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Sächsische Volkszeitung : 16.11.1934
- Erscheinungsdatum
- 1934-11-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id494508531-193411160
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id494508531-19341116
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-494508531-19341116
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Volkszeitung
-
Jahr
1934
-
Monat
1934-11
- Tag 1934-11-16
-
Monat
1934-11
-
Jahr
1934
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CychicMr/ Hes EHomaA <Kn>F ^r/?/r//ra^ro//ra?r vo/r ^)ioöerL Maas ««artuiruck v«rtx>I«n> ccp^rlkkc d> vr. p. ». n«ul«r». k-,e» 22. Fertle!"'"" Der Schofför ging. Heinl patrouillicrta um den Wagen — bis der Schofför außer Sicht und auch niemand anders zu sehen war. Dann kurz entschlossen: ein Griff in die Polstertasche, die Papier« herausgerissen, bei sich eingesteckt und — das Lack-en verkniffen! Denn Heini hätte einen Lustsprung macl-on mögen vor Freude. Er konnte sich nicht getäuscht haben: Pag und Führerschein waren bestimmt bei den entwendeten Papieren, vielleicht noch andere, höchst angenehme Uebcrraschungen. Als er den Schofför von weitem kommen sah, ging er ihm entgegen, der Stadt zu, wünsch!« ihm lachend gute Heimfahrt und lieh sich zum Dank für sein Aufpassen noch eine Zigarette geben. Immer stärker quoll ihm der Atem der Weltstadt entgegen. Sobald er den Eleisstrang der Etrahenbahn erreichte, wartete er auf di« Elektrische, fuhr bis in das Weichbild der Stadt und begab sich in ein mittleres Restaurant. Das Lokal war dunkel und noch nicht ganz durchlüftet. Bier- und Tabakgeruch hing in den Ecken, wo schlechtgepolsterte Sessel den Eindruck erborgter Gemütlichkeit vortäuschten. Heini schob seine Schachtel unter den Stuhl und bestellte Bier. Der Kellner unterbrach das Silberputzcn und brachte das Gewünschte, ohne den einzigen East näher anznschen. Heini verlangte dann das Telefon buch und eine gute Zigarre. Mürrisch, weil er zrveimal be lästigt wurde, bemerkte der Kellner, das Telefonbuch liege in der Telefonzelle Zigarren seien nur zu 30 vorrätig. „Zu dreißig, dann meinetwegen. — Wo ist die Telefon zelle?" Sie war hinter dem Büfett. Heini suchte die Nummer des Rechtsanwalts Dr. Simon, rief an und erfuhr, daß der Herr Rechtsanwalt persönlich nur von 1 bis 2 Uhr in ganz dringenden Fällen in seiner Wohnung zu sprechen sei. Seine Bürostundcn seien abends von b Uhr an. — Gut, «r werde um 1 Uhr vorsprechen. Heini hatte noch eine gute Stunde, eh« er ausbrcchen muht«, holte sich einen Stoh Zeitungen, zündele seine Zigarre an und begann hinter der ansgespannten Zeitung die Auto papiere zu studieren. Cie lauteten auf den Namen eines Kauf manns Merkel, eines gesund und energisch aussehcnden Mannes im Alter von etwa 39 Jahren. Ein kleiner Spitzbart lieh ihn anscheinend etwas älter erscheinen. Heini überflog alles, Pah, Führerschein, Triptic, eine Straßenkarte für die nächste Umgebung und einige belanglose Papiere. Dann trennte er sein Nocksutter auf, ließ die hier verborgenen Briese, etwa zehn an der Zahl, durch seine Hand gleiten, steckte sic in seine Brief tasche, um sie am nächsten Postamt zu franlieren und abzu senden, schob dafür die Autopapiere hinter das Futter und steckte Krolls Brief griffbereit in die Brusttasche. Der