Volltext Seite (XML)
Sette L Rr. V41. Abend-Ausgabe Leipziger Tageblatt Montag, W. Oktober ISIS Ai, «a» denke vor ollem an Nordsrankretch. von den eigenen Vvlktßenossen in blinder Wat zerstört wird, so daß wohl aanz« Geschlackter -» tnn haben werden, »m nnr dle unmittelbaren Kristzsschüden notdürftig wieder zu heilen. Trotzdem gerade in dieser Hinsicht „ftr, Lag, weit Keller fein wird, alt die »»lerer Feind« im Westen und Osten, freilich leider auch teilweise »»serer Bundesaenossen, wird die Zeit nach dem Kriege schwer genug für dat deutsche Volk und feine Vesamtwtrtfchoft sein. Man begeht gewiß kein Unrecht, wenn man dies immer wieder ernst ausspricht. St fei hier nur noch an die Verzinsung »nd Tilgung der eigenen Kriegslasten erinnert: eine Steuerpolitik wird «insetzen müssen, von der sich setzt scheinbar noch nicht viele «ine richtige Vorstellung machen. Ein grober Teil der künftigen LrwerbSarbeit wird auf Jahre hinaus dem Staate gehören. Von der Schwierigkeit der Wtedereroberung des Weltmarktes zu reden, fet einer anderen Ge legenheit Vorbehalten: weniger unsere jetzigen offenen Feinde, als vielmehr die sog. Neutralen werden uns aus wirtschaftlichem Ge biete, wohlgenährt durch das Kriegsgeschäft, einen furchtbaren Wettbewerb bereiten. Die jetzt veröffentlichten Ziffern der ameri- konischen Ausfuhr im letzten Jahre sind nur allzu beredt. Auch darüber möchte man stch Kar sein: es ist ausgeschlossen, daß unsere Volkswirtschaft wieder ganz in ihr olles Bett zurückkehrt. Sie hat im Kriege Riesenschritte in Richtung auf Staats- und Gemein- wlrtschoft gemacht, und wer weih, ob die ungeheurer» Bedürfnisse des SteuerfiSkuS nicht zu noch weiteren Eingriffen ln die Privatwirtschaft zwingen. Der Schatzsekretär wird hier ein ge wichtiges Wort mitzujprechen haben. Möchte es da gelingen, den rechten Mittelweg zu finden und das im Kriege so glänzend be währte Unternehmertum gebührend zu schonen. Das alles soll unS nicht hindern, mit Heller Zuversicht in die Zukunft zu sehen. DaS deutsche Volk, das auf den Schlachtfeldern unbcsteglich war, wird auch auf dem Kampfplatz« der Volkswirt schaft Sieger bleiben. Und der Reichskommissar für die Ueber- gangswlrtschaft würde, um mit dem Stellvertreter des Kanzlers zu sprechen, seine Ausgabe dann am besten erfüllen, wenn er sich so schnell als möglich überflüssig machte, daS hecht, seine Arbeit so schnell als möglich beendete. Auf daS .als möglich" dürfte es frei lich in der Hauptsache onkommcn. Vom Frieden war im vorstehenden dle Rede. Es ist sa so verführerisch. an ihn zu denken. Roch hat man dabei das Gefühl, als schaue man von steiler Höhe aus ein gesegnetes, glücklicheres Land. Jetzt liegt es, wie wir misten, noch in weiter Ferne. Und w«nn wir auch olle — seien wir ofseni — sehnsuchtsvoll nach ihm ausblicken, so find wir uns doch auch alle, und hierin hat keiner etwas vor dem anderen voraus, darin einig: nicht gesenkten Hauptes wollen wir dies Land be treten, sondern als Sieger eines Kampfes, in welchem das deutsch« Volk nicht nur um seine Wirtschaft, sondern um sein nationales Dasein ringt. Zn diesem Sinn- dursten wir denn auch heute von dem Uebergang zur Friedenswirtschaft kurz andeutend sprechen. Li Parlamentarische Aussichten DI« «Parteilose politische Korrespondenz" schreibt: Es hat den Anschein, daß dle gegenwärtige Tagung des Reichstage» noch einige Zeit in den November hinein dauern wird, während man den 8. November bisher allgemein als den äußersten Endtermin angenommen hotte. In den Vollsitzungen wird zu den Ernährunasfragen noch recht ausgiebig gesprochen werden, darüber haben insbesondere Mitglieder der Linken setzt schon keinen Zweisel gelosten. Aber auch die anderen Parteien und di« v«rbündet«n Regierungen