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206, 4. September 1912. Sitchtamtlicher Leit. Börsenblatt f. b. Dtschn. Buchhandel 1017/ Händler, nein, auch die noch beim Verlag, bei allen Buch handlungen Deutschlands befindlichen, sowie die zu ihrer Her stellung bestimmten Platten unbrauchbar zu machen sind. Der Angeklagte beruhigt sich hierbei, das Urteil wird rechts kräftig. Weder Professor Corinth noch der Verlag hatte von dem Verfahren und von dem Urteil eine Ahnung. Da kommt eines Tages die Münchener Polizei und beschlagnahmt beim Verlag der »Jugend« sämtliche Exemplare der Karte und die zu ihrer Herstellung bestimmten Platten, um sic zu vernichten. Der Künstler schreit entsetzt auf: »soeben geht mir die em pörende Nachricht zu, daß mein Bild Perseus und Andromeda, das Sie als Postkarte (farbige) herausgegeden haben, von der Polizei konfisziert ist!« Der Verlag will sich wehren. Vergeblich. Die Polizei ist diesmal unschuldig, sie handelt nur als Vollstreckungsorgan des Gerichts. Das Urteil aber ist formell richtig, es entspricht dem 8 41 des Strafgesetzbuchs, und es ist rechtskräftig. Rechtskräftig nicht nur gegen den zur Verantwortung gezogenen Buchhändler, nein, nach dem Gesetz must die Anordnung allgemein für alle Exemplare, soweit sie sich nicht im Privatbesitz befinden, getroffen werden. Man denke an die Folgen. Vor einer Strafkammer in irgendeinem recht dunklen Teil unseres Vaterlandes — es gibt solche im Norden und Süden — steht ein Buchhändler der kleinen Stadt. In seinem Laden be fand sich ein Roman, der in ganz Deutschland berechtigtes Aufsehen erregte und von allen Kundigen als Meisterwerk ge lobt wird. Die Mitglieder der Strafkammer mögen gute Juristen sein, vielleicht lauter »Brucheinser«, sie haben aber von Literatur seit ihrer Gymnasialzeit nichts mehr gehört und sind in die engen Anschauungen ihrer Kleinstadt eingesponnen. Zwar mögen sie am abendlichen Stammtisch ganz gern einen gepfefferten Witz, allein in der Toga, auf der sslla eurnlis wird ihr Sittlichkeitsgefllhl durch eine Stelle des Buches ver letzt. Der kleine Buchhändler und Schreibwarenverkäufer, der auf die wenigen Kaufsliebhaber des Städtchens ange wiesen ist, wagt sich kaum und noch weniger den Roman, den er wahrscheinlich selbst gar nicht gelesen hat, zu verteidigen. Er läßt nicht durch Berufene den guten Juristen die Bedeutung des Romans, den tiefen Ernst und die sittliche Idee des Ganze» darlegen. Er wird zu einer kleinen Strafe verurteilt. Daneben aber sprechen die Richter aus, daß alle Exemplare des Romans beim Verleger, bei allen Buchhandlungen, daß die Platten, die zu seiner Herstellung dienten, unbrauchbar zu machen find. Sie müssen das nach § 41 St.-G.B., wenn sie den Inhalt strafbar fanden, ausfprechen. Und wenn der Dichter selbst, wenn andere Buchhändler, wenn der Verleger in anderen Städten wegen desselben Buchs freigesprochen werden, wenn eine ganze Anzahl anderer Strafkammern über einstimmend in dem Roman nichts Strafbares findet, auf Grund jenes rechtskräftigen Urteils sind alle Exemplare auch bei den Freigesprochenen zu beschlagnahmen und unbrauchbar zu machen, sind somit, ohne daß die Betroffenen auch nur eine Ahnung haben, große Werte zu vernichten. Auch dieser Fall ist vor kurzem praktisch und von Rechts anwalt Heine im Berliner Tageblatt eingehend geschildert worden. Er betraf den Roman »Die Verführten«. Der Ver fasser wurde vor Gericht gestellt, weil sein Werk unzüchtig sei. Hervorragende Schriftsteller verneinten dies als Sachver ständige entschieden. Die Strafkammer sprach den Autor frei und hob die Konfiskation auf. Das Urteil wurde rechts kräftig. Aber die Bücher wurden nicht freigegeben. Der Staatsanwalt wies ein gegen einen Buchhändler ergangenens Urteil vor, der wegen des gleichen Buchs bestraft und in dem die Einziehung des Romans ausgesprochen war. Auch dieses Urteil war rechtskräftig. Weder der Verfasser noch der Ver leger hatten vorher von diesem Verfahren und diesem Urteil Kenntnis. Und nun tobt der Kampf der Juristen, welche Börsenblatt sür den Deutschen Buchhandel. 