Rechtsanwalt empfing ihn in seinem Privalbüro mit krauser, fragender Stirn. Heini erklärte ohne Umscblvcise, er komme, um einen Bries von Herrn Thomas Kroll abzugcbcn. „Kroll?" — Wie kommen Sie zu Kroll?" „Von Kroll, Herr Rechtsanwalt. — Wir waren zusammen — bis seht. Drüben — Sie wissen doch." Heini setzte die freundlichste Miene auf, die sein verschmitztes Gesicht zustande brachte, und beobachtete die Wirkung seiner Worte aus den kleinen, sympathischen, in elegantem Anzug steckenden Rechtsanwalt. Dr. Simon wies Heini mit der Hand in einen der breit beinigen Ledersessel, lieh sich in seinen Schreibsessel nieder und las den Brief. Warum er sich zurückgezogen habe, schrieb Thomas. Er brenne darauf, zu ersahren, wo Evelyn sei. Noch mehr, er halte das Lebon im Zuchthaus nicht länger mehr aus — werde ausbrcchen — Evelyn sucl-en — neues Bemeismaterial er bringen — den Prozeß neu aufrollen — er (Dr. Simon) solle für alle Fälle das Geld bereithaltcn und dem Ueberbringer IE Dollar aushändigen gegen beiliegende Quittung. Der Mann werde versuchen, die Koch auszuhorchcn. — Er (Thomas) glaube, daß die Frau mehr wisse .... Als Dr. Simon den Vries überflogen hatte, nahm er die Quittung in Augenschein. Kein Zweifel, sie war echt. Das war Krolls Handschrift, energischer, eckiger als sonst, ganz im Etil und der Sprache des Brieses nngepafzt. Uno der Ueberbringer? — Nun, sein Helfershrlser. — Ein verdammt geschickter Bursche schien es zu sein. Der dunkle Anzug lieh nicht gleich den entlassenen Zuchthäusler vermuten. Aber der Geruch um ihn war eigenartig, die Finger fast mit weiblicher Sorgfalt gepflegt, das Schnurrbärtchrn zur unbedeu tenden Nase hin gedreht, die Stimm« näselte ein wenig, sein Lächeln rvar säst unverschämt dünn und überlegen. „Hm, wie geht es Herrn Kroll?" „Oh, so weit ganz gut, hähähä — wie es unsereins gut gehen kann." „Nnna, ich will Ihnen das Geld geben. Wenn Sie sich irgendwie für ihn nützlich machen wollen, ist das natürlich Ihre Sache. Ich habe es für gut gehalten, die Dinge so, wie sie jetzt liegen, etwas weiter reisen zu laßen. Selbstverständlich kann ich mit Kroll nur auf dem durch die Anstaltsordnung vorge sehenen Wege verkehren. — Was Herr Kroll sonst mit Ihnen geplant haben mag, interessiert mich weiter nicht." „Ich verstehe, Herr Rechtsanwalt, hähähä." Heini strich die ihm vorgezühlten 1000 Dollar schmunzelnd ein und versprach, Herrn Kroll zu grüßen, sobald es ihm mög lich sein würde. Im Borzimmcr griss Heini hastig sein zer knülltes Hütchen und verschwand. — Bon allen Wundern, die heute noch aus Erden geschehen, ist das größte die Wandlung, die in einem Menschen vorgeht, der plötzlich im Besitze einer großen Geldsumme gelangt. An Heini vollzog sich in diesem Augenblick das Wunder einer solchen Wandlung. Aus dem kleinen, engen Horizont hinter der niedrigen Stirn dieses Mannes wurde ein großes Feld, daraus sich im Nu ein klar geordneter Plan präsentierte. Und Kräfte wurden in ihm wach, die ihn früher stets mit Be wunderung erfüllten, wenn er sie bei andern entdeckte. Sein Gang strasjte sich, sein Kopf stand sest und hoch im Nacken, sein Blick streifte die ganze Breite der Straße, als wenn er das herrlich flutende Leben in sich hineinströmen laßen möchte. Di« Straße mündete auf einen Parkplatz für Mietautos. Er faßte den schönsten Wagen