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Der deutsche Künstler war nun einmal sein Schwarm, wic w sich lächelnd ausdrückte. Aber der gute Lord, der sonst sehr geizig sein konnte, wußte schon, was er wollte. Er wußte ganz genau, daß er ein Gemälde erhalten vürde, das später einmal einen ungeheuren Wert darstellte! Darum tat er es! Und — ja, er hatte den deutschen, inter essanten Künstler wirklich sehr gern! * * * Treber in all seinem Glück sah aber doch, daß Reas schöne Augen täglich größer und leuchtender wurden. Nach einer Rücksprache mit Rose kam eines Tages Doktor Gerlach ganz zufällig nach Treberhofen hinaus. Ganz zufällig, wie man Rea versicherte. Und es war auch ein Zufall, daß Rea und der alte Doktor eine halbe Stunde allein zwischen den blühenden Sträuchern saßen, wo an der Mauer Veilchen und Himmelsschlüsselchen blühten. Und der Doktor plauderte munter darauf los. So lebhaft erzählte er, daß Rea gar nicht merkte, wie aufmerksam er sie dabei betrachtete. Und es ergab sich so von selbst, daß Rea ihm einige kleine Wahrnehmungen mitteilte, die sie an sich gemacht und die sie irgendeiner harmlosen Krankheit zuschob. Doktor Gerlach wiegte den Kopf hin und her und lächelte. Wie ost hatte er schon lächeln müssen, wenn es galt, einem Todgeweihten die frohe Zuversicht zu erhalten. Rea Alfen war herzleidend! Höchstes Stadium! Ein Kurort half nicht mehr. Und hier im alten Treberhofen schien sie ja am besten aufgehober Als er Nea bat, sich von ihm untersuchen zu laMi, vielleicht sei es doch nur ein kleines Uebel, das schnell be hoben würde durch richtige Behandlung, da schüttelte Rea müde den Kopf. Und ihr Lächeln schnitt dem alten Manne ins Herz. .Ich werde bald im ewigen Frieden sein, lieber Herr Doktor! Mich kann eine mitleidige Lüge nicht täuschen." »Wie dürfen Sie so sprechen!? Sie sind jung, Fräulein Alsen, und Jugend hat das Recht auf das Leben." Sie schwieg. Jugend hatte das Recht auf das Leben? Warum waren dann Harald Bernkovens schöne Kinder gestorben? Und sie, sie hatte sich doch so oft nach dem ewigen Frieden ge sehnt; für sie besaß der Tod keine Schrecken mehr. Aber eine große, reine Sehnsucht war in ihr! Und diese Sehnsucht rankte sich um Bernkovens kraftvolle Persönlich keit, gipfelte in dem Stolz, ihm noch einmal etwas gewesen zu sein »Ich will mit Harald Bernkoven sprechen! Wollt ihr ihn rufen?" bat sie eines Tages. Und Treber rief telephonisch an. »Wir erwarten dich heute mittag, Bernkoven. Mach' es unter allen Umständen möglich!" »Zu freundlich von euch; doch ich stecke mitten in Reise vorbereitungen. Wußtest du nicht, daß ich Lord Haverdale nach England begleite? Der Aufenthalt dort wird voraus sichtlich mehrere Monate dauern." Treber erschrak. Monate? Dann konnte es zu spät sein. Durch Doktor Gerlach wußte er genau, wie es um Nea Alsen stand. .Bernkoven, eigentlich sollte es eine Ueberraschung sein. Die Dame — du weißt schon, möchte dich sprechen. Sie ist hier." Einen Herzschlag lang war es still; dann sagte Bern koven: .Ich komme!" * * Und Bernkoven kam. Er war erstaunt, daß niemand ihn empfing. Rur der Diener nahm ihm nach einer tiefen Verbeugung seine Sachen ab. .Herr Professor möchte die Güte haben, einstweilen hier einzutreten." Grüne Dämmerung herrschte in dem schönen, großen Raume. Vor den Fenstern hingen Zweige wilden Weines. Goldig sandle die Sonne ihre Strahlen in diese grüne; verträumte Dämmerung. Das schöne, alte Familiensilber der Trebers blitzte auf der Tafel, auf dem Büfett und auf der Anrichte. Gelbe, süß duftende Teerosen verbreiteten ihren matten Duft. Am Fenster rechts lehnte, eine schlanke Gestalt. Rot golden funkelte das Haar in dem neckischen Spiel der Sonnenstrahlen. Bernkoven verneigte sich grüßend. .Sie wollten mich sprechen? — Da bin ich!" Die Dame trug wieder die schwarze Maske, und Bern koven fand es plötzlich herzlich überflüssig, dieses Tragen der Maske. Warum verstellte die Fremde sich auch jetzt noch? Zwei zitternde, schmale Hände lösten den schwarzen Sammel vom Gesicht, und eine Stimme erklang, lieb und vertraut: .Ich wollte dich noch einmal sprechen, Harald Bern