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82, 10. April 1912. Nichtamtlicher Teil. DSrftMalt I. d. Dtschn. Buchhandel. 4465 Komponist sei. Der »Graf von Luxemburg« und seinesgleichen sind eben nach meinem Dafürhalten Schund, herzbrechender Schund — während »Orpüäs uux enter«« im Original, »Im tille de Llnclame .Luxor«, »Die Fledermaus« sich ein ganzes Stück über den Schund erheben: mutz man darüber unter Musikern wirklich noch debattieren? Leicht liehen sich die Beispiele häufen. Schund sind weiterhin: mindestens Drei- Viertel der heutigen, von skrupelfreien Verlegern, die Männer wie Sie sicherlich lieber heute als morgen von ihren Rock schöben abschütteln möchten, verbreiteten und von den »fahren den Sängern« unserer Tage mit ihrem Leierkasten bis in die kleinsten Provinzwinkel und die kümmerlichsten Dörfer ge tragenen Possencouplets. Das wird dann zum »Volkslied« im neuen Deutschen Reich! Schund sind die Tausende von senti mentalen, auf den — leider! — unzähligen Klavieren der deutschen »guten Stube« hcrumliegenden Schmachtfetzen — gegen die gehalten selbst die Reißer eines Tosti sich in for meller Anlage, Melodiesührung und Begleitung noch aristo kratisch ausnchmen. Und anderes mehr. Dergleichen sollen und müssen wir im wohlverstandenen Interesse der Volks- gesundheit erbarmungslos bekäinpsen. Nur meine ich, daß einer Schundmusik, wenn sic mit schundigcm Text zu sammengekoppelt ist, von rein musikalischen Korporationen wie dem »Musikpädagogischen Verbände« allein nur mit bedingtem Erfolge zu Leibe gegangen werden kann. Vielmehr hätten sich zu diesem Behuf jene Körperschaften mit den Vereinen und Organisationen zusammenzutun, die sich die Zurück- drängung des literarischen Schundes zur Aufgabe setz ten und durch große Rührigkeit bereits einen starken Einfluß gewannen. In aufschlußreiche Ausstellungen, wie solche kürz lich der »Süddeutsche Volksbildungsverband« mit außer ordentlichem Erfolge zu München veranstaltete, müßten Ab teilungen mit eingereiht werden, die für den verhängnisvollen Einfluß der musikalischen Schundliteratur auf die weitesten Kreise ebenso Zeugnis ablegen würden, ivie die planmäßig ungeordnete Überschau über die Hintertreppen-Romanc und über die in billigen Heften abgegebenen Verbrechergeschichtcn die der öffentlichen Moral von dergleichen eklem Zeuge drohen den Gefahren aufs schlagendste erweist. Ebenso verspreche ich mir die rechte Wirkung auf die Massen nur von bezüglichen Vorträgen, in denen man den musikalischen Schund mit dem literarischen gemeinsam behandelt und die Wechselwirkungen zwischen beiden dartut. Ich habe die Empfindung, verehrter Herr, als ob wir mit unseren Anschauungen jetzt so ziemlich beisammen seien. So brauche ich denn über den Musikschund ohne Text Wohl kaum noch etwas zu sagen. Er wird zutage gefördert, indem man bei den angeführten Operetten, Couplets, Sühholzraspeleien aus Rotenpapier die Worte weglätzt. Von der Gemeinheit oder dem Siruparom mag sich dabei allerdings einiges verflüchtigen. Aber fruchtet etwa die übrig bleibende, den Bodensatz bildende jämmerliche Trivialität im volkserzieherischen Sinne? Dazu tritt dann das Salonstllck. Salonmusik ist meistens für Leute, die keinen Salon haben. Französische Vornehmtuerei hat den »Salon« nach Deutschland geschleppt, wo so ziemlich alle Vor aussetzungen dafür fehlen, einen Salongeist schwänzeln und glänzen zu lassen. Das Charakteristikum des Salons ist die Eleganz: elegant wird der Deutsche niemals werden. Er muß sich schon mit anderen, nicht ganz verächtlichen Vorzügen be gnügen. Ich kenne nur eine wirkliche Salonmusik: die Phan- lasietänze Chopins, der den romantischen Polen mit dem ele ganten Pariser verschmolz. Der Rest ist Warenhaus-Kon fektion. Schund sind endlich die vielen scheußlichen, geschmackver derbenden Potpourris, denen Militär- und Zivilkapellen in öffentlichen Unterhaltungskonzerten den breitesten Raum zu billigen. Ein geistvolles, an verblitzenden Überraschungen Börsenblatt Pir den Deutschen Buchhandel. 