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bereit fein, ihm nach Kräften wohlzutun. Daher erwartet die Kirche, daß wir nicht nur natürliche Nächstenliebe als sittliche Tugend üben, die aus den natürlichen Beziehun gen des Menschen zueinander beruht, sondern auch jene Nächstenliebe, die dem Nächsten um Gottes willen wohl will und deswegen sein ewiges und zeitliches Wohl nach Kräften fördert. Die mit der Gottesliebe unzertrennlich verbundene Nächstenliebe ist mitleidig, ist persönlich, ist praktisch, kräftig, ausgiebig, selbstlos und kennt kein An sehen der Person. Sie steht still vor jedem Menschen, auch dem elendsten; sie findet immer wieder neue Metho den; sie bleibt die Führerin für alte und neue Wege; sie ist die große Bewahrerin der Selbstgenügsamkeit; nie mals niedergeschlagen, nie entmutigt und nie verbittert. Tie Nächstenliebe ist das Kennzeichen der Jünger Christi: .Daran sollen alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr einander liebt" (Joh. 13, 35). Prüfstein der Gottesliebe ist die werktätige Liebe: „Dieses Gebot haben wir von ihm: wer Gott liebt, muß auch seinen Bruder lieben" (1. Joh. 4, 21), und nach der werktätigen Liebe wird Christus sein Urteil sprechen beim letzten Gericht: „Kommt, ihr Gesegneten meines Vaters, nehmet in Be sitz das Reich, das seit der Weltschaffung für euch bereitet ist, denn ich war hungrig und ihr habt mir zu essen ge geben; durstig, ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und ihr habt mich beherbergt; nackt und ihr habt mich bekleidet; ich war krank und ihr habt mich besucht; gefangen und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden die Gerechten ihn fragen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? wann haben wir dich als Fremdling gesehen und dich beherbergt oder nackt und haben dich bekleidet? wann haben wir dich krank ge sehen oder im Gefängnis und sind zu dir gekommen? Der König wird ihnen antworten: Wahrlich, ich sage euch, was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder ge tan habt, das habt ihr mir getan" (Matth. 25, 34—!0). Die Königin aller Liebe steht aber auch still vor dem sündigen, vor dem verzweifelnden, auch vor dem ver kommensten Menschen; denn auch in ihm sieht die Liebe ein Golteskind, dessen Seele um jeden Preis zu retten ist. „Uns treibt ja nur die Liebe zu Christus" schreibt Paulus im 2. Kor. 5, 14. Dieses Wort ist oberster Grund satz aller Apostelarbeit. Die Briefe Pauli eröffnen uns tiefe Blicke in sein apostolisches Herz. Wie Feuer flammt und glüht auf seine Hingabe an die Seelen, sein aposto lischer Eifer. All seine Belehrung, alle seine Briefe, alle seine Entscheidungen sind diktiert von der Liebe. „Ich aber will mit Freuden Opfer bringen, ja mich selbst auf opfern für eure Seelen" (2. Kor. 12, 15). Diese pastorale Liebe durchglüht das Herz eines Dominikus, eines Franz L'averius, eines Franz von Sales; diese Liebe soll auch uns erfüllen, wenn wir all derer gedenken, die abseits zweifelnd und verzweifelt stehen an den Abgründen, wo es keinen Halt mehr gibt für Glaube und Sitte. Urquell aller Liebe ist nur einer: Gott, Jesus Christus, unser Herr und Meister und Erlöser. Lichterloh brennt das Verder ben, es überströmt übermäßig die Sünde; da kommt die Fülle der himmlischen Liebe, im lieblichen Gewände der irdischen: Gott als Kind. „Es erschien die Güte und Men schenfreundlichkeit Gottes, unseres Heilandes und brachte uns das Heil" (Titus 3, 4). Sein Evangelium wird für alle Menschen die Hochschule der Liede. Das ganze Leben Jesu ist ja nichts anderes als eine Schule der Liebe, der menschgewordenen Liebe. Wer könnte dem HI. Ernst der werktätigen Nächstenliebe widerstehen in der herrlichen Parabel Christi vom barmherzigen Samaritan, die der Heiland mit den Worten schließt: „Gehe hin und tue des gleichen" (Luk. 10, 37). Leihe darum deine Hilfe, so gut du kannst, in den karitativen Verbänden, im Winterhilfs werk oder wo auch sonst es nur notwendig ist. Es ist einerlei, von wem das Gute geschieht, wenn es nur ge schieht in der rechten Gesinnung, „wenn nur in allem Christus gepredigt wird" (Phil. 1, 18). Geliebte Diözesanen? Das alte Heidentum hatte über 200 Jahre lang alle Kräfte angespannt, um die junge Kirche im Blute der Glaubenshelden zu ertränken; es ist ihm aber nicht gelungen. Das Blut der Märtyrer war immer wieder der Samen neuer Christen (Cyprian). Diese junge Bekennerkirche nimmt eine unvergleichliche Stellung in der Geschichte ein. Kein weiteres Jahrhundert konnte ein Aufgabengebiet von solchen Schwierigkeiten, keines kann sich in Bezug auf die heroischen Leistungen nnt ihm messen. Die Kirche Christi hat alle diese Kreuzes zeiten überdauert. Restlose Hingabe an die höchsten Auf gaben, selbstlose Arbeit für das Seelenheil anderer, helden haftes Innenleben haben Charaktere geschaffen, die aus dem Geiste der christlichen Heroenzeit heraus