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die Leute waren so angenehm überrascht, als er nach em paar Sätzen bereits schloß, daß ihn rauschender Beifall belohnte, während er stolzgeschwellt abtrat. Dann war der Fußballkampf gefolgt und di« Belegschaft hatte sich mit der .Viktoria* als Sieger gefühlt, waren doch drei von den Fußballern auS dieser Mannschaft Bettiebskameraden! Dann wurden die Sinder in ihrem neuen Spielsaal mit Schokolade und Kuchen bewirtet, und al- die letzten endlich abgezogen waren, tat Anita die Hand weh, so viel kleine Hände hatte sie drücken müssen. Aber sie lachte dar über, mit den Kindern wäre sie ja nun glücklich fertig. Aber die Musikklänge, die aus dem Hauptgebäude herüber drangen, »ahnten e, daß ihr« Pflichten noch längst nicht zu End« waren! Und entschlossen begab sie sich in den Fabriksaal, in dem die Belegschaft eben ihr Festessen ver- ,ehrte. Als fi« die paar Stufe» hinuntergehen wollte, spielte die Kapelle einen schmetternden Tusch: der Herr Personal- chef hielt den geeigneten Moment für gekommen, eine Dankrede au sie z» halte«. Um Bottes willen, dachte Anita entsetzt, muß das sein? Aber sie wartete ergebungsvoll auf das Ende. Bier Mi- nuten redet er jetzt schon!, dachte sie mit einem Blick auf die große Sanduhr, dann hob der Personalchef mit bei nahe feierlicher Bewegung sein Vierglas hoch: .Frau Anita Giesedrecht, mlsere allverehrte Chefin, sie leb« hoch! — hoch! — hoch!* Brausend stimmten die Männer und Frauen ein. Die Papiergirlanden gerieten in raschelnd« Bewegung. Dann lag einen Moment ein erwartungsvolles Schwelgen in der Luft. Anita stand noch immer auf der Trepp«. Sie be mühte sich krampfhaft, nicht zu zeigen, wie ungewohnt ihr eine derartige Situation war. .Danke schön!' sagte sie freundlich in den Saal her- unter. Aber die Leute schienen sich damit nicht begnügen zu wollen, sie sahen sie noch immer in stummer Erwartung an. Am liebsten wäre sie fluchtartig umgekehrt. Aa, die Herren Abteilungsleiter konnten sich morgen früh freuen! Hätte ihr nicht einer sagen können, daß sie für solche An lässe eine kleine Rede zu halten hab«? Aber schließlich, sie stand ja als Betriebsführerin hier und konnte nicht wie ein dummes kleine- Mädel davonlaufen. Sie schluckte ein paarmal, holte tief Atem und sah als erstes mal nach der Uhr! Bier Minuten hatte der Herr Personalchef ge- sprachen, na, die Hälfte tat es auch! Sie sah über die Tische. Plötzlich sah sie in Eberhards Augen, die sie aus- gelassen anlachten. Er saß da mit der gesamten „Viktoria'- Mannschaft mitten unter der Belegschaft. Wahrscheinlich ahnte er etwas von ihrer Ratlosigkeit, aber er sollte sie nicht auslachen! Energisch sing sie an zu reden. Irgend etwas von Dank für den freundlichen Empfang, kurz davon, daß die Arbeit im Betrieb ihr viel Freude mache, gab der Hoff nung Ausdruck, daß die gesamte Belegschaft fi« weiter in ihrer Arbeit unterstützen möge, und schloß mit der Ver- ficherung, daß sie sich immer um da- Wohl der Siesebrecht- fchen Gefolgschaft kümmern würde. So! Schluß! AuS! Genau drei Minuten hatte sie gebraucht! Das sollte ihr mal einer nachmachen, so einfach aus dem Stegreif heraus! Sie bekam direkt Respekt vor sich. Erleichtert ging sie zu dem Tisch, an dem der Herr Personalchef saß, und reichte ihm die Hand. DaS gehörte wohl auch noch dazu. .Gut hatten Sie sich Ihre Rede zurechtgelegt!' lobte er sie leise. Anita drückte ihm zwar freundlich die Hand, da aller Augen auf sie gerichtet waren, aber sie dachte: Ra, warte du nur! Morgen früh! Ein paar der jüngeren Arbeiter räumten im EilzugS- tempo die mittelsten