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13. Kapitel. i Noch am gleichen Abend kam es -ur Krisis. Ein wichtiger Fall war eingeliefert worden, ein zwölf jähriger Junge, der von einem Auto überfahren war. Eie hatten ihn kurz vor sieben Uhr abends in die Klinik ge bracht, und die Röntgenaufnahme stellte «ine schwere Rück gratverletzung fest. Der Oberarzt kam mit der Aufnahme zu Thea, die den Jungen in ihrer Abteilung hatte. „Wie geht es ihm?" fragte er. „Kein Temperaturanstieg und ziemlich ruhig." Der Oberarzt nickte. „Gut. Dann können wir bis morgen früh warten." „Operation?" fragte sie. „Ja, wir müssen Krufius nehmen. Er hat solche Fälle schon mehrfach behandelt. Etwas schwierig" — der Ober arzt zuckte die Achseln — „das Fritzi für uns gewöhnliche Sterbliche. Aber für Krufius eine Kleinigkeit." „Weitz er schon?" „Ja, ich habe ihn kurz benachrichtigt. Jetzt schicke ich die Aufnahme hin. Ueber den Termin der Operation ist noch nichts ausgemacht. Ich denke, morgen früh um halb zehn Uhr. Das ist ja seine übliche Zeit." Eine Viertelstunde später saß Professor Krufius zu Hause in seinem Arbeitszimmer und hatte die Röntgen aufnahme vor sich liegen, die er eben durch einen besonde ren Boten bekommen hatte. Der Fall war sehr bedenklich, das sah Krufius auf den ersten Blick. Das Leden dieses Kindes, dieses Jungen, hing von ihm ab. Wenn es «in weniger wichtiger Fall gewe sen wäre, hätte ein anderer operieren können, und er, Kru- fins, wäre dieser Notwendigkeit enthoben gewesen. Doch jetzt geb es kein Zurückweichen. Jede Stunde, jede Minute war wichtig. Das Leben des jungen Menschen lag in sei ner Hand. Die Operation war, wie ein beigegebenes Schreiben be sagte, für morgen früh anberaumt, und Krufius wutzte, datz dies der äutzerste Termin war. Jeder Aufschub war un möglich. Ein Ausweg bestand noch: den Fall dem Kollegen Merkholl zu übergeben. Natürlich, es kam nur Merkholt in Frage. Krufius nahm Len Hörer vom Telephon. „Bedauere, Herr Professor," sagte Fran Professor Merk holt, „mein Mann ist heute abend verreist und kommt erst übermorgen zurück —" Krufius legte den Hörer wieder aus. Er mutzte die Ope ration vornehmen. Er mutzte es! Selbstverständlich mutzt« er es, und er begriff auf ein mal sein Schwanken nicht mehr. Er rief in der Klinik an und gab dem Oberarzt klar und gewissenhaft alle nöligen Anweisungen. „Es wird alles bereit sein," erwiderte der Oberarzt. Dann ging er gleich zu der Kollegin Hansen und über brachte ihr die grotze Neuigkeit: Krufius hatte angenom men und seine Stimme habe einen sehr frischen Eindruck gemacht. Thea nahm die Nachricht mit innerem Bangen ent gegen. Die Ellern des Jungen wurden noch geholt; es waren rührend besorgte Menschen; der Postschaffner Franke und seine Frau, rührend besorgt um das Schicksal ihres armen Jungen, aber auch gesatzt. Cie dursten ihn noch einmal sehen, sprechen konnten sie ihn nicht, das wäre zu aufregend gewesen. „Wer macht denn die Operation?" fragte Frau Franke draußen Dr. Hansen, „oder — darf man das nicht wißen?" Thea lächelte. „Das darf man schon wissen," sagte sie. „Es ist kein Geheimnis. Professor Krufius nimmt die Operation vor." Frau Franke wandte sich triumphierend an ihren Mann. „Habe ich es nicht gesagt, Vater," meinte sie. „Und Sie wissen ja, Fräulein! Gut, datz er hier ist. Da können wir zufrieden sein, nicht wahr, Fräulein?" „Gewiß, Eie können ganz unbesorgt sein," «rwidertr Thea. „Einen besseren Chirurgen gibt es gar nicht. Aber nun müssen Sie gehen und ganz ruhig schlafen. Morgen kann ich Ihnen bestimmt aute Nachricht geben..." Sie sah ihnen nach. Sie gingen folgsam und ganz un- besorgt, und