ins Auge, trat aus den Chausseur zu, merkte gleich dessen mißtra-uischen Blick aus seine wenig ver. trauenerwcckende Kleidung, zog den in der Anstalt erhaltenen Zehnmarkschein, zahlte im voraus, ließ sich die Tür öffnen und bemerkte nur: „Ich werde Sie länger brauchen. — Fahren Sie zunächst zur erstbesten Wechselbank. Mit gespickter Brieftasche ging es dann zum elegantesten Herrenkonsektionsladen, von da zu einem erstklassigen Schuhge schäft, Wäscheatelier. Hutgeschäft und endlich gegen Abend zum Hotel „Europäischer Hof", wo Heini sich als Kaufmann Hein rich Merkel eintrug und mit devotestem Respekt vor seiner schneidigen, seriösen Person zur ersten Etage geleitet wurde. Hier lagen die von ihm verlangten zwei Zimmer mit Bad. Ein halb Dutzend Pakete waren bereits für ihn eingegangen und wurden mit vielen Verbeugungen heraufgebracht und ausge packt. Nach einer halben Stunde meldete der Hausdiener, das Bad sei fertig, nach einer weiteren Stunde stieg Herr Merkel — Kavalier von Format — blühend und frisch wie von der Morgenröte geküßt und schick wie der Prinz von Wales in eige ner Person, die mit schwellenden Teppichen belegte Treppe des Hotels hinunter, ließ sich in die Polster des am Eingang war tenden Wagens fallen und besaht, die Zigarette nachlässig im Mundwinkel, vor der „Oase" zu halten. Hier entlohnte er den Chausseur — reichlich! — bestellte ihn für 21 Uhr wieder zurück und betrat das Foyer der Bar. Dem Boy, der ihn aus seinen Mantel schälte, drückte er ein Fiinfmarkstück in die Hand und fragte, ob es hier eine Bardame mit Namen Koch geb«. Der Junge bejahte, verstand gleich, daß es eine Heimlichkeit mit ihr sei, beschrieb sie so ähnlich, wie Thomas sie gezeichnet hatte, und gab tuschelnd zu verstehen, welchen Platz sie hinter dem Büfett innehabe. Erhobenen Hauptes und mit hochmütig zugekniffenen Augen glitt „Merkel" an den schon besetzten Tischen vorbei und nahm in der Nähe des Büfetts an einem kleinen Tisch Platz. Das intim abgestimmte Lokal war ersiillt von der Atmosphäre, stillen, aber verschwenderischen Genußes. Hier gab es vor allein nur Len ..Dernier cri" — von der Musik, von der Farbe, vom Licht, vom Wein, von Weib und Mann. Lautlos servienen Kellner ein ausgesuchtes Mahl, das Heini mit den Allüren eines vollendeten Gentlemans verzehrte. Oh, er bezwang sich! — Silber statt Aluminium — Austern und Kaviar statt Erbsen und „blauen Heinrich", und so viele andere Dinge, sür die cs drei Jahre hindurch kein Gegenstück gab! Er bezwang sich und gab seinen Augen reichlich Zeit, von dem zu genießen, was sich um ihn an blühender, versiihrerisch dustenden Reitzm präsentierte. Immer wieder kehrten diese kleinen, listigen Aeuglcin zum Büselt zurück, trafen sich mit zwei großen Augen, die zuerst müde und gelangweilt ans einem Roman ausblicklen und gar nichts zu sagen wußten. Dann war's, als sei ein Funke zu ihr übergesprungen von dem Unbe kannten da an dem kleinen Tisch. Immer noch müde und — ein klein wenig verdrießlich hob sie den schweren, rotblonden Kopf, warf mißmutig ihr Haargelock zurück und reckte den Ober, körper hoch. Sie trug ein schwarzes Seidenkleid, das im obe ren Drittel in seine Spike übergina. (Fortletzung folgt.. Flugzeuge fangen Bazillen ein. Bei den Bemühungen, festzustellcn, auf welche Weise sich verschiedene als Krankheitsüberträger