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Nummer 247. Sächsische Dolkszeikung tt. Oktober 1S3S. Oie Außen-e-aiie im englischen Unterhaus Hoare: „Der wirtschaftliche Druck soll nicht zum Kriege führen" London, 23. Okt. Nach fast dreimonatiger Pause trat das englische Parlament am Dienstag zu seiner letzten Sitzung vor der Auslösung zu sammen. Die autzenpolitische Aussprackze wurde am Dienstagnckch- mittag mit einer eingehenden Erklärung des Autzenministers Sir Samuel Hoare erössnet. Sir Samuel Hoare führte unter anderem aus, datz sich die Politik Englands >n der letzten Zeit nicht geändert habe. Er könne behaupten, datz diese Politik die grotze Mehrheit des britischen Volkes hinter sich habe. Auch die Dominions stünden hinter der britischen Re gierung. Diese Tatsache habe im Auslände Uoberraschung her vorgerufen. Die Gründe, iveshalb England den Völkerbund unter stützt habe, seien darin zu suchen, datz England die Dinge reali stisch sehe. England sei zurzeit damit beschäftigt, die Bestim mungen der Völkerbundssahung auszuprobieren. Was die bri- tiscl)e Regierung angehe, so habe sie ernstlich und ehrlich ver sucht, ihnen zu einem Erfolg zu verlielfen. Dies seien die ein zigen Gründe für die Rolle, die Grotzbritannien in Genf ge spielt habe. Es habe keinerlei Reichsinteresse mitzze- spielt, es sei denn die natürlich« Sorge, die ein über den Erd ball sich erstreckendes Reich haben müsse, datz der Friede gewahrt werde. England habe auch nicht die mindeste Absicht, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Völker zu mischen. Rian habe dann England den Vorwurf gemacht, datz cs in Genf die Führung übernommen habe. Hierauf wolle er freimütig kest- stellen, datz ein Vertreter Grotzbritanniens in einer internatio- nalen Aussprache nicht eine zweitklassige Rolle spielen könne. Hierauf wandte sich Hoare gegen die Kritik, die gegen die wirtschaftlichen Stihnematznahmen gerichtet wurde. Es gebe Leute, die sagten, datz sie unvermeid lich zum Kriege führten. Damit stimme er nicht überein. Er glaube auch nicht, datz der vorgesehene wirtschastlicl)e Druck, den man ins Auge gefatzt habe, unwirksam sein werde. Aber wenn eine Aktion dieser Art wirksam sein soll, miitztcn die Völkerbundsmitglieder ihren Anteil an dem Risiko, der Unbe quemlichkeit und den Verlust auf sich nehmen. Zweitens miitztcn alle Völkerbnndsstaaten zusammenstehen, um einem Angriff Widerstand zu leisten, der auf einen Staat gemacht wird, weil er eine Handlung unternimmt, um die Völkerbundssatzung zu verteidigen. Aus diesem Grunde habe man Mitteilungen mit der französischen Regierung ausgetauscht. Die französisa)« Ant wort sei völlig befriedend. Die Franzosen legten den Ar tikel 10 der Völkerbundssatzung genau so aus, wie die Eng länder ihn auslcgten. Er wandte sich hierauf der der geplanten wirtschaftlichen Stihnematznahmen, da sonst Italien in der Zwischenzeit alles erhalten könnte, was cs wünsche. (Beifall.) Der Führer der Liberalen Opposition. Sir Herbert Sa muel. erklärt«, datz sein« Partei die von der Negierung ein geleiten und ins Auge gefatzten wirtschaftliä>en Sühiicmatznah- men voll unterstütze. Die Rede Hoares sei iedock nicht sehr ül»erzelcgcnd gewesen. Er habe den Entrück erweckt, datz er sehr beunruhigt über die Lage sei und einen Fehlschlag des Völkerbundes für durchaus möglich halte. Samuel lietz dann durchblicken, -atz er kein grundsätzlicher Gegner von militäri schen Stihnematznahmen sei. Er forderte eine Völkerbunds reform. Drei Viertel