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Vie stimme > „Wa, war da, nur — rles da nicht jemand? War «, nicht Hein, Stimme?", jo und ähnlich sragt« ich mich, indem ich die schwankend-knarrende Letter, mit der drückenden Last de, Steinbrette» aus dem Nacken, am Baugerüst emporstieg. Irgendetwas Unbestimmbare, quälte mich. Und e« war mir, als wenn mich irgendeine Macht in eine bestimmte Richtung hin zöge. Aber di«, alles war nur schwach, hatte nicht die Krast, mich von dem mir von der Pflicht vorgeschriebenen Weg ab zubringen. Doch unaushörltch quälte es mich weiter. Es zog und drängt« mich und lieb ein Gefühl der Besorgnis in mir mächtig werden, ohne daß ich wubte, warum. Und dann: immer wieder glaubte ich einen Ruf vernommen zu haben! So gut die», bei der drückenden Last, die ich trug, anging, beeilte ich mich, um zu dem Platz zu gelangen, wo ich mich meiner Last entledigen konnte. „Zusammenreißen!" schrie es da in mir auf. „Ruhig bleiben! — Verfehlst du ein« Sprosse —" O Qual der Minuten! Von dort schrie dl« Stimme — ich hört« rs nun deutlich«! den j« — und in mir: „Kerl, pah' auf! — Jetzt Uber die Eerüstbrett« — unten druntrr werken Kameraden — Und immer deutlicher glaubt« ich die Stimme zu ver nehmen. War r» vorhin mehr ein unbestimmbares tönendes Geräusch, das mich wie wehender kühler Wind anging, so war «, jetzt zu schrillem Ruf geballt — und immer härter tras es mich. Und immer mehr gewann die Stimme dort und die dunkle Besorgnis in mir die Macht über mich. — Jeder Schritt vor wärts verlangte höchste Willensanstrengung. — und dann — was war das? Ins Unendliche schien das unter meinem Tritt ausknarrende Eerüstbrett zu reichen. Nur schwach noch lebte in mir die Vorstellung seiner wahren Länge, die Ich durch das tägliche Begehen von ihm hatte. Nur blitzartig zuckte der Ge danke „Du müßtest doch längst am Ziele sein", tn mir aus. — Alles in mir lauschte der immer stärker und, wie es jetzt für mich feststand, um Hilfe rufenden Stimme. Und alles in mir drängte danach, ihr zu Hilfe zu eilen. — Doch noch ruhte die drückende Last des Etreinbretts auf meinem Nacken. Und dann: Wer rief mich denn? Hein? — Der ist ja ganz dahinten, bei den Ausbesferungsarbeiten an den alten Koksöfen beschäftigt — den würde ich ja gar nicht hören, wenn er wirklich riefe! So sagte ich mir. Das sollte beruhigend wirken: — es quälte nur noch mehr. „Er ruft — ich hör' es doch! — Mensch, so beeile dich doch! Zehn Minuten brauchst du bestimmt bis zu Hein- Arbeitsplatz!" So und ähnlich schrien In mir die Stimmen durcheinander und mahnten mich unaufhörlich, zu eilen. „Mensch, Belgien, patz' auf!" schrie mich da eine Stimme tm Innersten wach und brachte mich zur Besinnung. Nur schwach noch vernahm ich die um Hilfe rufende Stimme. — Brausend schoß mir da» Blut in den Kopf, als ich nun gewahr wurde, was geschehen wäre, wenn mich der Warnruf eine» Kameraden nicht noch rechtzeitig dem unheim lichen Banne der fernen, hilfesuchenden Stimme entrissen hätte. Ich war an den Maurern vorbeigelaufen. E» hatte ihnen Spatz gemacht, denn so was kam nicht alle Tage vor. Bis ^ner von ihnen die Gefahr erkannt«, in der ich schwebte, und »ich warnend anrief. klin seltsame» /^rbeitserlebnis Von Oskar Kerrien So zur Besinnung gekommen, kehrte ich schnell um und ent ledigte mich meiner Last. „Habt ihr nicht Hein nach mir rufen hören?" fragte ich, mehr wohl, um ihnen zu verstehen zu geben, daß ihre Mut maßung, Ich lei mit meinen