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„Pfingsten, das liebliche Lest war gekommen" lFvdm-Archiv, 'Bi > und da in ihrer jungen Ehe gegeben, aber ihre guicklebhafle Natur und seine schwerbedachtsame Art hatten sich doch rasch wieder zusaininengeinnden. Und als der Junge kam, ging bei seinem lustigen Krähen über jedem Wetterwölkchen rasch die liebe Lonne wieder auf. Dies war nun zum erstenmal Ernst. Aber heute wird sie fest bleiben. Erna Frcdoren sagt, „was ein Pfeiler werden will, reckt sich beizeiten". Tie zwei Tage bis Pfingsten lebten sie wie Fremde neben einander. Tie sprachen nicht wieder von der Sache. Marga packle am Tage vor dem Feste siir Paul und das Kind den Kosscr, sie machte das Kind fertig und ging in di« Stadt. Als sie zuriickkam, war es totenstill in der Wohnung. Auch die Familien unter und über ihnen waren aufs Land ge fahren. Sie fröstelte in den leeren Räumen. Ihr Schritt hallte ihr graulend in den Ohren. Auf dem Tische standen noch die Reste vom letzten Mahle. Frcdchens Lachen hing noch in den Winkeln. Halte der sich krähend und trampelnd auf die Oma gefreut! Pauls Gesicht stand wie ein Spuk vor ihr auf, wie cs ihr bitter und enttäuscht nachgeschaut hatte. Hatte er erwartet, datz sie noch nachgäbe? Sie würgte ein paar Bissen hinunter und lief fluchtartig aus der Wohnung. Nach dem ersten Ehejahr war sie nie mehr allein drin gewesen, und auch da war jede Stunde be seeltes Glück und frohes Erwarten. Sie ging zu Fredorens. Erna kam über jede Klippe mit einem losen Witz hinweg. Und für Kurt gab es überhaupt keine, er umging sie. Strahlend blaute der pfingstliche Himmel über der lenzlich erneuerten Erde. Alles Geschaffene atmete erschauernd den Atem des belebenden Schöpfergeistcs ein. Auf dem schmalen Waldpfadc, der von der Parkschänke Echneppcnbahn zur Waldrast aus der Höhe führte, ging langsam eine junge Frau im rotgeblümten Tanzkleide. Sie war müde von Lärm, Lachen und Musik. Sie begriff sich selbst nicht, datz das wirklich erstklassige Konzert sie traurig machte. Im Anfang hatte sie sich ganz an die Fülle der Klänge hingegcben, weil sie einfach Freude haben wollte und weil sie die inneren Stimmen und Bilder in die Flucht jagen mutzte. Tann war ihr immer weher und trauriger geworden. Fredorens lose Scherze ärgerten sie. Ernas Spotten über ihren schlauen Ehe herrn. der allein auf Pfingsttour ginge, machte sie wild. Wo hin sie auch sah. sie fand keinen in der bunten Gesellschaft, der ihr lieber gewesen wäre als — Paul. Sie hätte weinen mögen vor Heimweh. Seit er in ihr Leben gekommen war, war sie nie mehr ohne ihn bei einem Vergnügen gewesen. Aber setzt den Kops untern Arm nehmen und abbittcn — un möglich. Sie setzte sich am Futze einer alten Buche ins Gras. Hier hatte sie einmal mit Paul gesessen in ihrem ersten Ehejahrc. Ueber ihnen hatten die Finken geschlagen und Eichhörnchen geäugelt. Er hatte ihr von seiner blutjung verstorbenen Mut ter erzählt. Auf dem Nachhausewege hatte er sie ihre innigen Wiegenlieder gelehrt. Wie durch ein wonniges Trnumland wa ren sie gegangen Sechs Wochen später hatte sie die alten Weisen an der Wiege gesungen. Marga merkte nicht, datz ihr Tränen wirklich Tränen, über die Backen tiefen. Bon weitem lockten Tanzklnnge. Marga sprang auf und reckte die jungen Glieder. In allen Fibern kribbelte ihr die heitze Jugend. Einmal wieder frei und froh und leichtsinnig sein, Alltag und Sorgen und Aerger und — Paul vergessen. Sie lief wie ein verlaufenes Wild zurück, und warf sich in den wirbelnden Taumel. Sie tanzte und tanzte leiden schaftlich und hingegeben, sie lachte und scherzte sprühend übermütig, stundenlang. Ihre Pulse jagten, ihr Kops brannte von sützcm Wein und toller Laune. Bis neben ihr ein Name schwer und einsam in den Taumel fiel: „Paul". Wie ein heitzer Strom durchsuhr^er sie. Ein Fremder hatte ihn zu einem Fremden gesprochen, aber ihr ritz er, wie ein Blitz in schwüler Nacht, das verleugnete Land ihrer Seele auf. sinter all den hcitzen, fremden Gesichtern stieg ihr eines auf. ein geliebtes, trauriges ein Paar treue Augen lie ßen sie nicht los, wie damals am Scheidewege. Tas Lachen starb ihr auf den Lippen, die Arme sielen ihr schlaff herab. Sie ritz sich