Thea beneidet« sie um ihre Ruhe und ihr Vertrauen. Am gleichen Abend machte Herbert Medow seinem Bruder einen Besuch. Krufius satz noch in seinem Arbeits zimmer und bereitete sich auf die morgige Operation vor. Dabei dachte er, datz er heute unbedingt früher als sonst zu Bett gehen muhte. Er muhte schlafen, er mutzte sich zum Ausruhen zwin gen, um morgen frisch zu sein Er legte den Federhalter beiseite, als ihm Herbert Me dow gemeldet wurde. Krufius hatte Herbert gesagt, datz er jederzeit für ihn zu sprechen sei, doch dieser hatte nur sei- len von dieser Erlaubnis Gebrauch gemacht. Heute erwar tete ihn Krufius mit einer Ungeduld, denn er hatte ohne Zweifel über etwas sehr Wichtiges zu berichten. „Ich habe noch Licht gesehen," sagte Herdert Medow, „und darum bin ich herausgekommen. Entschuldige di« Stö rung." „Du bist mir jederzeit herzlich willkommen, Herbert." Sie nahmen Platz und sahen sich gegenüber, die beiden Brüder, die sich so ähnlich sahen und doch so unähnlich waren. „Nun, was gibt es Neues?" fragte Krufius. Herbert machte eine unruhige Bewegung. „Ich habe sie gefragt," erzählte er, „ich habe sie gefragt, ob sie mich heiraten will und —" „Gut, datz du den Mut dazu gesunden hast," unter brach ihn Krufius. „Ein ungewöhnlicher Schritt, ich weih — aber sie ist auch eine ungewöhnliche Frau. Was hat sie gesagt?" „Sie hat mich abgewiesen " „Ach " Sonderbar, dachte Krufius, sollte er ein schlechter Psycho- löge, ein schlechter Menschenkenner sein? Er hatte sich alles leicht oorgeftellt. Herbert als Leiter des Erholungsheimes und die Kollegin Hansen als ärztliche Leiterin? Eie war wie geschossen, seinen Bruder zu retten. Keine schlecht« Partie für sie, dafür hätte er, Krufius, schon gesorgt. Und nun — nun wollte sie nicht? Er schüttelte den Kopf. Herbert war ausgestanden und matz mit grotzen Schrit ten den Raum. „Bernhard," sagte er, „es war ein Rechenfehler in un seren Plänen. Ei« ist freundlich und gut zu mir, sie meint es ehrlich — aber sie liebt mich nicht Wie könnte sie das auch! Es steht di« Vergangenheit und vieles andere zwi schen uns. Wir Haden uns getäuscht, und ich will dir sa gen, warum. Eie hat eine gewisse Zuneigung zu mir, und weißt du, weshalb?" „Ich dachte " „Nein," erwiderte Herdert, „sie bringt mir ihre Zu neigung nur entgegen, weil sie sich täuscht — weil sie in mir jemand anders sieht. Meinen Bruder Bernhard!" „Aber, das wäre doch —" durchaus möglich, Bernhard," fuhr Herbert fort. „Und ich kann sie vollkommen verstehen. Sie patzt nicht zu mir, sie patzt zu dir!" Krufius antwortete nicht. Was er eben gehört hatte, hielt er für vollkommen unwahrscheinlich. Er begrützte es, datz Herbert selbst auf andere Dinge zu sprechen kam. Krufius berichtete von der bevorstehenden Operation, und Herbert Medow satzte das als Wink aus, sich zu ver- abschicden. Er hatte immer ein Gefühl der Unsicherheit ge genüber seinem Bruder. Sie trennten sich in gutem Ein- vernehmen, aber innerlich nicht weniger fremd als, zu vor. Herbert Medow ging durch die Stratzen der Stadt. Er fühlte eine seltsame Ruh« in sich. Er hatte wieder Geld, selbstverdientes Geld; er war nicht mehr unten im Etru- del des Daseins, er fühlte sich obenauf, und das war ein prickelndes, neroenaufpeitschendes Gefühl für ihn. Ja, das Leben war schön, und nur die Dummen gingen achtlos an ihm vorüber. Da waren Tafts. Restaurants und elegante Tanzlokale, und in jedem war er willkommen, er hatte ja Geld. Bisher war Thea Hansen der Mittelpunkt seines neuen Lebens gewesen. Dieser Mittelpunkt schien ihm verloren, und seine Gedanken, Pläne und Träume kreisten im Leeren. Er hatte Bernhard