auch die Schwierigkeiten weiterer Jahrhunderte überwanden. Wenn auch heute wieder ein gewaltiger Kampf der Geister um das Reich Christi auf Erden tobt, wenn ein neuer Glaube verkündigt, wenn eine neue Sitte gepre digt wird, dann geht unser geistiger Blick in vergangene Zeiten der hl. Kirche zurück. Wie unsere christlichen Vor fahren, so ordnen auch wir unsere Reihen unter dem Siegeszeichen des Gekreuzigten und glorreich vom Tode Auferstandenen. Alles Erdgeschehen fassen wir reli giös, unser letztes Ziel ist die ewige Heimat. Darum bleiben wir auch in der neuen Zeit dem alten Glauben treu. Wie seit Jahrtausenden, hat auch für uns moderne Menschen Gottes heiliges Gebot absolute Geltung. In echter Glaubensgesinnung wahren wir kämpfend die Tu gend, denn nichts anderes entscheidet letzten Endes den Sieg. Wenn in allen Schwierigkeiten und Kämpfen der christlichen Vergangenheit vom Kreuze Christi Kraft und Gnade strömte, so wird auch in dem gewaltigen geistigen Ringen und Kämpfen der heutigen Zeit in allen christlichen Bekennerherzen das Wort der Väter wach: „Das Kreuz Christi unsere höchste Ehre, das Kreuz Christi unsere beste Lehre, das Kreuz Chri st i unsere stärkste Wehre." Es segne euch der allmächtige Gott, der 's Vater, 's der Sohn und der f Heilige Geist. Amen. --- , Bischof von Meißen. Gegeben zu Bautzen, am 10. Februar 1935. Druck: Germania-Verlag Dresden. Polierstraße 17. Die religiöse Ginndeutung unserer Zeit Fastenhirtenbrief von Bischof Petrus Leggs, Bau-en Petrus durch Gottes Grbarmung und die Gnade des heiligen Apostolischen Stuhles Bischof von Meißen entbietet der hochwürdigen Geistlichkeit und den Gläubigen des Bistums Gruß und Segen im Herrn! Vielgeliebte Diözesanen! Seit dem Fall der Slammeltern waren nach Got tes Willen die Menschen zu allen Zeiten Kreuzträger hie- nieden. Jede Zeit gab dem Erdenpilger ein anderes Kreuz, auch unsere Zeit. Unter der drückenden Last des Leides und der Sorgen, droht mancher Kreuzträger zu sammenzubrechen, wenn nicht Balsam in die leidende Seele dringt und die Kraft aus der Höhe stärkt. Darum habe ich für den diesjährigen Fastenhirtenbrief das Thema gewählt: „Die religiöse Sinndeutung unserer Zeit." Der ewige Gott ist der Herr aller Zeiten. In seinen starken Händen trägt er alles Zeitgeschehen. Die Zeit ist aber nur eine vorübergehende Bewegung. Das blei bende Ziel ist die Ewigkeit. Uns Menschen ist die Zeit zur Verfügung gestellt, um mit Gottes Gnade unser Heil zu wirken. „Euch gehört ja alles: Paulus, Apollo und Kephas, Welt, Leben und Tod. Gegenwart und Zukunft: alles gehört euch, ihr aber gehört Christus und Christus Gott" (1. Kor. 3, 22—23). So hat, religiös ge sehen, jede Zeit einen tiefen Sinn, jede Zeit ist ein Mittel zum ewigen Heil. Daher haben auch für unsere Zeit die Mahnworte des hl. Paulus Geltung: „Benützet die Zeit" (Eph. ö, 16). „Seht, jetzt ist die Zeit der Gnade, seht, jetzt ist der Tag des Heiles" l2. Kor. 6, 2). I. Diele Menschen leiden und seufzen unter den Ge schehnissen unserer Zeit. Starke Stützen des Volkes liegen zerbrochen am Boden. Eine neue Welt ist geworden — die ewigen Werte aber bleiben. 1.) Vor dem Weltkriege standen die Deutschen stark und mächtig da im Rate der Völker. Das Vaterland schien unerschütterlich gebaut für Jahrhunderte. Stolz und siegesfroh zog das Heer aus, um die Heimat zu schützen. Der Krieg hat bald alles geändert. Das Vater land war ohnmächtig geworden; man diktierte ihm den Frieden und zwang ihm einen Vertrag auf, dessen ein zelne Paragraphen immer wieder eingeleitet werden: „Deutschland verzichtet...". Die blühende junge Kraft der Nation, der wir auch heute wieder dankbarst geden ken, wurde in fremdem Lande dahin gemäht; der ver lorene Krieg hat für viele eine ganze Welt zerstört. Für religiöse Menschen liegt aber in diesem harten Weh ein tiefer Sinn. Die irdische Heimat ist nicht ewig, nur für die Erdenzeit ist sie unser Vaterland. „Wir haben hienieden keine bleibende Stätte, sondern wir trachten nach der zukünftigen" (Hebr. 13, 14). Wir sind „Fremd linge und Pilger" (1. Petrus 2, 11) auf Erden und suchen eine bessere Heimat. Unser bleibendes Bürgertum ist im Himmel. „Wir wissen ja", schreibt St. Paulus (2. Kor. 5, 1—2), „wenn unser irdisches Zelt abgebrochen wird, erhalten wir einen Bau, von Gott bereitet, ein ewiges, himmlisches Haus, das nicht von Menschenhand erbaut ist. Seufzen wir doch in diesem Zelt voll Verlangen, mit unserer himmlischen Behausung überkleidet zu werden." Je armseliger wir uns auf Erden fühlen, desto eher fühlen wir uns genötigt, uns in einer besseren, jenseitigen Welt ein Bürgerrecht zu sichern. In einer Welt, von der die Geheime Offenbarung sagt: ..Siehe da, das Zelt Gottes unter den Menschen! Er wird bei ihnen wohnen, sie wer den sein Volk sein, und er selbst, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird von ihren Augen wegwischen jede Träne.