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OÄ8 OIÜ()I( / Von Wsltker ktoll Nur seiner Frau zuliebe, di« da» Klima hier am besten vertragen konnte, war der junge amerikanische Rechtsanwalt Fred Kelly in das klein« Provtnznest in der Niih« der mezi« kanischen Grenze gezogen. Leider sah er schon nach kurzer Zett für sich keine Ezistenzmögltchkelt. Am Ort« befand sich bereits ein alter, langeingesesiener Notar, der es durch di« Beurkun dungen bei den Grundstücksspekulationen in der Umgebung der Stadt zu ansehnlichem Wohlstand gebracht hatt«. Ferner war noch ein Anwalt vorhanden, der für manch raffiniert durch geführtes Rechtsgeschäft bekannt war und deshalb viel Zulauf hatte. Verzweifelt lehnte Kelly eines Tages im Schaukelstuhl, al» di« Türklingel schrillt«. Gleich daraus kam seine Frau sreudtg erregt herein. „Fred", sagte sie, „denk nur, es ist ein Klient draußen, der dich in einer Rechtsangelegenheit sprechen möchte." Kelly war mit «tnem Ruck aufgesprungen. „Wirklich?" schrie er, und gab seiner Frau einen Kutz. „Siehst du, es wird schon werden, nur nicht den Mut verlieren! — Weiht du, Baby, schließlich ist es der erst« Klient in diesem Nest. Das muh irgendwie für di« Nachwelt festgehalten werden. Setz' dich bitt« in» Nebenzimmer, lehn' di« Tür vorsichtig an und stenogra phier' uns re Unterhaltung mit." Die junge Frau ließ den Besucher eintreten und huschte dann eilig in» Nebenzimmer. Das „Keep emlllllg" erstarrte ein wenig auf den Lippen des jungen Anwalts, al» «r seinen Klienten zum Platznehmen auf fordert«. „Unsympathischer Geselle", mutzte er bet sich feststellen. „Richtiger Gangstertyp". Doch er bezwang seinen Widerwillen. Schließlich durfte man sich durch eine rauhe Schale nicht gleich verblüffen lassen. „Hoffe stark, Herr, daß Sie das Berufsgeheimnis wahren werden", begann sein Gegenüber plötzlich mit knarrender Stimme di« Unterhaltung. „Will mich nicht lange bei der Vorrede auf halten. Ich komme im Auftrage von Bob Wesley." Kelly wollt« erschrocken ausfahren, als der Unbekannt« ein« beschwichtigende Bewegung macht«. „Weiß schon, was Sie denken", grinste er. „Sie meinen, bei einem Mann wie Wesley, dem gerissensten Gangster in den Staaten sei ein« Rechtsberatung Ihrerseits nicht gut möglich, wie?" „Allerdings", stotterte Kelly, „wie können Sie mir über haupt zumuten .. „Weil ich Sie nicht für so dumm halte, eine Chance auszu schlagen, mit der Sie sich ein Vermögen machen können", er gänzt« sein Gegenüber mit einer gewissen ruhigen Ueberlegen- heit. „Betrachten Sie mich ganz als Wesleys Vertrauten", fuhr der Fremde fort. „Wie Sie hier aus dieser Vollmacht ersehen können, ist Wesley getarnter alleiniger Eigentümer von 14 Schiffsgesellschaften, drei Kohlenbergwerken, 12 Fabriken, 13 Warenhäusern und verschiedenen andern Unternehmungen. Wir suchen für die juristische Spitzenberatung dieser Unternehmungen einen tüchtigen Mann. Ich bin lediglich beauftragt. Sie zu fragen, ob Sie die Sache machen wollen?" In Kellys Gehirn brodelte es. Da war eine nie wieder kehrende Chance. Soviel stand fest. Aber es war eine gefähr liche Chance. Vor dem Gesetz war es nicht zu verantworten. Nahm er jedoch an, war er aller Existenzsorgen enthoben. Kelly dachte angestrengt nach. „Muß ich mich gleich ent scheiden?" fragte er nach einer Weile. „Sie haben bis morgen abend Zett", meinte der Besucher vnd erhob sich dabei. Dann nickte er Kelly noch einmal kurz zu und ging hinaus. Wie benommen starrte der junge Anwalt seinem ersten Klienten nach. Dann riss «r di« Tür «um Nebenzimmer auk. Di« jung« Frau satz mit dem Stenogrammblöck in der Hand da und hatte Tränen in den Augen. „Nicht weinen, Baby", bat der Mann. „Vielleicht war es nicht klug von mir, das große Glück wieder fortgehen zu lassen." Die Frau schüttelt« den