Tische an die Seiten, «S wurde zwar dadurch lebensgefährlich eng, aber waS tat das, wenn man damit Platz zum Tanzen schaffte! Anita tanzte mit dem Herrn Personalchef die Ehren runde. Dann fanden sich die ersten Paare rin, und noch vor Ablauf des ersten Tanzes herrschte «ine Fülle, daß man doppelt soviel Raum aebraucht hätte! Anita mußt« »un natürlich auch mit den sämtlichen Abtetlungsietter» tanzen. Dann kamen ein paar Büroangestellte, und auch ein paar Werkmeister fanden sich ein. Sie gab keinem einen Korb, und durch ihre unbefangene Fröhlichkeit gewann st« sich viel Boden unter ihren Leuten. Sott sei Dank, jetzt spielte die Kapelle endlich mal »inen Walzer. Anita hatte schon geglaubt, daß fi« sich den ganzen Abend auf Marschtänze gefaßt machen müßte. Und da kam auch schon Eberhard zu ihr. Er hatte wohl schon «ine Weile in ihrer Nähe gestanden, um endlich einmal nicht zu spät zu kommen. Sie hatte ihu oft im Gedränge vorübertanzen sehen, jung« Arbeiterinnen hatte er sich geholt und auch ein paarmal die hübsche, blonde Kinder gärtnerin. Nachdem sie eine Seil« schweigend getanzt hatten, lachte er vergnügt: .Gut haben Sie sich vorhin bei der Red« des Personal chefs ausgenommen! Man merkte Ihnen direkt an, daß Sie gar nicht genug der Ehrungen «inkassteren konnten!' .Ach du lieber Gott!' sagte Anita kläglich. .Stehen Sie da mal so ohne eine Ahnung vor Hunderten von Leuten, die noch dazu Ihre Angestellten find. Ich glaube, da stellen Sie sich genau so dumm an!' .Noch dümmer!' versicherte Eberhard ernsthaft. .Und außerdem haben Sie sich wirklich fein aus der Verlegen heit gezogen! Ihre Red« war direkt großartig!' „Richt wahr? Und ganz unvorbereitet!' Das wollte er nicht glauben. .Ich dachte, Sie hätten sich die Red« von einem Ihrer Angestellten machen lassen?' .Aber woher!' Anita war jetzt sehr stolz. »Selbst ist der Man»!' .Dann Haden Sie entschied«» Talent!' entschied er. .Ich dachte nämlich, Sie hätten nur den Anfang vergeffen, weil Sie ein so verzweifelte- Gesicht machten.' Anita sah ihn entsetzt an. .Und ich hab« mir solch« Müh« gegeben! Man hat'» wohl sehr gemerkt?' .Die anderen bestimmt nicht!' tröstet« er. »Die kennen Sie ja kaum!' .Und Sie?' fragte Anita leise dagegen. .Ich habe Sie ja kennenlernen dürfen.' Eine feine Röt« stieg in Anita- Gesicht. E- war gut, daß eben die Musik aufhörte, in dem allgemeinen Durch einander konnte fie ihrer Verwirrung besser Herr werden« .Sie haben Ihren Angestellten heute eine große Freude gemacht', sagte er, als er fie wieder auf ihren Platz zurück brachte. .Die sind ja rein aus dem Häuschen vor Freude über ihren neuen Fußballplatz!' Da setzte schon wieder die Kapelle mit einem dröhnen* den Marsch ein, und er sah fie bittend anr »Darf ich unbescheiden sein?' Aber Anita wehrte ab: .Bitte nicht döse sein, aber ich muß mich einen Moment an der frischen Luft au-ruhen.' ! »Darf ich nicht mit?' fragte er bittend. Anita sah ihn an: .Kommen Sie nur! Ich zeig« Mmen dm» Raum, der für die Kinder bestimmt ist!' AlS fie schweigend nebeneinander herschritten, fragt« sie plötzlich: .Ich schleppe Sie da so einfach mit! Interessiere« Si< sich denn für Kinderspielzimmer?' .Sagen Sie das niemandem Wetter', bat er vergnügt, .aber als ich auS meinem alten, lieben Kinderzimmer heraus mußte, habe ich wie ein Schloßhund geheult! Und war doch schon rin ausgewachsener Bengel von vier zehn! Es hat lange gedauert, bis ich mich an mein neue- Zimmer gewöhnt habe,.erst der neue Schreibtisch hat mich wieder ein bißchen versöhnt!' Sie waren an dem Gebäude, in dem der Kindersaal lag, angelangt. Anita öffnete die Tür und