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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 18.06.1916
- Erscheinungsdatum
- 1916-06-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191606186
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19160618
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19160618
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1916
-
Monat
1916-06
- Tag 1916-06-18
-
Monat
1916-06
-
Jahr
1916
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6. Beilage. Sonntag, ir». Hurri ISIS Leipziger Lugeblart Rr. 8V5. Sorrntags-AusgabO. Seite 25 .-1 , ->. -— 1— UKW»———-^ ——-um—— . ', >>. ,, - Unterhaltungsbeilage Feuer! Feuer! Eine Geschichte aus der Großmutterzelt. Von Josephine Siede. (Nachdruck verboten.) Dt« Stadträttn Hakebusch ging, auf Gäste wartend in ihrem Garten auf und nieder. Das brauntafftene Kleid bauschte sich weit um ihre volle Gestalt, es rauschte bei jedem Schritt, die schweren goldenen Gehänge an Brust und Ohren klirrten leise, alles stimmte zu einem Ton gemessener Feierlichkeit zusammen. Auch der Garten hatte eine feier liche Würde. Da wucherte kein Unkräutchen über den Weg, BuchSvaum stand steif, wachsam an den Rändern und hinter ihm im Mittelgang, der sich wie eine lange weiße Linie durch den Garten zog, blühten Feuer lilien, eine neben der andern, nur an einer Stelle gab's einen lustigen kleinen Bogen in der Reihe und jedesmal, wenn die Etadträtin daran vorbeiging, runzelte sie die Stirne und dachte: diese muh Riekchen im Herbst umpflanzen, es verdirbt das ganze Beet. Bon den Lilien hinweg schritt die Frau dann zu dem Tische, der am Ende des Mittelganges stand, da wo eine Weißdornhecke eine runde Laube bildete. Darauf schimmerten Tassen mit breiten goldenen Rän dern und schweres silbernes Gerät: das Damasttuch war blütenweih, und eS war kein Fehl, nicht die leiseste Unordnung auf dem Tisch zu er blicken, und doch prüften die Augen der Stadträtin wieder und wieder. Sie warf dann auch jedesmal einen Blick zu dem Himmel empor, der glänzte in wolkenloser Bläue, just so als hätte Frau Amalie Hakebusch ihn unter ihrer Scheuerherrschaft gehabt. Es gab nichts, was die sorgen den Falten auf ihrem Gesicht rechtfertigte, doch sie waren da und blieben da, weil sie dazu gehörten, denn ein Kaffeebesuch ohne vorherige Sorge, Aufregung, ohne viele tiefe Seufzer über des Daseins Last wäre un- denkbar gewesen. Bon der Marktkirche herüber klang der schwere Stundenschlag, vier Uhr! Die Falten auf Frau Hakebuschs Stirn vertieften sich, sie blieb stehen und lauschte gespannt nach dem Hause hin. Eine Minute vorbei, zwei, drei, da schrillte drinnen die Hausklingel, dann wieder und wenige Minuten später gerieten die Feuerlilien in Gefahr, von den vielen weiten rauschenden Frauenröcken geköpft zu werden. Es wogte den Mittelgang entlang, bis in den fernsten Gartenwinkel tönten die Begrüßungsworte, und es dauerte ein Weilchen, ehe die Frauen alle saßen. Da nahten sich auch schon vom Hause her Riekchen, der Stadt rätin Nichte und Pflegetochter, und Line, die Magd, mit dem heißen Trank und hochgetürmten Kuchenschüsseln. Sie gingen hintereinander in gemessenem Schritt, und die scharfen Augen der Stadträtin verfolgten jede Bewegung. Es ging alles glatt, und die Frau atmete auf und überließ sich dem Behagen, daß es in keinem Hause so wohlgeordnet und reichlich zuging wie in dem ihren. Das Bewußtsein machte sie liebenswürdig, es löste die steife Strenge ihrer Züge, und als Riekchen zum erstenmal die Tassenrunde gemacht hatte, geriet die Gesellschaft in eine wohlige Stimmung, und die