Kopf. „Es wäre kein Glück von Dauer gewesen, Fred, bestimmt nicht." Sie erörterten noch eine geraume Weile das Für und Wider, und Kelly hatte als Endresultat eine schlaflose Nacht. Al» der Morgen graute, stand sein Entschluß fest. Gleich früh woltte er pq neun Inspektor der ll-Poltzei melden laßen. Mochte daraus entstehen, was da wollte. Sein« Frau war zunächst entsetzt, dann aber bestand sie unter allen Umständen daraus, mitzukommen. Als sie dem Polizcinspektor gegenübersaßen und über ihren unheimlichen Besuch berichteten, war ihnen beiden nicht ganz wohl zumute. Denn die Rache des Gangstertums war bekannt und gefürchtet. Im Laufe des Gesprächs entging es ihnen, daß der Be amte vor ihnen einen an der Seitenwand seines Schreibtisches befindlichen Klingclknopf berührte. Gleich darauf öffnete sich Der Generaldirektor der „Bank von Kalifornien", Mister James A. Moeller, saß in seinem Arbeitszimmer im „Standard. House" auf der Maysairstrcet in Neuyork. Von diesem Raume aus in der 24. Etage, nach dem selbst der durchgehende Schnell- Lift drei Minuten Fahrzeit benötigte, hatte man einen wunder vollen Rundblick über die City von Neuyork. Tief »nten, kaum noch zu sehen, eilten, wie kleine, der Spielzeugschachtel ent nommene Figuren, die Autos dahin, kreuzten die elektrischen Bahnen die Straßenzüge, und die Menschen dort unten sahen aus dieser gewaltigen Höhe aus wie kleine Punkte, die plötzlich Leben bekommen hatten. Majestätisch reckten die Wolkenkratzer ihre Turmbauten in die klare Herbstluft, während die normalen vier« und fünf stöckigen Gebäude aussahen wie Streichholzschachteln. Ein Boy hatt« die Post gebracht! Es war eine Eigentüm lichkeit des Generaldirektors James A. Moeller, daß er stets selbst auch die umfangreichste Post össnete und jeden Vries mit Randbemerkungen und einer Nummer, die das Schreiben für das betreffende Ressort bezeichnete, versah. Während sonst in dem Bankhaus die modernsten technischen Errungenschaften ge braucht wurden, wie Frankiermaschinen, elektrische Vervielsiilti- ger, drei Dutzend Schreibmaschinen mit elektrischem Antrieb, össnete der Generaldirektor dieses großen Unternehmens jeden Bries auf wirklich großväterliche Meise. Er schlitzte den Um schlag mit seinem Federmesser auf, trotzdem es patentierte Briesöfsnungsmaschinen in Fülle gab. Der Posteingang war an diesem Novembermorgen nicht allzu umfangreich und wenig interessant! Höchstens konnte man den Vorschlag der „Japanischen Bank" in Tokio vorteilhaft aus- werten, die auf gewaltige Erdölvorkommen in der Mandschurei hinwies und bereits finanziell ausgearbcitete Möglichkeiten dartat. wie man das große Geschäft „managen" könnte. „Die Japaner sind wirklich gewandte Burschen!" sagte der Generaldirektor vor sich hin. Die anderen Briefe waren belanglos! Und dann der letzte Vries! Mit der Lustpost befördert! Ein langer Umschlag. Dort stand ja auch der Absender: „Berliner Kredithaus, A.-K.". „Ach, das bekannte Institut, mit dem es eine Freude ist. zusammen zu arbeiten", dachte der Generaldirektor, als er lang sam mit feinem Federmesser den lanaen Umschlag ausschlilite. eine Tür, unv herein trat — das Ehepaar Kelly war entsetzt aufgesprungen — Bob Wesleys Abgesandter. «„Haben Sie ihn schon . . .?" konnte Kelly gerade noch her vorbringen. „Wir haben ihn schon immer gehabt", schmunzelte der In spektor. „Darf ich bekanntmachen? — Mr. Miller vom Justice- Departement. Sonderbeauftragter für Justizangelcgenheiten." Miller lächelte. Das Ehepaar Kelly war verblüfft. „Ich muß Sie wegen der kleinen Komödie um Entschuldi gung bitten", sagte Miller. „Aber die Erklärung ist einfach ge- nug. Wir legen eben jetzt erheblich mehr Wert aus die mora lische Seite unseres juristischen Nachwuchses. Der alte Notar, der sich noch in dieser Stadt