stehen noch vor manchem un- gelüsten Problem. Bundesrot und Reichstag sind einig in dem Entschluß, mit einem lückenlosen Programm in den Winter zu gehen, um dat deutsche Volk vor unliebsamen Ueberraschvngen möglichst zu sichern. Die Versammlung, die am Sonnabend im Bundesratssaal det Reichstages abgehalten wurde und stch ausschließlich mit den Ernäbrungsfragen befähle, war von an nähernd 10t) Personen besucht, die zuständigen Minister derEtazelstaaten waren dazu mit einem großen Stabe von Geheimräten erschienen. Der Reichstag möchte diesmal auch nicht auseinandergehen, ohne mit der Regierung etwas in bezug aus Milderung der Zenlur und der 6 chutzhast vereinbart zu haben. Di« daraus bezüglichen Anträge deS HauptousschusteS stehen am Donnerstag auf der Tagesordnung des Reichstages und werden dann in einer gemeinsamen Kommission beraten werden. Mit dem beantragten Gesetzentwurf betr. dle Schutzhast hat sich die Regierung in zwischen beschäftigt, sie scheint also hier entgegenkommen zu wollen. Dagegen verlautet noch nichts von vorbereitenden Schritten zu einer Aenderung der Zensurverhältntsse, die vom Reichstag als ebenso dringlich betrachtet wird. In den übrigen Kommissionen (Gericht-Kosten, Markenschutz für Nationalstlstungen usw.) wird die Verständigung leichter sein. Auch dle Frage der Sicherstellung von Forderungen an daS feindliche Ausland wird noch erörtert »»erden. Vielleicht geht dem Reichstag auch noch ein kleiner, wenn a»ch einschneidender Gesetzentwurf sozialer Natur zu. Jur Psychologie de» Wiener Attentat» Das ruchlos« Attentat des .Kampf'-RadlkaUsten Adler gibt dem feindlichen Ausland natürlich wieder den willkommenen An laß, vom politischen Zusammenbruch unseres österreichisch-unga rischen Verbündeten zu reden. Eine der bellebtesten Redensarten war la stets die von Oesterreichs Zerfall, von seiner inneren 4tot und Gefahr, bis das große Wunder der kriegerischen Erhelmng und »nerfckütterlicken Einheit nach außen den Gegnern den Mnnd stopfte. Aber im Innern frißt doch der Wurm, werden ft« letzt angesichts der Bahre deS Grasen Stürgkh frohlockend verkünden. Dagegen ist vom Standpunkt ruhiger Sachlichkeit zu erwidern, daß dle Wiener Mordtat keinesfalls aus dem öster reichischen Nationalllätenkonsltkt geboren wurde, also mit dem «Zerfallsproblem' der Donaumonarchie gar nichts zu tun hat. Der Attentäter verspricht, wohl um sich besonders interessant zu machen, seine Begründungen erst für dle Stunde der Gerichts verhandlung, aber aus seiner Persönlichkeit, seiner Herkunst, sei nem bisherigen Wirken und Verhalten heraus ergiht sich alles zur Erklärung des Verbrechens Nötige. Die Ermordung Stürgkhs sollte zunächst ganz äußerlich die Racbe dafür sein, dah der österreichische Ministerpräsident mit der Einberufung der Delegationen oder doch de» Reichsrats zögerte und überhaupt grundsätzlich die Parlamenlstätigkeit, solange der Krieg tobt, möglichst zu beschränken suchte. Aber der Urgrund, aus dem der Fanatiker Adler seinen Haß und seinen Entschluß zur Tat schöpfte, liegt doch tiefer und seelisch verwickelter. Dr. Friedrich Adler hat als Sohn des ehemaligen Arztes und Sozlallstenführers Dr. Viktor Adler di« sozialistische Welt anschauung schon ln -er Kinderstube in sich ausgenommen. Aber während man dem Vater die Anerkennung eines besonnenen un vorsichtigen Politikers nicht versagen kann, bietet stch ln dem Sohn das abstoßende Bild eines in groteskem Radikalismus ver zerrten Eiferers und Ehrgeizlings. Die Aehnlichkeit mit der Dynastie Liebknecht drängt sich unabweisbar auf: Der Vater eine starke, auch dem politischen Gegner sympathische Persönlichkeit mit übersichtlichem Horizont und bei aller Schärfe großem Ver- antwortllchkeitsgesühl, der Sohn