Gedanken bei meiner Liebsten ge wesen, salschdsei, als datz ich aus Bestätigung meiner Frage hasste. „Du träumst wohl am hellichten Tage!" so meinten si«. Ich drehte mich um und rannte davon. „Hilfe! — Hilfe!" schrie die Stimme nun ganz deutlich. Mit einer mir heute noch unverständlichen traumwand lerischen Sicherheit fand ich den Weg über Eerüstbretter und Leitern zu den Schlenensträngen, die tn Richtung auf Hein» Arbeitsplatz liefen. — Hier rannte ich, weniger gehemmt, weiter. „Hilfe! - Hilfe!" schrie die Stimme. Allerlei schreckliche Bilder flatterten mir vor den Augen herum. . . . Ich war wie blind, — stolperte — siel hin — sprang wieder auf — und rannte, rannte. . . . Und wieder schlug ich aus den Boden. Wahnsinnige Schmerzen im rechten Knie verspürend, richtete ich mich mühsam auf. — Wir Nebel lag es vor meinen Augen. — Und die Stimme war verstummt. Ich lauschte angespannt — doch nichts — nichts — und auch in mir war cs seltsam ruhig. Nur ein grenzenlose, Ge fühl der Ohnmächtigkeit war in mir wach. So stand ich — und langsam wich der Nebe, vor meinen Augen. . . Und die Gruppe, die den verunglückten Freund trug, kam immer näher . . . und zog schließlich an mir, lxr ich unfähig war. mich zu rühren, vorbei. . , Wie iok mit Kaiser Maximilian sterben sollte! Vas Lckieksal würfelt — Lin vnglücklicker sprlckt sieb selbst clas ^oclesurteil In einem Altersheim in Nördlingen bei Stuttgart lebt ein gljähriger Mann namens Ludwig Schmidt, der einer der Sol daten des unglücklichen Kaisers Maximilian von Mexiko war, und wahrscheinlich der einzige noch überlebende Augenzeuge jener Tragödie ist, der dieser Fürst aus dem Hause Habsburg zum Opfer siel. Der alte Mann erinnert sich der Ereignisse in allen Einzel heiten noch ganz genau. Auch über die Vorgeschichte des Dra mas ist er gut im Bilde, denn, wie Ludwig Schmidt erzählt, befand er sich als Gehilfe in einer Brauerei bereits in der mexikanischen Hauptstadt, als Kaiser Maximilian die Herrschast tn seinem neuen Reich erst antrat. Von den Franzosen im Stich gelosten . . . Trotzdem der Kailer besten Willens gewesen ist. gelang es ihm nicht, seine Herrschaft zu befestigen. Er wurde von dem größten Teil der Einwohner des Landes als Fremdling be trachtet, den man ihnen aufgezwungen hatte, und von dem sie nichts misten wollten. Die Ersten, die den Kaiser Marimilian Im Stich ließen, als sie sahen, daß sie ihre Rechnung ohne den Wirt gemacht hat- ten, waren die Franzosen, die diesen Habsburger erst ins Laad brachten. Der Kaiser, der die Gefahr Heraufziehen sah, holte sich daher zu seinem Schutz andere europäische Truppen herüber, die er in eigenen Sold nahm. Von einem solchen österreichischen Detachement ist auch der Brauereigehilfe Ludwig Schmidt eines Tages — mehr gezwungen als freiwillig — ausgehoben worden. So wurde er Soldat des Kaisers von Mexiko Jeder lv. Mann . . . „Trotz allem", so fährt Schmidt in seinem Bericht fort, „dauerte die Herrlichkeit nicht mehr lange. Eines Tages brach der Ausstand aus, verbreitete sich mit Windeseile über das ganze Land, und die schwachen Kräfte, die zur Abwehr zur Ver fügung standen, waren bald überwunden. Mit uns Soldaten verfuhren die Ausständigen ganz summa risch, wir wurden alle aemeinlam vor ein Kriegsgericht gestellt. Es war das gleiche Gericht, das bereits vorher den Kaiser und sämtliche Offiziere seiner Umgebung zum Tode durch Erschießen verurteilt hatte In bezug aus uns sprach das Kriegsgericht das Urteil, daß