los und stürmte aus dem Saale, in den finstern Abend, heim. Tas Bergland lag feierlich unter der Sonne des zweiten Pfingsttages. Ter bräutliche Lenz verstreute seinen letzten Blütenslor. Wimpel zogen durchs Wiesental, durch das sich andächtig ein Bächlein sang. Eine weitzblaue Lautengruppe brachte auf der Höhe dem Schöpferaeist ihre Huldigung dar: „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre..." Paul Raders lehnte lauschend am Stege. Ihm lag die ganze sonnige Pfingstwelt in Trauer. Tas Jauchzen seines kleinen Buben, der auf der Wiese nach Blumen und Schmet terlingen haschte, tat ihm weh. Wo mochte jetzt seine Gattin sein? In der stickigen Lust des Tanzsaales zwischen den Freunden ihrer Mädchenzcit? Waren diese drei stillglücklicken Jahre eine Täuschung gewesen, ein schöner Traum, der sich nicht halten kann und in ein graues Erwachen gleitet? Er <IN Wurm dann überhaupt nicderlassen? Hier ist doch für ihn ein geradezu ideales Gelände!" Indem raschelte es im Grase. Ein dunkles Etwas fuhr blitzschnell zwischen die Sträucher und auf den Felsen zu. Eine Sekunde dauerte es nur. Tann war nichts mehr zu sehen. Wir standen für einen Augenblick stumm. — ,,Das war er!" stammelte Kilian schliesslich. „Unsinn", wehrte Klabautermann ab. „das war höch stens eine Blindschleiche oder Eidechse. Aber du kannst einen wirklich erschrecken!" ,,Ta siebt man!" entrüstete sich Kilian. „Schlimmer als der ungläubige Thomas! Da hat er nun den Tazzelwurm gesehen — aber glauben tut er immer noch nicht daran!" Da dieser Streit zunächst nicht zu schlichten war, be schlossen wir, für weitere geistige Auseinandersetzungen das leibliche Fundament durch ein solides Frühstück zu ver bessern. Wir stiegen deshalb in einem der Felsrisse empor, immer eifrig nach dem Tazzelwurm auslugcnd und nahmen schliesslich aus einer vorspringenden Felsnase Platz. „Wie die Aasgeier sitzen wir hier oben", stellte ich fest, „die ihre Beute verzehren und nach neuer Beute aus schauen". „Der Unterschied ist nur", setzte Klabautermann iro nisch hinzu, „dass wir leine Schwingen entfalten können, wenn wir hier hinunlersallen." „Dafür tut uns in solchem Falle aber auch kein Zahn mehr weh", philosophierte Kilian. „Bei den Aasgeiern ist das auch nicht anders", kachle Klabautermann, „denn ^ähne haben die überhaupt nicht!" hatte gedacht, datz jede wilde Rose sich veredeln Hetze, wenn sie in guten Mutlergrnnd verpflanzt würde. War sie doch nur ein Falter, der sich an jeder Blume rasch satt nippt und ins Blaue entfleucht? Tatz sie es über sich brachte, ihn inil dem Kinde fahren zu lassen, und sich, wie ein slatterhasles Kind, ihre Festfreude auf hcitzen Brettern unter Fremden suchte. Das halte ein Klust ausgerissen, die würde nicht wieder aus- Meine Scholle Meine Scholle ist just einen Morgen gross; Doch mich dünkt es, ich habe ein Königslos. Sie hat hohe Bäume und Blumen, die golden gliihn, — Sie hat stille Träume, wenn Winde und Wolken zichn. Sie hat ein Küchengärtlein gar fein und schön, — Die Spaziergänger bleiben ost davor stehn: Ich pflege es mit Herz und mit lustiger Hand, Ich hege es als die schönste Scholle im Land! Bin arm, — doch das kümmert mich nicht um die Welt; Mein Herz ist Gottes fröhliches Ackerfeld, — Und der große Meister leuchtet mit l>ellein Licht, Der Dater der Geister trüget und täuscht mich nicht! Ein Träumer freilich, — ein Träumer bin ich wohl auch Kann nicht gut rechnen, — wie's so bei Träumern Brauch. Gott rechnet für mich, — und Er rechnet gut und viel. Ich frag Dich, weshalb ich mit niemand tauschen will! A. v. N. Unter solchen angenehmen Gesprächen sahen wir beim Mahle und traten mit dem fröhlichen Bewusstsein, nun keinen so schweren Rucksack mehr tragen zu müssen, den Abstieg an. Es war um die Mittagsstunde, und zu dieser Tages zeit scheint der Tazzelwurm zu schlafen. Auch in der grossen Hiekclhöhle am Ende der imposanten Felsreihe, war nichts vom Tazzelwurm zu spüren . . . Enttäuscht beschlossen wir, den menschenscheuen Wurm auf der anderen Seite des Groszen Zschand zu suchen. Von den vielen Schluchten, die es da gibt, — Weber-, Richter-, Auerhahnschlüchte — wählten wir die Schwarzen Schlüchte, eingedenk des Volksliedes: „In des Waldes diistern