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>' 272, 2. Dezemver 1920. Redaktioneller Teil. Minister, zahlreiche Parlamentarier und viele Vertreter der Wis-, senschaft erschienen. Der Neichsminister des Innern, Koch, führte die Versammlung in das Problem des Abends ein und schilderte den großen Ernst der Lage, in der sich die deutsche Wissenschaft befindet. Das deutsche Volk, dessen hochentwickelte Kultur Gefahr lause, zu veröden, müsse Veredeluugsarbeit treiben, die nur auf der Grundlage wissen schaftlicher Erkenntnis geleistet werden könne. Wer der deutschen Wis senschaft helfe, helfe damit auch dem ganzen Volke. Die Tatsache, daß das Reich und weite Kreise in ihm Verständnis für die hohe Be deutung der Wissenschaft haben, lasse mit Hoffnung auf Gelingen an Maßnahmen zu ihrer Unterstützung herantreten. Nach den, Roichs- minister nahmen Vertreter der Wissenschaft das Wort. Der General direktor der Staatsbibliothek, Professor v. 1>. von Harnack, sprach über den inneren Zusammenhang von Wissenschaft und Kultur. Die Wissensthaft könne nicht von ihrem alten Kapital leben und keine Pause in ihrer Forschungsarbeit machen. Sie beruhe auf einem ge wissen Wohlstand und gedeihe nicht in einer Atmosphäre der Armut. Der Geheime Regierungsrat Professor vr. Haber legte die Fort schritte dar, die unsere Wirtschaft der wissenschaftlichen Forschung ver dankt. Professor vr. von Müller zeigte die ausschlaggebende Be deutung der exakten wissenschaftlichen Forschung zur Bekämpfung der Volkskrankheiten. Staatsministcr a. D. Dr. Schmidt-Ott schilderte den bereits erfolgten Zusammenschluß der wissenschaftlichen Anstalten und Verbände zu gemeinsamer Abwehr der Not und erbat mit eindring lichen Worten die tatkräftige Unterstützung aller Berufsstände. Wegfall des staatlichen Zuschusses für Zeitungsdructpapier. — Rcichswirtschaftsminister Or. Scholz erklärte jüngst im .Hauptausschuß des Reichstages, daß vom 1. Januar 1921 an keine Zuschüsse mehr aus Neichsmitteln für Zeitungsdruckpapier gezahlt würden. Dieser Zu schuß war ein gestaffelter und betrug bis zu 87 für 100 Die in Wegsall kommenden Zuschüsse sollen aus den Ausfuhrgewinnen, die durch die Ausfuhr vou Zeitungspapier erzielt werden, voll gedeckt werden. Es tritt also eine entsprechende Billigerlieferung ein. Um das Zcitungsdruckpapier weiter zu verbilligen, bewilligte der Haupt- ausschuß 90 Millionen Mark, die zur Papierhvlzverbillignng verwandt werden. Die erhöhten Postzeitungsgebühren, deren Einführung auf drin gendes Vorstelligwerden der Zeitungsverleger aufgeschoben worden war, sollen nun am 1. Januar 1921 bestimmt in Kraft treten. Ncichs- postminister Giesberts teilte gelegentlich einer in Bochum stattgesun- dcnen Besprechung mit Verlegern und Redakteuren aus Nheinland- Westfaleu mit, daß an dem Beschluß des Reichskabinetts, die erhöhten Postzeitungsgebühren am 1. Januar 1921 einzuführen, nichts mehr zu -ändern sei. ' r. Frankreich und die deutsche Literatur. Der Kampf gegen Deutschland aus kulturellem Gebiete ist jetzt i» weiten Kreisen der französischen Öffentlichkeit abgeblaseu worden. Seit einigen Monaten erscheint »I,a revns serrnaniqne« wieder und berichtet in sachlicher, würdiger Form über deutsche Neuerscheinungen, veröffentlicht auch wieder literarhistorische Untersuchungen über deutsche Probleme. »1^68 Images äs ?aris« brachten — so berichtet die Seemannsche »Zeit schrift für Bücherfreunde« — kürzlich