drehte den Lichtschalter an. Es war noch nicht wieder aufgeräumt, und die Tische standen kreuz und quer durcheinander. .Wie »ach einer Schlacht!' meinte er lachend. »Kinderzimmer müssen liederlich sei»', sagte Anita, ^>a weitz ich wenigste»-, daß gMnd«, temperamentvoll« Kinder drin spielen! Es ist vkelleicht et» Glück, daß ich -ein« Kinder habe, sonst würde ich mir wohl eine wahre Mustrransammlung von unordentlichen Pflänzchen heran riehen!' Er hört« kaum mehr, wa- fi« sagte. Er sah fie nur an, wie fie da an der weißen Mauer lehnte. Dicht über ihrem Kopf begann «in kunterbunter Märchenbtlderftretfen, fie stand gerade unter dem Aschendrödelbild. Ihre dunNen Haare hoben sich al- wunderschöner Gegensatz von der weißen Mauer ab. Das vcilchenfarben« Samtkleid schmiegte sich weich an ihren Körper. .Anita', sagte er befinnung-lo-, .Anita!' Al- seine Hände sich um ihre Schultern legten, hob fie abwehrend die Arme. Aber vor dem bettelnden Blick seiner Augen schloß fie di« Lider, ein dunkler Saum, lagen ihr» Wimpern auf der mattbräunlichen Haut. Ganz lang sam ließ sie den Kops t« den Racke» finke«. Da küßte er sie... , .Ich hab' dich lieb...' Hatte sie es wirklich gesagt? .Du! Daß du da- sagen kannst! Da- hab' ich mir gewünscht, seit ich dich da- erste Mal gesehen hab«.' Schritte klangen draußen auf dem Hof. Hastig löste sich Anita au- seinen Armen und glitt von Ihm weg. Sie sah ihn a« und legte de« Finger auf die Lippen. Nun standen sie da wie zwei ganz fremde Mensche«, di« sich über di« Einrichtung de- Raume- unterhalten. Die Tür wurde geöffnet, e- war Hilde. ,OH, Verzeihung', sagte sie erschrocken, .ich wußte nicht, daß Sie gerade hier sind. Aber eine der Arbeite- rinnen sagte mir, daß ihr« Klein« ihr Korallenkettchen auf rin Pult gelegt habe, weil das Schloß kaputt gegangen ,'n. Und ehe e- beim Aufräumen vielleicht wegkommt, da wollte ich es lieber gleich selber holen.' Kein Mißtrauen stieg in ihr aus, als fie die beiden da so ganz allein stehen sah. Im Gegenteil! Oje, dachte sie vergnügt, der arme Eberhard! Der wird sich schön langweilen, wenn er das Kinderzimmer be- Wundern muß! .Suchen Sie nur, Fräulein Hilde!' sagt« Antta lächelnd. .Wir haben es bei unserer Besichtigung bestimmt nicht verschwinden lassen!' Hilde lachte und ging die Putte entlang. Da lag e- ja schon! .Ich will s ihr gleich wiederbringen', sagte fi«. .Auf Wiedersehen bis nachher, gnädige Frau — auf Wieder- sehen, Eberhard!' .Ein liebes Mädel!' sagte Antta. .Du kennst Hilde?' Sein Laut kam über seine Lippen, nur kreideweiß war er geworden. Er vermied es, ihrem Blick zu begegnen. .Eberhard!' Es lag viel Angst in dem einen Wort. Ganz langsam senkte sich sein Kops auf die Brust: „Hilde ist meine Braut!' .Rein! Rein! Rein!' Ganz hell und hoch klang ihr« Stimme. .Sag, daß da- nicht wahr ist! Das darf nicht wahr sein! Sag doch!!' Er schwieg. Da begriff sie. Ihre bettelnd verkrampfte» Hände fielen kraftlos herab. Kein arme- Wort brachte st« heraus. Sie wandte sich ab und ging hinaus. * Im Landgericht wurde mit Hochdruck gearbeitet. In den nächsten Tagen begann das alljährliche Großreine- machen, und da wollt« jeder der Beamten seine Aktenstöße möglichst aufgearbeitet haben, desto weniger braucht« er mit nach Hause zu schleppen. .Ich weiß nicht, Herr Kollege', sagt« ein jüngerer Land- gerichtsrat zu Eberhard, .ich weiß nicht. Sie gefallen mir nicht mehr in der letzten Zett! Eie haben jetzt immer so was Unruhiges, so Zerfahrenes an sich! So kenne ich Sie doch sonst gar nicht!' Eberhard biß sich auf die Lippen. .Es ist wohl nichts als ein« vorübergehende Ab spannung', sagt« er. „Aber