-01
-
Jahr
1916
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Seite 2. Nr. 1V. Abend-Ausgave^ Leipziger Tageblatt zwingen, so find auch die bisherigen russischen Angriffe gänzlich ergebnislos verlaufen. In der Regel brachen die russischen Vor- stötze zusammen, ehe sie noch bis unmittelbar an die feindlichen Stellungen gelangten, und wo es ihnen ausnahmsweise gelang, in diese selbst einzudringen, wurden sie bald darauf im blutigen Handgemenge durch die unerschütterliche Tapferkeit unserer Truppen wieder aus ihnen herauSgeworfen. So kann als Ergebnis der bisherigen, mehrere Tage währen den Kämpfe festgestellt werden, daß die Verbündeten auf der gan zen Front ihre Stellungen unerschütterlich gehalten und alle feind lichen Angriffe abgewtesen haben. In den österreichisch-unga rischen GeneralstabSberichten wird ausdrücklich hervorgehoben, daß die Gegner bei ihren mißglückten Angriffsversuchen außer ordentlich schwere Verluste erlitten haben. Auf die Abweisung der russischen Karpathcnangriffe folgte bald darauf die erfolgreiche Mai-Offensive der Verbündeten, und mit Recht hat man die Karpathenkämpfe als das Grab der russischen Armee bezeichnet. Es ist wohl möglich, daß den jetzigen Kämpfen in Beßarabien und Ostgalizlen eine ähnliche Bedeutung zukommen wird. Jedenfalls haben die Ereignisse wieder einmal gezeigt, daß die Zentralmächte nicht nur Meister in der glücklichen Durch führung großer Ossensivoperationen sind, sondern daß sie es auch gegebenenfalles verstehen, die Defensive erfolgreich zu handhaben. Noch ist unseren Gegnern weder im Westen und Süden, noch im Osten ein Durchbruch unserer Stellungen geglückt. Unerschüttert Fetzen die deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen auf allen Fronten da und behaupten die von ihnen besetzten Stellungen. Sie schaffen dadurch die Möglichkeit, die Vorteile der inneren Linie auszunvHen, und an der von der Obersten Heeresleitung ausgesuchten Stelle den Gegner mit starken Offensivstößen nieder- Züringen. Wenn auch augenblicklich auf dem gesamten Kriegs schauplätze eine defensive Haltung eingenommen ist, so berechtigt nichts zu der Annahme, daß dies ein dauernder Zustand sein wird. Im Gegenteil, man kann ihn eher als eine Zeit der Sammlung und Vorbereitung für neue Unternehmungen auffassen. Wo diese liegen, läßt sich zurzeit noch nicht erkennen. Dies werden erst die Ereignisse der nächsten Zeit lehren. Der Behauptung der einmal eingenommenen Stellung und der Abweisung aller feindlichen Angriffe kommt aber im Rahmen der Gesamtoperationen eine große entscheidende Bedeutung zu, und deshalb verdienen auch die Kämpfe, die sich augenblicklich in Beßaradien und Ostgalizien ahfpielen, eine große Bedeutung und eingehende Würdigung. Eine Rede des Abg. Schiffer <«, Der nationallibcraie Aeichstagsabgeordneke Oberverwgl- tungsgerichtsrat Schiffer sprach in der Kaufmännischen Ver eintaung in Bernburg über das Thema «Krieg und Wirt schaft'. Im Eingang seiner Ausführungen gab er in der Be- sorechung der gegenwärtigen Kriegslage einen bemerkenswerten Kommentar zu dem nach seiner Ansicht etwas unglücklich ge faßten Kanzlcrwort von den «F au st p f ä n d e r n". Wenn man sage, daß Faustpfänder zurückgegeben würden, so meinte der Abg. Schiffer, so sei das gewiß richtig; es gäbe aber auch Faust pfänder, die verfallen. Der Redner besprach dann die wirtschaftlichen Ursachen des Krieges und die Anpassungsfähigkeit der deutschen Industrie, die die Waren so herstelle, wie sie das Ausland verlange. Cs sei nicht richtig, jemanden« einen Vorwurf daraus zu machen, daß