Übertragungen von Novalis, »tta nouvslle revus kranyaise« hat über Dehmels Kriegstagebuch refe riert und in allerdings scharfer ablehnender Form Walter Rathenaus Tätigkeit im Kriege geschildert. Mehrere Mitarbeiter dieser Zeit schrift, der die Persönlichkeit von Andre Gide das Gepräge gibt, haben vor, sich mit den hervorragendsten wissenschaftlichen Arbeiten der letzten Jahre aus Deutschland, mit den Büchern von Guudolf, Bertram, Keyserling, Dessoir, Natorp zu beschäftigen. Auch ein Deutscher ist als Mitarbeiter gewonnen. Der deutsche Buchhandel in Paris ist aber wie jede Erinnerung an deutsche Arbeit vollständig ausgcrottet. Der deutsche Besitz der Firma Ollendorff, der die französische Vertretung von Baedeker hatte, wurde sequestriert und ist Inzwischen liquidiert wor den. Das -Haus wind jetzt von Franzosen geleitet, die weder Kenntnisse Deutschlands besitzen, noch Beziehungen zu Leipzig haben. Die Firma Brockhans ist liquidiert. Bei Le Sondier findet mau wie früher deutsche Literatur im Schaufenster. Auch andere Verlage und Buch handlungen bemühen sich um Beziehungen zu Deutschland, sind aber in echt französischer Unkenntnis der deutschen Verhältnisse völlig hilflos. Der Wunsch nach deutscher Literatur ist nicht gering. Gegen die Schund- und Schmutzliteratur. — Beim Münchener Polizeipräsidium fand kürzlich auf Veranlassung des Neichsmini- steriums des Innern eine Besprechung über die Maßnahmen statt, die zur Bekämpfung der Schund- und Schmutzliteratur zweckmäßig vorgenommen werden könnten. Zu dieser Besprechung waren Abge ordnete. Vertreter verschiedener Behörden und Körperschaften er schienen. Uber das, was dann beschlossen wurde, ist die Presse nicht unterrichtet worden. Mit der gleichen Angelegenheit beschäftigte sich der »Reichsbund deutscher Papier- und Schreibwarenhändler, Ortsgruppe München«. Es wurde einstimmig beschlossen, daß die zu beanstandenden Druck schriften, soweit solche überhaupt geführt werden, in erster Linie von den Schaufenstern und Auslagekästen entfernt und auf keinen Fall mehr au Kinder verkauft werden. Ein Wciterbez-ug solcher Schriften soll nicht mehr stattfinden, sodaß für die Folgezeit die Mitglieder des Neichsbundes derartige Schriften in ihren Geschäften nicht mehr zun, Verkauf bringen. — Ein Erfolg wird jedoch nur dann möglich sein, wenn auch andere Geschäfte Zeitungsfilialen ufw. —, die solche Druckschriften oft in großen Mengen ausstellen und anbieten, den Verkauf ebenfalls eiustellen. (M. in der Papierzeitung.) Wie erhält mau die Anwartschaft bei der AngcsteUtenversicherung? —- Trotz der Ausdehnung der Versicherungspflicht auf 15 000 ^ wird mancher Angestellte mit der Tatsache zu rechnen haben, daß für ihn heute oder morgen die Pflichtversicherung wieder entfällt, und da ist es für den Angestellten von großem Interesse, zu wissen, wie bei der meist nun cinsetzenden freiwilligen Weiterversicheruug die Anwart schaft bei der Angestelltenversicherung gesichert wird. Berechtigt zur freiwilligen Versicherung sind solche Angestellte, die aus einer versiche- rungspflichtigen Beschäftigung ausscheiden, also entweder die Vcrsiche- rungspflichtgrenze von 15 000 ./k überschreiten, selbständig oder stellen los werden, den Beruf aufgeben, bzw. eine versicherungsfreie Tätigkeit übernehmen oder heiraten (weibliche Versicherte) und mindestens sechs Beitragsmonate auf Grund der Versichernngspflicht zurückgelegt