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ILW i»W»MUMKWWUE LWM^U» UEMIMIL»FI^I H V W -V " » V G> —, ... DlO Von Kilian Ke 8t Vor ein paar Tagen fuhr ich durch den Wald. Es war ein milder und Heller Tag. Di« Wipfel, blattlos, glühten in der Spätsonne schon winterlich. Ni« Hao« ich so stillen Wald gesehen. Still. Obwohl es zwischen den Stämmen schlug. Holz fäller waren im Forst. Es klang beinah« traurig. Die Arzte trafen, und das Holz klagte laut auf. Der Schall flog wie nach Hilfs in die Leere. Nie habe ich so öden Wald gesehen. Dann sah ich eine Gruppe Männer. Sie trugen blaue, ver waschene Kittel, bogen den Rücken zurück und ihre Gesichter blickten hoch, all« in d«r gleichen Richtung. Auf ein Kommando bewegten sie sich alle, auf dieselbe Weise. Sie zogen mit Armen und Händen an einem Sell, das einer Fichte um die uralte Krone geschlungen war. Der Baum brach und knackte und beugte sich widerspenstig der Gewalt. Als ob er sich retten wolle, klammerte er sich mit den Zweigen an den Nachbarbaum fest. Die Männer zerrten, auf das Kommando, wieder an dem Seil, aus der Wipfelhöhe regnete eine Menge kleiner Hölzer. Der Baum brach tiefer. Schon war die Wurzel nackt aus der Erde gezwungen. Alle andern Bäume ragten finster, die Stämme still, die Zweige starr. Still war der ganze Wald. Und einer siel darin. Ein Fichtenbaum. Dann fuhr ich weiter. Die Sonnenröte sickerte von den Wipfeln fort. Sie wurden fahl und grau. Es wurde plötzlich kühl im Wald. Vielleicht zweihundert Meter war ich jetzt gefahren. Da tönte hinter mir her ei» kurzer, aber lauter Schrei. Ich sprang vom Rado und sah zurück. Sah aus dem Walde einen Holzfäller laufen und in voller Erregung winken. Mir klopfte das Herz sehr schnell, ich fuhr zurück. Der Baum lag auf der Erde, schwarz, steif und kahl. Wo sein Wipfel vorher den Himmel deckte, klaffte ein breites Loch. Und die Holzfäller trugen einen von den Ihren, der am Kopse blutete, auf ein gerafftes Lager aus welkem Laub. Der, welcher mir gewinkt hatte, sprach zu mir: „Fahren Sie doch schnell ins Dorf, daß er geholt wird. Der Baum hat ihn erwischt. Vielleicht ist es noch nicht so schlimm mit ihm." Ich hörte ihn leise röcheln, ihn, mit dem es vielleicht nicht so schlimm war. Schnell fuhr ich los. Nebel zog leise auf, dünn wie sliesicndes Glas, im ganzen Wald. In der Ferne stand ein steiler Schatten, der Kirchturm des Dorfes, mitten aus der Stratze, die aus dem Wald auf ihn zultef, wie eine Schnur gerade. Ich fuhr, dass mir der Atem sauste. Aber da ..« Da ging mit einem lauten Glockenzeichen eine Schranke nieder, nicht weit von mir, quer über die Stratze hin. Ja, diese Stratze zwang mich zum Halt. Und es dauerte lange bis der lange Eiiterzug herankam. Inzwischen verging die Zeit. Und er lag dort hinten Im Wald auf Laub. Sein Blut slotz schneller als die Wartezeit hier vor dem Gleis. Und ich hätte schneller sein sollen als sein Blut. Es war satal, wie langsam rasselte der grotzc Zug vorüber. Immer mutzte ich aus den Balken der Schranke blicken, der, in unheimlicher Berechnung, gerade jetzt wie ein hemmender Finger sich Uber den Weg des Schicksals streckte. Oder wie ein rächender zweiter Stamm, der, nachdem der erste dort hinten im Wald das Opfer nicht ganz vollbracht, sich als Vollzieher über den Ge- trossenen beugte, bis dieser . . . Da stieg, gleichgültig -läutend, die Schranke wieder hoch. Und ich fuhr um die Wette mit dem Tod, ihn mit Grund ver- klagend, das, er es war, dec wohlüberlegt vor der raschen Fahri die Schranke »icderdrehte. Aber es gab keinen Richter gegen ihn. Der Nann im Lrker! / Im Süden Berlins steht ein Landhaus. Es ist zweistöckig, ein grotzer Garten führt herum, Bäume decken es fast zu, und die Stratze, an der es liegt, ist still und besteht nur aus zwanzig