e« mit den Chinesen chinesisch und mit den Portugiesen portugiesisch korrespondiere. Wer mit dem Auslände Geschäfte machen wolle, müsse sich dazu verstehen. Die Hauptsache sei doch immer, daß man die richtige Grenze einhalte und sich nicht wegwerfe. Der Redner zeigte dann, wie Englands Versuch, uns wirtschaftlich zu erdrosseln, fehlschlug, und wie die Abschließung vom Auslande uns zum Segen wurde infolge der glänzenden Leistungen unserer Wissenschaft, Industrie und Technik. Es seien überall genügend Vorräte vorhanden, und wir kämen gut aus, wenn wir uns ein schränkten. Bedauerlich sei es ja, daß diese Einschränkung zwangs- weise herbeigefiihrt werden mußte, aber freiwillig sei nichts zu erreichen gewesen. Man habe die Leute vom Sturm auf die Sparkassen zurück- gehalten und sie veranlaßt, ihr Gold auf die Reichsbank zu tragen, weil man bei Männern, wenn man vernünftig mit ihnen rede, alles erreichen könne. Unmöglich sei es dagegen, die Frauen dazu zu bewegen, daß sie beim Herankahen einer Knappheit nicht große Vorräte Kausen und dem Verderben auSsetzen, daß sie sich freiwillig Einschränkungen auferlegen. Hier höre eben alle Vernunft auf. Und weiter sagte der Redner: wer stundenlang vor den Butterlädcn stehe und tue, als ob er verhungere, versündige sich am ganzen Volke, weil er im AuSlande den Eindruck erwecke, daß in Deutschland Hungersnot herrsche. Jeder einzelne dieser Leute könne Hunderten von Soldaten das Leben kosten. Nachdem er nochgewiesen hatte, daß Deutschland wirtschaftlich so wenig wie militärisch besiegt werden kann, führte der Redner aus, daß dem Kriege voraussichtlich eine Periode der schwersten wirtschaftlichen Krisen folgen werde. CS müsse deshalb die Frage geprüft werden, ob es nicht notwendig sein würde, eine Uebergvngszeil zu chatten, die statt der wirtschaftlichen Freiheit einen Zustand gewisser taatlicher Regelungen zuläßt. Die wirtschaftliche Absperrrung Deut ch- ands werde nach dem Kriege nicht aufhören. Nun trete der Ge- )anke des «Mitteleuropa' in den Kreis der Erörterungen. Aber chon die eine Frage eines engeren Veihältnisses zu Oesterreich-Ungarn ei überaus schwer zu lösen, und von dem Gedanken einer Zollnnion werde hier möglicherweise nichts anderes übrigbleiben als «in neuer Handelsvertrag, der dem engeren Verhältnis der Dertragsstaaten Rech nung trägt. Der Redner besprach zum Schluß die künftigen Steuer- Verhältnisse, die nicht gerade rosig werden dürften, die Kriegsgewinnsteuer und schloß mit der Erinnerung an den einen Kriegsgewinn, der nicht besteuert oder konfisziert, sondern er halten und befestigt werden soll, die innere Einigkeit deS deutschen Volkes, das in der schweren Not des Krieges ein einzig Volk von Brüdern geworden sei. Gnadenerlaß de» Königs von Bayer« Drahtberichl v^tb. München, 7. Januar. Die Kvlltspondenz Hofsmann meldet: Der König hat anläßlich seines heutigen Gedurtsfestes nachstehenden allerhöchsten Gna denerlaß betreffend die Niederschlagung von Straf verfahren gegen Kriegsteilnehmer ergehen lasten: Wir wollen zugunsten der Teilnehmer an dem gegenwärtigen Kriege die gnadenweise Niederschlagung von Strafverfahren verfügen, soweit sie vor dem heutigen Tage und vor der Einberufung zu den Fahnen begangen sind, die 1. tledeitrelungen, 2. Vergehen mit Ausnahme derjenigen, des Verrats militärischer Geheimnisse, 3. Verbrechen im Sinne der 88 243, 244, 264 des Reichs-Slraf- gesetzbuches, bei denen der Täter zurzeit der Tat das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, zum Gegenstand haben. Soweit in anderen Fällen die Niederschlagung