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271, 22. November 1913. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dljchn. Buchhandel. 12691 kurz zusammcnzufassen: Auf Bücher mit einem Ladenpreise unter 5 krs. darf kein Rabatt mehr gewährt werden, auf solche von 5 bis 20 krs. 57°, über 20 krs. 10 7». Leider sind die Aus nahmen und offenkundig geduldeten Umgehungen zahlreich. Der 3 krs. 50 e.-Band kostet nach wie vor nur 3 krs., juristische Werke und alle Lieferungen an Bibliotheken, städtische und Regierungs- Behörden, Schulen, Professoren und Lehrer bleiben in der Praxis bei der alten Rabattierung von durchschnittlich 10 7». Zur Hauptversammlung hatte nun das Lütticher Buchhändlersyndikat (Ortsverein) den Antrag gestellt, daß diese neue Verkaufsordnung ohne irgend welche Beschränkungen auch in Belgien ein- gcführt werde, und zwar — ohne jedwede Vorbereitungs zelt vom 1. November ab. Der Präsident des llsrsls bsl^e, der gerade aus Paris zurückgekehrt war und die gute Nachricht mitgebracht hatte, daß die Pariser Buchhändler und Verleger sich nach jahrlangem Zaudern endlich mit dem belgischen Buchhandel formell solidarisch erklärt und sich zum Schutze der französischen Verkaufsordnung in Belgien verpflichtet haben, stellte sich zu dem Lütticher Anträge sympathisch, wollte dessen Ausführung aller dings noch mindestens bis zum 1. Januar aufgeschoben sehen. Er fand jedoch von seiten der Brüsseler Sorti menter, insbesondere des 1. Schriftführers, Herrn Ramlot, und der Herren Lamertin, Vromant und Thron, einen ebenso unerwar teten als heftigen Widerspruch. Dieser wurde durch die unbe strittene Tatsache hervorgerufen, daß eine große Anzahl bedeu tender französischer Firmen der neuen Verkaufsordnung über haupt nicht beigetreten ist, darunter fast alle katholischen Ver lagshandlungen, sowie mehrere der größten medizinischen Spe zialbuchhandlungen, die Belgien mit Tausenden von Katalogen (mit ostentativen Nettopreisen!) durch Reisende und unverlangte Sendungen anPrivatpersonenüberschwemmen.Die erregieDebatle wurde durch den Beschluß beendigt, der französischen Verkauss- ordnung erst dann beizutreten, wenn man die Gewißheit habe, daß sie auch in Frankreich bzw. bei allen in Betracht kommenden fran zösischen Verlegern rückhaltlose Geltung gefunden habe — nach Lage der Dinge liegt dieser Zeitpunkt leider noch in weiter Ferne. Von großem Interesse war auch der Wechsel im Präsidium des Oerels bol^e bzw. der Rücktritt des bisherigen Präsidenten, Herrn E. Vandeveld, nach Ablauf seiner dreijährigen Amts periode. Herr Vandeveld scheint tatsächlich amtsmüde zu sein, was man ihm nicht verdenken kann. Hat er doch eine Vorstands tätigkeit von nicht weniger als 27 Jahren hinter sich; zuerst als beigcordneier Schriftführer, dann als Schriftführer und Präsi dent. Beinahe ein Menschenalter hindurch war er die eigentliche treibende Kraft im buchhändlerischen Vereinsleben Belgiens und hat das belgische Buchgewerbe auf nationalen und internationa len Kongressen, Konferenzen und Ausstellungen mit außerordent lichem Geschick und einer erstaunlichen Menschen- und Fachkennt- nis vertreten. In Paris und London, in Amsterdam und Buda- Pest, in Madrid und Bern, in Leipzig und Berlin ist er beinahe ebenso bekannt und geschätzt wie in seinem engeren Vaterlande. Wenn Ludwig XIV. von sich sagen konnte »I7stat e'sst moi«, so war es keine Übertreibung, keine Lobhudelei, wenn einer der Red ner auf dem der Generalversammlung folgenden Festessen zu dem Jubilar sagte: »I,« Osivie äs la lübrairis, e'sst vorig«. Um dem belgischen Buchgewerbe die großen Erfahrungen des Herrn Van develd auch für die Zukunft zu erhalten, wurde er auf Antrag des Vorstandes als msinbrs permanent du eonseil d'sdministra- tlon, d. h. als beigeordnetes Vorstandsmitglied auf Lebenszeit ernannt, eine Ehrung, die in unserem Vereinsleben noch niemand zuteil geworden war und die durch die Überreichung der Vereins medaille in Gold noch eine besondere Weihe erhielt. Zum Prä sidenten wurde der bisherige Vizepräsident, Verlagsbuchhändler CH. Desoer in Lüttich, gewählt. Ein Name von reinstem Klange ist in den letzten Wochen in der belgischen und ausländischen politischen und wissenschaftli chen Presse häufig genannt worden — zu viel im Sinne seines