Frau Stadtpfarrerin betrat zuerst den weiten Blumengarten des Gespräches, über zukünftige Ehen, sie blinzelte dem anmutig dem Hause zueilenden Riekchen nach und fragte halblaut: «Nun, liebste Stadträttn, wie steht es denn mit dem jungen Herrn Magistrakssekretär?" An diesen ihren Freier dachte das blonde Riekchen nicht, als sie mit ihrer Kanne in die große, im Erdgeschoß liegende Küche zurück kehrte. Sie fand dort Line in Andacht versunken vor dem eben vollendeten Schlagrahm, den sie in eine Kristallschale füllte. «Wie Schnee, Mamsell Riekchen," rief die Magd, «so steif, die Madam wird zufrieden sein." Riekchen nickte. «Und die Törtchen", sagte sie, «so sind sie noch nie geraten." Sie trat in die Speisekammer und holte das gerühmt« Gebäck herein. Auf einer schönen Meißner Platte lagen die Törtchen und gerade wollte das junge Mädchen den Teller auf daS breite Fenster brett stellen, als die Magd sich hastig umdrehte, sie stießen zusammen, es klirrte und doppelt gellte ein Entsetzensschrei durch die Küche. Da lagen die stadtberühmten Törtchen der Frau Amalie Hakebusch, da lag der vielbewunderte Kuchcnteller, Stücke und Scherben, und da neben knieten zwei jammernde schluchzende Mädels. «Was wird nur die Tante sagen?" «Schelten wird sie feste und vier Wochen lang." «Sie wird nie wieder gut." ,Kann schon sein, nachkrägsch is sie, die Madame." «Nie, nie!" «Und ich krieg'n paar Watschen, je, jel" «Ich darf nicht zur Landpartie!" «Ich nicht zur Kirmes nach Langenau/ «Bielleicht schickt sie mich gar fort — für immer." „Möglich, mich auch. So was, das bringt sie fertig." Riekchen und die Magd klagten wechselseitig, und sie merkten es nicht, daß sie einen Lauscher hatten. Ein schlanker, junger Mann war es, der stand im schmalen Gartcngäßchen, nach dem das Küchenfenster hinausging. Auf seinem hübschen Gesicht kämpfte das Mitleid mit der heiteren Freude an dem Küchenbild. Denn Riekchen in ihrem himmel blauen Kleid, wie sie so vor der zerschlagenen Herrlichkeit saß, sah trotz ihrer Tränen wunderlieblich aus, und der Lauscher dachte: wenn ihr dis Stadträttn etwas tut, dann ist sie eine noch größere Tantippe als ick ohnehin gedacht habe. Dann sagte er: «Mamsell Riekchen, liebes Mamsell Riekchen, weinen Sie doch nicht so!" «O du meine Güte, der Herr Kannedate!" Line grinste unter Tränen, sie sah dem jungen Mann wohlgefästig in die lachenden Augen, und auch über Riekchens Gesicht glitt ein Heller Schein. «Herr Meinrad, "stammelte sie, «was soll ich tun?" Ihre Stimme zitterte und schwankte: «Helsen Sie mir!" Heinrich Meinrad dachte in seinem Herzen, das beste würde sein, Riekchens Hand zu fasten und mit ihr hinauszuwandern in den schönen sonnenwarmen Nachmittag, durch das Eartengäßchen, über dem der Duft der Rosen lag. Es schien ihm jetzt die rechte Stunde zu sein, um lem blonden Mädchen zu sagen, waS seit Wochen in seinem Herzen brannte. Im rechten Augenblick aber gedachte er noch der Tante Stadl rätin, und er schlug mutig vor: «Ich will hingehen und es der Frau Tante sagen, und ich wäre dran schuld! Jehl auf der Stelle geh' ich!" «Ilm des Himmelswillen,' kreischten Fräulein und Magd, «dann wird s noch schlimmer!" Riekchen gedachte zitternd der vielen bitterbösen Worte, die die Tante schon über das lustige freie Wesen von Heinrich Meinrad ge sprochen Halle, den sie einen Bruder Leichtfuß, einen Revolutionär und sonst was nannte, und sie wehrte angstvoll ab. «Nein, nein, das geht nicht." «Dann fang' ich eine Ratze, lasse die ein und —" «Nä!" Line tat einen abgrundtiefen Seufzer und erklärte verächt lich: «Das glaubt die Madame nicht mehr, und