des Strafverfahrens angezeigt ist, er warten wir Einzelvorschläge. Ausgeschlossen von der Niederschlagung sind Personen, die wegen begangener Straftaten durch Militärgerichtsurteil rechts kräftig zur Entfernung aus dem Heer und der Marine oder zur Dienstentlassung verurteilt sind oder sonst mit Rück sicht auf eine Straftat di-» Eigenschaft als Kriegsteilnehmer ver loren haben. Die beteiligten Staatsminister und das Kriegsministerium haben die zur Ausführung dieser Gnadenvorlage erforderlichen An ordnungen zu treffen. München, 7. Januar. Ludwig. Der Erlaß ist von sämtlichen Zivilministern und dem stellvertreten den Kriegsministerium gegengezeichnet. Stiftung eines neuen Kriegsordens in Bayern Telegraphischer Bericht tb. München, 7. Januar. K ö n i g L u d rv i g hat zu seinem heutigen Geburtstage einen neuen Kriegsorden gestiftet, der -en Namen .König-Ludwig- Kreuz' führen soll und als Zeichen ehrender und dankbarer An erkennung für solche Personen bestimmt ist, die sich während dieses Krieges durch dienstliche oder freiwillige Tätigkeit in der Heimat be sondere Verdienste um das Heer oder um die allgemeine Wohlfahrt des Landes erworben haben. Das von Professor Blecker-München ent worfene Ordenszeichen wurde bereits verliehen an die Königin, mehrere P rinzessinnen, den Prinzen Ludwig Ferdi- nand, die Minister, soweit sie noch nicht Im Besitze von bayrischen Kriegsauszeichnungen sind, die Hofwürdenträger, viele Be amte, Industrielle und Kaufleute. Verhandlungen in der „Perfia--Angelegenheit Durch Funkspruch vom Vertreter des W. T. B. "tb. New Bork, 6. Januar. Bei Besprechung des «Persia*-Falles verweilen die Morqenblätter ausführlich bei der gestrigen amtlichen An kündigung, daß der Präsident und Staatssekretär Lansing alle möglichen Maßregeln getroffen haben, um aus führliche Berichte über diese schwierige Sache zu erlangen, und daß sic verhandeln werden, sobald Aufklärung erlangt sein wird. New Bork, 6. Januar. „Evrningpost" berichtet, daß Senator Gore (demokratische Partei) zwei Bcschluhanträge einbrachte, zur Verbinde- rung der Ausgabe von Pässen an Amerikaner zur Reise auf Schiffen der Kriegführenden und zur Ein- schränkung des P a s s a g i e r v e r k e h r s auf Schiffen mit Krtegsmunition. Die Meinungen über die Frage der Reisen von Arettag, 7. Januar ISIS Amerikanern auf Schiffen der Kriegführenden gingen auseinander, teils waren sie dagegen, teils dafür, wenn unbewaffnete Schiffe in Be tracht kämen. Die Kathedrale von Reims TeleqraphischekBertcht tu. Frankfurt a. 7. Januar. Der Kriegsberichterstatter der «Franks. Zlg.' von der West- front, Eugen Kalkschmidk, meldet seinem Blatte: In den letzten Wochen ist immer wieder das Gerücht in Ilmlauf gesetzt worden, die Kathedrale von Reims sei nun völlig zerstört. Die beiden Türme sollen zusammengcstürzt sein. Von dem Kirchenschiff ständen angeblich nur noch kümmerliche Reste. Trotzdem wurde es, wie der Korrespon dent hört, ernsthaft erörtert. Auf Grund zuverlässiger Informationen kann festgestellt werden, daß der Zustand der Kathedrale seit zehn Monaten unverändert ist, genau so, wie in der amtlichen Dar stellung des preußischen KriegSmintsteriums «Die Beschießung der Kathedrale von Reim»' geschildert wurde. So steht dieKirche heute noch da. Der Kardinal geht heute noch ost in seine Kapelle, um zu beten. Politische Nachrichten * Zur Reichstagsersahwahl im Kreis« Sangerhausen, die am iS. Januar stattsindet, beschloß der sozialdemokratische KreiS- ausschuß, entgegen den Bestrebungen der Minderheit, di« eine Sonder kandidatur wünschte, von einer