jeder Ist. Mann an die Wand gestellt werden sollt«. Die Exekution hatte sofort anschließend an die Verkündung de« Urteils zu erfolgen. Die Flinten rauchten. Dann wurden wir in mehreren Abteilungen zur Hinrlch- tungsstätte, einem weiten Platz vor der Stadt, transportiert. Aus dem Platz herrschte ein wildes Durcheinander und Geschrei. Gleich narb unser m Erscheinen traten die zur Hinrichtung ab kommandierten Truppenabteilungen zusammen, und die Er schießungen begannen. Der Kaiser, von seinen Offizieren und Ministern umgeben, starb als einer der Ersten. Er starb auf recht und hatte sich geweigert, sich die Augen verbinden zu lasten. Kaum war das Abschlachten dieser Wehrlosen beendet, und noch rauchten die Flinten von den vielen Salven, da stürzte einer der merikanischcn Unteroüiziere aui uns, die wir in Reih und Glied ausgestellt waren, zu, luchte sich den Mann neben mir. einen Bierbrauer aus Caustatt. allo einen schwäbischen Landsmann von mir. aus, und brüllte ihn an „Abzählen!" „Mieder trat Einer heraus . . ." Der unglückliche Mann tat. wie ihm besohlen worden war. Er lief durch die Reihen und zählte, zählte Jeder, auf den die verhängnisvolle Zahl ist gefallen war, wurde herausgeholt, ab- gcsührt und sofort nebenan an die Wand gestellt. Wir mußten das alles mit ansehen. Ich zählte bereits 2st von unseren un glücklichen Kameraden, die ihr Leben unter den Kugeln dieser Menschcnschlächter ausgehaucht hatren. Und immer ging es mit den Hinrichtungen weiter. .Eben trat wieder einer, aus den das Los gefallen war, aus der Reihe. Jetzt waren sie schon in meiner unmittelbaren Nähe angekom men Eine furchtbare Angst überfiel mich Blitzschnell zählt« ich für mich die Reibe durch: die nächste Nummer Ist war ichj Wa» ich in diesem kurzen Augenblick, wo mir klar ward«, daH Pksnta8i6n in einein toten poi K Plauderei am ^Vockenenäe Von Marabu. „Es kommt gewiß große Kälte!" stöhnte Kilian, „Ich spüre das an meiner rechten Zehe. Die hab' ich mir im Winter 1928 erfroren und seitdem..." „Seitdem hast du einen Grund mehr zu klagen", lachte ich. „Sogar an einem so schönen Tag wie heute mußt du ein Lamento anstimmen." „Laß ihn nur!" rief Chrysostomus. „Jede Kreatur lobt den Schöpfer auf ihre Weise. Manche Menschen können eben nicht anders: Wenn die Sonne mit vollen Backen lacht, müssen sie ein saures Gesicht ziehen ..." Es war in der Tat ein herrlicher Dreikönigstag. Der Himmel riskierte ein zartes Blau, die Sonne blitzte von Uebermut, und auf den Rasenflächen des Parkes von Pillnitz, zwischen denen wir lustwandelten, hüpften und flatterten die Amseln ... „Das kann doch nicht so fortgehen!" fühlte sich Kilian genötigt zu protestieren. „Wenn kr» die Lebensart dieses Winter» bleibt, dann ist das überhaupt kein Winter!" „Beschrei es nur!" warnte ich. „Der Winter 28, in dem du deine Zehe erfroren haben willst, ging am 7. Feb ruar los. Ich weiß es noch wie heute. Auch damals lag Hier im Januar kein Schnee, aber den ganzen Mürz lang war hier bei Pillnitz die Elbe zugefroren..." Inzwischen waren wir bis zu dem imposanten Viereck gelangt, um das sich die drei Trakte des Pillnitzer Schlosses Hinziehen, und wandten uns nun dem eigentlichen Park zu. „Was hat dieses Schloß schon alles erlebt!" sann Chrysostomus nach. „Augusts des Starken rauschende Hof. feste mit den Prunkgonüeln auf der Elbe, die jetzt im histo. rischen Museum und im Garten des Japanischen Palais stehen. Als die französische Revolution ausbrach, trafen sich