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R"da't!on:ll»r T "l. 109, 30. Mai 1919. Vereinigung der Berliner Mitg ieder des Bö senve eine« der Deutschen Bui Händler. Jahresbericht über das Vereinsjahr 1918/19, erstattet vom Vorstand für die Ordentliche Hauptversammlung am 6. Mai 1919. Eine Weltenwende — nicht die kurze Spanne eines Jahres scheint uns von den Tagen zu trennen, an denen wir den letzten Jahresbericht veröffentlichten. Hegten wir damals noch die ernste und anscheinend begründete Hoffnung, den Krieg gegen eine Welt in Waffen nach unglaublichen Opfern an Gut und Blut ehrenvoll beenden zu können, so liegen wir heute, durch einen schmachvollen Waffenstillstand gefesselt, in Erwartung eines har ten Friedens danieder. Stand damals noch das geeinte deutsche Kaiserreich, jene Erfüllung eines Traumes von Jahrhunderten, aufrecht da, auf dessen Wort bisher die Völker der Erde horchten, so ist heute die deutsche Republik, zerrissen im Innern, eine Macht minderen Ranges, über deren Aufnahme in den großen Völkerbund man sich erlaubt zweifeln zu dürfen. Und den im merhin noch geordneten wirtschaftlichen Zuständen jener Tage, die die Möglichkeit eines Wiederaufbaues in absehbarer Frist als durchaus sicher erscheinen ließen, steht heilte das wirtschaft liche Chaos gegenüber. Ein starkes Bewußtsein von der Kraft des deutschen Volkes und unbezwinglicher Optimismus gehören dazu, um nicht an der Zukunft zu verzweifeln. Was wollen allen diesen gewaltigen Erschütterungen und Umwälzungen des großen Ganzen gegenüber unsere buchhändle rischen Sorgen besagen, die unser engeres Staatswesen in Be wegung erhielten und Tag sür Tag von neuem erschütterten! Aber auch sie müssen durchgekümpft und zu einem möglichst guten Ende gebracht werden. Kampf hält wach, Kampf fördert und ist Mittel zum Fortschritt, den jeder Teil und die Gesamtheit unserer Wirtschaft dringend bedürfen. — In der ersten Hälfte des verflossenen Geschäftsjahres waren es Teuerungszuschlag und Notstandsordnung, die die Ge müter im Buchhandel erregten. Die Erörterungen in unserer Hauptversammlung vom 18. April 1918 drehten sich wesentlich um diese Frage, deren buchhändlcrisch-gesctzliche Fest legung durch den Antrag Nilschmann und Genossen zur Kantate- Versammlung gefordert war. Tauchte in unserer Versammlung schon der Gedanke auf, den Antrag in einem Kriegsparagraphen den Satzungen des Börsenvereins einzufügen, um dem Teue rungszuschlag auf diese Weise den Schutz des Börsenvercins angcdeihen lassen zu können, so brachte die Hauptversammlung in Leipzig die Erfüllung durch die Annahme der in einem glück lichen Augenblick eingcgebeucn Notstandsordnung, die die Gefahr harter Kämpfe im Buchhandel beseitigte. Die Notstandsordnung, als Gesetz des Buch handels, festigte dessen Stellung gegenüber den Angriffen der Behörde», insbesondere des Kricgsernährungs- und des Kricgs- wuchcramtcs, die irr übertriebener Auslegung der Verordnung über die Gegenstände des täglichen Bedarfs auch die Preis erhöhung der Bücher und vor allem die Erhebung des Teue rungszuschlages bekämpfen zu können meinten. Der gegentei lige buchhändlerische Standpunkt fand erfreulicherweise die An erkennung durch die Gerichte. Gegen die »Extratour« des Vereins der Buchhändler zu Leipzig, der sich zur satzungsgemähen Durchführung der Not- standSordnung nicht entschließen konnte, erhoben wir beim Vor stand des Börsenvereins, dessen Vorgehen in der Angelegenheit uns nicht energisch genug und nicht den Satzungen entsprechend erschien, in entschiedenster Weise Einspruch, mit dem Erfolg, daß die Notstandsordnung auch in Leipzig und somit in ganz Deutschland zur Geltung kam. Unseren Mitgliedern im Börsenvereinsausschuß, der zur Beratung etwaiger Ausnahmen von der Notstandsordnung im Oktober zusnmmentrat, gaben wir den Wunsch der Vereini gung auf den Weg, für möglichst lückenlose Durchführung einzu treten. Die Ausnahmen blieben auch nur auf ein geringfügiges Maß beschränkt. Sie ergaben aber mittelbar die Notwendigkeit, über eine Besorgungsgebühr für Zeitschriften im Be- 438 reiche unserer Vereinigung Beschluß zu fassen. Die