ein wirrer Hitzkopf ohne Be herrschung und Gewissen. Talsächlich gehört Dr. Friedrich Adler ttim radikalen Flügel der österreichischen sozialdemokratischen Partei und stand in der Diskussion, die stch in der letzten Zeit über die Haltung der deutschen Sozialdemokraten auch ln der österreichischen Press« entspannen hat, auf selten der Haase-Lieb- Knecht-Rlchtung. Mit seinem Vater und dessen Gesinnungs genossen lebte er ln Unfrieden und Widerspruch. Aber es bleibt die für seinen Vater und dle Partei peinliche Tatsache bestehen, daß der Mutterleib, in dem sich der politische Charakter deS Attentäters entwickelte, die Sozialdemokratie war. Friedrich Adler ist der jüngste Jünger jenes Johann Most, der seinen Propagandisten der Tat aufmunternd zuschrie: .Ich hatte «S für das best«, wenn man imstande wäre, gleich die ganze reaktionäre Brok mit Kind und Keget wie gifkiges Unkraut aus zumerzen: allein vorläufig sind auch vereinzelte Hinrichtungen nicht ohne Nutzen. Sie bringen der sogenannten vornehmen Gesellschaft das Be wußtsein bei, daß aber ihrem Haupte stetig daS Damoklesschwert der sozialen Revolution schwebt . . Wir halten jedes Mittel, das die Sache ter sozialen Revolution fördert, für recht, Im Fall« der sieg reichen Revolution springen die Ausbeuter Uber di« Klinge, und mit Toten macht man keine Kompromisse!" Von dieser Sorte des politischen Radikalismus und allen seinen Ablegern sollte sich die österreichische wie dle deutsche So zialdemokratie endlich durch einen durchgreifenden Schnitt be freien. Das ist die tiefere Mahnung deS Wiener Verbrechens. Der Kaiser an Generaloberst Graf Deck vtb. Wien, 28. Oktober. (Drahtdericht.) Dem Gardekapitän Generalobersten GrasenBeck sind zu seinem 70jährigen Mtlttärdienstjubtläum noch zahlreiche telegraphische und schrift liche Glückwünsche zugegangen, u. a. auch folgendes Tele gramm vom Deutschen Kalter: GotteS Gnade läßt Sie heut« den Tag begehen, an dem Sie vor 70 Zähren Ihre rühm- und mührreiche militärische Laufbahn betraten. Ich freue Mich, Ihnen zu dieser seltenen Feier Meine wärmsten und aufrichtigsten Glückwünsche aussprechen zu können. Möge Gott Ihnen auch fernerhin einen gesegneten Lebensabend schenken, und möge Ihnen in dem endgültigen Sieg unserer verbändeten Waffen der schönste Lohn Ihrer langjährigen Arbeit beschieden sein. Wilhelm. Krieasrat in Boulogne (r.) Amsterdam, 23. Oktober. (Drahtbericht.) AuS London wird amtlich gemeldet: Am 20. Oktober fand in Boulogne eine Konferenz zwischen den Vertretern der englischen und französischen Negierung zwecks AnstchtsaustauscheS über die militärische und politische Lage statt, an der Ministerpräsident Briand, Finanzminister Ribok, Leon Bourgeois, Kriegsminister RoqueS, die Minister Lacaze und Thomas, General Zoffte, Ministerpräsident Asquith, Lord Grey, Balfour, Lloyd George, der Thet deS englischen GeueralstabeS Robertson und Sir Douglas Haig teilnohmen. Die Minister waren von diplomatischen, mMtürlschen »n- seemännischen Ratgebern be- gleitet. vvb. Geuf, 28. Oktober. (Drahtdericht.) .Petit Parifirn' meldet, daß bet der Besprechung in Boul »gn« die französischen und englischen Minister und General« eingehend di« Maßnahmen erörtert Haden, die i» Interesse der Entente an den Fronten im Orient durch »in Zusammenwirken Rußland«, Frankreichs, Italiens und England» er griffen »erde« sollen. Man hab« stch auch mit der griechischen Frag« deschäst gt und Beschlüsse gefaßt, dl« nach und nach verwirk licht »erden sollten, damit König Konstantin tnn« werd«, daß die Alliierten ln voller Einigkeit und mit Energie handeln würden. (r.) Zürich, 28. Oktober. (Drahtdericht.) Aus Paris wird gemeldet: Schneider-Lreazot baut große Werkstätten in Cherbourg. Politische