in der ganzen Nachbar schaft gibt's keine Rahen." .Hm." In Heinrich Meinrad dämmerte eine Ahnung auf, daß diese Ausflucht nicht gerade neu sei, und wie er eben in all seinen Gc- birnfächern nach einem guten Rat suchte, seufzte Line wieder schwer und wütend: «Ich wollte, die ganze Küche brennte gleich aus, je, je, das Ge schimpfe von der Madame." Heinrich Meinrad, dem sie eS schon in der Schule nachgesagt hatten, er wüßte immer und jedesmal einen Ausweg, lächelte auf einmal spitz bübisch. «Was nicht ist, das kann noch werden. Line, Dienerin der Grazien, stellen Sie das Unglückswurm von einem Teller so mit dem Rücken auf ein Brett und stellen Sie sich damit hinter die offene Türe, fliegt sie recht eilig an den Teller an, wohl ihm, sie werfen ihn noch einmal zu Boden. Beiständen?" .Nä!" Line riß Mund und Augen auf, und Riekchen machte eben kein klügeres Gesicht als die Magd. Da schwang sich Heinrich Meinrad über die Fensterbrüstung, ging zur Türe, die nach außen, nach dem Flur zu aufging, nahm einen Teller in die Hand, stellte sich dicht an die offene Tür und sagte: «Line, so müssen Eie stehen, warten Sie, bis ein großes Geschrei entsteht, dis dir Gäste durch den Für laufen, dann dürfen Sie vor Schreck allr, hinwerfen, verstanden?" «Ja — aaah!" Line dehnte das Wort lang, aber Heinrich Meinrad hatte kein« Zeit mehr zu längeren Auseinandersetzungen, er trat eilig den Rückweg an, tauchte im gründämmerigen Gäßlrin unter und die zwei in der Nähe sahen sich halb hoffnungsvoll, halb zweifelnd an. as würde er «Mamsell Riekchen", ächzte Line nach einem Weilchen, «gleich lst's Zeit, gleich müssen wir die Kuchen bringen. Je, oh je, und das Gesicht von der Madame!" «Er wird schon helfen!" flüsterte Riekchen, obgleich sie meinte, in eine schwarzdunkle Tiefe zu schauen, in der kein Lichtfünkchen glimmte. «Mamsell, noch zwei Minuten! Wenn wir nicht pünktlich draußen sind, schreit die Madame." Da kam ein seltsamer Ton durch die Sonntagsstille. «Tutuut tuhut!" «Alle guten Geister", kreischte Line und die zerbrochene Platte geriet ins Wanken, «das ist Feuer!" «Tutuut tuhut!" gellte es vom Turm über die in beschaulichem NachmittagSbehagcn ruhende Stadt. .Feuer. Feuer, Feuer!" «Es brennt, es brennt!" Aus allen Häusern stürzten sie heraus, jeder schaute zuerst auf das eigene Dach. .Feuer, Feuer, Feuer!" Der wilde Lärm tönte auch in das ollertraulichste Kaffeegeschwäh hinein. Man war gerade dabei, die dritte in Aussicht stehende Bei ladung zu bereden, als jäh ollen die Rede flockte. «Feuer, heikger Himmel, gewiß bei uns!" Jeder rief es, jeder sprang auf und da tönie auch schon die große Glocke, schwer und dumpf: «Feuerjo, Feuerjo!" Dio Damen drängten hinaus, wie ausgcplusterte große Glucken liefen sic in ihren gebauschten weiten Röcken den langen Mittelweg entlang, hinein in das Haus, und die dicke Bürgermeisterin rannte als erste an die offene Küchentüre an. Der Stoß war so heftig, daß Line nicht nachzuhelfen brauchte, es rasselte und klirrte, die Mädchen kreisch ten und das Unglück in der Nähe lieh für ein paar Augenblicke die Damen den Feucrlärm vergessen. Line heulte laut, Riekchen schluchzte leise, die Bürgermeisterin sprach ihr allertiefstes Bedauern aus und die Etadträtin tröstete in leidlicher Fassung: es sei nicht so schlimm. «Und inzwischen brennt vielleicht unser Haus ab", jammerte eine der Frauen, da trieb die Angst sie alle wieder hinaus, selbst die Stadt rätin trat vor die Haustüre. Wo brannte es nur? Auf dem Turm schwiegen auf einmal die Feuerstimmen alle beide. In den Gassen der kleinen Stadt aber rannten die Leute alle durch