haben. Wer nun auf Grund dieser Bestimmung von der freiwilligen Versicherung Gebrauch macht, kann diese nicht in einer beliebigen Klasse fortsetzen, sondern höchstens in derjenigen Gehaltsklasse, die dem Durchschnitt der letzten sechs Pflichtbeiträge entspricht oder am nächsten kommt. In der gegenwärtigen Zeit wird natür lich für Geschäftsführer, Werkmeister, Faktoren, Hanöelsangestellte, Buchhalter, Buchhändler und sonstige Angestellte in ähnlicher Stellung die Gehaltsklasse die jetzt ein Einkommen von 4000 bis 15 000 ^ umfaßt, in Frage kommen. Ein Angestellter z. B., der sich selbständig macht und sich weiter versichern will und vor dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung zwei Monate zur Klasse I' (13.20 Beitrag), zwei Monate zur Klasse O (16.60 ./i Beitrag), einen Monat zur Klasse H (20 Beitrag) und einen Monat zur Klasse (26.60 Beitrag) Beiträge leistete, kann sich höchstens in der Klasse O weiter- vcrsichern, da der Durchschnittssatz (106.20 ./i : 6 — 17.70 ./() dem Monatsbeitrag von 16.60 am nächsten liegt. Es ist aber dem bisherigen Versicherten gestattet, in eine niedere Beitragsklasse oder in die niedrigste (1.60 ^ Bei trag) einzutrcten. Von dieser Berechtigung machen manche freiwillig Versicherte jetzt schon Gebrauch, was aber um so mehr der Fall sein wird, wenn die ersten 10 Beitragsjahre zurückgelegt, das heißt 120 Beiträge entrichtet worden sind. Denn bei der Berechnung des Ruhe geldes werden die ersten 120 Beiträge zu einem Viertel, alle übrigen Beiträge nur zu einem Achtel ungerechnet. Wer zum Beispiel 120 Beiträge in Klasse F geleistet hat, erhält 798 Ruhegeld, bei Leistung von 244 Beiträgen in dieser Klasse 1197 .//, aber nicht etwa 1596 .// (2X798 ^//). Die Wahl der niederen Klasse wird auch besonders dann vorgezogen werden, wenn die Einkommensverhältnisse des frei willig Versicherten sich in bescheidenen Grenzen halten, und das um so mehr, da der Beittagsanteil des Arbeitgebers wegfällt und der Versicherte den gesamten Beitrag allein leisten muß. Die Leistung von sechs Monatsbeiträgen auf Grund der Pflicht versicherung gilt nun als Voraussetzung, um überhaupt in die frei willige Weiterversicherung cintreten zu können, wie vorhin bereits be tont wurde. Zur Ausrechterhaltung der Anwartschaft ist es aber erforderlich, daß nach dem Kalenderjahr, in dem der erste Beitragsmonat zurückgelegt worden ist, innerhalb der zunächst folgen den zehn Kalenderjahre mindestens acht und nach dieser Zeit minde stens vier Beiträge während eines Kalenderjahres entrichtet wer den. Wer also zum Beispiel in irgendeinem Monat des Jahres 1919 nach Leistung von sechs Monatsbeiträgen als Pflichtmitglied ausge- schieöen ist, muß in den Jahren 1920—1929 mindestens acht Beiträge in jedem Jahre zahlen und nach 1929 mindestens vier. Innerhalb der Zeit der freiwilligen Beitragsleistung ist ein Wechsel der Beitrags- Höhe nach unten (nicht nach oben!) jederzeit gestattet. Wenn also ein Angestellter als freiwilliges Mitglied mehrere Jahre die höchsten Beiträge (Klasse I) zahlte, so kann er, wenn dies seine wirt schaftlichen Verhältnisse bedingen oder rätlich erscheinen lassen, bis zur niedrigsten Klasse (8X beziehungsweise 4X1.60 ^/k) herunter- gehen und später wieder — ganz nach Beließen — eine höhere oder die höchste Bcitragsklasse wählen. Diese Rechtslage ist namentlich für Stellenlose sehr wichtig. Es genügt zunächst, daß acht beziehungsweise 1447