Außer» ordentliche Hauptversammlung vom 28. Novem ber, zu der auch erstmalig der Vorstand des Centralvereins deut scher Buch, und Zcitschristenhändler geladen war, setzte demzu folge nach eingehender Beratung fest, daß »bei allen Zeitschrif ten, die in die Postzeitungsliste ausgenommen sind, vom 1. Ja nuar 1919 ab eine Besorgungsgebtthr in Höhe von 10°/° des Ladenpreises« erhoben werden mutz. Es kann als besonders erfreulich festgestellt werden, daß nur in drei Fällen Beschwerden wegen Verstoßes gegen die Rot standsordnung eingereicht wurden, und daß es in allen diese» nur eines einmaligen Briefwechsels bedurfte, um die Aner kennung durchzuführen. Auch der Berliner Magistrat, der für seine Büchereien die Erhebung des Teuerungszuschlages zunächst ablehnte, erklärte sich auf unsere eingehend begründete Zuschrift bereit, die buch- händlerische» Forderungen auzuerkcnnen, insofern, als er - ent sprechend den Vereinbarungen des Bürsenvereins mit den zu ständigen Ministerien — auf die Gewährung des 7e/2°/oigen Rabatts schon jetzt verzichtete, allerdings erst für die Zeit vom 1. April 1919 an. Unsere Bemühungen, dieser Vereinbarung rückwirkende Kraft verleihen zu lassen, sind noch im Gauge. Im übrigen ist der Teuerungszuschlag seitens des kaufen den Publikums anstandslos und als vollkommen selbstversländ- lich hingenommen worden. Eine Notstandsordnung höherer Art bescherte uns dafür das Reich, das, um die stetig steigenden Unkosten decken zu kön nen, dem Reichstag ein Steuerbllndel zur Beratung überreichte, dessen Umfang alles bisher Dagcwesenc weit überstieg. Die be deutende Erhöhung der Po st gebühren, die wesentliche Erhöhung der Umsatzsteuer, die namentlich dem Zeit schriftenverlag durch die hinzukommende Vcrsteuerungspflicht der Anzeigeneinnahmen erhebliche Opfer auferlegt, und die be sondere Abart der Umsatzsteuer in der Luxussteuer, die für das Antiquariat viel Beschwerden und Arbeit brachte, belasten den Buchhandel ganz besonders schwer. In das Meer der Vergessenheit schienen alle diese uns vor her so erregenden Sorgen zu versinken, als der Zusammenbruch lmserer Verbündeten und dann der unseres eigerkbn Heeres er folgte, und als der 9. November die gewaltsame Umwälzung aller Dinge im Deutschen Reiche herbeiführte. Konnte sich auch der Buchhandel über eine der ersten Verfügungen der neuen Re gierung besonders freuen, da sie die Aufhebung jeglicher Zensur brachte und die Meinungsäußerung in Wort und Schrift sür frei erklärte, so erhob dafür mit einem Schlage eine andere^ täglich dringender werdende Sorge ihr Haupt: die Angestellten frage. Zunächst hieß es, die aus dem Felde Zurückkehrenden in ihre alten Stellungen wieder aufzunehmen. Dieser Ehren pflicht hat sich wohl der ganze Berliner Buchhandel trotz der erheblichen Belastung, die sie verursachte, restlos unterzogen. In der Regelung der weit wichtigeren Forderung der Ange stellten auf eine bedeutende Erhöhung der Gehälter und im Anschluß daran einer Einflußnahme auf die innere geschäftliche Ordnung befinden wir uns noch mitten drin. Um der stark geschlossenen und durch eifrige Werbung dauernd sich verstär kenden Vereinigung der Angestellten, die in einigen hiesigen buchhändlerischen Betrieben bereits wesentliche Bestimmungen in Gehaltsfragen durchgedrückt hatte, eine gleich starke verhand lungsfähige Macht entgegensetzen zu können, wurde in einer aus ganz Deutschland beschickten Versammlung im Hotel Esplanade der Arbeitgeberverband der Deutschen Buch händler mit dem Sitz in Leipzig — im Anschluß an den Börsenverein — gegründet und gleichzeitig die Errichtung von Ortsgruppen in Berlin, Leipzig, München und Stuttgart be schlossen. Der vorläufige Berliner Ausschuß trat bereits am 10. Dezember zu seiner ersten Sitzung zusammen, gründete die Ortsgrltppc und forderte in einem eingehenden Rundschrei ben zum Beitritt auf. In wiederholten Sitzungen wurde die Satzung der Ortsgruppe festgelegt, die dann in der ersten allge meinen Versammlung vom 12. März genehmigt wurde. Die Verhandlungen mit den Arbeitnehmern sind bereits im Gange Deren Forderungen wachsen ständig; und es sei daher auch an