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wirst-du keine grobe Hochzeitsfeier veranstalten. Wir werden daS dann nachholen, wenn du mit deiner Frau zu »ns kommst." »Ich danke dir, Großer. Du hast recht, wir wollen nicht groß feiern. Aber wir freuen uns schon, bis wir dann bei euch sind." Roch eine halbe Stünde faßen die Brüder beisammen, dann trennten sie sich. Rupert Bergmann mnßte fort, er hatte immer Eile. Es war gegen Abend, als Ulrich nach Hause kam. Er «ar nicht wenig erstaunt, Frau Kulicke bei sich zu finden. Sie war ganz anders als sonst; Ulrich hatte sie noch nie so erregt gesehen. Sie stürzte aus ihn zu, sobald er die Tür geöffnet hatte. „Haben Sie schon Fräulein Priska gesprochen, Herr Marquardts" Sprachlos starrte er die Frau an. „Ja . . . Herr Marquardt, ich weiß auch nicht, was ngentlich passiert ist. Mein Mann sagte mir nur, daß Fräulein Priska für «inen Augenblick bet uns war. Sie sei sehr aufgeregt gewesen, meinte er, und habe einen ganz verstörten Eindruck gemacht. Nachdem sie sich wenige Minuten in ihrem Zimmer aufgehalten hatte, habe sie die Wohnung so leise wieder verlassen, daß mein Mann ihr Fortgehen gar nicht gehört hatte. Und hier . . . Herr Marquardt, das habe ich in Fräulein Priskas Zimmer gefunden." Frau Kulicke reichte dem Maler ein kleines Paketchen. Marquardt riß es auf. Als er den BerlobungSring sah, taumelte er zurück. „Ich begreife das alles nicht, Frau Kulicke", stammelt« »r. „Was soll das bedeuten?" „Ich fürchte, Herr Marquardt... Fräulein Priska muß gegen zwei Uhr hier gewesen sein ... sie hatte sicher Madame de Riga gesehen ... hat sich alles möglich« zu- fammengereimt... und jetzt ist sie fort..." Marquardt saß zusammengesunken in einem Sessel. „Ich stehe vor einem Rätsel, Frau Kulicke. Wenn Priskck wirklich dagewesen ist, dann muß sie doch gehört haben, wie ich die Sängerin zurückgewiesen habe. Dann hatte sie doch keinen Grund, davonzulaufen. Unbegreiflich ist das alle-, völlig unbegreiflich." „Fräulein Priska hat wahrscheinlich gar nichts gehört. Sie hat wohl nur gesehen, wie diese blonde Kanaille Sie immerzu mit den Blicken verzehrte, und das hat ihr genügt...' Marquardt war aufgesprungen, rannte im Zimmer hin «und her. „Ich mutz Gewißheit haben, das halt« ich nicht mehr aus. . .' Rach einstündigem, qualvollem Warten kam endlich big Derdladung mir Bad Brambach ,«staub». Di« Auskunst war niederschmetternd. Fräulein von Wallt» sei gestmru am EpätnachnckAag «bgerejst, wollte in Leipzig übei nachten und am andern» Bormiltag nach Berlin weiterfahren. Gr hab« an der Heimreise seiner Patientin nicht» auSzufetze», gehabt, fügte »er Arzt hinzu, da Fräulein von Walli» vollkommen ge sund gewesen wäre, vielleicht, daß sich Fräulein von Walli» länger in Leipzig ausgehallen hab«; sich«, treffe sie bald in Berlin ein. Herr Marquardt brauch« sich nicht aufzuregen. Ulrich Marquardt war vernichtet. PriSka war also wirklich hiergetvesen. Und wo war si« jetzt? Sein süße» Lieb irrte irgendwo umher, allein und verlassen . ., Und nur wegen «in«S unglückseligen Irrtums. Wenn sie doch alle» gehört hätte, wenn si« nicht gleich »avongelausen wäre! Und ihm waren di« Hände g«. bunden; er konnte nichts tun, gar nicht» ... Es war zum Wahnsinnigwerden. Ulrich ging zu seinem Polizeirevier, trug dem Polizei inspektor alle» vor. GS bliebe »unindit nicht« übria. al» j zu warten, antwortete der. Es sei immerhin ebenso gut ! möglich, daß