gefürchtete Klcinstlebe- mesen verbreiten, hat man neuerdings zum Flugzeug als Bun desgenossen gegriffen. Verschiedene Gelehrte der amerikanischen Universität Cambridge haben sich hoch über den Wolken aus die Bazillenjagd gemacht. Ein bekannter Biologe bediente sich da bei drei verschiedener Verfahren. Einmal führte er sogenannte Musterdosen mit sich, die einen für bestimmte Bakterien be- onders günstigen Nährboden enthielten. Ferner bediente er sich offener Becken mit gleichem Inhalt und schließlich mit Va selin bestrichener Glasplatten. Alle drei Vorrichtungen wurden in luftdichten Behältern mit in die oberen Luftschichten ge nommen, um zu verhindern, daß sich bereits während des Aus stiegs irgendwelche Bazillen auf ihnen sammelten. In einer Höhe von -1000—5000 Nieter wurden die Behälter dann geöff net, und die Jagd begann. Wie man als Ergebnis dieser Ver suche feststellen konnte, besteht durchaus die Möglichkeit, daß sich beispielsweise die Erreger der Maul- und Klauenseuche auf dem Wege über die höheren Luftschichten über weite Gebiete verbreiten. Ferner kamen die beteiligten Forscher zu dem Schluß, daß zahlreiche Kleinstlebewesen noch in Höhen von mehr als 4000 Metern mit ungeminderter Anstcckungskrast Vorkom men, und schließlich stellte es sich auch noch heraus, daß Wol ken eine größere Anzahl von Bakterien enthalte» als die am nächsten unter ihnen liegende» Luftschichten. Verse als Heilmittel. Die „KreuzzeUung" macht auf die Erkenntnisse rlner sran« zösifchen Medizinerin aufmerkfam, die bei eingesieischten „Pro-' saisten" «in leichtes Grinsen Hervorrufen dürften. Frau Guillet kommt den wahrlich heute nicht sehr beneidenswerten Enthusiasten des Wortes, den Lyrikern, zu Hilfe. Sie unterbaut di« Aesthetik medizinisch-wissenschaftlich, indem sic eine gewiße Heilkraft der Verse sür nervöse Störungen entdeckt haben will. Die Beobachtungen der Frau Guillet sind in der Zeit'christ „La Revue de France" niedcrgelegt. Danach hat die Medizinerin als ganz besonders heilkräftig den Alexandriner erfunden, der mit seiner gleichmäßigen, von der Zäsur abgetcilten Bauart ein' „vorzüglicher Regulator" sei. Sic schreibt: „Kurze oder lange Verse, weibliche oder männliche Reimpaare, dies alles beeinflußt die allgemeine Strahlungsstärke einer Strophe und demzniolge ihre Fähigkeit, aus einen nervösen Menschen iiberzugreifen." Frau Guillet hat bei ihren durch vier Jahre hindurch unter nommenen Versuchen die interessante Beobachtung gemacht, daß G-dichte solche Heilkraft besitzen, auch wenn der Patient den gedanklichen Inhalt der Verse nicht ersaßt. Bei einer Patientin, von der die französische Aerztin berichtet, hat die Kur sogar Io gut angeschlagen, daß sie während der Hausarbeit Verse, vi« sie selbst aus dem Stegreif machte, vor sich hin sprach, wobei nur zu bedauern ist, daß es dieser jüngsten Stegreifdichters« nicht möglich war. die Verse festzuhalten: sie waren anscheinend im wahrsten Cinn« des Wortes für den Hausgebrauch bestimmt Frau GuiNrt zählt in ihrer Verössentlichung eine ganze Reih« von Heilungen auf: Drang zu Selbstmord, fixe Idee, Angstzu- b""de hat sie mit ihrer „Verskur" beseitigen können. Der Brfefmarken-Kurier. Augenblicklich reist ein Mann durch die ganze Welt, der ,n seiner Brieftasch« «in winzig kleines Stück Papier bei sich trägt, und doch