einander und fragten: „Wo brennt es, wo, wo?" Der eine sagte da, der andere dort. Die Mannen der freiwilligen Feuerwehr sammelten sich, der Brandmeister schnupperte in der Luft herum, kein Brandgeruch war spürbar, von nirgends wurde das Feuer gemeldet, und Martin Freudenreich, der Turmwärter, gab kein Zeichen, er kam auch nicht aus seiner Höhe herab, um zu melden, wo er den Feuerschein gesehen hatte. Endlich entschlossen sich etliche und stiegen in der Kirche empor, und oben harrte ihrer die seltsamste Ueber- raschung, der Turmwächler war gar nicht da. Sein Horn lag auf dem Tisch, die große Glocke zitterte noch leise schwingend im Gebälk, sonst war es still und friedsam hier oben, nicht als sei soeben der wilde Feuerlärm von hier herabgerauscht, die ganze Stadt in einen Strom von Angst einhüllend. Der Turmwächter nicht da und Feuerlärm gewesen, wer hatte ihn geschlagen? Es hatte keiner den einen gesehen, der da rasch durch ein schmales Türchen hinter der Kirche in den leeren Speichergang geschlüpft war und der nun singend dem nahen Stadtwald zueilte. Heinrich Mein rad freute sich seines gelungenen Streiches. Er, des einstigen Orga nisten Sohn, kannte alle Winkel in der Kirche, er wußte auch, daß der Turmwächler just am Langenauer Weiher saß und angelte, und daß dem nur ein bürgermeisterliches Donnerwetter zuteil werden würde, mehr nicht. Etwas viel Lärm war's um einen zerbrochenen Kuchen teller, dachte er, aber dem Riekchen hat es wohl geholfen, und warum soll einer um seiner Liebsten willen nicht einmal ein Städtchen in Auf ruhr bringen. Am liebsten wäre der junge Missetäter wieder ins Gartcngäßchen gelaufen und hätte sich am Küchenfenster den Dank geholt, aber das wäre ein zu gefährliches Ding gewesen. Heinrich Meinrad lief und lies in der warmen blühenden Welt herum und baute heitere Zukunflsschlösser auf. Ein paar Jahre würden noch ver- gehen, ehe er Riekchen heimführen konnte, so lange würde diese schon warten: aber ihr Wort, daß sie es tut, mußte er noch heute haben. Der Feuerlärm sollte der Auftakt sein zu dem heißen Liebeslied, das ihm heute noch erklingen sollte. Als das erste milde Dämmern des Abends anhub, schritt Heinrich Meinrad wieder durch das Garlengäßchen. Um diese Zelt goß Riek- chen meist den Garten, und es gab einen Winkel, von Bäumen und Gebüsch versteckt, wo die Wassertonne stand, am Zaun, dort hatte Heinrich Meinrad schon manches kleine, lustige, heimliche Gespräch mit der blonden Stadlratsnichte geführt. Als er durch die Stadt ging, war darin noch immer nicht die gewohnte Alltagsstille einge kehrt, die große Frage nach dem Missetäter war noch ungelöst, und harte verdammende Worte sielen auf sein unbekanntes Haupt. Am allerempörtesten redete die Etadträtin Hakebusch, ihr ganzer Zorn galt dem Unheilstifter, weil sie doch der Bürgermeisterin nicht zürnen konnte und Line sich wacker verteidigte, sie könne nichts dafür. Auch der sonst etwas wortkarge Stadtrat schalt, und der Herr Magistratssekretär sekundierte: der war gekommen, um zu fragen, ob den Damen deS Hauses der Schreck nichts geschadet hätte. „Ein feiner, höflicher Mann", sagte die Stadträtin, und Riekchen dachte beklommen, das würde sie nie von Heinrich Meinrad sagen. Nur eine freute sich ausbündig über den klingen Feuerlärm, das war Line, die Magd, die lachte und trällerte in der Küche herum und ärgerte damit Riekchen. Der war das Herz schwer, sie konnte nicht lachen, und sie war eher geneigt, in der Tante abweisende Worte ein zustimmen. In Gedanken hielt sie Heinrich Meinrad eine steife kleine Mahnrede, und just, als sie die zum dritten Male