eigenen Kandidatur abzusehen und Wahlenthaltung zu empfehlen. Die Wahl des nationalliberalcn Syndikus Hirsch in Essen, die von allen bürgerlichen Parteien unter stützt wird, ist damit gesichert. * Der bayerisch« Finanzminister über bas Reichssteuerproblem. Wiederholt ist in der letzten Zeit die Meldung aufgetaucht, daß die Fi nanzminister der Bundesstaaten ihre bereits für Ende Dezember geplante Konferenz in Berlin nun Ende Januar abhalten würden, um mit dem ReichSschatzsekretär Helfferich über die Lösung des neuen Reich»- steuerproblems zu beraten. Wie der bayerische Finanzminister v. Breunig mitteilt, ist ^s noch keineswegs entschieden, ob die schwebenden Fragen auf dem Konferenzwege bzw. durch die entsprechend instruierten Gesandten der Bundesstaaten in Berlin oder aber auf einer Konferenz geklärt werden sollen. Im übrigen sei das Reichssteuerproblem in den Grundzügen schon im Sommer bei der Finanzministerkonferenz gelöst worden. * Neuregelung der Diäten im badischen Landtag. Infolge der außerordentlichen Verhältnisse der gegenwärtigen badischen Landlags tagung haben Abgeordnete aller Fraktionen einen Antrag in der Kammer eingebracht, der eine den Umständen angemessene Rege lung der Aufwandsentschädigung vorsieht. Dem Äuf- wandsentschädigungsgesetz ist eine mindestens halbjährige Dauer des Landtages zugrunde gelegt. Die Antragsteller wollen nun selbst die Diäten beschränkt sehen, und zwar in der Weise, daß den Mitgliedern beider Kammern für den ordentlichen Landtag 1915/16 nur der Teil der ihnen gesetzlich zustehendcn Aufwandsentschädigung zugcwiesen wird, der während der Dauer der gegenwärtigen Tagung und am Ersten des darauffolgenden Monats fällig wird. Die Aufwandsentschädigung, die für die Mitglieder der Ersten Kammer 2900 -tt und der Zweiten Kammer 3000 ltt beträgt, wird zu Beginn der Tagung am 1. Januar des darauffolgenden Jahres auf jeden Ersten eines Monats je zu einem Achtel fällig. Kleine Kriegsnachrichten Der totgeschwiegene „Baralong'-Fall. Die «Times' heben hervor, wie töricht und nachleilia für Englands Interessen eS gewesen sei, daß der Zensor es verboten habe, den Fall «Baralong" zu melden, der in allen neutralen Blättern zu lesen war. Reue Hilfstruppen au» Kanada. Aus Toronto wird gemeldet: Der kanadische Milizminister erklärte, er beabsichtige, noch 21 Divisio- nen aufzubringen, da er England angeboten habe, eine halbe MtlltonMännerzu liefern. Er hoffe, diese noch vor dem Sommer zusammen zu haben. Fluchtversuch eines englischen Hauptmann» im Reisekorb. Als dieser Tage der Kantinenwirt des Ofsizier-Gefangenlagers in B i s ch o f s- werda fortzog, verkroch sich ein englischer Hauptmann in einem da- stehenden großen Reisckorb, um auf diese Weise mit in den Möbelwagen zu gelangen. Der Militärposten bemerkte aber, daß sich in dem Reisekorb etwa» Lebendige» befinden müsse, und ließ ihn öffnen. Damit mißlang natürlich der schlaue Plan des reiselustigen Engländers. --- Dl« Verschickungen aus Livland nehmen, wie den «Stimmen aus dem Osten' gemeldet wird, von Tag zu Tag zu. Es läuft kaum ein Zug mehr in Irkutsk ein, ohne Livländer und Estländer auszuladen. Ver schickt sind in der letzten Zeit: Herr von Blankenhagen-Drobbusch, von Blankenhagen-Morihberg, von Blankenhagen-Weißenstein mit Frau, Pastor Bergengrün aus Wenden, Direktor Gurland aus Dorpat, zwei Brüder von Wolffeldt, darunter der Präsident deS Waisengerichts in Wenden, Rosenpflanzer, Sekretär der deutschen Landwirtschaftlichen Ge sellschaft, von Rautenfeld-Katharinen, und der Rechtsanwalt von Erz- dorff-Kupffer. Grenzer