Nachrichten * Reue» stellv, kommandierender General de» 2V. Armeekorps. Laut .Attensteiner Zeitung" ist General der Kavallerie Graf von Schliessen unter Verleihung des Großkreuzes des Roten Adler orden» mit Eichenlaub seiner Modilmachungsi-eft mmung enthoben und an seiner Stell« General der Infanterie von Pannrwltz zum stell vertretenden kommandierenden General des 20. Armeekorps ernannt worben. r. Die Braunschweiger Nationalliberalen tagten am Sonn abend unter dem Vorsitz des Landtagsabgeordneten Dr. Schmidt: auch der Reichstagsabgeordnete Kleye nahm an den Verhand lungen teil. Neben der Erledigung von Organlkationssragen fand eine mehrstündige Aussprache über dle politischen Strömungen der Gegenwart statt. Im Anschluß an die vertrauliche Be sprechung svrach Dr. Hugo-Berlin über die politische Lage. Die Versammlung nahm folgende Entschließung an: .Der Nationalliderale Verein Braunschweig erklärt seine volle Zu stimmung zur Politik der nationalilberalen ReichStagSfrakkion und des ZcntralvoistandeS der Partei, insbesondere erachtet er für notwendig die energische Führung unserer auswärtigen Politik und im vollen Vcr- trauen auf die Entscheidung der Obersten Heeresleitung die unbe schränkte Anwendung aller militärischen Machtmittel, die uns zu Ge bote stehen." S Die Reichsdeutsche Wasfenbräderllch« Vereinigung will sich im laufenden Wtnter mlt einer Reihe großer Veran staltungen an die breitere Oessentllchkett wenden, und zwar will sie, wie wir hören, hervorragenden Männern des österreichi schen und ungarischen öffentlichen Lebens Gelegenheit geben, in Berlin und anderen großen Städten ln Nord und Süd zu ReichSdeutschland zu sprechen. Der erst« dieser Vor tragsabende soll bereltS in der ersten Novemderhälste stattfinden, an den stch dann ein Vortragsabend mit denselben Rednern in Dresden anschließen würde. * Bobrinskis Nachfolger in Galizien und in der Bukowina. Dle Petersburger Telegraphcn-Agenkur meldet: Das Reichsratsmitglied Generaladjutant Trepow ist zum Militär-Generalgouver neur der nach Krieg-recht besetzten österreichlsch-ungartschen Lande»- teile ernannt worden. * Bulgarisch« Vertretung bet« Battkaus Wie verlautet, bead- stchtiat Bulgarien, diplomatische Beziehungen mit dem Vatikan anzuknüpfen: dieser verhalt« sich ledoch vorläufig zurückhaltend, weil er aus dl« guten Beziehungen zu Rußland Rücksicht nehmen wolle. Auch Rumänien plant dle Aufnahme diplomatischer Beziehungen zum Heiligen Stuhl und hat bereits die Entsendung einer Gesandtschafts- Mission angezeigt. ----- Dle Ilnterflützuug Frankreichs durch seiu« afrikanischen Kolonien. Einer Erklärung in der französischen Kammer zufolge Haven die afrika nischen Kolonien Frankreichs dem Mutterland« bis zum 1. April 1816 folgende Unterstützungen direkt zukommen lassen: Algier hat zu den Armeen Frankreichs ln Europa 80 000 Soldaten, Tunis 84 000, Marokko 44 500, Senegambien, Dahomey und Aequatortalafrtka 175 000 und Madagaskar 4000 Soldaten gestellt. Nicht «inbegriffen ln diesen Zahlen sind die hinter der Front als Arbeiter tätigen Leute. - Reue französische Fliegerverluste. Rach einer Meldung d«S .Lok.-Anz." aus Genf verzeichnet dl« Pariser Presse außer dem in der Vorwoche det Neubrelsach abgeschossenen Adjutanten Baron den Verlust zweier anderer erster Flieger, der Leutnant» Rochefort und Deponton. Letzterer war ein Neffe deS Generals Lyautey. * Neue Spannung in der italienische» HeereSlettuug. Wie laut Az Est" aus zuverlässiger Quelle verlautet, kam «S zu ttesaehenden Gegensätzen nicht nur zwischen Cadorna und dem Herzog von Aosta, sondern auch zwischen Cadorna und dem Minister B i s s o l a 1 l. * Dem niederländischen Parlamente wird demnächst «tu Gesetzent- wurf zur Einführung des allgemeinen