ähnlichen Häusern. Dort, wo die Buchcnmauer des kleinen Parkes eine Lücke aufweist, sieht ein Erker in die Stratzen- slucht hinein. In diesem Erker sitzt ein Mann mit hartem Gesicht, ge stutztem, ergrautem Ltppenbart und von früh bis spät. Er heißt Gustav Kanter und ist der Besitzer des Landhauses. Nach allerlei geglückten Geschäften, die diejenigen, die ihn da mals sehen konnten, nicht gerade als besonders sauber bezeich neten, hatte er sich vor ungefähr sieben Jahren dieses Land haus gekauft. Nach dem groben Umbruch der Zeit hatte seine Art, Geschäfte zu tätigen, jeden Erfolg eingebützt und er dadurch beinahe seine Existenz verloren. Gleich hinter dem gußeisernen Tor am Eingang stand im Wiesenbeet eine weitzleuchtende Tafel eingeramint, von der die beiden Worte „Zu verkaufen" weit in die Stratze hinausschrien. Gustav Kanter satz von früh bis spät im Erker und sah in di« Stratze hinaus. Er wartete auf einen Käufer. Er satz schon über ein halbes Jahr lang in seinem Erker. Die Leute, die ihn kannten, meinten, es geschehe ihm ganz recht, datz er seine Villa nicht verkaufen könne, denn sie sei mit unrechtem Gut erworben worden. Sie nannten ihn „Den Mann im Erker". yn diesen schönen Spätsommertagen nun geschah es. Ein w«tblacktert«r Wagen kam langsam di« Stratze beraukaekakren. Dem lieben nuckerrülilt von Wsltel- KkNclU Gustav Kanter sah ihm entgegen und zuckte wie von der Peitsche getroffen zusammen, als der Wagen seinem Hause gegenüber mitten auf der Stratze plötzlich hielt und seine Insassen, ein Herr und eine Dame, das Vermietungsschild sorgfältig studierten. Was er nie zu erhoffen wagte, passierte, der Wagen wendete und fuhr hart an den Bordstein. Das junge Paar stieg aus. Es sah sehr elegant aus, vornehm, selbstsicher, reich. Gustav Kanter war mit seiner äußeren Ueberprüfung des Eindrucks zufrieden. Er sprang fast aus seinem Erker hinaus und lauschte dem Klingel zeichen der Tiirglocke wie grotzer Musik. Er hörte, wie die Tür geöffnet wurde, hörte Schritte näherkomnien, Treppen knarrten leise. Es klopfte. Und das Mädchen meldete die Gäste. Nach den üblichen Worten der Begrützung, ebenso höslich wie unver bindlich hingesagt, sprach die Dame von ihrem Interesse für dieses Landhaus, dessen Lage ihr besonders günstig und dessen Aeutzeres durchaus vorteilhaft sei. „Aber bitte, zuerst den Preis, es hat ja keinen Zweck, wenn Sie uns durch das ganze Haus führen und uns dann schließlich der Preis zu hoch ist. Durch diese Aufmerksamkeit war Gustav Kanter mehr er freut als enttäuscht. Er nannte seine Summe, aber durch die Worte klang hindurch, daß er an den Zahlen nicht direkt fest klebe. Ueber das Gesicht des Herrn ging ein flüchtiger Schatten. Kanter sah ihn wohl. Der Dame aber schien der Preis nicht zu hoch zu sein. Kanter sah es mit viel Freude. Er führte die Kauflustigen durch die Etagen, führte sie in die Keller und Böden, er führte sie in den Garten und anschließen den kleinen Park hinaus, er erwähnte alle Vorzüge der Gegend und nannte seine Nachbarn in Bausch und Bogen ganz besonder gepflegte und vornehme Menschen. Mit einem Wort: er tat alles, um den Käufern den Kauf schmackhaft zu machen. Leider aber zögerte der Herr. Die Dame sand alles herrlich und ihren Wünschen entsprechend. „Aber es ist doch wirklich fast alles so, wie wir es uns ge dacht haben, Liebling", sprach sie aus den Zögernden ein, „ich finde dieses Landhaus wundervoll." —Tja", sagte er. Sonst nichts. Gustav Kanter erschrak innerlich sehr. Dann wandte er sich zu Kanter und sprach: „Ich bin durchaus mit allem einverstanden, nur mit dem Preise noch nicht. Si« werden es gewiß verstehen, wenn ich mir noch einige andere ver käufliche Häuser mische, bevor ich mich entschließe. Ich verspreche Ihnen, nächsten Sonntag wiederzukommen. Bestimmt. Ihr