Grün den . . ." Scknvarze Schlüchte muhten den Tazzelwurm doch anziehen! Als die Römer durch Deutschland zogen, haben sie Bohlenwege durch das unwegsame Gelände gelegt. Danach könnte man fast annehmen, die Römer seien auch bis in die Sächsische Schweiz vorgedrungen. Die Schwarzen Schlüchte jedenfalls sind ein einziger Bohlcnweg und man spürt schliesslich seine Füsse, wenn man ihn lange genug gelaufen ist. „Diese ewigen Bohlen!" stöhnte Kilian. „Bowlen wären mir lieber!" Uns andern gefiel der Weg nicht Übel, der immer steiler wird und in immer zerklüfteteres Gelände führt. Am Ende geht cs über ganz verfallene Stufen und Pfade. Vor jeder neuen Fclsgruppe schauten wir, ob nicht endlich der Tazzelwurm irgendwo seine Nase hervorstecken würde. Je steiler und mühsamer aber der Aufstieg wurde, desto gefüllt werden können. Jene, die sie mit verstehendem L-c«. zen nnd linden Händen nnssnllen könnle. liegt drinn-n in der Kummer nnd schläft... nnd er ist wieder ein Wnisenländ trotz seiner dreißig Jahre. — Ein jauchzender Kinderschrei citz ihn ans seinen '! n> men. Er snhr herum, wurde bleich nnd traute leinen n nicht. Fredchen hielt eine junge Fran umklammert, ei lmmste ihr Gesicht nicht sehen. Gvll im Himmel —! Sie kam mit dem Jungen ans Ihn zu, wie ein >>I»lrel verlegenes Schulmädchen. „Ich hielt's nicht mehr ans, Pmä Wenn du mich wlederhaben willst uud alles vergessen ' „Mama — Oma In Himmel gangen," stammelte Fäd chen wichtig dazwischen. Marga wurde weiß bis In die Lippen „Was sagt der Junge?" „Ja, Oma Ist In den Himmel gegangen," sagte Pmt, heiser von Glück nnd Trauer. „Sie hat sich einen schönen Zaq ausgesucht. Wir beide sollen dich grüßen, Marga." Er wandtr sich halb ab: „Sie will es dir da oben danken, daß du ihr Mann und Kind noch geschickt Has«, und du möchtest bald «nieder gesund werden..." Marga sah Ihn erst verständnislos an Dann begriss sie. Ein Strom von Tränen stürzte ihr aus den Augen. ..Ta» hast du getan, Paul? v, aber setzt ivetß ich. was ich siir eine bin. Aber glaub nur, Ich habe cs gestern schwerer gehabt al« ihr. Kann ich denn noch wieder froh werden in meinem Le ben?" Ihin verflog vor ihrem ehrlichen Schmerze die letzte Bit terkeit. Er zog sie und das Kind in die Arme: „Ich glaube, jetzt werden «vir beide wieder froh. Sollen wir den Schöpsen geist bitten, datz er das Antlitz der Erde — nein, unsere Liebe wieder ganz neu schaffe? Mutter hat mir gestern zum Absckieb so schön davon gesprochen. Marga, sie ist wirklich meine Mut ter gewesen." Marga sagte nichts, sie weinte nur. Aber als sie bann zu dritt drinnen vor der friedlichen Toten standen, fühlte sic durch und durch, trotz Schuld und Irrung, Leid und Reue würbk ihr dieses Erleben zur großen pfingstlichen Neuerschassung werden. weniger dachten wir an den Wurm, alle Kräfte konzen trierten sich darauf, vorwärts und aufwärts zu kommen. Am Ende verstummte der Redefluss überhaupt, wir teilten sorgfältig den Atem ein und stiegen stumm, schwitzend in der brütenden Schwüle aufwärts. Oben aber sielen wir hin wie die toten Fliegen, streckten alle Viere von uns und schnappten nach sriicbcr Luft. Vom Tazzelwurm war nicht mehr die Rede . .. * Wer vom Kamm des Gebirges nach Böhmen zu ab steigt, geniesst unsagbar schöne Ausblicke. Wir marickier- tcn ungefähr längs der Grenze, zwischen Moos und Ficbien, dicht am Rande der Fclsmauern. Für Linken lugte der Rosenberg herüber, vor uns stand der Zschirnstein -in fern im Dunst der Schneeberg. Auf der böhmischen Seite musste es geregnet haben, klare Lust und frischer Wind grüßten uns hier. Im Prebischtor, dessen bizarrer Felsbogen sich immer noch kokett und ziellos ins Leere wölbt, machten wir Sta- tion, und In Herrnskretschen noch einmal. Ich will nickt verraten, wie viele Glas böhmisch Vier Kilian im Lause dieses Abends getrunken hat. Es schmeckte ihm so gut, daß er sich erst aus der Elbsähre erinnerte: „Ach, eigentlich haben wir doch den Tazzelwurm finden wollen!" „Den haben wir zwar nicht gesunden", stellte Kla bautermann fest, „dafür aber frische Lust und Gottes Sonne und rechte Erholung!" And wer ein Gleiches finden will, der ziehe in den Feiertagen wie wir herans ans den Städten, hinaus in die frische, blühende 'Well!