bescheidenen Trägers, viel zu wenig, um seine Verdienste nach ihrem wirklichen Werte zu verkünden. Ernest Solvay feierte seinen 75. Geburtstag, und zugleich begingen die von ihm ge gründeten Sodawerke Solvay L Co., deren Filialen in der gan zen Welt zerstreut sind und die den Weltmarkt der in der modernen Industrie zu so ungeheurer Bedeutung gelangten Sodaerzeugung beherrschen, das Fest ihres 50jährigen Bestehens. Die Brüsseler Oniversite Ubre, die ohne Solvays unermüdliche Freigebigkeit nie zu ihrer jetzigen Blüte gelangt wäre und der Brüsseler Stadtrat empfingen Solvay und dessen Gemahlin in feierlichen Sitzungen, der König verlieh ihm seinen höchsten Orden, die liberalen Zeitun gen Belgiens brachten fein Bild und widmeten ihm lange Spal ten. Und doch, wie wenig ist dies alles im Vergleich zu all dem Guten, das Solvay, in seinem Vaterlande und weit darüber hin aus, der Wissenschaft, dem Staats- und Stadtwcsen, seinen Arbei tern und — im stillen — den vielen getan hat, die sich vertrauens voll an ihn gewandt haben. Uns interessieren hier besonders die großen luxuriös eingerichteten Institute, die er im Park Leopold erbaut und der Universität geschenkt hat: das Institut de kkz-sio- loxis, das Institut d'8;-xieoe, de LaeterivivAis et <ie Dksrapsu- tique, das Institut d'Lnatomis, die Handelshochschule; ferner das Institut de sveivloxie, ein soziologisches Laboratorium mit großer Bibliothek, Acbeitssölen und Studienzellen, die den Gelehrten und Forschern aller Nationen geöffnet sind, und das in den zwölf Jahren seines Bestehens durch eine glänzende Reihe von Ver öffentlichungen seine Aktivität auf wissenschaftlichem und sozia lem Gebiete bewiesen hat, endlich das im vorigen Jahre gegrün dete, mit einer Million dotierte Institut International üo Utrz-- sique. Auch daß politische und wissenschaftliche Zeitschriften nur dank seiner finanziellen Unterstützung bestehen und dadurch ihre Aufgabe erfüllen können, ist in eingeweihten Kreisen kein Ge heimnis, ebenso wie die pekuniäre Hilfe, die er so manchem jungen Gelehrten oder Künstler zuteil werden ließ — von seinen sonsti gen zahllosen philanthropischen Werken ganz zu schweigen. Sol vay ist ein Multimillionär, auf den nicht nur Belgien, sondern ganz Europa stolz sein darf, und ein Wohltäter der Menschheit im edelsten Sinne des Wortes, der sich von jeder amerikanischen Reklame fernhält. Da er sich einer vorzüglichen Gesundheit er freut, dürfen wir hoffen, daß er der Wissenschaft noch lange er halten bleibt. Als großer Freund der Reisen und des Sports hat er sich erst vor etwa 10 Jahren in einem Alter, wo andere, auf ihre grauen oder Weißen Haare pochend, der Bequemlichkeit ver fallen, aus Anraten seiner Ärzte, und um der ihn bedrohenden Neurasthenie zu entgehen, dem Bergsport zugewandt und ist jetzt einer der geschicktesten und kühnsten Alpinisten geworden. Vor der Zeit ist wiederum einer unsrer besten Antiquare, Camille Vyt in Gent, im Alter von 54 Jahren dahingegangen. Er war auf belgischen und französischen Auktionen ein ständi ger, gern gesehener Besucher und hat sein Antiquariat zu Achtung gebietender Höhe gebracht. Da er ohne männliche Erben starb, soll das Geschäft verkauft werden, woraus auch eine Notiz in einer der letzten Nummern der Lidiio^raplüs üo Io Kranes hinwies. Der vor einigen Jahren ins Leben gerufene belgische Buch- gewerdeverein gibt sich in lobenswerter Weise viel Mühe, um das den Erzeugnissen der graphischen Künste hier in Belgien leider besonders teilnahmlos gegenüberstehende »große Publi kum« zum Buche und den anderen Produkten der ehemaligen schwarzen Kunst hinzuführen. Neben den Fachvorträ gen des Winterhalbjahrs sind hierzu auch die verschiedenartigsten Ausstellungen berufen, die in den Sälen des Nasse du iivrs einan der alle 1—2 Monate ablösen. Die beiden letzten behandelten das Gebiet des Musikalienverlags, der Operntexte, Theater- und Kine- ma-Affichen einerseits, die Geschichte des französischen und bel gischen Buchhandels und der Bibliographie andererseits. Lehr reich erschien mir die Zusammenstellung von Kinema-Plakaten aus den verschiedenen Ländern, und wie bei der Brüsseler Welt ausstellung erwiesen sich auch bei diesem neuen Vergleich die ita lienischen Erzeugnisse als die weitaus originellsten, zugkräftig- 1050»