Grundstück kommt in die allerengste Wahl. Aber man soll ja schließlich so einen Kauf auch nicht überstürzen." Die Dame sah bei diesen Worten ihres Begleiters, ihres Gatten wohl, sehr niedergeschlagen aus. Sie klammerte sich an das gegebene Versprechen an und wiederholte es elndringtim. Gustav Kanter brachte seine Gäste bis vor die Tür, sah dem dahinbrausenden Wagen eine Weile nach und ging dann zurück, enttäuscht, langsam, gesenkten Hauptes, wiederum der Mann im Erker. Glaubte er, datz er diese verheitzungsvollen Käufer in seinem Leben niemals Wiedersehen würde, so hatte er sich getäuscht. Er saß mit einer ganz leisen Hoffnung, die er selbst als dumm empfand, im Herzen in seinem Erker und sah in den sonnigen, herbstlichen Sonntagnachmittag hinaus. Er traute seinen Augen nicht, als mit kurzem Aufheulen plötzlich der weiße Wagen vor dem Eartentore hielt und das junge Paar ausftieg. Guilav Kanter eilte nun selbst hinunter, empfing seine Gäste auf das herzlichste, ries in die Küche den Befehl hinein, ein wunder volles Frühstück zu richten mit Früchten und Wein und Kognak und lud dann seine Gäste — er sagte bereits „Meine lieben Freunde" zu ihnen — in das große Empfangszimmer ein. Die Dame war fröhlich und war guter Dinge, ihr Gatte zurückhal tender freilich, aber längst nicht so sehr ablehnend wie beim ersten Besuch. Nach vielem Hin und Her bei so manchem Kognak und gut belegten Brötchen schlug schließlich der Herr vor: „Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Kanter, ich bin prin zipiell mit allem einverstanden, und da nun meine liebe Frau ihr Herz einmal an dieses Haus gehangen hat, werde ich mich auch zu dem Kauf entschließen. Ich habe aber eine geradezu krankhaste Abneigung dagegen, mich Übervorteilen zu lassen. Mir liegen immerhin noch um einige tausend Mark auseinander. Es kann sein, datz Ihre Forderung. Herr Kanter, durchaus be rechtigt ist. Ich nun halte mein Angebot für mehr als entgegen kommend. Soviel wollte ich eigentlich nicht anlegen. Aber mei ner Frau zuliebe . . . jedenfalls ein ernsthafter Vorschlag: Ich werde die Entscheidung einem Architekten überlassen. Ich werde einen der erfahrensten Taxatoren bitten, den Wert dieses Grund stückes zu taxieren. Diese zwei- oder dreihundert Mark, die das Gutachten kosten wird, spielen bei unserem Objekt ja auch keine besondere Nolle. Ich bin, um Ihnen meinen wirklich ernsten Willen zu beweisen, bereit, die Hälfte der Kosten für die Gut achter zu tragen. Einverstanden?" Wenn es für Gustav Kanter auch angenehmer gewesen wäre, sogleich den Kauf perfekt zu machen, so fügt« er sich doch mit. einem beherrschten Lächeln diesem Vorschlag. Nach zwei Tagen meldete sich der Architekt, der Sachver ständige. Gustav Kanter führte ihn unter hinweisenden und ausschmückenden Worten durch den Park. Eine Stunde später schrieb der Sachverständige in zwei Ausfertigungen das Gut achten. Gustav Kanter satz am Fenster und sah herzklopsend zu. Mit einem verbindlichen Lächeln überreichte der Taxator Herrn Kanter die eine Ausfertigung des Gutachtens, und siehe — Kan ter hätte beinahe einen Freundenfprung getan — sie lag nur um fünfhundert Mark unter der von ihm aeforderten Summe. Das Katte au8 Kandrzin 8iekt Dreien Plauderei sm >Voekeuende Von Alsrsdu. Katte stammt gar nicht aus Kandrzin. Aber wenn man bei einer Reichsbehörd'e beschäftigt ist, kann es einem geschehen, daß man aus einer Ecke des Neiclzes in die andere versetzt wird. So ist Katte im Verlaufe seines Dienstweges derzeit in Kandrzin angelangt. Kandrzin ist ein berühmter Eisenbahnknotenpunkt in Oberschlesien. Sonst ist an diesem Ort freilich nichts weiter berühmt. Katte ist an sich ein anspruchsloser Mann — er stamrnt aus Prenzlau in der Uckermark — aber er bekommt manchmal doch Sehnsucht nach