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Oer ÄsalcU Der Waldl war ein Dackel, und zwar ein ganz besonder» schlauer. Sein Herr, der Förster Bogner im Salzburgischen, erzählte Wunderdinge Uber ihn, so viele und merkwürdige, dast man «in ganze» Buch damit stillen könnte, Er hatte auch man cherlei Begabungen, di«, wie Bogner behauptete, man an an deren Hunden nicht leicht entdecken konnte. Eine solche Be sonderheit nun war, wenn der Waldl Botendienste verrichten muht«. Der Förster wickelte da» nötige Geld in» Papier, gab c» dem Tier und besahl: „Hol' mir meinen Tabak!" Der Waldl lies damit schnurstracks zum Krämer. Dor« kannte man ihn schon und wusste auch bereit», was er wollt«. Er erhielt da» Gewünscht« und eilt« nun wieder zu seinem Herrn zurück. Der Förster hatte inzwischen ein neues Geld päckchen hergerichtet. Er gab auch diese» dem Dackel und sagte: „So, da« ist seht für dich!" Wie ein kleiner Teusel sagte nun der Waldl zur Tür hinaus und durch die Ortschaft, an deren Ende sich ein kleiner Wurstladcn befand. Buch da kannte man ihn bereits und muhte sein Erscheinen zu deuten. Er erhielt «Ine stets bercitgehaltcne Portion Wurstabfäll« und dergleichen, nach deren Vertilgung er gemächlich nach Hause zottelte. So ging nun schon seit Jahren Tag für Tag Mit einer Pflichttreue sondergleichen war der Waldl bisher seinem Auf trage nachgckomme». Sein Herr konnte sich aus ihn unbedingt verlosten. Eines Tages aber tauchte in der Ortschaft eine sunge Hündin aus. Sie gehörte dem Bürgermeister und hörte aus den seltsamen Namen „Sera". Diese Sera war ein Gemisch ziemlich aller gangbaren Nassen, dlc es unter den Hunden gibt. Sie hatte de» Körper eines stichelhaarigen Pinschers, die Beine ähnelten senen des Waldig, nur waren sie um vieles länger und nickst mehr ganz so krumm, während der Kopf unzweifel haft di» Abstammung von einem Spitz verriet. Bisher hatte sich der Waldl um andere Hunde und Hündin nen nicht im geringsten gekümmert. Merkwürdigerweise schien es ihm aber gerade die Sera angetan zu haben. Denn seit er st« kannte, bemühte er sich unentwegt um ihre Gunst. Aller dings ohne bet thr irgendeinen Erfolg zu erreichen. Die Hündin war sehr bissig und fuhr den armen Dackel jedesmal derart an, das, er seinen Schwanz einzog und davonltes. An einem ungemein nasstalten Novcmbertag schickte Förster Bogner seinen Waldl wieder um den Tabak und richtete in zwischen wi« immer da» Wurstgeld zurecht. Aber es verging Viertelstunde um Viertelstunde, — der Waldl kehrt« nicht mit dem Tabak zurück. Allmählich wurde der Förster unruhig und hielt Nachschau. Aber von dein Dackel war weit und breit nichts zu sehen. Da begab sich Bogner auf dir Suche und ging zum Krämer: „War mein Waldl nicht da?" „Nein," erhielt er zur Antwort, „den Waldl haben wir heute noch nicht zu Gesicht gekriegt." Dem Förster stieg ein Verdacht aus. Er ging in den Wurst ladcn und hielt auch dort Nachfrage. „Ja, der Waldl war schon längst da", wurde ihm geantwor tet. „Sogar mit der Sera vom Herrn Bürgermeister. — Haben Sie denn heute einen besonderen Festtag, Herr Förster?" „Warum soll ich einen besonderen Festtag haben?" brummte der Förster. „Na ja," lächelte der Ladeninbaber, „weil Sie Ihm heute so viel Geld gegeben haben und der Waldl sich die Sera zum Festschmau» «tngeladen hat." Tine ?Iun66g68ckick!e / von l^öser „Oh, du Mistkerl!" schnupfte Förster Bogner aus dem Nachhausewege vor sich hin. „Dir werde ich solche Lumpereien schon austretben, wenn du heimkommst!" Den ganzen Nachmittag kümmerte sich der Förster nicht mehr um seinen Dackel. Er war wütend aus ihn. Als es aber Abend geworden und der Waldl immer noch nicht