ausgesucht, aber dieser verstand ihn nicht. Vielleicht konnte er das nicht, vielleicht «ar er in dieker Hinsicht wie Thea. Sie waren beide aute Men- jchen, ja — aber sie waren aus einer anderen Welt, und es lag wie eine Eismauer zwischen ihm, Herbert, und ihnen. Er hatte sie zu spät kennengelernt. Entschieden viel »u spät. Er kam in «ine der Hauptstratzrn. Eine Autotaz« über holte ihn, hielt vor dem Portal eines Vrrgnügungslokals und eine Dam« im Abendmantel stieg au». Während sie den Chauffeur bezahlte und den Kopf wandle, konnte Herbert ihr Gesicht sehen — «ein, er hatte sich also wirklich nicht geirrt! Er hatte sie schon auf den ersten Blick erkannt, es war Lisa Melrum. Einer plötzlichen Regung gehorchend, ging er auf sie zu und Lisa grüßt« ihn lächelnd. „Bedeutet das nun eine angenehme Ueberraschung?" fragte sie. „Oder fängst du wieder an wie das letzte mal?" „Was ist dir lieber?" lautete seine Gegenfrage. „Auf eine Wiederholung des letzten Auftritts verzichte ich gern," meinte sie lächelnd. „Du hast mich schön blamiert, noch dazu vor der Frau..." „Dame," verbesserte er. „Meinetwegen: Dame," fuhr sie fort „Entschuldige, ich Hätte natürlich Dame sagen müßen. Du gehst durchs Feuer !für sie, ist es nicht so?" Herbert nickte. „Und willst sie heiraten?" Lisa fühlte ihr Herz klopfen, während sie auf seine Ant wort wartete. „Meinst du?" wich er aus. „Sicher willst du es? Aber — sie will nicht. Ist das dein Schmerz, mein Junge?" Er sah sie nicht an und sie fühlte, datz sie recht hatte. Er gab es übrigens auch gleich selber zu. „Hast recht," sagte er. „Eie will mich nicht heiraten. Und warum? Sehr einfach, Lisa. Ich bin ihr nicht gut ge nug. Und überhaupt, ich bin nicht ihr Typ." Cie kam dichter an ihn heran. „Bin ich da»? Herbert?" fragte sie, ihn ansrhend. Er sagte weder ja noch nein, aber Lisa las seine Ant wort aus seinen Augen „Sieh mal — der Portier," sagte sie. „Ja — und?" „Merkst du nichts?" „Er hält die Tür aus." Lisa lachte. „Er hält die Tür jchon die ganze Zeit aus, der arme Kerl," meinte sie. „Sicher ist das für ihn sehr ermüdend, und wir wollen ihn nicht länger warten laßen. Komm, wir gehen hinein und sprechen drinnen weiter." Eie nahm seinen Arm, und er widersprach ihr nicht. > Der Portier hielt die Tür noch immer auf, sie gingen an ihm vorbei und lockende Tanzmusik klang ihnen ent gegen. ' 14. Kapitel. Kur- nach neun Uhr am nächsten Morgen lief der Hausmeister oer chirurgischen Klinik aus die Straße, um die Tür eines ankommenden Wagens zu öffnen. Proseßor Krufius nahm seine Operationen wieder auf, und es war ein Tag von größter Wichtigkeit. Der Hausmeister wußte, was dieses Ereignis bedeutete. Er wußte das genau so wie jeder Arzt, jede Aerztin und Schwester. Der Chef hatte den Schicksalsschlag, der ihn ge troffen hatte, überwunden, und er schritt nun zu neuen Er- folgen. „Guten Morgen, Herr Proseßor, guten Morgen!" Aller, was es an Achtung, Anteilnahme und Treue gab, sprach aus dem Tonfall der Begrüßung. Krufius nickte dem Hausmeister freundlich zu und lächelte sogar. Es war ein müdes, erzwungenes Lächeln. Er halt« in der vergangenen Nacht zu schlafen versucht, er hatte wieder ein Schlafmittel nehmen müßen, aber erst In den frühen Morgenstunden hatte er etwas Ruhe gefun den, und schwere Träume hatten ihn gequält. Er hatte Charlotte gesehen. Sie war aus dem Dunkel aus ihn zugekommen und hatte di« Hände ausgestreckt. Kein Wort war von ihren Lippen gekommen, aber in ihrem Blick war «in grausamer Vorwurf gewesen. And er, Berndard Kruüus. batte Rck> ruhelos »0» ein« Seit« auL vt« andere gewälzt, «nd der Traum hatte schließlich dem grauen Morgen -Platz