einer etwas reiz volleren Landschaft. Im September hat Katt« Urlaub. Und er beschliesst, an den Rhein zu fahren, wo eben die Weinlese beginnt. Katte ist von der Studienzeit her mit Klabauter mann befreundet. Jahrelang haben sie sich nicht mehr ge sehen. Klabautermann erhält eine Karte: „Mache aus der Durchreis« einen Tag Aufenthalt in Dresden. Freue mich, Dich wiederzusehen, hosfe mit Dir etwas von Dresden zu sehen. Katte." Klabautermann freut sich herzlich über das Wieder sehen mit Katte. Weniger freut er sich darüber, dasz er für den Freund den Bärenführer abgebcn soll. Sowas liebt er nicht. Er sinnt auf einen Ausweg. Und lädt Kilian und mich zu einem Schoppen in den Ratskeller ein. In der Hoffnung, dasz einer von uns mit Katte „sightseeing Dresden" gehen wird. Auf dem Bahnhof herzliche Begrüßung, als Katte abends ankommt. Katte ist strahlender Laune. Menn wir den Urlaub eben begonnen haben, sind wir das alle. „Ich freue mich ja so, Dich wiederzusehen!" sagt er. „Und dazu in Dresden! Ich habe schon lange die Absicht gehabt, mir diese Stadt einmal etwas näher zu beaug- äpfeln: Zwinger. Hofkirche, Gemäldegalerie. Grünes Ge wölbe und so. Seit ich als Junge in einer Kunstgeschichte das Kronentor des Zwingers abgebildet sah, träume ich von üie'em Meisterwerk!" „Da kommst du gerade zurecht", sagte Klabautermann trocken, „denn die Wiederherstellung des Zwingers ist ge rade so weit fortgeschritten, dasz der Bau seit dreißig Jah ren zum ersten Male wieder anständig aussieht." „Großartig!" ruft Katte. „Weißt Du. wie der Zug jetzt über die Elbbrückc fuhr und das prachtvolle Bild von S^losz und Dom und Brücke vor mir auftauchte, da habe ich dich und jeden beneidet, der das täglich sehen kann." „Man gewöhnt sich auch daran", meint Klabauter mann zurückhaltend. „Aber, damit wir einen Plan machen können: Wielange hast du Zeit für Dresden?" „Einen Tag", sagt Kalte. ..Morgen nachmittag um fünf muß ich unbedingt fahren. Ich habe ein Zusammen treffen mit meiner Braut verabredet: die kommt mit ihrer Mutter eigens von Prenzlau uach Koblenz..." „Das ist ein Grund zum Trinken", behauptet Kilian. „Wir machen jetzt erst einmal einen Dämmerschoppen — sehen können wir in der Dämmerung von Dresden doch nichts mehr Berniinstiges." Der Dresdner Natsweinkcller hat es in sich. Zwar steht er nicht mit drei Sternen im Baedeker als Sehens würdigkeit, dafür aber enthält er um so mehr Trinkens würdiges. Der Pächter dieser edlen Gaststätte hat eben sein Silberjubiläum an diesem Platze gefeiert — das gibt eine durch die Persönlichkeit bedingte Tradition, die nicht jedem Ratskeller in deutschen Landen eignet. Katte ist entzückt, er hat aut zu Abend gespeist, und der Moselwein schmeckt ihm. („Rheinwein wirst du drüben noch genug trinken", hat Klabautermann diese Sortenwahl begründet.) „Kinder", sagt Katte, „habt ihr es hier nett! Ich komme mir auf meinem Eisenbahnknotenpunkt in OS. oft ganz verlaßen vor. Ihr habt hier alles: Schönheit der Natur, Schätze der Kunst, den Atem der großen Welt..." „Jeder findet es anderswo schön, nur nicht zu Haus", lächelt Klabautermann. „Weil man seine Umgebung halt zu gut kennt, auch ihre Fehler. Es ist wie mit der Ver- wandtschast: Men» man die Fehler gut kennt, gerät man in Gefahr, die Vorzüge zu übersehen." „Oberschlesien hat auch seine Schönheit!" verteidige nun ich den deutschen Osten. „Wenn man zum ersten Mals diese wnchtig und schwer gezeichnete Landschaft sieht: den breiten Oderstrom, die gewaltig sich dehnenden Felder, die riesigen Mälder — dann kann man schon vor ihr Respekt bekommen!" „Aber eine Landschaft, die von Kunst und Schönheit geadelt ist wie der Rhein oder wie hier Dresden", wendet Katte ein, „das ist doch noch ganz etwas anderes!" „Da kommen Si» mal an den Rhein, wenn schlechtes