Roman von Wilhelm Poeck ISf tNachdru^i verbot«».) «Alle Wetter,' sagte Nordmann belustigt, «da muß man sich ja vor Ihnen in acht nehmen. Großhirnmenschen sind nämlich waS Aehnlichcs wie Egoisten." «Bin ich auch," erwiderte Gret trotzig. «Sie glauben wohl, mein Sinnen und Trachten geht daraus hinaus, einen Mann zu fischen." «Sie wollen also gewissermaßen selbst einer werden?' «Sie müssen nicht spotten. Ich möchte nur etwas andere» sein als zum Beispiel Nelly. Ich möchte eine —" Grets Busen hob und senkte sich, sie holte aus und rief dann mit blitzenden Augen: eine Persönlichkeit werden. So, wie das häßliche junge Ent lein —" Gret wies auf den Gänserich, der gerade gewaltig mit den Schwingen floppte — «meine Schwingen regen und dann auf ein mal — pfü — üti — in die Freiheit, in die weite Welt hinaus." Was ist ja eine förmliche Beichte," sagte Nordmann, Gret mit Verwunderung anblickend. «Ja, zu Ihnen hab ich nun mal Vertrauen. So furchtbar viel Vertrauen, wie zu keinem anderen in der Welt. Nicht einmal zu Mama. Eie sind ja ein moderner Mensch. Sic sind so furcht bar —,' Gret wollte sagen .gescheit", verschluckte es aber und sagte: «so furchtbar weit in der Welt herumackommen Mit dem guten Hildebrandt albere ich, das ist ja ein Baby. Aber ich nicht, und Sie dürfen mich nicht mehr als Babn behandeln. Sehn Sie, wenn ich auch Luklid selbst nicht gelesen habe, denn ich weiß von meiner Freundin Mag in Altona, und die weiß es von dem Mathematikprofessor in ihrer ersten Etage, daß cs ein oller Grieche war, und Griechisch kann ick leider nicht — Sie dürfen mir gern mal von Euklid etwas erzählen, ich werde es schon ver stehen." «Aber warum wollen Sie durchaus etwas von Euklid wissen?" erkundigte sich Nordmann lachend. «Weil man gründlich sein muß. Euklid hat doch die Mathe matik erfunden. Ohne Mathematik kann man kein Schifs über die See bringen, und für Seefahrten interessiere ich mich riesig. Ich wäre so gern einmal mit der .Lobra' noch Helgoland gefahren. Aber, das kostet über zwanzig Mark, und mit dem Sonntags- publikum inag ich nicht fahren. Weiter als bis nach Cuxhaven bin ich noch nicht gekommen. — O Gott, da kommt die Mekuweit. Wenn die mich hier bei Ihnen sieht, macht sie Mama wieder eine Kaffeevistte. Also ich komme.' «In einer halben Stunde," ries Nordmann ihr nach. «Und bringen Sie Fräulein Lucie und Fräulein Nelo mit." Gret rannte mit rehartigen Sprüngen über den Hof. Nord mann sah ihr mit entzückten Augen nach. Es war doch ein Prachtmädel. Wahrhaftig zum Verlieben. Nein, die war in der Tat zu gut für den braven tumben Hildebrandt. Aber ein Racker war es. Hannes, Hannes, sagte Nordmann zu sich selbst, alter Junge, nimm dich in acht. — Frau Mekuweit kam heran, mit einem gewissen Blick wie erfahrene Damen, die über das eigene gefährliche Alter längst hinaus sind, streifte sie den Herrn Haupt- amtsasststenten, der doch bei Westhusens Gänsestall unbedingt nichts Amtliches zu tun hatte. Nordmann grüßte mit steinerner Miene und rief Schotts Joseph, der von der anderen Seite über den Hof kam, ostentativ zu: «Anspannen!' Mit Decken und Wärmflaschen bewaffnet, bekleidet mit dicken Tuchröcken, den neuen Jacketts und Pelzmützen, fanden sich die drei jungen Damen in der Remise ein, längst bevor Joseph niit dem Anspannen fertig war. Sie strahlten vor Vergnügen. Es war doch zu nett, daß Herr Nordmann sich an das dumme Wagenverbot einfach nicht kehrte. Nun wurde das langweilige alltägliche Gemurkse in den alten Klosterräumen, die man nicht genügend ausmöblteren konnte, und die mit ihren mangelhaft dekorierten