gemacht. Doch noch jetzt, als Kru fius in di« Halle eintrat, «ar di« Erinnerung wach. Di« Ellern des kleinen Patienten waren schon da; Kru fius kannte sie nicht, aber er konnte sich denken, wer sie waren. Er las Vertrauen und Zuverficht in ihren Augen, wie er das schon oft im Blick der Angehörigen seiner Pa tienten gelesen hatte, und immer hatte es ihn in seiner Mission bestärkt. Und heute? Heute suchte er rasch fortzu kommen von den beiden Leuten, mit denen er nur ein paar Wort« sprach. Eie halten Vertrauen, «nd er — er zwei, selte an sich selbst! Er kleidete sich um. Heute also, so wühlte und bohrte es in seinem Gehirn, heute fand die erste Operation seit Charlottes Tode statt. Die letzte war kein Erfolg gewesen. War das nun eine Einzelerscheinung oder wiederholte es sich? Fehlte ihm die Ruhe, war irgend etwas mit ihm nicht in Ordnung? Nebenan im Narkoseraum war ei» junges Leben, das von ihm abhing. Und unten wartete« die Eltern und emp fanden es als selbstverständlich, daß er ihr Kind rettete; und sie freuten sich sogar, daß gerade er die Operation vor nahm. Ja, er mußte stark sein, er mußte die Stimme in seinem Innern zum Schweigen bringen und nichts mehr sein als der sichere, kaltblütige Chirurg und Menschenfreund. Er ging in den Operationssaal, in den Raum, der ganz in Weiß gehalten war und das Schlachtfeld darstellte, auf dem er dem Tode schon unzählig« Opfer abgerungen hatte. Auf dem er so viele Siege errang, aber auch die größte Niederlage seines Lebens erlitt. Erst wenige Wo chen war es her, seit Charlotte dort auf dem Tisch gelegen hatte, es schien eine Ewigkeit her zu sein. Bewegung ging durch den Saal, während Krufius her einkam, und jeder nahm seinen Platz ein. Er sah sich kurz nach allen Seiten um, und es war ihm, als ob ihm jedes Augenpaar etwas anderes sagen würde. Woran dachten sie? War er ihrer Anficht nach noch der berühmte Chirurg? Oder nur ein Mann, der ver zweifelt um seine Selbstbeherrschung kämpfte? Krufius ließ den schon halb erhobenen Arm finken. „Wir warten noch," sagte er leise. Er sprach die Worte mehr zu sich selbst als zu den anderen, und tatsächlich hatte sie von allen nur Thea ver- standen. Die übrigen bemerkten nur. Lütz etwas nicht stimmte, und ein kaum merkliches Murmeln machte dl« Runde. Theo zögerte nicht. Eie machte einige Schritte und sah ihm fest in die Augen. „Wir beginnen, nicht wahr, Herr Professor?" sagte sie '"»Ach...- „Wir beginnen," fuhr Thea in der gleichen Weise fort. „Wir denken jetzt an nichts anderes als an die Opera» tion, von der ein Menschenleben abhängt, und begin nen !" Eie hatte ihre Stimme nicht mehr erhoben als zu einem Flüstern. Die Unruhe unter den anderen wuchs. Der Oberarzt hatte vernommen, daß Thea etwas gespro chen hatte, und war empört. Wie kam die Kollegin da zu, in die Operation hineinzureden? Cie hatte doch sonst Nerven von Eisen! Was war eigentlich los? Krufius hatte den Arm schon wieder erhoben und nahm die Instrumente, die Thea ihm reichte. Er sah nicht mehr auf und die Operation begann. Es war eine sehr schwierige Operation, besonders gegen Ende, und die kleinste Unsicherheit der Hand hätte den Tod bedeuten können, aber Krufius war längst wieder der alte, kaltblütige Chirurg, und sogar sein Blick, der anfangs noch nervös gewesen war, hatte wieder seinen ruhigen, ernsten Ausdruck angenommen. Dann endlich sah er auf, atmete tief und blickte sich um. „Bringen Eie den Jungen fort," sagt« er. „Er wird leben!" Er verließ langsam den Operationssaal und schloß leis» die Tür hinter sich. Sie brachten das Kind fort und Thea hatte wieder die Freud«, die Eltern zu benachrichtigen. Dann ging sie in