verlangt er für dieses Stückchen Papier den ansehn lichen «reia von 120000 Mar«. E» bandelt lick» um den Agent«» einer Amerikanerin, der einen Käufer für eine Briefmarke aus dem Jahre 1856, eine Vritisch-Euyana-Marke im Originalwert von einem halben Penny sucht. Dieses Exemplar ist bekanntlich eine der größten Selten heiten und besitzt daher einen enormen Liebhaberwert. Die seltene Marke gehörte dem berühmten amerikanischen Millionär Arthur Hind, der gleichzeitig einer der leidenschaftlichsten Sammler gewesen ist und eine Kollektion besessen hat, deren Wert auf viele Millionen Mark geschätzt wurde. Bei seinem Tode ist die kostbare Sammlung an seine Gattin Lbergcgangen, die den wertvollen Besitz zu veräußern wünscht. Ein Teil der Sammlung ist tatsächlich bereits verkauft worden, und zwar aus einer öffentlichen Versteigerung in Neuyork. Es ist dabei eine Bruttoeinnahme von anderthalb Millionen Mark erzielt wor den. Die zweite Hälfte der Hindschen Briefmarkensammlung soll Im kommenden Frühjahr, gleichfalls aus dem Wege der Versteinerung, verkauft werden. Man hasst, diesmal noch wesent lich höhere Preise zu erzielen unv mindestens drei Millionen einzunehmen. Dieser Hals-Penny-Wert aus Britisch-Guyana mit dem Stempel des Iabres 1856 sollte jedoch nach dem Wunsche der Witwe Linds nach Möglichkeit nicht aus der Versteigerung ver ¬ kauft werden. Sie hofft, diese seltene Marke aus dirckreiv Wege, durch Angebot an die bekanntesten Sammler der Weil vorteilhaft und günstiger untcrbringen zu können. Allerdingc ist der Preis von 126 000 Mark, den sie fordert, reichlich hoch Io daß die Zahl der Interessenten außerordentlich gering ist Im ganzen handelt es sich unter diesen Umständen überhanpi nur um siins, die in Frage kämen, und von ihnen leben zwe In Europa, zwei in Nordamerika und einer in Indien. Durch die Blume. Emil Götze sang einst den Lyonel in der Flotowschcn „Martha". Ein großer Verehrer dieses damals sehr berühmten Tenors hatte zum Parkettnachbar einen sehr geschwätzigen Musikkritiker, der, während Lyonel in süßcn Tönen sang, immer fort aus den darob unglücklichen Tenorsrennd einredete. Dieser machte nun ein sehr unwilliges Gesicht, welches dem redseligen Kritikus nicht entging. „Was ist Ihnen?", fragte er ganz un- vcrsrorcn, „ist Ihnen, irgend etwas Unangenehmes passiert?" »Ich ärgere mich," lautete die Antwort, „über diesen Götze, der mich verhindert, Ihre „interessante Unterhaltung" anzuhören." Weiße Parias in Amerika Blick in einen unbekannten Winkel — Llend im „Poor whites", so werden die armen Weißen der Süd staaten der nordamerikanischen Union genannt, die im Staate Georgia eine Stammesgemcinschast bilden. Diese Leute stellen eine Klasse für sich dar, eine Schicht, die selbst von den die Halste der Bevölkerung dieses Südstaates nusmachenden far bigen Brüdern verachtet wird. Hier zeigen sich Bilder, die uns einen Blick in einen Winkel Amerikas tun lassen, von dem sich die Welt, von dem sich aber auch die Bewohner der großen Städte und der fortgeschrittenen Lnndgebietc der Vereinigten Staaten nichts träumen lassen. Schon die Schwarzen sehen in diesen weißen Parias nur eine von Haus aus inferiore Rasse, deren Entartung sich ständig verschärft hat durch Eiend, Krank heit und Laster, die jahrhundertelang wirkten. Man begegnet diesen verelendeten