sich seine Braut heute oder morgen melden würde; für den Augenblick könne man nichts unternehmen, als alle Remter von dem Fall zu unterrichten. Am anderen Morgen mußte Ulrich Priska beim Po lizeirevier als vermißt anmeldeiu DaS Auto Rupert Bergmanns fuhr in ziemlich schnellem Tempo auf der Straße von Spandau nach Potsdam. Es war gegen neun Uhr abends. Bitter kalt war es geworden; Bergmann hüllte sich ! fester in seine Decke. Hell und klar lag di« Landschaft im Mondlicht. „Kommen wir noch nach Leipzig, Ludwig?" wandte er ! sich jetzt an den Chauffeur. „Am liebsten würde ich dort übernachten; wir haben es morgen dann bequemer und brauchen nicht so zu Hetzen." „Das wird gut gehen, Herr Bergmann. Es ist ja klar, und die Straßen sind gut; in zwei bis drei Stunden sind wir dort." „Schön, danu fahren wir durch, Ludwig/ Bergmann lehnte sich wieder in seine Ecke; seine Ge danken beschäftigten sich eifrig mit der wichtigen Unter redung mit dem Leiter der Siemenswerke. Fast geistes abwesend sah er in die monderhellte Landschaft. Plötzlich richtete er sich auf, sah angestrengt zum Fenster hinaus. „Halten Sie, schnell, Ludwig! Da ist irgend etwa» nicht in Ordnung. Dort, die Frau, die zur Havel hinunter- rennt, jetzt, mitten in der Nacht... Kommen Sie, schnell, wir müssen ihr nach..." Schon liefen die beiden Männer der Frauengestalt nach, die vor ihnen dem Wasser zulief. Kurz vor dem Ufer holten sie sie ein. Bergmann faßte die Iran um die Hüsten. Sie wehrte sich wie eine Verzweifelt«. Rupert Bergmanns kraftvoller Arm hielt sie fest. Auf seine Weisung half ihm der Chauffeur, und beide Männer trugen die fast Ohnmächtige hinüber zu dem Auto. Im Schein der Wagenbeleuchtung sah Rupert, daß di« Frau jung war und sehr schön. In diesem Augenblick schlug sie die Augen auf. Ent setzen spiegelte sich in diesem Blick. „Aber, Kindchen..." „Lassen Si« mich ... ich will nicht mehr leben ... ich will nicht ...' „Unsinn, Kind. Kommen Sie, ich bringe Sie heim ..." „Ich habe keine Heimat... ich will sterben ... ich will nicht mehr leben .. ." Plötzlich hatte sie sich losgerissen, rannte wieder hinunter zum Wasser. Di, Männer Hollen sie ein. Ein wilde- Ringen be gann, in dem schließlich die Männer Sieger blieben. Dann stürzte die Frau in sich zusammen, weint« haltlos vor sich hin. Rupert Bergmann winkte seinem Chauffeur zu. Sie hoben die leichte Gestalt auf, trngen sie inS Auto. Die Frau schien völlig gebrochen; willenlos ließ sie sich jetzt zu dem Wagen tragen. Sorgsam betete Rupert Bergmann sie in »ine Eck«. Er sah, daß sie an einer ihrer blaugesrorenen Händ« einen kostbaren Ring trug. Alles an ihrer Erscheinung sprach dafür, daß sie aus guten Kreisen stammt«. „Jahren Si« langsam weiter, Ludwig!" Behutsam nahm Rupert Bergmann die eiskalten Händ« der weinenden Frau zwischen sein« warmen, groß»« Finger. „Aber, Kindchen ... wie konnten Sie nur so ein«n schrecklichen «»danken fassen?! Wenn man jo jung ist und so schön ..." „Sie wissen ja nicht... Oh, «ein Gott, niemand weiß «S. Lasten Si« mich doch sterben, lieber Her,..." .So. Kindchen, jetzt werden Sie erst ,j»nal »ützi«. nnd dann erzahien Sie uur alles. Vielleicht ist »s gär nicht so schlimm. Vielleicht kann ich Ihnen helfen." „Niemand kann mir helfen. Ich will nicht mehr leben; alles ist so schrecklich." „Versündigen Sie sich nicht, Kind. Sagen Sie mir, Wo Sie wohnen, daß ich Sie zu den Ihren bringen kann. Sie werden sich zu Tode ängstigen Ihretwegen..." „Um mich ängstigt sich kein Mensch. Ich habe leinen Mekischen auf der Welt und keine Heimat... ich bin ganz allein ..." Trostlos sagte sie es und weinte still vor sich hin. „Sie Armes, Kleines. Wenn ich Ihnen nur helfen könnte! Wollen Sie sich mir nicht anvertrauen, Kind?" „Da gibt es nicht viel zu sagen.