Wänden so leer und so gähnend dastanden, doch wie der einmal für einen Tag unterbrochen. Wie gut war es doch, daß Herr Nordmann sich nicht vor dem Hauptamtskontrolleur zu fürchten brauchte. Da kam er an, hinter ihm der Kommissarische und der lange Supernumerar Woenig, alle drei in Pelzmänteln. Nellys tzerz'schlug vor Entzücken; Woenigs auch! Nun hatte jede einen Kavalier. «Hurra!' riefen die jungen Damen und wedelten mit den Taschentüchern. Man begrüßte sich und wollte in der Remise auf den Wagen steigen. .Unsinn!' sagte Nordmann mit verschmitztem Lächeln, «unsere Taten haben das Lickt der Oeffent- lichkeil nicht zu scheuen. Wir steigen im Hofe auf." «Aber Herr Norümann!" «Joseph, fahre in den Hof, halte unter den Bureaufenstern!' «Zu Befehl, Herr Oberkontrolleur!" Joseph hielt im Hof unter Herrn Mekuweits Fenster. Herr Mekuweit trat an die Scheiben. E-i, e-i, was war denn das?! Frau Mekuweit stand vor ihrem Gänsestall. Das war denn doch eine Unverschämtheit von diesem Nordmann, diesem Hildebrandt, diesem Woenig, der g a n z g e w i h den Hammeltalg an den Tür drücker geschmiert halte, und von diesen Westhusenschen — Damen — so die Gebote des Amtes und des Anstandes mlt Füßen zu treten. — Oben am Korridorsenster erschien jetzt Schott mit einem dampfenden Glas in der Hand. «Prost Nordmann! Prost meine Damen! Viel Vergnügen!" — .Prost!" Die Packhausarbeiter und die Fuhrleute der russischen Fracht wagen, die auf Abfertigung warteten, umstanden mit gezogenen Mützen und offenen Mäulern die Britschka. Soviel Liebreiz hatten sie auf einem Wagen noch nicht verladen gesehen. Bei Gott und der heiligen Jungfrau, diese Panienkas der niemes, waren das hübsche Fräulein! Lukiet rür« vukiet ttolkow! *) Die Kleidersäume sollte man ihnen küssen, so schön und vornehm waren sie. — «Paschall!" rief Hildebrandt. Joseph salutierte mit der Peitsche nach oben, wo sein rheumatischer Herr in dem offenen Fenster immer noch das PunschglaS schwenkte, dann schnalzte er mit der Zunge. Die PackhauSarbeiter und Fuhrknechte stoben zurück, und der Wagen rasselte mit einer Eleganz zum Torwege hinaus, als ob ein polnischer Klopiez oder ein russischer Großfürst darin säße. Als man das Hauptamt im Rücken hatte, sah Hildebrandt den Vorgesetzten hoch mit etwas besorgter Miene an. «Aber was machen wir, wenn der Herr Hauptamtskontrolleur die Sache meldet?' Nordmann lächelte. «ES war doch allzu ostentativ. Ihnen wird man schon nichts tun. Aber mir. Ich habe doch neulich schon vom Assessor meinen Rüffel bekommen. Wenn Sie mich auch decken, es kann mir doch in der Beförderung schaden." Dabei warf er einen freundschaftlich besorgten Blick auf Gret. Der sollte bedeuten: Mir wär's egal, aber lch habe doch nicht nur für meine Zukunft zu sorgen. «Hildebrandt," sagte Nordmann, «wieviel Dienstsiunden haben sie plus?' Hildebrandt wurschtelte sein Tagebuch aus der Mappe und sah nach. .Acht.' «Und heute haben wir den fünfundzwanzigsten. Diese er sparten acht Stunden, diesen tkssruru« weritorum binden Sie anS Bein. Heute machen wir dem schönen Wetter und den schönen jungen Damen zu Ehre äie» »eaäowicu», und fahren statt in den Dienst ein bißchen ins heilig« Rußland." «Nach Rußland!' riefen Lucie, Gret und Nelly wie aus einem Munde. «O ja, nach Rußland!" Sie wußten sich vor Entzücken nicht zu lassen. «Nach Rußland!" schrie der lange Woenig begeistert auf dem Bock. «Nach Rußland?" sagte Hildebrandt mit besorgter Miene. tFortsetzung in der Morgen-Ausgabe.) *—— Ein Bukett Rosen! Ein Bukett Veilchen!
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