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^Kester Gelegentlich einer ausgezeichneten Hamlet-Vorstellung war es. Der erste Komiker der Rcsidenzbühne hatte spielfrei, säst in einer Bühnenloge und sah sich seine Kollegen von der traurigen Lebensseite einmal von unten an. Der große, weltberühmte Tragöde legte den Hamlet unwiderstehlich hin, mit jener singen den, selbstzerquälenden Einfalt, die eben nur ganz großen Tragöden eigen ist. Seine schlanke Gestalt unterstützte die Verse, und sein Spiel mit dem Schatten des Vaters flutete wie Moder luft in die dichtgesüllten Parkettreihen. Auf einmal eine Pause. Ein zitterndes Verharren auf einer Silbe. Unter der Schminke steigt das Rot des Zornes in die Hamletschläsen. Wütende Blicke zischen zum Souffleur hinunter. Improvisierend gehen die Füße, gehen die Arme spazieren, sparen rettungsuchend Sekunden um Sekunden ein. Endlich haucht das erlösende Wort aus dem Kasten Rettung entgegen. Das Publikum merkte nichts. Der erste Komiker aber in der Viihnenloge dachte . . . jeden falls, er eilte in der Pause in die Garderobe des großen Tragöden und fand ihn in Hellem Aufruhr. „Wenn ich den Hund erwische, wenn er sich zeigt, ich breche ihm das Genick." Allmählich war zu erfahren, daß der Souffleur unter der Einwirkung irgendwelcher äußeren Einflüsse nicht ganz bei der Sache gewesen war, den Hamlet in seiner großen Szene im Stich gelassen hatte und so beinahe die ganze Vorstellung „ge schmissen" hätte. „Der Mann fliegt noch heute, Ich werde dafür sorgen. . .", der Komiker drückte sich schnell hinaus, er war dem Soussleur sehr zugetan, denn er brauchte ihn mehr als nur notwendig. In einer stillen Ecke traf er den guten Alten zitternd und schlotternd. Aengstliche Augen sahen ihn an. Der Komiker lächelte ihm entgegen, sprach eifrig auf ihn ein, rieb ihm kunst voll die Augen, bis sie tränten, blies ihm zum Uebcrfluß noch den beizenden Rauch einer verbotenen Zigarette unter die Lider und schickte ihn so in die Garderobe des großen Tragöden. Dort herrschte erhöhte Gewitterstimmung. Der Mime ging mit schweren Schritten umher, beachtete kaum seinen Kollegen vom komischen Fach, als dieser wieder eintrat, herrschte ihn grob an, als er ihn ansprach, und stand starr, reglos, als durch die halboffene Tür der alte Souffleur eintrat. Jener Soussleur, der . . . „Herrrrr! Sie wagen es . . .", er sah die Tränen in den Ange» des Alten, er wurde in seinem Zorn unsicherer und fragte barsch: „Was ist denn los?" Und der Soussleur antwortete ergriffen und noch leise nachschluchzend: „Entschuldigen Sie, aber ich ... ich war so ergriffen von Ihrer herrlichen Leistung, ich konnte nicht mehr sprechen . . ." Tiefer Glanz verklärte des Mimen Gesicht. Die Augen leuchteten auf, ein großes Lächeln befreite die Lippen vom letzten Zorn. Er sagt zu seinem Karderobenmcister: „Fritz, gib ihm zwanzig Mark .. . nein, dreißig Mark . . , er hat sich das verdient . . ." Er trat auf den alten Soussleur z» und umarmte Ihn. Seine Augen gingen ihm über, er vermochte unter der mächtig andrängcndcn Bewegung nicht mehr zu reden. Der Garderobier gab dem Alten drei Zehnmarkscheine. Der erste Komiker, der trotz seiner hohen Gage das Los des seligen Stcinrück teilte, denn er hatte auch niemals Geld, sah diesen drei Zehnmark scheinen bedächtig nach, sah, wie sie knisternd den Besitzer wechselten Unter tiefen Dankesworten trat der alte Souffleur den NUckzua an. Er hinterließ einen nachhaltigen alkoholischen keiner De^ekendeit naekersLKIt von Tckimmel-IHIlrSnsu Eindruck, aber auch das konnte die tnnige Freude des großen Tragöden über solchen sensationellen Erfolg nicht