«. Ich war immer f» at.cin, ohne Liebe und Zärtlichkeit... immer im Schatten. Und dann habe ich auf einmal alles gefunden: Liebe, Glück, Frohsinn; einen Menschen hab' ich gehabt, der zu mir gehörte. Jetzt ist das alles aus ... er hat mich vergesten ».. jetzt hat alles keinen Sinn mehr ... jetzt kann ich nur sterben .. . Kein Mensc^weint um mich, wenn ich tot bin. Lasten Sie mich doch gehen, lieber Herr, ich bitte Sie.. Rupert Bergmann war erschüttert. Was mußte diese- «rme Menschenkind durchgemacht haben, ehe <S so weit gekommen war? Er mußte versuchen, ihr zu helfen. „Rein, Kind, ich lasse Sie nicht fort. Wenn man so jung ist wie Sie, dann findet man irgendeinen Weg. Dann darf man nicht diesen dunklen Weg gehen, von dem »S kein Zurück mehr gibt." „Für mich gibt es keinen airderen Weg. Mir graut es vor dem Leben. Ich sehne mich nur nach dem Tod." Die Frau sagte es mit ruhiger Entschlossenheit. Man fühlte, daß sie cs ernst meinte. Rupert Bergmann wußte, daß dieses Leben verloren war, wenn er seine Hand davon wegzog. Er durste dieses Geschöpf nicht von sich laste»». „Jetzt hören Sie einmal auf mich, Kind. Sie haben schweres Leid erfahren, das glaube ich Ihnen. Aber Sir sind jung, Sie werden darüber Hinwegkommen. Sie wüsten nicht mehr daran denken, müssen arbeite,«..." „Arbeiten? Ich habe keine Arbeit. Seit Jahren bin ich arbeitslos. Wo soll ich Arbeit finden?" „Was haben Sie für einen Beruf, Kind?" „Ich war Privatsekretärin bei Tiffer und Wirth. Vor drei Jahren wurden wir alle abgebaut. Seitdem bin ich arbeitslos ..." „Und Sie haben gar keine Angehörigen?" „N-cin!" „Und jetzt haben Sie also allen Mut verloren? Wie wäre es nun, wenn ich Ihnen Arbeit geben würde?" Stumpfsinnig sah sie vor sich hin. Es war, als ob si« die Frage des Mannes gar nicht gehört hätte. „Wollen Eie mir nicht antworten, Kind? Wäre «s Ihnen recht, wenn ich Ihnen eine Stellung bieten würde?" „Sie sind gnt — sehr gut — aber ich kann doch nicht mehr leben..." „Weinen Sie nur, Kind! Das ist das Beste!" „Was soll nur aus mir werden? WaS soll nur werden?" „Sie bleiben bei mir, Kindchen! Sie brauchen sich keine Sorgen mehr zu machen. Ich weiß schon, was ich tue. Ich will Ihnen helfen. Sie können Vertrauen zu mir haben. Bollen Sie bei mir bleiben?" „Es ist so schwer — aber ich will es versuche»»...' Rupert Bergmann sagte jetzt gar nichts mehr. Es würde nicht lange dauer»», und daS arme Kind würde ein- fchlafen. Mar, sah eS ihren Augen an. Das gleichmäßig« Geräusch de» Wagens würde das seine tun. Eine Viertelstunde später lag Priska von Wallis in ttefem Schlummer. Rupert Bergmann bettete st» weich und hüllte si« gut »in. Dann wandt« er sich zum Lhauffeur: „Ludwig, wir fahren doch lieber durch bis München. Ach möchte nicht, daß wir die arme Klein« umbetten müssen. Fräulein Gabi wird besser mit ihr umzugehen wissen akS wie Männ«». Ei« fall fo fchu»ll wie möglich unwr ihre Lddnt komuiin." „Fräulein Gabi, schnell, «ine Ueberraschung! Ter Herr Baier ist schon hier, gerade ist das Auto vorgesahren..." Mit einen» Jubelrus sprang Gabriele Bergmann von der Couch auf. Das