der Welt seien im Besik von neun Staa ten, während die anderen fünfzig Nationen, darunter Deutsch laib. Japan und Italien, sich mit einein Viertel begnügen mütz- ten und von der Kolonialpolitik so gut wie ausgeschlossen seien. Die Lösung mützte aber seiner Ansicht nach nicht auf territoria lem, sondern auf wirtschaftlici>ein Gebiet liegen. Wenn diese Frage nicht gelöst würde, könnte Deutschland eines Tages andre unzufriedene Mächte um sich sammeln und eine Forderung stel len, die nicht erfüllt iverden und daher zu einer Katastrophe führen Könnt«. Entgegen den bisherigen Voraussagen wird die Unter- hausaussp'racl-e über international« Angelegcnlieitcn höchstwahr scheinlich schon am Mittwochabend beendet iverden. * . Gleichzeitig mit der Unterhausaussvraclie über die Aussen politik fand auch im Oberhaus eine autzenpolitische Aus- fpracl>e statt, die mit einr Erklärung Lord Londonderrys für die Regierung eröffnet wurde. Seine Rede bewegt« sich im wesentlichen im Rahmen der Rede Hoares. Für die Arbeiter opposition sprach hierauf zunächst der neugewählt« Oppositions führer Lord Snell. Er erklärte, die Arbeiterpartei werfe Italien nicht nur vor. datz es gegen Abessinien gesündigt, son dern auch, datz cs den Völkerbund verraten habe. Lord Hardinge (konservativ) bemängelte, datz In der Rede Londonderrys nichts cnlk-alten gewesen sei. was die allgemeinen Sorgen über di« militärischen Sanktionen beschwichtige. In Eurozm werde «g solange keinen Frieden geben, bis die vier grotzen Westmächte Deutschland, England. Italien und Frank reich sich zusammentälen und auf einen Krieg verzichteten. Man müsse Deutschland die Freundeshand entgcgenstrecken. Di« Aussprache wurde sodann auf Mittwoch vertagt. Die Sturmschäden an den Nordseelnisten Der orkanartige Sturm, der in den letzten Tagen über der Nordsee tobte, hat vielerorts schwere Schäden angerichtet. Oben ein Bild aus Sprotborough (Doncaster) in England, wo der Sturm eine 300 Zentner schwere Ulme entwurzelte, die bet ihrem Fall das Dach eines Hauses durchschlug. Unten der an der Küste von Sylt bei Klappholttal gestrandete französische Dampfer „Adrar". (Weltbild, Sclzerl Bilderdienst, M.) 1100000 Abessinier gefechtsbereit Llmsargung Marschall pilsudstis Frage der mtlttärischen Sanktionen zu. Er wies darauf hin, datz es eine kollektive Uebcreinstim- mung über diese Frage in Genf nie gegeben habe. Militä rische Sanktionen könnten nur kollektiv ange wandt werden, und England habe von vornherein klargcmacht, -atz England nur kollektiv handeln wolle. England habe nicht die Absicht, allein zu handeln. Im übrigen habe man von An fang an in Genf die Frage der militärischen Sanktionen nicht besprochen, und keinerlei Massnahmen dieser Art seien ein Be standteil der britischen Politik. Die geplanten Matznahmen seien nicht militärisclzer Art, sondern wirtscha'ftlicl)er Art. Er glaul»e nicht und niemand in diesem Hause könne glauben, datz je mand in Europa einen Krieg wolle. Auch in den Verhandlun gen mit den Franzosen sei niemals die Erwägung militärisck>er Matznahmen behandelt worden. Ter Völkerbund sei eine Ein richtung des Friedens. Des miitztcn sich die Leute erinnern, die verlangten, datz England den Suezkanal schlichen und die italienischen Seeverbindungen abschneiden sollte. Da England dies nicht allein könne, würde cs keinerlei kollektive Ucbercinstimmung hierfür geben. Es sei infolgedessen gefährlich und provokativ, hierüber auch nur zu reden. Der wirtschaftliche Druck, der seht beabslchtlgt