trüben. „Er säuft, aber er ist trotzdem ein großer Kritiker, ich werde mich seiner annehmen" — und wohlgefällig vernahm er das erste Klingelzeichen. * Wochen gingen hin. Aus vielseitigen Wunsch wurde „Hamlet" inmitten des Spiclplans wiederholt. Der erste Komiker hatte mit dem alten Soussleur etliche Tage vorher eine ernsthafte Unterredung. Als die Vorstellung stand, die Abendkasse schon eröffnet war und den frühen Eingang des Publikums freundlich wahrnahm, knallte plötzlich die Meldung in das Dircktionsbüro, daß der Souffleur soeben einen starken asthmatischen Anfall bekommen hätte und diesen Abend nicht sprechen könne „Nu", sagte der erste Komiker, „das ist ja nicht gefährlich, da werde ich mich eben einmal in den Kasten setzen, es macht mir einen Heidenspaß . . ." Die lebhaften Einwände, daß für diesen an sich unter geordneten Posten doch nicht haufenweise anderes Personal vor handen sei, wehrte er ab: „Also, bitte, laßt mir das Vergnügen, ich habe eine schänd liche Lust, den Hamlet zu sousslieren." „Soll's auf das Programm kommen?" fragte ein Neuling ironisch. Das Haus war ausverkauft, denn der Hamlet war des großen Tragöden größte Nolle, als Hamlet war er das Ideal ungezählter Backfische, die Inkarnation des Schauspielers für Studenten und Litcratenjllnglinge. Allen Darstellern wurde bekanntgegeben, daß der erste Komiker diesen Hamlet durchaus sousslieren wolle. Alle nahmen diese Nachricht lächelnd zur Kenntnis, sie kannten ja die oftmals perfiden Einfälle ihres Kollegen. „Ich werde dir ein paar Flaschen Bier wenigstens holen", meinte ein jüngerer Held kameradschaftlich. „Mann, jetzt vor dem Ersten, wo soll ich denn da das Geld hernehmen!" schalt ihn der neue Soussleur, der Hamlet- soufslcur, „nach der Vorstellung, ja, da hab' ich wahrscheinlich allerlei, oder meinst du, ich spiele heule abend nur zu meinem Privaljux den Soussleur . . .?" Damit ließ er den anderen verdutzt stehen und kroch in seine niedliche Wohnung. Die Vorstellung begann. Der Komiker machte sich fabelhaft. Alle lobten seine klare Aussprache, seine taktisch klugen Zwischenräume, sein deutliches Lippenspiel. Inzwischen eroberte sich der große Tragöde als Hamlet wiederum alle jungen Herzen im Parkett und ersten Rang, aus der Galerie und . . auch dasjenige des ersten Komikers. Dieser sah andächtigen Auges zu dem großen Kollegen aus. Er wurde von dessen großartigem Spiel so hingerissen, daß er wie in einer Kirche saß, die Augen nicht mehr in das Textbuch senkte, sondern unverwandt nur den herrlichen Hamlet anstorrte. Und die große Szene kam, in der auch damals der Souffleur umge- sallen war. Hamlet wuchs gewaltig über sich hinaus. Seine Stimme sang melodisch durch den schweigenden Zuschaucrraum hin. Seine Augen suchten scheu zum Soussleur hinunter. Der aber saß starr und andächtig Hamlet sprach nicht mehr, nur die Füße wanderten, nur die Arme dehnten sich in haltlosem Schmerz. Zwischen den Zähnen aber zischte er seinem Kollegen hinunter: „Weiter, du Hund, du . . . ." Der erste Komiker aber sah andächtig mit überströmenden Augen zu seinem großen Kollegen vom traurigen Fach auf und sprach unter Tränen leise: „Nicht unter fünfzig Mark." Acußerlich in seligem Schmerze zerfließend, innerlich wut schnaubend und zornbcbend: „Ja, aber weiter . . ." Und der Souffleur fand seine Fassung wieder. Nach der Vorstellung gab es erst einen erregten Austritt. Dann sand die Versöhnung statt, aber der große Tragöde küm merte sich seither sehr um den Soussleur, gab ihm gesundheitlich« Anweisungen, gelegentliche Trinkgelder, war um ihn besorgt wl. eine Mutter um ihr Kind. „Und vor allem, nicht so schnell gerührt