hier die Herrscher von Preußen, Sachsen und Oester reich, »m über die Abwehr zu beraten. Der Held des 79er Krieges, König Albert, hat hier besonders gern geweilt, da droben im „Bergschloß" ist er gestorben. Im Weltkriege mußten die Mittclbaulen des Schlosses ihre Kupferdächer opfern..." „Ja, und nun sieht das Schloß eigentlich nach gar nichts mehr aus", kritisierte Kilian. .Guckt mal, wie un freundlich und ungepflegt die Gartenseite des Bergschlosscs sich ausnimmt! Eigentlich haben die Leute damals mit recht einfachen Mitteln gebaut." „Und damit die größten Wirkungen erzielt!" er gänzte ich. „Gewiß ist hier in Pillnitz ein wenig auf Fassade gebaut worden, wie auch bei manch anderem Bauwerk Augusts des Starken. Er war ein etwas ungeduldiger Bauherr, immer voller neuer Pläne. Und alles sollte rasch fertig sein, ohne Rücksicht auf technische und finan zielle Möglichkeiten. So hat man bei der Erneuerung des Zwingers erstaunt festgestellt, daß einzelne Plastiken nicht aus Sandstein waren, sondern aus Stuck aufacschraubt. Man hatte wohl Eile gehabt, aber dafür kein Geld. Und bis auf den heutigen Tag hatte niemand den „Ersatz" gemerkt..." „Aber sie hatten damals Ideen beim Bauen", bestä tigte Chrysostomus. „Was ist dieses Schloß Pillnitz für ein merkwürdiger Traum? Sehnsucht einer kriegerisch beweg ten Epoche, die sich hinwegträumte in ein idyllisches, etwas possierliches China. Ein China, das es niemals gegeben hat. Chinesisch« Dächer und barocke Säulen — so ist eine Architektur entstanden, die nicht ihresgleichen hat..." „Und darum sind die Sachsen auch im 7jährigen Kriege geschlagen worden", folgerte Kilian ziemlich unvermittelt. „Hier in Dresden hat man sich damals barocken Spiele reien hingegcben und in Berlin bat man Po'ink auf weite Sicht gemacht.-- Um chinesische Schlösser zu bauen, hat man dort keine Zeit gehabt." . Irrtum!" lachte Chrnsostomus fröhlich. „AuchFiicd- rich der Große hat im Park von Sanswuci sich einen chine sischen Pavillon bauen lassen. Der Unterschied -st nur der: man verstand in Berlin nicht, so billia zu bauen wie in Dresden: der Alte Fritz bat seinen chinesi'cben Pav.llon sehr teuer bezahlt. Wenn Realpolitiker träum.-». rilegt das nie ganz billig zu sein. Aber seinen chinesischen Traum hat auch er als echtes Kind seiner Zeit geträumt . " .Allo blühte schon damals die Romantik, obwohl das Wort noch nickt erfunden war", stellte Kilian etwas klein laut fest. „Das scheint ja eine dauernde deutsche Eigen schaft zu sein. Ob man wohl in Zukunft einmal die Ro. mantik unserer Zeit entdecken wird?" „Die wird man wobl mit Händen greifen können!" rief Chrnsostomus. ..Und das ist gut so! Obns Romantik wäre das Leben trist. Meine persönliche Ansicht ist. daß es seit den Kreuzzügen kein romantischeres Zeitalter ge geben hat als das unsrige ..." „Komm in den totgesagten Park und schau: Der Schimmer ferner lächelnder Gestade. Der reinen Wolken unverhofftes Blau Erhellt die Weiher und die bunten Pfade" Chrnsostomus zitierte Stefan George, als wir nun den Weiher im Nordwesten des Parks umschritten. An mutig führt ein Holzbrückchen hinüber nach einer kleinen Insel, wo ein antikes Kolossalbild mitten in diesem barocken Nahmen die strengen Züge des ewigen Hellas trägt. „Antike Elemente passen eigentlich schlecht zu dem Barock und den Cbinoiserien dieses Schlosses", kritisierte ich. „Aber Sie passen zu dem Park", meinte Chrnsostomus. „Theokrit hätte seine Freude an diesem Park, und Vergil