begann, stand der junge Mann am Gartenzaun und streckte lachend seine Hand hinüber: «Hab ich's gut gemacht, Mamsell Riekchen?" «Huch!" Mit einem leisen Schrei stellte Riekchen rasch die Gieß kanne hin, die sie soeben aus der Wassertonne hatte füllen wollen, aber die Hand streckte sie nicht über den Zaun. «War's gut so, hat es keine Schelte gegeben?" fragte Heinrich Meinrad nochmals, heiter und zuversichtlich. «Nein!" rief Riekchen spitz, und sie stand so steif da wie ein rechter kleiner Tugendproh. „Das — das war ein Jungensstreich.' Das «Dumm" unterdrückte sie noch rechtzeitig. „Wenn es herauskommt. Sie angezeigt werden, man gar erfährt, warum Sie es getan haben, schrecklich, schrecklich!" In Heinrich Meinrads Augen erlosch jäh das Lachen. «Dann würden Eie sich sehr schämen, mit mir zusammen genannt zu werden?' fragte er langsam. «Ja doch! Ein Mädchen muh auf seinen Ruf bedacht sein.' Der Tugendprotz kam immer schärfer zum Borschein, und der junge Mann dachte plötzlich, wie sie ihrer Tante gleicht. „Man bringt doch nicht eine ganze Stadt in Aufregung, um Ihnen zu helfen.' Heinrich Meinrads Stimme klang seltsam schwer. «So war's nicht gemeint", stammelte Riekchen, und der Tugend proh sank ein wenig zusammen. «Nein, so war es nicht gemeint. Einen blinden Feuerlärm, den gibt es manchmal im Leben, Fräulein Riekchen. Nun aber guten Abend, leben Sie wohl und — heiraten Sie Ihren Berehrer, den Herrn Magistratssckrctär: der wird nie die Feuerglocke schlagen, um — Ihre Tränen zu trocknen." «Herr Meinrad, Heinrich!" ries Riekchen erschrocken, aber der war rasch mit zwei Sähen im Gartcngäßchen verschwunden. Ein paar Herzschläge lang hörte sie noch seinen enteilenden Schritt, dann war alles still. Nach einer Welle ertönte dann von der Laube her ihr Name. Doch sie hörte daran vorbei, bis das Rufen immer dringlicher wurde; da nahm sie endlich ihre Gießkanne und ging dem Haus« zu: bei jedem Schritt aber sagte sie sich trotzig, um eine andere Stimme in ihrem Herzen zu übertönen: ich hatte doch recht, ja, ich halte recht. Und die glimmende Hoffnung sprach dazu: er kommt schon wieder. Doch an ein Wiederkommen dachte Heinrich Meinrad nicht, der lief und lief bis zur Höhe hinauf, dis di« Stadt unter ihm lag. Er sah da, wie der Tag völlig verdämmerte und wie kleine Lichtscheine aus der Stadl cmporstiegen, auch die verloschen allmählich, und zuletzt leuchtete nur vom Turm der Marktkirchc ein einziges Lichtchen in das Dunkel hinaus. Heinrich Meinrad dachte daran, wie er oben gestanden halte und seines Herzens Seligkeit, den Sturm seiner Freude in die Welt hinaus geläutet hatte. .Hält' ich's gelassen", murmelte er, «dann — wär's dann bester gewesen?" Da erlosch auch das kleine Licht auf dem Turm, und die sch-n« wanne Sommernacht umfing ihn mit all ihrer zarten, heimlichen Lieb- lichkeit, die Bäume rauschten, die Grillen zirpten, und hier und dort wurde eine verschlafene Bogelstimme laut. Heinrich Meinrad kletzl seinen Schmerz schreien, er gab sich ihm ganz hin, und er spürl« M' bitteren Leide dennoch die Schönheit der milden Nacht, und daß dl« Welt noch im Blühen stand. Pfingsttage in Weimar Bon Werner von der Schulenburg. (Nachdruck verboten.) Frank Wedekind begann seinen Gastspielzyklus. Also gehen wir auf den Sommer zu. Wedekind spielte seinen «Marquis von Keith", den ganzen Wedekind. Er spielte schlecht wie immer, wie ein Dorstadtkom-- diant aus der vormärzlichrn Zelt, mit «teuflischem" Lachen und «grollen der" Stimme. Etwas unerquicklich Unsicheres liegt in der Kunst dieses Mannes, ein Taumeln zwischen Tradition. Reaktion und Revolution. «Der