heim- gekommsn war, wurde ihm doch ein wenig schwer ums Herz. Er ging wieder durch die Ortschast und lockte und ries: „Waldl, komm nur heim, es geschieht dir nichts. — Komm nur zum Herrle! — Waldl! — Waldl! — Waldl!" Doch e» war alle» umsonst. Der Waldl liest sich nicht blicken. Aber auch die Sera war nirgends zu finden. Beide Hunde schienen spurlos verschwunden zu sein. Der Bürger meister nahm die Sache von der leichten Seite und lachte über den Kummer des Försters, der sich nicht trösten konnte. „Die ganze Nacht habe ich kein Auge zugemacht", erzählte Bogner. „Und am anderen Tage waren meine Glieder wie zerschlagen. Ich möchte das Herzeleid, das ich um meinen Waldl ausgcstanden habe, nicht mehr erleben. Und so weit ich ihn kenne, glaube ich, datz auch er es nicht mehr mitmachen möchte." Schweren Herzens begab sich der Förster am nächsten Mor gen aus den gewohnten Strciszug durch den Wald. Der Weg ivar ihm aber dreimal so lang als sonst. Wieder lockte und rief er: „Waldl, wo bist du denn? — Komm doch zu deinem Herrle! — Es geschieht dir ja nichts." Aber es blieb wie am Vorabend. Nom Waldl mar nicht» zu hören und zu sehen. Auf dem Nachhauseweg jedoch mustte sich Bogner unwillkürlich nmdrehen, und da sah er, etwa hundert Scbritl« entfernt. ieinen Waldl sieben. Am liebsten wäre er ja Ein stets elegant gekleideter, lebhafter Mann mittleren Alters, mittlerer Grütze, mit glänzendem schwarzen Scheitel, gelblicher Hautsarbe, Kohle-Augen und oerfchmitzlcm Gesichts ausdruck — das ist Carlos Meyer. Wie er zu diesem Namen kommt, weist man nicht. Er gibt als Berus „Kaufmann" an. Atas sür Geschäfte er betreibt, ist nicht recht bekannt. Halt so allerlei. „Streng reell" heitzt sein Grundsatz. Das sagt er selbst zu jedermann. Der Zollgewaltige einer kleinen Grenzübergangsstation hält einen anonymen Bries in der Hand. Der Maschinenteil lautet: „Uebermorgen wird eine Sendung über die Grenze rollen. In. halt als Porzellanfiguren deklariert. Lassen Sie sich nicht tän- scljen: die Sachen sind hohl und enthalten Kokain." — „Donnerwetter!" sagt der Zollgcwaltige mit besonderer Be tonung der ersten und dritten Silbe. „Tonnerwet'er!" Nach zwei Tagen rollt wirklich eine Sendung Porzellan figuren an. Papiere in Ordnung. Ausfuhrgenehmigung da bei. Zoll bereits bezahlt. Der Besitzer der Ware ist mitgekommen. Es iit ein elegant gekleideter, lebhafter Mann mittleren Alters, mittlerer Grosze, mit glänzendem, schwarzen Scheitel, gelblicher Hautfarbe, flin ken Kohle-Angen und verschmitztem Genchtsausdrnct: Carlos Meyer. Ein Kausmann mit Hem Geschäftsprinzip „Streng reell!" hingeeilt und hätte ihn aus den Arm genommen. Doch er be zwang sich und lat, als erblicke er den Dackel nicht und ging weiter. Und im gleichen Abstand folgte ihm der Waldl nach. Wenn der Förster stehen blieb, blieb auch das Tier stehen und wedelte. Näher wagte es sich aber nicht zu seinem Herren heran. Auch in das Haus getraute sich d r Waldl nicht hinein. Er blieb in einigem Abstand vor der Türe sitzen und sah un entwegt hin. Endlich ries ihn Bogner heran. Langsam und schuldbewusst, mit eingezogenem Schwänzchen, näherte sich der Dackel. Als ob nichts vorgcsallen wäre, ohne ein Wort des Vorwurfs, gab ihm der Förster das Tabakgcld. Und schneller als sonst war das Tier mit dem Tabak zurück. Inzwischen hatte der Förster das Geld sür die Wnrstportion zurechlgemacht. Bevor er es ihm aber gab, sagte er: „Waldl, was du gestern getan hast, war eine Lumneret, eine ganz graste Lumperei, die, wenn unsereiner sie begeht, eine schwere Strafe zu gewärtigen hat. Wenn du das wieder tust, schau ich dich nicht mehr an. — So, und das ist jetzt wieder für dich." Im