sein, lieber Dingel mann, es ist ja nur Theater . . ." Der fliegende Oekse HrxüklunL von l)r. Brunner Im Kölner Dominikanerkloster hatten die studierenden Brüder ihren Spaziergang. Zwei und zwei gingen sie in klei neren Abteilungen zum Stadttor hinaus, um sich in der freien Natur Abspannung zu gönnen, damit nachher der Geist mit mehr Lust und Leichtigkeit sich zum Studium der göttlichen und menschlichen Wissenschaften hingcben könnte. Die Wahl des Begleiters war aber in der Regel nicht dem einzelnen über lassen, sondern der Novizenmeister bestimmte einem jeden seinen Begleiter. Bruder Dietrich konnte in seiner Miene den Unmut nicht verbergen, als er wieder ausgerechnet mit Bruder Thomas gehen mußte. Aber ohne Widerspruch gesellte er sich zu ihm und nahm sich auch ernstlich vor, dem lieben Bruder Thomas ja nicht merken zu lassen, daß er aus dem Spaziergang nicht gerne mit ihm zusammen, war. Denn ihr dürst nicht glauben, daß er den Bruder Thomas nicht hätte leiden können. Im Gegenteil, man konnte diesem bescheidenen und zurückhalten den, immer rücksichtsvollen Sohne des Südens überhaupt nicht böse sei». Am meiste« bewunderte inan an ihm, daß er der Sproß eines angesehenen und reich begüterten Grafen geschlechtes, der Abkömmling der alten langobardischen Her ¬ zöge von Benevent, der mütterlicherseits mit Kaiser Fried, rich II. verwandt war, so wenig oder vielmehr so gar nicht seine vornehme Abstammung hervorkehrte, als hätte er sie mit dem weltlichen Gewände beim Eintritt in den Orden abgelegt. Ost stellte gerade unser Bruder Dietrich Vergleiche an zwischen Thomas und den Freiherren und Grasen, mit denen er auf der Domschule zu Paderborn studiert Halle. Die hatten den Bürgerlichen auf Schritt und Tritt fühlen lassen, daß sie ein großer Abstand von ihnen trennte. Ganz anders Bruder Thomas. Eines aber gesiel dem Bruder Dietrich an seinem Be gleiter nicht. Auch aus seinem Spaziergang kannte er kein anderes Gesprächsthema als die Gegenstände des Studiums. Es mußte etwas wie eine Leidenschaft bei ihm sein. Das war aber dem Bruder Dietrich ganz gegen den Strich. Das Stu dium in allen Ehren; aber dort, wo cs angebracht war, im Hörsanl und im Sludiensaal; aus dem Spaziergang jedoch hätte er sich doch lieber mit anderen Dingen beschäftigt. Ebenso fest, wie er sich vorgenommen hatte, dem liebenswür digen Bruder Thomas auch liebenswürdig zu begegnen, war er auch entschlossen, diesmal die Führung der Unterhaltung zu übernehmen und darauf zu achten, daß sie nicht aus Gegen- db8 kolden Nsien Plauderei sm ^Voekenende Von sUsrsIru. Der Weisze Sonntag steht in diesem Jahr vor dem Tor des schönsten Monats, der die Welt mit einem Fest- tleid von weissen Blüten schmückt. Dieser nralte Zauber des Maienmonats bleibt ewig neu. Da kann keine Technik dagegen auf. Der ärmste Baum, der sich mit dem keuschen Schleier zartgrüner kleiner Blätter umhüllt, ist ein größeres Wunderwerk als der gewaltigste Ozeandampfer oder der höchste Sendeturm. Fast gewaltsam hat sich in diesem Jahre der Zauber der ersten vollen Blüte entfaltet. Nass und kalt hatte die Karwoche begonnen. Noch am Gründonnerstag glaubte niemand, dass es sonniges Osterwetter geben würde. Aber an, Karfreitag brach sich die Sonne durch die Wolken manern Bahn, um dann jeden Tag in strahlender Herr, lichkeit zu scheinen. Am Karsamstag blinzelte man noch mißtrauisch. Aber am Ostersonntag entstieg man seinem Wintermantel wie voreinst die sieben Jünglinge dem Feuerofen. Ohne Uebergang vom Winterulster zur mantellosen Freizügigkeit! Die Haarschneider hatten am Karsamstag schwere Arbeit, denn jeder Herr wollte noch rasch den dicken Haarpelz