im Irrgarten der „Jonen" taumelnde Marquis." Nachbarin, Euer Fläschchen. In deinem Tau gesund mich baden. „Wohin?" Gehen wir diesem Zitat nach: Also nach Weimar. We,r kann den eigenen Reiz dieser thüringischen Landschaft be schreiben? Man muß sie gesehen haben, diese wogende, grüne Welt, für die das Wort «lieblich" aus dem Romantikerlextkon wieder herausgeholt werden muß. «Täler grünen, Hügel schwellen, Buschen sich zur Schattenruh, Und in schwanken Silberwellen Wogt die Saat der Ernte zu." An den weichen Hängen der Hügel stehen die grünen Busche " : den bläulichen Schatten wie hingcpackt: die Schluchten sind mild und weich, und die Bäche können nu>- sch-vätzen und tändeln. Aber man würde sich irren, wenn man annehmen wollte, daß dieses Land süßlich sei. Es ist an ihm alles seltsam klar: cs ist eine «heroische" Landschaft im schönsten Sinne. Osmannstadk, wo der alte Wieland hauste, liegt tief in einem grünen Kessel, von dem aus sich eine grüngcsättigte Talmulde noch Weimar zieht. Wieviel Weltgeschichte ist unter diesen Bäumen dahingcwandert! Wie- viel Menschen, die sich mit tiefen und schönen Ideen befahlen, ohne daß sie in die Gefahr gerieten, sich selbst zu mißtrauen oder gar zu belächeln. Es gab keine «romantische Ironie". Es gab keine blitzartigen Gedanken kombinationen, es herrschte eine ungestört fruchtbare Luft. «Wieland produziert wechselweis' Kinder und Bücher", pflegte die Herzogin Amalie zu sagen. Don dieser fruchtbaren Luft scheint Aeolus noch ein paar Schläuche voll für Osmannstadt aufbewahrt zu haben. Zwar gibt es dort keine «Oberons' mehr, aber ein Institut zur Züchtung von Rasse hunden. Das ist doch auch etwas Fruchtbares. lieber der Stadt lag der letzte Hauch eines Regens. Das ist der Pfingstregen, besten ich mich aus meiner Jugend so genau entsinne. Am Abend vor Pfingsten, wenn in meiner holsteinischen Heimat die Maien vor der Tür standen, dann bewölkte sich der weile holsteinische Himmel mit einer Totensicherheit und ein duftender, lauwarmer Sommerregen stürzte auf das weite Land. Wenn es aufgehört hatte zu regnen, dann entströmte den Birken jener herb-süße Geruch, der die Geschmacksnerven ein wenig zu reizen scheint, lind nun sehe ich unsere Dienstmädchen, wie sie mit großen Schritten durch die Pfützen des Hofes kreuzten, in den Händen, weit vorgestreckt, die Platten mit den duftenden Psingstkuchen, der ebenso zum Feste gehörte, wie Regen und Blrkengernch. Auch in den Straßen von Weimar standen Birkenstämme. Selten freilich: es schien, als ob dieser alte Brauch deutsch-christlicher Ueber- lr-ferung nur noch ein Luxus der Reichen sei. Oder ist man besorgt um die Birken, will man sie lieber in den Wäldern behalten? Mir schiene solche Schonung nicht richtig. Gewiß, es braucht nicht jeder einen ganzen Baum vor seine Haustür zu sehen, aber ein paar Zweiglein sollte sich auch der Städter am Pfingstfest vor die Tür nageln. Und das hat unser reicher, deutscher Wald auch für jeden von uns noch übrig. Gibt es Sinnigeres als die Feste der Bäume: das Weihnachtsfest mit seinem immergrünen Baum im Zimmer und das Pfingstfest mit den lichten, vergänglichen Zweigen vor der Tür? Die tiefe Symbolik dieser beiden Baumfeste hängt so eng zusammen: hier im toten Winter den immer grünen Baum im engsten Familienkreise, dort im Sommer das lichte, so leicht welkende Laub vor dem Hause, allen Menschen sichtbar. Unver gänglichkeit, Auserstehungszauber — ^Vergänglichkeit in heiler Sommer schönheit: das sind die Zeichen, die das ganze Dasein begreifen. Und man störe den tiefen Sinn und den Zusammenhang nicht, indem man den