Buch flog in eine Ecke, im Nu war sie draußen, die Treppe hinunter. Jin nächste»» Augenblick schon lag sie strahlend in den Arme», ihres VaterS. „Paps, daS ist ja fein, daß du schon da bist. Ich hatte dich erst heute abend erwartet." „Ist auch eine Ueberraschung für mich, Gabi. Bin Hals über Kopf hergesahren. Aber ich freue mich, daß ich dich wiederhabe, Gabilein." Er drückte «inen herzhaften Kuß aus den roten Mund seiner Tochter. „Riesig gespannt bi», ich darauf, was dich so früh hierhergetrieben hat, Paps. Bekomme ich das zu wissen?" „Natürlich, Gabi! Ich habe ein kleines Abenteuer er lebt, unterwegs. Schau dorthin — ich habe etwas mit gebracht!" Gabrieles Augen folgten dem ausgestreckten Finger. Di« Augen wurden groß. Dort, am Eingang der Diele, stand eine Fremde, eine junge Frau... Sie stand da, al» ob sie sich nicht in das Haus hineintraute, sah mit leerer^ traurigen Augen vor sich hin. „Wer ist das, Paps? Was hat dar zu bedeuten?" Leise gab der Pater Antwort. „Das ist «in armes Geschöpf, Gabi, das ich geradezu de,n Tode aus den Händen riß. Ich habe sie mit mir ge nommen, sie soll bei uns bleiben. Du wolltest doch immer «ine Gesellschafterin haben, vielleicht, daß es das Richtige ist... Ich glaube, Priska von Wallis wird dir gefallen, Gabi. Sei recht herzlich zu ihr; ich glaube, sie hat sehr viel Kummer erlebt." Im nächsten Augenblick stand Gabi neben der Fremden, faßte sie an der Hand, zog sie herein in die Diele. „Grüß Gott, liebes Fräulein vor, Wallis! Ich freue mich so, daß der Paps Sie mitgebracht hat! DaS wird sein, wenn ich nicht mehr so allein bin, wen», Si« immer bei mir sein werden. Sie gefallen mir. Ich glaube, wir können Freundinnen werden... Kommen Si« mit hinauf! Eicher sind Sie sehr müde.. .* GabAcle wartete kein« Antwort ab, wandte sich zurück zu ihrem Vater, der der Szene mit einem leisen Lächeln zugesehen halt«. „Fräulein von Wallis bekommt das Zimmer neben dem meinen. Ist dir das recht, Paps?" „Ja, Gabi, natürlich ist mir das recht. Und jetzt sorgst du sicher dafür, daß Fräulein von WalliS schnell zur Ruh« kommt." Priska von Wallis hatte alldem fast teilnahmslos zu gehört. Es >var ihr völlig gleichgültig, waS mit ihr ge schah. Plötzlich strich st« sich, wi« besinnend, üb»r die Stirn Wo war sie eigentlich? Ja so! — Da war ja dieser gut« Mann, der sich ihre» angenommen und der sich die ganze Reis« über so väterlick um sie gekümmert halt«. Zweimal hatte er hakten lasten und nicht geruht, bis sie mit auSgestiegen war und etwas Speise und Trank zu sich genommen hatte. Mechanisch war si« seinen Weisungen gefolgt. Er hatte sie nicht mehr aus den Augen gelassen, auS Angst, daß sie sich wieder los- reißen, sich etwas antun würde. Lr braucht« kein« Angst mehr zu haben. Richt einmal dazu hatte sie mehr die Kraft. Sie war völlig gebrochen. Alles war ihr gleichgültig. Ob st« lebte oder starb — das war kein Unterschied. Rur die Menschen sollten st, in Ruhe lasten. Rur schlafen wolle sie, nichts mehr wissen... ES war gut. daß Gabriel« Bergmann keine Antwort von ihr erwartet». Sie hatte sie bei den Händen ergriffen, die Trepp, hiuaufg,zogen. „Dort droben bet mir wird eS Ihnen gefallen! Vater »st unten, in» ersten Stock; wir sind oben ganz ungestört!" Gin« wohlig, Wärm« umfing Gabriel», als sie in das N<Pe Mädchenzimmer traten. Sorgfältig bettet« Gnwrtele thron Gast in einen tiefen Sessel. Ich -ab« der TtzereS schon Bescheid aesagt. Gie richtet