ich bemüh« mich doch immer, mei« Mich« zu tun.' Der LandgerichtSrat sah ihn ernst durch seine Brillen gläser an: .Lieber Herr Kollege, ich hab« beruflich nicht das min deste an Ihnen au-zusetzen. Im Gegenteil, ich wünscht«, unsere anderen jungen Herren wären nur halb so tüchtig wie Sir! Aber ich sprech« jetzt mal rein menschlich z» Ihnen. Ich kann mir nicht helfe», Sie stecken in keiner guten Haut!' Und al- Eberhard schwieg, fuhr er zögernd fort: „Ich möchte mich ja wirklich nicht in Ihre Privat angelegenheiten mischen, aber wenn da vielleicht eine Fra» im Spiele ist... Lieber Herr Kollege, wenn wir Richter sei« wollen, dann müssen wir auch selber ganz untadelig dastehrn, so daß keiner d«n geringste« Fleck an unserem Leben findet, und wenn «r sich noch solche Mühe gibt! Denken Et« mal «in bißchen dran! Und im übrigen — ich weiß ja gar nicht, waS Sie für ein Kummer plagt.' Der Eintritt «t««S Vorgesetzten ließ ihn abbrechen. .Ra, junger Kollege?' sagte der akt« Herr jovial zu Eberhard. »WaS mache« wir denn so Schöne»? Reu« Fußballstegr erfochten — hm?' Eberhard erklärte, daß die nächsten Kämpfe «och nicht bestimmt seien. ,Ra, da- hat auch sei» GuteS!' Der alt« Her, zwinkerte ihm verschmitzt zu. „Desto mehr Zeit bleibt fü, ander« Sachen — WaS? UebrigenS, komme» Sie heut« ins Psarrhau»?' Und al» Eberhard bejahte, fuhr er fort: .Dann sagen Sie dem Dunker mal, er soll morgen ein bißchen pünktlicher zum Stammtisch kommen al- in der letzten Woche! Und meinen schönsten Gruß an di« Dame«! Der HUd« geht - doch gut — WaS?' Eberhard bedankte sich, nahm sein« Akten und ging. Der junge LandgerichtSrat sah ihm kopfschüttelnd nach: ^Zch weiß nicht, und der hat doch irgend etwa-!' Der Aeltere lachte dröhnend: „Natürlich hat er WaS! Sogar WaS sehr Nettes! Ne Braut hat er! In den nächste» Tagen will der Dunker die Verlobung veröffentltchen!' „Mit der Hilde Dunker ist er verlobt?' fragte der junge LandgerichtSrat erstaunt. .Aber wenn man so ein hübsche-, nette» Mädel gekriegt hat, braucht man doch nicht 'rumzurennen, als ob man daS ganze Leben satt hat!' Eberhard kam in Mantel und Hut an der Pförtnerlog« vorbei. „Einen Augenbltck, Herr Assessor!' sagte der alt« Mann. „Hier ist ein Zettel für Sie, daß Sie sich aus dem Hauptpostamt einen eingeschriebenen Brief abholen sollen. Der Postbote hat Sie nicht im Amt stören wollen, und da hab' ich mir den Zettel für Sie geben lassen.' „Ja, schon gut, danke Ihnen schön!' sagte Eberhard zerstreut. Er steckte den Zettel achtlos in die Manteltasche und schlenderte die Straß« entlang. Jetzt sahen «S ihm schon die Vorgesetzten an, daß er ein Lump war! Jawohl, ein Lump war er! Dafür gab es gar keine Beschönigung! Eine Lumperei war es gegen die Hilde, daß er sich so zu Anita hatte treiben lassen, und genau so verächtlich hatte er sich gegen Anita be nommen. Warum hatte er ihr denn nicht sofort klipp und klar erklärt, daß er an ein Mädel gebunden sei?! Aber nein! Lieber hatte er feig gelogen, nur weil er sich nicht von ihren Augen trennen konnte, nur weil ihr Lächeln ihm Tag und Nacht keine Ruhe ließ! Und jetzt wußte er, daß er damit ein viel größeres Verbrechen begangen hatte, als er je geahnt hatte. Die weiche Bewegung, mit der fie sich in seine Arm« gegeben hatte, ihre Augen, die im Glück so heiß schim merten, ihr Lächeln, alles das hatte ihm noch viel deut licher gesagt, als es ihr Mund getan hatte: „Ich ha^ dich lieb!' Klangen die Worte nicht eben wieder durch die Luft? Lockte nicht ihr roter Mund dicht vor ihm? Er fuhr sich über die Stirn. Da träumte er doch wahrhaftig schon am belltckten Taae!