los werden, den er sich fürsorg licherweise angesammelt hatte. Die Damen, die sich ein recht warmes Frtthjahrslomplet ausgesucht hatten, är gerten sich — nicht schwarz, sondern weiss. Denn sie konnten ohne weiteres zum Fest ihre Sommerkleider anlegen... Und wie den Menschen, so ging es den Bäumen und Sträuchern. Sie mussten sich beeilen, wenn sie der süd lichen Wärme dieser wahrhaften Festtage gerecht werden wollten. Mit Macht schossen über Nacht überall die Blätter empor, wuchsen ans Keimen und Knospen zu zärtlicher Entfaltung. Die Blüten ösfneten sich; wo bisher For- sythia und Mandelbüume allein den Frühling verkündet hatten, blühten nun Pfirsich und Aprikose und Kirsche. Die Wiesen waren mit Himmelschlüsseln und Gänseblüm chen bestickt. Herrlich üppig öffneten sich die Kelche der Magnolien. Und wie die Blüten ösfneten sich die Herzen der Menschen. Die Sonne scheint, die Welt erblüht — nun ist alles wieder gut. Aller Kummer wiegt nur noch halb so schwer. Die Hoffnungen wachsen wie die Blüten an den Zweigen. Das älteste Zauberkunststück der Welt ist der Frühling — aber es ist kein wirksameres seitdem er funden worden. Natürlich gibt es Menschen, die das nicht mit an sehen können. Die absolut etwas gegen dieses Blühen und Duften da draußen unternehmen müssen. Da sind zunächst die Männer. Wenn die das Wunder der von zartem Dust umhauchten Blüten sehen, zünden sie sich zunächst eine Zigarre an, damit man bis aus weiteres nichts anderes riecht als ihren Edelknaster, Marke Buchenlanb-Au.slcse. Dann ballen sie sich zu scheußlichen Klumpen zusammen und ziehen singend durch den schwei genden Sonntagmorgen: „Wer hat dich, du schöner Wald...?" Schade, daß der Wald nicht antworten kann. Zart würde seine Antwort kaum ausfallen. Weiter sind da die Kinder. Die möchten jedes Blüm chen, das die liebe Sonne hervorgezaubert hat, so richtig anfassen und es nur für sich beschlagnahmen: „Die Kinder haben die Veilchen gepflückt All all, die da wuchsen am Miihlengraben. Der Lenz ist da, sic wollen ihn fest In ihren kleinen Fäusten haben." So milde, wie der gute, alte Theodor Storm beurteilen wir ein solches Verhalten freilich nicht. An den Veilchen und Himmelichliisfelu und all den anderen schönen Bliiien- sternen wollen auch wir uns freuen. Und wir sind gar nicht damit einverstanden, wen» die kleinen Welterobcrer sie uns vor der Nase wegrupsen, um eine halbe Stunde später die gestorbenen Blümchen achtlos wegzuwersen... Und endlich die Frauen! Oh nein, sie verqualmen nicht die Natur lweuigstens meistens nichts. Und sic rupfen auch die Frühlingspracht nicht ab lhossentlich nichts, son dern sie treten mit dem Frühling in Nealkonkurrenz. Wenn der Lenz mit Blüten prangt, wollen sie ein gleiches tun. Da entfalten sich sommerlich leichte Kleider vor unseren Augen, bis letztere uns übergehen. Crepe Exorgette und Eröpe de Chine feiern Triumphe. Chisson und Tast formen sich zu entzückenden Gebilden. Spitzen und Hohl saum gestalten weisze Blütenträume. Es blüht auf allen Kleidern... Was ist schon das bißchen Frühling draußen in der Natur? Die Mode, das ist der wahre Frühling... * Hinaus in die Ferne! Das ist die Parole, die der Frühling uns gibt. Hinaus ins Grüne, in die frische Luft, in die Freiheit. Oh lang entbehrter Genuß, im Grase zu liegen und in den blauen Himmel zu schauen! Unendliche Seligkeit, sich in die Umarmung der grünenden Wälder zu stürzen! Nord, Süd, Ost und West, sie werden «ns in diesen Tagen aufs neue geschenkt. Man weiß gar nicht, wo man ansangen soll. Da locken die Berge, grüßt die Sächsische Schweiz mit ihren Schlossen und Schrunden, die im festlichen Kleid des