Stimmrecht- und zur Abänderung der Thronfolgeordnung zogehen. * Präsidentschaft»««-! in Brasilien, lieber Lissabon wird aus Rio de Janeiro gemeldet: Senator Huy Barbosa und der Mi nister für auswärtige Angelegenheiten, La Müller, hätten sich als Kandidaten für die brasilianischen Präsidentschaft-Wahlen aufstellen lassen. (.Franks. Ztg.") * Vor dem Bürgerkrieg iu Abesfialeu. Wie die französischen Blätter aus Addis Abeba melden, hat Ra- Mlka «l bedeutende Streitkräfte gesammelt und schickt stch anscheinend an. be» Kompf mit den bei Au Keder zusammengezogenen, auf Verstärkung wartenden Reglerungstruppen aufzunehmrn. Wen Glück und Unglück nie auf dle Probe ge stellt haben, -er stirbt wie ein Soldat, der nle den Feind gesehen hat. Klinger. Ium Gedächtnis Johann Georg Fischers (Gehöre» am 28. Oktober 1818.) Von Ernst Ltssauer 1) (Nachdruck verboten.) Die moderne Dichtuna, überhaupt die moderne Kunst, ist von b« Produktion der Geschlechter, die unmittelbar ooraufaingen, unterschieden vor allem durch die geschärfte Präzision des Wahr- nHmens »nd AoSdrückens. Doch dies Vermögen ist nicht plötz lich über die Künstler und Dichter gekommen; vielmehr bereitet stch dtefe Wandlung schon in früheren Jahrzehnten vor. Bereits Storm und wett mehr noch Annette von Droste sahen und hörten l« der Natur eine Fülle von Zwischcntönen, wie sie seit Lilien- cron durchweg das entscheidende Kennzeichen oller im engeren Sinne modernen Lyrik wurden. Johann Georg Fischer, ein Nach geborener jener Gruppe schwäbischer Dichter, die Uhland hervor- brachte und um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Mörike otoselte, tfi zugleich ein Vorbote der neuen Kunst. Zn seinen lyri schen Sammlungen stehen viele Gedichte, die in der Tat noch der ^schwäbischen Schule" angehtften (und auch von Pfizer oder Karl Mayer stammen könnten), geschrieben in jenem allgemeinen lyri schen Idiom, das geraume Zeit als die einzige Sprache der Lyrik enchie», »nd wiederum Gedicht«, die durch die Präzision der sinn- Uchen Eindrücke selbst viele Schöpfungen der letzten Jahrzehnt« twertreffen. Amy die Titel seiner Liederbücher spiegeln diesen Gegensatz: ein im älteren Sinne .poetischer" wie .Den deutschen Frauen" und einer wie voll durchziehenden Windes .AuS frischer Lost". Fischer stammte vom Lande, aus Württemberg, und hat dann in Stuttgart als Rcalschullehrcr und später als Sckulinspck- tor gewirkt; aber sein Wesen ist durchaus unstädiisch, und auch in dar Stadt hat er niemals den selbstverständlichen Zusammenhang «U der Natur verloren. Sein Sohn Hermann Fischer erzählt, wie saln Vater alle Vögel, ihre Stimmen und Nester zu unter scheid«, wußte und dem Sohn, der das nicht vermochte, zu sagen pflegte: Ja, du bist halt ein Stadtkind, die sehen und hören nichts! Fischer besaß eine umfängliche Sammlung von Nestern, die er ftlbst gesucht hatte, und hat eine Schrift .Aus dem Leben der Vögel" veröffentlicht. In einer autobiographischen Aufzeichnung spricht Fischer davon, wie ihm bei der Entstehung vieler Gedichte .ein bestimmter Ort, eine bestimmte Naturerinnerung, ein bestimm ter Blütenduft, diese oder jene Luft- und Lichtstimmung vor schwebte". Luft- und Lichtstimmung: die Terminologie des mo dernen Impressionismus; der Titel.AuS frischer Lust, von 1872, deutel mit deutschen Worten Aehnliches an wie das Schlagwort .Plelnair". Und eben auf solchen Gedichten ruht seine Bedeu tung, die alle Poren voll frischer Luft gesogen haben und von zart lebendem Lichte beschienen sind. Lines seiner bekanntesten Ge dichte zeichnet .Die müde Stunde", .die dritte Stunde nach mittags^: .Verlcchzend ist auf dürrem MooS DaS Flurgeräusch entschlafen. Die Welle schlurft gedankenlos Ums träge Schiss im Hafen." Auch sonst hat er