79. Jahrykmq. reiches Quodlibet — das ließe sich hören I Doch ich wende mich an den nie versagenden Statistiker in Ihnen: wie viele witzige — und wie viele abgeschmackte Lieder-, Opern-, Marsch- und »gemischte« Potpourris sind Ihnen zeit Ihres Lebens begegnet? War Ihnen Wohl dabei zu Mute, wenn Mozartsche Motive sich mit Opereltendreck kreuzten, wenn ein tiefinnerlicher deutscher Volksgesang mit wenig Kunst und viel Behagen in einen biertriefenden Kantus übergeleitet wurde oder gar einen frechen Schlag mit der Ztrkuspeitsche erhielt? Und bedenken wir: Sie als hochgebildeter Mann schütteln das von sich ab wie Regentropfen von einem Gummimantel. Zehn-, ja Hunderttaufende aber, deren Gemütskultur nur bis zu einem bescheidenen Grade gedieh, gewöhnen sich daran, das Edelste und das Niedrigste durcheinanderzumengen. Sollte das nicht auf den Charakter abfärben? Wir Reformer wissen Wohl, daß wir diesen Hundert- tausenden nicht von heute auf morgen den »Fidelio« bieten dürfen: die Erziehung zum Kunstgenuß kann nicht vorsichtig genug unternommen werden! Wir wissen zugleich, daß der Anspruch auf leichtere musikalische Unterhaltung von dem schlichten Manne am Handwerkertisch mit gleicher Berechti gung erhoben wird wie von dem geistig Hochstehenden. Und gerade wir bemühen uns mit allen Kräften, die schier uner schöpflichen Schätze an guter heiterer Musik, die von deutschen Tonsetzern aufgehäuft wurden, ins Volk zu tragen. Wir haben die herrlichen alten, von kriegerischem Frohgcfühl durch strömten Märsche, wir haben die feinen, schalkischen Volks gesänge mit dem Wunderhornklange, die fröhlichen Gesell schafts- und Rundgesänge früherer Zeiten lange zuvor wieder in den Vordergrund gerückt, ehe wir »von oben« dazu er mutigt wurden. Kommen Sie zu mir in die »Städtische Münchner Musikalische Volksbibliothek«: Sie werden Ihre Freude daran haben, wie viele Stöße von herrlichen musikge sättigten Tänzen Lanners, Gungls, Johann Straußens wir dort aufhäuften, und wie eifrig diese Stöße von den Entleihern in Anspruch genommen werden! Ein Interesse daran, den Musikschund zu bekämpfen, hat nicht allein der Erzieher, der um die Volksgesundheit Besorgte. Ein sehr lebhaftes Interesse daran haben auch der National ökonom und nicht zum wenigsten — die hochdenkenden, ihrem Stande zur Zierde gereichenden deutschen Verleger und Sorti menter. Denn wie für die blutrünstigen oder mit Schweinereien vollgepfropften Kolportage-Hefte und Eisenbahn-Novellen, so werden auch für den Musikschund alljährlich Unsummen weggeworfen sehr beträchtliche Gelder, die dem Musik handel entgehen, den ich den legitimen nennen möchte. Wie viel Kapital würde zugunsten dieses um die Förderung der Kultur hochverdienten Musikhandels flüssig, wenn es uns — mit ver einten Kräften -- gelänge, das Parasitentum zurückzudrängen! Wie viele auf dem Gebiet einer wahren Förderung der Ton kunst liegenden Verlagsunternehmungen könnten dann mit un gleich größeren Erfolgen durchgeführt werden! Je mehr wir den breiten Schichten das Schlechte ver leiden, um so höher steigt die Kaufkraft für das Gute! Und durch unsere Aufklärungs- und Propa ganda-Arbeit werden Unzählige, die heute noch jedweder Be tätigung der Tonkunst gleichgültig gegenüberstehen, als in ihrer Gesamtheit hoch beachtenswerte Konsumenten dem Musikhandel und dem Sortiment neue starke Impulse geben! Kein Verständiger verlangt von einem sorgsamen Kaufmanne, daß er sich »pour Io roi de Urnssa« in die Schanze schlage. Darum ist auf Wege hinzuweisen, in deren Verfolgung ideale Bestrebungen und berechtigte reale Interessen gleicherweise auf ihre Rechnung kommen. Der allseitig verehrte führende Repräsentant des Breit- ess