koven!" .Rea! Du warst es! Darum verschmolz dein Andenken, das bisher trotz allem mein Heiligtum gewesen, mit der fremden Frau. Wie konnte ich auch nur eine Minute lang an eine Ähnlichkeit glauben? Solch goldenes Haar hast nur du!" Er hielt sie in den Armen, küßte sie wie einst .Reh, ich habe dich wieder! Nun ist alles gut! Reh» wie konntest du so grausam lange schweigen? Warum hast du mich allein gelassen? Warum gingst du damals? Was trieb dich fort? Die letzten Jahre wären nicht in meinem Leben, wenn du mich nicht verlassen hättest, Reh!" Rea senkte den Kopf, flüsterte: .Ich ging, weil ich dich zu sehr liebte, weil es Sünde war, und — weil — dein Kind nicht wissen durfte, wer sei» Vater war!" Bernkoven hob Rea zu sich empor: .Was hast du gesagt, Reh? Sage, daß ich mich geirrt habe! Sage, daß das nicht wahr ist, was du eben gesagt hast, Reh!" rief er außer sich. Die leidvollen Augen des jungen Weibes gaben Ant wort: „Es ist die Wahrheit!" „Reh! Und du warft immer allein! Reh, wie soll ich! das je gutmachen. Und — wo — ist — ?" .Tot! Es hatte so goldige Augen. Ich wußte immer,, daß es nicht lange auf der Welt bleiben würde, mein kleines^ Mädchen." Bernkoven küßte die zarte Frau in wahnsinnigem Schmerz. „Reh! Warum blieb mir nicht wenigstens dieses Kind?" .Dein anderes liebes Kind hatte dasselbe Recht! Der. Herrgott hatte es so bestimmt. Der Mensch hat sich zu sügen", sagte Rea ergeben. Erschüttert hielt er sie fest.. „Du bist so furchtbar blaß, Reh!" „Ich bin restlos glücklich, Harald! Genügt dir das nicht?" Grün senkte sich die Dämmerung auf sie, dichter, wohs liger, und ringsum war tiefste Stille. * » * Der Lord mußte allein abreisen. Harald Bernkoven ver-' tröstete ihn auf später. Vorerst gehörten seine Tage, jede', Stunde gehörte Rea, die mit großen, strahlenden Augen/ in ein besseres Leben binübeoträumte. Sie war Harald Bernkovens Frau! In diesem Glücksbewußtsein schlief sie an elnem kaum» haft schönen Abend hinüber. Nur Harald war bei ihr, hiel, sie in den Armen, küßte sie, von übergroßem Schmerz be» zwungen. „Ich habe dich namenlos geliebt!" Nur ein Flüstern war es noch; dann war es vorüber Und Harald Bernkoven saß da, hielt sie noch immer iy seinen Armen, und durch sein Inneres tzMete die yeri zweifelte Frager .Warum Nimmst du mir alles, Allerbarmer da droben? Warum zeigst du mir nicht Barmherzigkeit und ließest mit Reh?" „Wir haben es ja alle gewußt, Harald! Sei doch nicht gar so verzweifelt! Gönne ihr den Frieden!" sagte Treber, dem selber die Hellen Tränen über das gutmütige Gesicht rannen. Er blickte besorgt in Bernkovens Gesicht, das wie versteinert schien. .Du hast noch etwas — etwas Großes, Heiliges: deine Kunst! Du bist ein Auserwählter!" Mit einem furchtbaren Blick sah Bernkoven ihn an; dann brüllte er auf wie ein todwundes Tier: .Ein Auserwählter? Sage das Wort nicht noch einmal, Treber! Ein Gezeichneter bin ich, denn das Glück zerbrach mir unter den Händen, immer und immer wieder!" Da sagte Treber nichts mehr; aber er ließ den Freund keine Minute allein! * * * Bernkovens Haar war an den Schläfen ergrau?; ein tiefer Schmerz lag auf den schönen Zügen. An einem Herbsttage reiste er nach England. Dort er- stand unter seiner Meisterhand das Bild der Lady Viridis, das bisher in der Ahnengalerie der Haverdales gefehlt hatte. Und der geniale Künstler legte in die sündhaft schönen Züge dieser Frau eine Grausamkeit, die den Be schauer frösteln machte und die dem Bilde den besten Wert verlieh. Die ganze Grausamkeit, die das Leben gegen ihn selbst ausgespien, die hatte er in das reizende Gesicht der lchönen Verbrecherin hineingelegt. VOtt 6LUI uoittseus »i-uUo kmicktvruizer, u»ll» Die Sonne schien warm, und in der Lust lag et« an genehmer Dust von Heu und Siefenmadel«. Auf den Wiesen und Feldern herrschte Hochbetrieb. Von der Terrasse des Hauses, auf der Eva von Hagen saß, konnte man über die mit Blumen überwucherte Brüstung alles gut übersehen. Das WondHaar des jungen Mädchens flimmerte in der Sonne. Die großen, blaue« Augen blick ten ernst und doch freundlich in die Welt. Das feine, gerade Näschen war von einem ganz