Wurstladen rührte aber der Waldl seine P >rtion nicht an. Er lies so lange hin und her und bellte und knurrte, bis ihm der Ladeninhaüer ein Päckchen daraus machte. Dieses schnappte nun der Dackel und brachte es seinem Herrle. Ver wundert öffnete Bogner das Päckchen und las zu seinem Er staunen die Mitteilung des Murstmannes über das Verhalten des Tieres im Laden. Der Förster verstand seinen Waldl, Ge rührt hob er ihn auf den Schast und str'lckn"e ihm über da» F-ll. „Das ist schön, Waldl, dast du deinen Fehler einsiehst. — Du bist jetzt wieder mein braves und gutes Hundert. — Aber das last dir noch gesagt sein, Waldl, die Sera vom Bürger meister, die patzt nicht zu uns." Nie mehr hat Waldl seine Pflicht vergessen. Und wenn er die Sera vom Bürgermeister siebt, dann weicht er ihr ent weder in weitem Bogen aus oder fährt auf sie los, dasz es ih» vergangen ist, noch einmal mit ihm anzuoanoeln. Nach Prüfung der Papier« geht der Zollgcwaltige des klei nen Grenzübergangsorte» auf einen Waggon los, öffnet ihn höchst eigenhändig, hebt ein viereckiges Etwas von Latten und Holzwolle heraus, lölt di« Verpackung, nimmt eine der zum Vorschein kommenden Porzellansiguren und — — schlägt st» entzwei. Carlos Meyer, der dem Beamten gefolgt ilt, ruft entsetzt: „Um Gottes Willen, was soll das! Ich verbitte mir das! Ich werde mich beschweren!!" Doch schon ist die zweite Porzellaniigur in Scherben. Und die dritte, die vierte, die ganze Pa.bnng. Carlos Mever tanzt um Len ruhig lächelnden Beamten herum und protestiert erregt. Drei Grenzpolizisten and herbe!g?lannnen. Zu ihnen ge wendet sagt der Zollgewaltige: „Da ist nämlich Kokain drin", und zeigt dabei zuerst auf das Porcellan, daun aus Carlos Meyer, der sich bereits die Haare rauit. „Da ist kein Kokain drin!" run cr. „Las ieben Sie dock! Ich inackie Sie verantwortlich! Was deuten Sie van mir?! Mein Grundsatz ist: „Streng reell"!" Aber auf einen Wink des Zollaewaltiaen iaHen ibn nvct der Grenzbeamten und halten ihn feit. Der dritte holt aus dem Wiggan eine neue Kiste mir . 7 e'ui .briit .Vowcku. i.-br zerbrechlich!". 'Auch diese wirs geöünet und ihr Inhalt, trotz errsalcn und lauten Protestes leitens Carloas Neuers «er« der Ztadt kann befreiend wirken. Wer einsam sein will, nm ganz einer grov'n Aufgabe leben zu können. der must in die Wüste geben — ader :n die Weltstadt, wa im strömenden Gewühl Nachbar den Nachbarn nicht kennt. Die Mechanik en^ch bedeutet Erlösung van vielen Din gen, die sonst leicht aus Nebensächlichkeiten zu Wichtig keiten werden. Der Staubsauger ist srzmvalbischer als der Kelirichtbesen. Die überfüllte Untergrundbahn, die beim ersten Male als Schreckbild wirkt, lrcigl Dich be- guem und gelassen in Minuten über Entfernungen hin weg, die zu dnrchwnnd»rn Deine Zeit nicht reichen würde. Man kann an Berlin zerbrechen: der Wettkampf ums Dasein ist hier scharfer und schneller. Aber man kann auch erstarken an dieser arbeitsamen, nüchternen Stadt, mit ihren wetten Perspektiven, Kren fernhin rei chenden Möglichkeiten. ..Der richtige Berliner stammt .ms Breslau", hat ein mal ein boshafter Mann gesagt. Das Hai einen schlim men Dopnelsinn. Nichtig aber ist es in keinem Sinne. Der Berliner, den inan in Neiche „kennt", der vor laute. energische Geselle mit der grasten Schnauze und der kleinen Bildung — ia. der mag manchmal aus Bres- lau stammen. lUnmmpathische Menschen gibt es ja über all, ilstd ich will damit keineswegs etwas gegen Breslau gesagt haben.) Der „richtige" Berliner aber ist nicht schnoddrig, noch drangt er sich vor. Es gibt hier einen guten Stamm alteingesessener Familien, die nicht seit Heine und gestern, sondern seit Generationen