befindet, legt im kommenden Monat sein Amt aus Gesundheitsrücksichten nieder. Der zweite Anwalt, der nach der Rangliste sein Nachfolger hätte werden könne», hat die Probe, die wir ihm auferlegten, nicht bestanden. Er ist be reits seines Postens enthoben worden. Sie werden von un bestätigt werden und erhalten die Urkunde darüber bereit» in den nächsten Tagen. Ich gratuliere Ihnen." Mit einem Jubelschrei war die junge Frau an die Brust ihres Mannes geflogen. Zärtlich strich er ihr übers Haar. „Siehst du, Baby", meinte er glücklich, „nun ist es doch noch zu uns gekommen, das große Glück." Dabei las «r die Aufschrift! Merkwürdig, an feine persönlich« Adresse gerichtet, nicht an die Firma! Und der Generaldirektor James A. Moeller las folgendes: „Hochverehrter Herr Generaldirektor Moeller! — Wie wenden uns an Sie direkt, weil es sich um eine diffizile, mit aller Delikatesse und Vorsicht zu behandelnde Angelegenheit handelt. Wie Sie wißen, beschäftigen wir unter andern, auch zwei Prokuristen, beides ältere Herren, die seit langen Jahren in unseren Diensten stehen. Beide Herren genossen unser voll« kommens» Vertrauen! Und nun stellen Sie sich unser Erschrecken, unsere Empörung vor, als wir seststcllen mußten, daß der ein« der Prokuristen, Herr Lesfert, uns eine Summe von dreihundert, tausend Mark unterschlagen hat. Wie wir weiter feststellen konnten, befindet sich der ungetreue Prokurist bereits auf dem Wege nach Amerika und wird morgen mit dem „Leviathan" in Neuyork eintreffen. Und nun bitten wir Sie um Ihr« diskrete Hilfe, hochverehrter Herr Generaldirektor: Es liegt un» natürlich daran, die Angelegenheit so geräuschlos wie möglich zu erledigen! Unser Institut würde einen moralischen Schaden von gar nicht auszudenkender Tragweite erleiden, wenn di« Unterschleife bekannt würden. Deshalb kein Wort von Polizei und Festnahme etwa. Wir bitten Sie, sich morgen an den Pier zu begeben, wo der „Leviathan" aulcgt. Die hier beigcsügt« Photographie wird Ihnen Helsen, den Defraudanten sofort zu erkennen! Im übrigen ist ein Irrtum oder Uebersehen ganz ausgeschlossen, denn Lessert ist zwei Meter 20 groß und trägt quer Uber der linken Backe aus seiner Studentcn^it her einen gewaltigen Durchzieher. Sie werden die Güte haben, Lessert unter irgendeinem Vor wande die dreihundcrttauscnd Mark abzunchmen. Haben Si« die Stücke, dann eröffnen Sie dem Prokuristen bitte, daß wir ihn nicht verfolgen würden, wenn er sich schriftlich verpflichtet, nie wieder nach Europa zurückzukehrcn. Damit er sich in Amerika ein neues Leben ausbaucn kann, übergeben Sie dem Manne bitte fünftausend Dollars, also zwanzigtausend Mark» mit denen Sie unser Konto belasten wollen. Wir erbitten Ihre freundliche Nachricht, wenn die Sach« erledigt ist uftv." Der Generaldirektor Moeller las den Vries zweimal durch, um sich seinen Inhalt genau einzuprägen. Dann steckte er da» Lin Zekeirner / 8k ^e v°nono8ockwann Iräumerel beiin Qän8edrsten Plauderei sm >Vockenen6e Von j^srsbu. Gestehen wir's uns ruhig, meine Freunde: diese trüben Tage des November sind doch eigentlich die jäm merlichste Zeit im ganzen Jahre. „Nebelmonat" sagten unsere Altvordern: und diesmal sind uns Nebel und Re gen ja schon in der zweiten Hälfte des Oktober schier überreich beschert worden. Gräulich war der Himmel, greulicher der Regen, am greulichsten aber die Stim- mung. Wenn wir nicht allerlei an Kummer gewöhnt wären, hätten mir uns manchmal am liebsten hingesetzt und geheult . . . Mit dem Wandern drautzen ist es vorbei. Die Wege sind so vom Regen erweicht, datz jede Fahrt zum Schlammbad für die Fitste wird. Und zum Wintersport fehlt noch der Schnee. Denn die Visitenkarte, die der Winter im Erzgebirge und den Lausitzer Bergen ange geben hatte, war Kerne Erscheinung von Dauer. Freilich zaben schon