die lähmende Schläfrigkeit schwüler Sommer nachmittage in zitternden Rhythmen abqeblldet: Alle Hüllen, die die Wohnungen gegen den Mittag decken, schweigen verschlossen und unbewegt, nur vom Küchendache fällt ein lechzender Sper- UngSruf, gleitend wankt ein einsamer Schmetterling ob der Flur. In noch schlaftrunkenen Zeilen gibt er das dämmericht gedämpfte Raunen und Tasten des ersten MorgenS: .Noch dunkel ist's, und Morgen doch, In Saat und Aesten träumt es noch. Die Lerche schlummert in der Flur, Noch singt sie nicht, sie dichtet nur." Mit solcher Kunst aber steht er durchaus nicht vereinzelt in seiner Zeit. Früh schon war es Eduard Mörike gegeben, die zartesten Strömungen der Atmosphäre mit innigstem, pslainenhaftem Gefühl wahrzunehmen, doch fühlt Mörike unirdische, kosmische Winde wehen durch seine Gesänge. Aber StormS und Linggs erdnahe Sommergedichte — Storm ist 1810, Lingg 1820 geboren— stam men aus der gleichen Generation wie die Fischerschen, ja LinggS .Mittagzauder" und Fischers .Sommerschwüle", in denen Pan durch die Mittagglut spukt, wirken unmittelbar wie Geschwister. Und auch in anderem Sinne ist Fischers Lyrik der Dichtunaseiner Epoche verwandt: jener Zwiespalt -wischen Ration »nd Schrift tum, wie wir ihn an vielen Stellen der modernen Entwicklung wahrnehmen, war noch nicht erkennbar, Fischer wurzelt durchaus im Bürgertume, genauer gesagt: im Handwerkerlichen Landbürger- tume, und wie viele Lyriker des 19. Jahrhundert-, ist er im Tief sten eine idyllische Natur. Seine eigentlichen Idyllen sind nicht seine stärksten Leistungen, aber allenthalben in seiner Lyrik wirkt ein bei aller Energie sriedsameS Temperament, und sein Blick ist weniger auf die großen Zusammenhänge eingestellt als aus die liebereiche Erfassung des täglich Nächsten. Er versucht stch auch in der Ballade und im Drama, er trifft mit dem Nuse nach .einem Mann aus Millionen" einmal auch einen starken pol - tischen Ton, aber was von feinem Merk üdrtggeblieden ist, ist liedhafte Lyrik. Er hak nur diese eine Gabe, aber diese Gabe ist selten, unendlich viel seltener, als gemeinhin angenommen wird. (Schluß folgt.) Arrntt nn- Wissenschaft Am Dienstag, den 24. Oktober, wird in der . Königtn vpn Saba" Annie Gura-Hummel die Titelrolle spielen. — In der am Donnerstag, den 28. Oktober, im Neuen Theater stattfindenden Uraufführung des Schauspiels .Könige" von Hans Müller, inszeniert von Obcrspielleiter Adolf Winds, sind beschäftigt die Damen: Maria Arens, Paula Ronav, Ellen Vogel: dle Herren: Hermann Rudolph, Kurt Stiel«, Lothar Körner, Curt Hänsel, Smll Mamelok, Willy Engst, Wilh. Hellmukh-Bräm, Hugo Jäger, Sigismund Elfeld, Karl Huth, Han» Vcßler, Harold Baumgarten. — Am Donnerstag, den 26. d. M., ist im Neuen Operettentheater dle 25. Aufführung der Operette .Da- Drei- mäderlhaus", Musik von Franz Schubert. Die Besetzung ist die gleiche wie zur Erstaufführung. Der Geheime Regierungsrak Professor Dr. phil., Dr.-Ing. k. e. Wilhelm Seibk ln Berlin-Gr unewald, früher ständiger Hilf-- arbeiker im Ministerium der öffentlichen Arbeiten, Vorsteher des Bureau- für die HaapknivellementS- und Wafferstand-deovachtungen, vollendet am 24. d. M. da« 70. Leden-jahr. AI- Nachfolger de- in den Ruhestand getretenen Hofrak- Dr. A. Weichselbaum ist der ordentliche Professor der gerichtlichen Medizin an der Wiener Universität Hofrat Dr. Alexander Koli - ko zum ordentlichen Professor der voihoiogtschen Anatomie und Direktor des Pathologischen Instituts daselbst ernannt worden. — Mil der Leitung des Pharmakognosttschen Unioersitltsinstituts in Wien und mit der Abhaltung von Vorlesungen (an Stell« de- emeritierten ordentlich-n Professor- Jos. Möller) wurde der Privatdozent Dr. med. Richard Wasicky betraut.