sei, solle nicht so ausgedehnt werden, datz es zu einem Kriege komme. Der Nutzenminister wies endlich zum Schluss darauf hin, datz die Atempause, in der man sich jetzt befinde, bevor der mlrt- schasllici)« Druck angewandt iverde, benutzt werden müsse, um «ine Regelung zu erreicl-en. Nach dem englischen Autzenminister ergriff der neue Op positionsführer Attlee, -«r bekanntlich an di« Stelle des Sanktionegcgners Lansburg getreten ist, das Wort. Er lxrschul- -igt« zunächst Mussolini, -atz er -en Frieden gebrochen und die ganze Welt in Gefahr gebracht habe. Die Opposition wolle nicht -ie faschistische Regierungsform als solche angreifen, denn sie glaube nicht, -atz man den Faschismus oder irgendeine andere Rcgierungsform durch einen Angriff von nutzen her zerstören könne. Attlee beschuldigte dann -ie englische Regierung, datz sie zu spät in den italicnisckl-abessinisciien Streit eingcgrisfcn, und datz sie -urch ihr unentschlossenes Verhalten im japanisch chinesischen Streit die Italiener zu ihrem jetzigen Vorgcl-en er mutigt habe. England habe selbst niemals abgerüstet und sei daher zum Teil verantwortlich für die Wiederaufrüstung ande rer Staaten, wie zum Beispiel Deutschlands. Der Oppositions führer forderte sodann die sofortig« Inkraftsetzung Addis Abeba, 23. Okt. Nunmehr sind auch die Truppen aus der Siidwcstccke von Abessinien In Addis Abeba eingetrofsen bzw. auf die Hauptstadt Im Anmarsch. Am Dienstag kam der Gouverneur von Madschi, Ras Getatu, mit 30 000 Mann von der Grenze am englisch ägyptischen Sudan in Addis Abeba an, nachdem kurz vorher die Truppen des Gouverneurs von Gosa, Dedjas Abeba, nach der Front abgeriickt waren. Man erwartet nunmehr noch die Truppen des Gouverneurs von Wollega, Bidwoded Mökan Ncns, die 35 000 Mann zählen. Damit wäre die allgemeine Mobil machung beendet und IlOOOOO Mann ständen gefechts bereit unter den Waffen. Die Aufmarschbewegungen dürften Ende Oktober endgültig abgeschlossen sein. Der Kaiser prüfte ckn Dienstagvormittag eigenhändig einige Handgranaten neuester Lieferung. Von der Süd front wird gemeldet, datz italienisclze Flie ger im Gebiet des Wewi-Schebcli-Flusses erneut Bomben abge- worfen hal»en. Auch haben Vorstötz« italienischer Patrouillen nach Artillerievorbereitungen stattgefunden. Die Nordfront berichtete über italienische Truppenan- häufungen südlich von Adua, wobei Angrisssabsichten zu er kennen sind. Im Gebiet von Setit (Nordwestecke Abessiniens) ist alles ruhig. Dle lrlscke Regierung lehnt offizielle Mersuchung der Vorgänge in Velfaft durch England ab Das Parlament der sechs nordirischen Grafschaften hat dem irischen Ministerpräsidenten die Anfrage vorgelegt, ob er mit einer offiziellen Untersuchung der Vorgänge in Belfast durch die englische Regierung einverstanden sei. Der Ministerpräsident gab die Erklärung ab, datz dle Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung eine rein Interne Angelegenheit der nord-irischen Regierung sei und die Notwendigkeit eines Eingreifens der bri tischen Behörden nicht vorlicge. Die Einberufung eines beson- dren Gerichtshofes erübrige sich, da Ursprung und Umstände der bedauerlichen Störungen vollkommen bekannt seien und nicht diskutiert zu werden brauchen. „Die Toten von Adua gerächt" Bei ihrem Vormarsch In Nordabessinicn führten die Italienischen Truppen ein Denkmal mit sich, das nach dem Fall von Adua zur Er innerung an die Gefallenen des Jahres 1806 aufgestellt wurde. Unser erstes nach Deutschland gelangtes Bild zeiat die