die Trocken-Ski-Kurse begonnen, und es oll tüchtige Leute geben, die schon da ihre Skier zu Bruch bringen. Gut haben es jetzt die Ruderer: Die setzen sich in den „Kasten" und üben in der Hoffnung auf den nächsten Sommer. Dieser Wassersport ist emp fehlenswerter als der „Wassersport" der Fustballer auf den regenzerweichten Plätzen: Nach der Halbzeit kannst Du die Klubfarben der Trikots nicht mehr untersclzeiden; es ist alles gleichmästig schokoladebraun. Selbst der Dresd ner Rennverein stellt heut seine Arbeit ein . . . Es ist nichts los mit dem November ... Doch: «trvas ist los. Er ist die Saison für ein Erlebnis unver gleichlicher Art, das in solcher Schönheit im ganzen Jahre nicht wiederkehrt: die Martinsgans. . . Die Gans ganz würdig zu preisen kann kein Kan tus klangvoll genug sein. Eigentlich ist es mit' der Gans freilich eine komische Sache. Solange sie auf zwei Beinen umherläuft, gierig alle' Erreichbare verschlingend, mast los schnatternd und friedliche Passanten tückisch anzischend, ist sie wohl niemandem sympathisch. Zwar gibt es die Sage, die Gänse hätten im alten Rom durch ihr Schnat tern das Capitol gerettet, als die Barbaren vor den To ren standen. Seitdem sind Leute, die andere für Bar baren hielten, nie müde geworden, dies oder jenes Ca pitol der Kultur durch lautes Schnattern retten zu wol len .. . Aber die Geschichte mit dem Capitol ist eben nur Sage. Und sonst fehlt der Gans jeder poetische und smn- pathische Schimmer. Es fehlt ihr die verklärende Roman tik, die über dem Bilde des auf dem Wasser ruhenden Schwans liegt. Diese Romantik lästt uns den häßlichen Watschelgang und die ulkigen Beine vergessen, die der Schwan auf demLande zeigt. Die Gans aber entbehrt auch dieser schützenden Romantik. Sie wird von Poeten höchstens zu respektlosen Vergleichen mit der weiblichen Jugend verwendet . . . Aber cs ergeht den Gänsen eben, wie es auch man chen Poeten ergeht: Erst nach dem Tode erringen sie sich den allgemeinen Beifall. Die tote Gans preist man als Erzeugerin der herrlichen Bettfedern, mit denen ivir uns in kalten Nächten wärmen. ^Gerade in den kalten Nächten des November haben wir Grund zu dieser An erkennung.) Und mit prüfenden Blicken schreitet die kundige Hausfrau an der Reihe der gerupften Gänse entlang, um die geeignete Grundlage für ein kleine* Familienfest auszuwühlen. „Geben Sie mir eine Gans!" sagte die Hausfrau zur Händlerin. „Aber diesmal nicht eine so eitle Gans, wie das letzte Mal!" „Wieso eitel?" fragte die Händlerin verwundert. „Nun," war die Antwort, „weil sic bis zu ihrem Tode die schlanke Linie bewahrt hat ..." » „Ein philosophischer Begriff gebratner Gans entspricht: Dast sie von selber Aepfel fräst', gesehen hab ich's nicht: Doch jeder freut des Inhalts sich, wenn man sie bringt zum Schmaus, Das, was man hat hineingetan, nimmt wieder man her^ aus." So hat der Begründer der modernen Psychologie, Gustav Th. Fechncr, von der gebratenen Gans gesprochen. Wenn nun die Philosophie die Krone der weltlichen Wis senschaften ist und der Gänsebraten nach der Ansicht dieses grasten Philosophen einem philosophischen Begriff zu vec- gleichen, dann hat er offenbar diesen Braten als die Krone aller Gaumen-Genüsse angesehen. . . Aber nicht nur er! Auch die Chinesen, die doch auch uns als das Volk der ältesten Kultur gelten, schätzen den Gänsebraten auf das höchste. Bei Gastlichkeiten grosser Herren, die dort nicht unter zwanzig Gängen bleiben dürfen, wird häufig zum Schlüsse, wenn die Gäste schon nichts mehr essen können, eine ganze, unzerteilte gebratene Gans hereingcbracht, damit die Gäste sich an ihrem Dust erfreuen . . . Wir freilich wollen von diesem edlen Braten etwas mehr als nur den Duft geniesten. Hier erhebt sich in monumentaler Grütze die Frage, welches Stück diese»