Weißen überall In Georgia; man erkennt sie leicht an dem stumpfen Ausdruck ihrer Gesichter mit Augen, die bald teilnahmslos ins Leere blicken, bald in instinktiver Wildheit flackern immer aber den gänzlichen Mangel geistiger Anteilnahme offenbaren. Sie gehen barfuß, in Lumpen ge hüllt und schenken ihrer äußeren Erscheinung keinerlei Auf merksamkeit. Fast alle kauen Tabak, den einige, ehe sie Ihn zum Munde führen, durch Bestreichen mit lehmiger Erde pikanter machen. Es sind das die „clayeaiers", Erdcsser. Zuweilen sieht man sie In Begleitung von Frau und Kindern und be laden mit dem armseligen Hausrat im Lande herumziehen. In der vagen Hoffnung, ein Stückchen Land zu finden, das bester ist als das, das sie eben verkästen haben. Es sind die Ueberlebendcn einer weit zurückliegenden Epoche, in der alle wirtschaftlichen und sozialen Pflichten sich darin erschöpften, ein Stückchen Land zu ergattern, eine Hütte aus Baumstäm men zu errichten, ein paar Fische im nahen Fluß zu sangen und auf Eichhörnchen Jagd zu machen. Ein spindeldürres Schwein von der Sorte, die man wegen ihrer Schmächtigkeit „Rasierklinaenschwein" nennt, stellt das ganze Kapital und die Rahrungsreserv« «iner Familie dar. Sozial« Pflichten oder Staate Georgia — wcitze, die wie wlldc leben auch nur die Achtung vor dem Eigentum und dem Leben d«r anderen sind hier wesensfremde Dinge. „Sie nehmen alles, was und ivo sie es finden und sind stets bereit, einen Men schen aus nichtigstem Anlaß totzuschlagen", so schreibt der Neiseberichterstntter eines italienischen Blattes. „Man brauck>1 nur ein Viertelstündchen unter ihnen zu weilen um sich darü ber klar zu werden, daß man es hier mit einer Art infantiler Geistigkeit, einer organischen Unfähigkeit zu tun hat Gedanken zu formen u. sie in einen vernünftigen Zusammenhang zu brin gen. Und noch viel weniger ist cs diesen an der Zivilisation Entarteten der weißen Rasse gegeben. Tun und Lassen, Ziel und Richtung zu verleihen, die Folgen von Handlungen zu er messen und das Leben nach einem bestimmten Plan zu gestal ten. Sie lassen sich von primitiven, augenblicklichen Impulsen treiben. So sitzen sie stundenlang unbeweglich vor den Tiirlvenecn ihrer elenden Baracken, während die Kinder splitternackt sich mit Hühnern und Hunden hcrumbalgcn. Einige scheinen be reits im Zustande des Idiotismus, der ihnen nicht mehr gestat tet, den Kopf aufzurichten; andere wieder verfolgen den Frem den mit haßerfüllten Blicken. Es ist nicht angczeigt, Halt zu machen, um sich in der (-egend, in der sie leben, etwas gründ licher umzuschauen, und noch weniger empfiehlt es sich, liier photographische Ausnahmen zu machen. Wie bei den wilden Stämmen und den Negern, mit denen sie in enger Berührung leben, bedarf es einer langen Erfahrung und verwickelter di plomatischer Aktionen, um ihr Vertrauen zu gewinnen Es ist geradezu als ein Wunder zu bezeichnen, daß mir durch Vermitt lung hilfreicher Freunde überhaupt Gelegenheit wurde, tiefer in das intime Leben dieser Halbwilden einzudringcn. Ja, ü« sanden sich schließlich sogar bereit, uns nicht nur ihre Stamiyes« weisen vorzusingcn, sondern sogar in ihren charakteristischen Stellungen vor der Kamera zu posieren. Es sind Bilder, von denen man schon in Newyork sich nicht» träume« läßt."
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