7g. Jahrgang. Rechtskraft der sich widersprechenden Urteile stärker ist. Der 8 41 unseres Strafgesetzbuchs stellt zweifellos ein Ausnahme gesetz dar, das sich gegen Schriftsteller, Künstler und Verleger richtet. Er greift tief in das ideelle und materielle Recht des Einzelnen ein. Es ist keine Kleinigkeit für einen großen Künst ler, wie Professor Corinth, sich von einem Gericht sagen lassen zu müssen, daß die gute Reproduktion eines seiner Werke ge eignet sei, das Sittlichkeitsgesühl zu verletzen. Es ist keine Kleinigkeit, wenn zahlreiche wertvolle Exemplare eines Ro mans oder Bildes konfisziert und vernichtet werden. Und all das, ohne daß die so stark Geschädigten vorher etwas er fahren, ohne daß sie sich wehren und verteidigen können! Was nützt ihnen die Erwägung, daß die Motive des Straf gesetzbuchs die Unbrauchbarmachung nicht als Vermögens-, sondern als Nebenstrafe auffassen, während der berühmte Kommentar von Olshausen ihr die Bedeutung einer Strafe überhaupt abspricht! Das mag theoretisch ganz richtig sein, praktisch ist die Wegnahme und Vernichtung von Schriften und Bildern stets eine Schädigung, unter Umständen eine sehr empfindliche. Man verstehe mich recht! Nicht um die Beseitigung der Vorschrift der Unbrauchbarmachung einer Schrift oder eines Bildes, deren Inhalt strafbar ist, handelt es sich, sondern darum, daß die davon bedrohten Personen, wenigstens Ver leger und Verfasser, soweit dies ausführbar ist, von dem schwebenden Verfahren Kenntnis erhalten müssen, ehe die Folge des 8 41 ausgesprochen wird, daß ihnen Gelegenheit gegeben wird, zu erklären, sich zu wehren, sich zu verteidigen. Schriftsteller, Künstler und Verleger haben das größte Inter esse, dieses nur für sie geltende Ausnahmegesetz zu Fall zu bringen. Die bevorstehende Revision des Strafgesetzes bietet den geeigneten Zeitpunkt. Mögen die großen Verbände der beteiligten Kreise ihn nicht versäumen! München. Justizrat vr. Dispeker. Über das Offerieren gesuchter Bücher. in.») Mein Aufsatz über das Offerieren gesuchter Bücher in Nr. 189 des Börsenblatts hat mir eine Anzahl Kundgebungen von Kollegen aus dem Antiquariat gebracht, von denen die Mehrzahl zustimmend lauten. Erwähnenswert ist zunächst die Äußerung einer reichsdeutschen Firma, die sich darüber beschwert, daß ein Leipziger und ein ungarischer Antiquar stets Leihbibliotheks-Bücher in oft sehr desolatem Zustande liefern, ohne in den Offerten die geringste Andeu tung, geschweige denn eine Beschreibung des Zustandes der Bücher zu geben, ferner, daß die Barfakturen über direkt ge- sandte Werke so zeitig dem Kommissionär präsentiert werden, daß die Ordre zur Nichteinlösung regelmäßig zu spät kommt, und jeder Versuch, eine Rücknahme der unabsetzbaren Bücher zu erwirken, vergeblich bleibt. Die betr. Firma gedenkt, sobald sich wieder ein solcher Fall ereignet, den Rechtsweg zu betreten und sich dabei auf meinen Aufsatz zu stützen. Zugleich meint sie, es wäre sehr wünschenswert, wenn die Redaktion des Börsenblatts in jeder Nummer der Rubrik »Gesuchte Bücher« Leitsätze in der Art meines Schemas voranstellen würde. Ein hochangesehener Schweizer Antiquar, der seit nahezu 50 Jahren diesen Geschäftszweig mit besonderer Sorgfalt und größtem Erfolge pflegt, wünscht: 1. daß jedes Angebot den genauen Titel und nicht bloß vage Andeutungen desselben enthalte, daß möglichst Auf lage- und Jahreszahl deutlich angegeben werden und überdies auch noch der Ladenpreis, wenn das Vorhandensein ver schiedener Ausgaben (Luxus-, Vorzugs-, Volks-Ausgaben etc.) Verwechslungen und Jrrtümer Hervorrufen könne; »> Vgl. Nr. 189 II. 202. 132«