symbolische Denk- malsweihe mit dem vber- kommandtercndcn General de Bono (zu Pferde). (Scherl Bilderdienst, M.) Warschau, 23. Okt. In der Krakauer Kathedrale wurde eine Umsargung des verstorbenen Marschalls Pilsud» s k i vorgenommen. Der silberne Sarg, in dem Pilsudskis sterb liche Hülle bisl)«r ruhte, hat sich als nicht luftdicht erwiesen, so datz sich Schimmelflecke auf der Uniform und den Stickeln gezeigt haben. Tie Beisetzung erfolgte nunmehr in einem Kri stallsarg, dessen Seiten mit Metalleisten eingesatzt sind. Der Prozeß gegen die bulgarischen Verschwörer Sofia, 23. Oktober. Die Anklageschrift des Militärslaats- anwalts gegen di« verhafteten Offiziere und Zivilpersonen, die in die ausgedeckt« Verschwörung verwickelt sind, soll noch in dieser Woche fertiggestellt iverden. Der mit grotzer Spannung erwartet« Prozess dürfte Anfang der kommenden Woche ivginnen und wenigstens 14 Tage in Anspruch nehmen. Wie amtlich mit geteilt wird, werden sich insgesamt 23 Personen auf Grund des Staatsschutzgesetzes vor dem Militärgericht zu verantworten haben. Das Ergebnis der Voruntersuchung ist bisher noch immer nicht bekanntgegcben worden. Drei Rann der Besatzung eines estnischen Dampfers ertrunken Kopenhagen, 23. Oktober. Ter estnisciie Damoier ..Mall aus Reval lief in der Nacht zum Dienstag in schwer beschädigtem Zustand in Esbjerg ein. Während des luftigen Sturmes End« der letzten Woche befand sich -er Dampfer in -er Nordsee und hatte schrver unter dem Sturm zu leiden. Von -en Wellen wurde nicht nur ein Teil der Holzladung iveggeipiill. sondern es sanden auch drei Mann der Besatzung den Seemannstod. Einen halben Beter Schnee auf dem Riesen« geblraskamm Breslau, 23. Okt. Die starken Schneefälle, die in der Nacht zum Dienstag im schlesischen Gebirge einsetzten, führten bis zu einer Höhe von 350 Metern zur Bildung einer zusam menhängenden Schneedecke. Wie der Reichswctlerdienst Bres« lau-Krietcrn meldet, hat die Schneedecke am Dienstagabend auf dem Riescngcbirgskamm bei fünf Grad Kälte bereits eine Höhe von einem halben Meter erreicht. Bei starkem Sturm bildeten sich auf der Schneekoppe Verwehungen bis zu einein« halb Metern. Der Prozeß gegen ten Sompel Münster, 23. Okt. Gegen den seit dem 17. Dezember 1934 in Untersuchungs haft befindlichen früheren Generaldirektor der Wickingwerke in Münster, Generaldirektor Dr. c. h. Rudolf len Hompel, schwebt seit sechs Wochen vor der Grotzen Strafkammer in Münster ein Prozetz, der weit über die Grenzen Westdeutsch lands hinaus von Bedeutung ist. Direktor ten Hompel hat durch seine Machenschaften den Zusammenbruch der Wicking werke im Jahre 1931 herbeigeführt. Die Anklage, zu der ein ungeheures Aktenmaterial herbei geschafft wurde, wirft dem Angeklagten in mehreren Fällen handelsrechtliche Untreue gegenüber den Wickingwerken, Voll- streckungsvcrcitelung und Konkursverbrcchcn vor. Die Verhandlung, die am 10. September begann, hat bis her 24 Vcrhandlungotage in Anspruch genommen. Die Einzel vernehmung des Angeklagten nahm allein zehn Tage in An spruch und war autzerordentlich schwierig. Die Beweisaufnahme hat im wesentliche» die in der Anklageschrift ausgesührten- Strastaten als erwiesen ergeben. Am Dienstag beantragt« der Vertreter der Anklage gegen den Angeklagten eine Ge samtstrafe von vier Jahren Zuchthaus unter Aber kennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von fünf Jahren und 20 000 M. Geldstrafe Mit der Verkündung des Urteil» ist etwa gegen Mitte nächster Woche zu rechnen.