einen dieser Festbäume mehr und mehr verschwinden läßt. Weimars Park in seiner großen, schönen Laubpracht war der Pfingststrauß der Natur. In sattem Glanz strahlten die Bäume; die Wipfel rauschten um das Gartenhaus des alten Magiers wie die Fahnen um den Thron eines Fürsten. Sie neigten sich ehrfurchtsvoll vor dem langgestreckten Palais der Frau von Stein und achteten nicht auf die davor aufgereihten Oleanderbäume, die ihre Stubsnascn dummdreist gegen den Park kehrten. So mögen damals Gevattern und Basen dagestanden haben, wenn der Herr Geheime Rat vorübergeschrltten war und auf das langgestreckte Haus zuging, um seine Lotte zu besuchen. Was für ein Mensch! Wenn man sich über das Goethe-Pfofsen- tum weidlich geärgert hat, dann soll man nach Weimar gehen und sein Haus am Frauenplan aufsuchen. Geheimrat von Oettingens liebevolle Sorgfalt hat jetzt einen Teil der Goetheschen Sammlungen in wär- diger Weise aufgestellt: und mit Schaudern der Ehrfurcht begreift man, was Goethe in seinem Leben gearbeitet hat. Es gibt kein Ge biet des damaligen Wissens, das dieser Riese nicht zu durchforschen suchte. Kein Gebiet des heutigen Wissens, das er nicht geahnt hat. Die Plaketten- und Majolikasammlungen, Petrefaktc, Fossilien, Bil der, Plastiken — sie predigen mit einer riesigen Kraft dasselbe: hier Hal ein Mensch sein Leben ousgckauft, hat mit seinem Pfunde ge wuchert. Hier ist kein zerfahrenes Irrlichtern, hier ist Hochachtung vor der Logik der Natur; hier ist keine Freibeuterei der Erkenntnis, hier ist ernstes, männliches Ringen, männliche Arbeitskraft und, wenn es sein muß, männliche Resignation. Gleich um die Ecke wohnte Schiller. Nicht so üppig wie der Staatsministcr, aber doch auch behäbig und würdig. Es ist mir immer eine stille Freude gewesen, das Weinverzeichnis zu studieren, das sich im Inventar des Cchillerschen Nachlasses befindet. Ich muh sagen: alle Achtung. Goethesche Majolikateller sind gewiß etwas Schönes, aber all die guten Jahrgänge deS Herrn Hofrats sind auch nicht von der Hand zu weisen. Es hat wirklich etwas Tröstliches, zu wissen, daß dieser Mann, der so schwere Jahre hinter sich hatte, sich doch am Ende seines Lebens eines bescheidenen Wohlstandes erfreuen konnte. Ein dritter großer Geist, der insbesondere dem Deutschland un serer Zeit nach der Meinung unserer Feinde seinen Stempel auf drücken soll, hat hier In Weimar sein Leben zu Ende gelitten. Nietzsche. Wann wird man ihn endlich richtig würdigen! Wann wird man begreifen, daß er nichts war als eine verfeinte Fortsetzung der Starken! Daß di« Franzosen ihn, gerade ihn, als den typischen deutschen Philosophen des Krieges hinstellen, ist ein Zeichen, wie dumm sie sind. Darüber mit ihnen zu reden, ist überflüssig. Man überzeugt Hysterische nicht mit Gründen. Aber sie haben diesen «alldeutschen Annexionisten" als typischen Bertreter ihrer Gegner nicht viel un geschickter ausgesucht als ihren «CalaiS'-kopischen Freund und Bun desgenossen . . . Ein Hauch von Ruhe und Schönheit war mir geblieben, als lch nach dem Feste wieder in Berlin ankam. Die Menschen auf den Straßen eilten in wilder Hast dahin und schienen nicht zu ahnen, daß an den Usern der Ilm ein leuchtender Park In stiller Einsamkeit träumte. An den Anschlagsäulen stand in großen Buchstaben, daß Frank Wedekind in seinem Gastspiel jetzt beim .Erdgeist" angelangt sei . . . Ich dachte der Birken, der schwellenden Hügel, deS wunder baren Gedenksteines, .eenie bujus loci', der Ntesenväume und der weiten Wiesen. — Erdgeist? — «Du Geist der Erde bist mir näher."
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