mit diesem Boden rxrivachsen sind. Auch hier ist ja „Märkische Heide" — mag sie hundertmal non Asphalt überdecht sein. Der richtige Berliner, der Märker der Reichshaupt- stadt ist schlagfertig, aber sparsam mit Worten, energisch, aber ohne fatzkenhafte Wichtigtuerei. Dieses alte Ber- linertum darf man freilich nicht gerade in der „Scala" und im „Haus Vaterland" suchen — so seriös diese Lokale Neins in Lsrlin Plauderei sm Niockenen6e Von iilsrsku. Dresden ist eine Vorstadt von Berlin. Wer das im mer noch nicht glaubt, der wird im nächsten Jahre davon überzeugt werden, wenn der „Fliegende Dresdner" in 8l) Minuten die Strecke zwischen Elbflorenz und Spree- Athen überwinden wird. Die Dresdner werden dann zum Anhalter Bahnhof nicht viel länger brauchen als etwa nach Pillnitz, und die Berliner werden mit dem <?D-Zug ebenso rasch in Sachsens Hauptstadt sein wie mit der Strahenbahn in Tegel... Ich finde diese Aussichten geradezu herrlich. Ein mal natürlich aus Liebe zu Dresden, denn für die Grotz- stadt an der Elbe wird diese Schnellverbindung von man nigfachem Nutzen sein. Lieser FD-Zug ist ein neuer Pulsschlag, der uns strömendes Leben aus dem Herzen des Reiches zuführt. Mit der Verkürzung der Fahrzeit rücken wir um ebensoviel näher an den grossen Strom der Welt. Im Jahr der Olympischen Spiele hat das be sondere Bedeutung. Dresden rüstet sich, 1930 im Schmucke seiner neu und schön gestalteten Elbufer, aus gezeichnet durch die erste Reichsgartenschau, die Gäste aus aller Welt würdig zu beglichen. Aber auch meinetwegen freue ich mich auf diese raschere Verbindung. Denn ab und zu, nicht wahr, mutz man dock nach Berlin fahren. Nicht aus den Gründen natürlich, dle Sie denken: aber ab und zu habe ich das Herzensbedürfnis, meine Tante in Berlin zu besuchen... Neber Berlin sind sa überhaupt die Meinungen ge- 'kine grotze Berliner Zeitung hatte vor langen Jahren einmal namhafte deutsche Schriftsteller aufgefor- dert, ihre Meinung über Berlin zu äustern. Damals sandte auch Paul Ernst einen Aufsatz ein, der mit den lapidaren Worten begann: „Berlin ist in einer reizlosen Landschaft, ohne Plan und Geschmack erbaut.". Dagegen hörten wir. es mag um dieselbe Zeit gewesen sein, einen damals sehr bekannten sächsischen Schriftsteller sagen: „Man kann eben überhaupt nur in Berlin leben. . ." Vielleicht am packendsten und tiefsten hat einer über diese Stadt ausgesagt. der sie als Seelsorger erlebte, der all ihre Not und Erbärmlichkeit, aber auch ihre Dämonie und Herrlichkeit in seiner mitfühlenden Seele erfasste: Carl Sonnenschein. Was stützt ab an Berlin? Einmal das ..Ungeistige" seiner Bewohner, der Materialismus, der sich in dem Sarkasmus, in dem trockenen Realismus ihrer Rede aus- zudrücken scheint. — Zum andern die Weite der Stadt, ihr Verfliessen in einer Landschaft, die ihr keine natür liche Grenzen setzt, in der noch nicht einmal ein Strom das Bild der Innenstadt zu greifbarer Silhouette ge staltet. — Endlich die Mechanik des grotzstädtischen Le bens, anfangend mit dem nächtlichen Aufmarsch der Le bensmittel in den Markthallen, bis zu ihrem gedanken los hastigen Verzehr in den Massen-Abfütterungsstätten der City. Mecifanik des Verkehrs, dessen einprägsamstes Bild die am Morgen und Abend bis zur Besinnungslosig keit überfüllte Untergrundbahn ist... Aber jedes dieser Schneckiüsse birgt in sich eine Not wendigkeit, vielleicht sogar eine geheime Schönheit. Die Sachlichkeit des Berliners, die sich sehr wohl mit einem Stück Idealismus verträgt, kann ein heilsames Gegen gewicht gegen manci-e allzu „geistige" Verstiegenheit sein, die mancher von drautzen milbringt. Die Weste porrollankiguren / 8^ von