entzückenden Schnitt, und der Mund, ja der! Herzförmig, mit wunderschönen, kleinen weißen Zähnen, war er sehr gefährlich, wenn er lachte. Es hatte eine Zeit gegeben, da die jungen Herren ringsum bereit gewesen waren, einer de« anderen über den Haufen zu knallen, wenn es etwa eine« von ihnen ge lungen wäre, diesen Mund zu küssen, sich mtt Eva von Hagen zu verloben. Das — war gewesen! Seit die Hagens so arm geworden Ware«, hatte sich alles geändert! Evas Eltern und ihr« andere Tochter, die dunkle, stolze Brigitte, hatten es mit Bitterkeit im Herzen festgestellt, wie wandelbar und treulos die Welt doch ihre Lieblinge verließ, sobald die Armut auftauchte. Mit Gott uud dieser Welt hadernd, hatten die Hagens sich hier auf den kleinen Sitz zurückgezogen, der immer der Witwensttz derselben gewesen war. Auch dursten unverheiratete Töch ter hier wohnen, wenn ihnen aus irgendeinem Grund« der Aufenthalt in dem schönen, großen -errenhause nicht «ehr zusagte. Hier wohnten st« nun, weil dor SrostindustrieL«, der Schloß Hagenh^e für seine« Sohn geprüft hatte, ihnen daL Haus überließ, weil er «s nicht mit i« de« Kauf einschloß. „Das Haus verbleibt de» Hagens, da «S aus der Konkursmasse übrig ist", sagte damals Juftizrat Verner. Und die Hagens hatten sich grvllend auf diese« kleinen Familienfitz zurückgezogen. Ss war ei«« uniaabar« Wertest, die über dem Hause nun lastete. Die Eltern und Brigitte, an vornehmstes, ge- selkschaftliches Leben gewöhn,, ertrugen das jetzige nur schwer. Die einzige, die sich an allem freute, war Eva. Sir liebte die Blumen, die Rehe, die morgens und abends vor aus dem Walde traten und friedlich grasten — sie liebte die Vögel, die fröhlich zwitschernd sich auf die BrüstunL der Terrasse setzten usid ihr zusahen, wenn sie, fleißig arbeitend, dort saß. Eva von Hagen hatte die Heimai, das schöne, alte Herrenhaus drüben gewiß nicht leichten Herzens ausi gegeben; aber sie war doch sehr glücklich, oaß ihnen wenig stens aus dem ganzen Zusammenbruch einstiger Herrlich keit dieses kleine Besitztum verblieben war. Oft blickte sie hinüber, aber noch nie hatte sie den neuen Besitzer oder -seine Familie zu Gesicht bekommen. Unmutig über fick' selbst sah fie dann meist wieder fort. Was gingen sie denn diese neuen Besitzer an? Und überhaupt: es war viel besser, nicht immer rückwärts zu schauen. Vorwärts und tapfer hindurch, das war das beste! Evas schlanke Hände wühlten in dem Korbe, der bis oben hin mit schadhaften Strümpfen angefüllt war. Das junge Mädchen seufzte leise. Diese Arbeiten ruhten auf ihr. Weder die Mutter noch Brigitte kümmerten sich um Hausarbeit. Aber wenn ein mal etwas nicht ganz in Ordnung war, dann vermißten sie es doch recht sehr. Nicht, daß fie mit vollem Willen Eva zum Aschenbuttel erniedrigen wollten — nein, dos wohl «icht, doch sie nahmen es eben als selbstverständlich hin, daß sie allein sich um alles kümmerte. Mama und Brigitte schliefen in der Frühe lange. Papa war zeitig im Garten, goß die Blumen und das Gemüse. Dazwischen kam er ab und zu auf die Terrasse und unter- hielt sich mit seiner Jüngsten. Das heiß': Unierhattung konnte man es kaum nennen. Und wenn, dann war es keine erfreuliche. Er mäkelte dann an diesen! und jen-m, schimpfte auf die Gemeinheit der Welt, wollte wissen, was es am Mittag zu essen gäbe, fragte, ob sie diesmal vom Wirtschaftsgeld etwas erübrigen könne und so weite. Auch jetzt kam er, die lange Pseife im Munde, den schmalen Weg entlang vom Garten aus auf sie zu. „Guten Morgen, Papa", sagte Eva sreundlich über die Brüstung hinweg. „Guten Morgen, Kind. Na, da könnten nur zwei eigentlich Kaffee miteinander hier draußen trinken", sagte Herr von Hagen und kam mit seinem eleganten Schritt schnell die kleine Treppe herauf. „Gewiß, Papa, Christine kann uns den Kaffee sofort bringen", meinte das junge Mädchen und lehnte sich zurück. Herr von Hagen nahm gleichfalls in einem der hohen Weidenseffel Platz. Und gleich darauf — Eva hatte in zwischen geklingelt — brachte die alte, treue Christine auch schon das große Tablett mit Kaffee, Sahne, frischer Butter und Honig nebst knusprigen Semmeln. Herr von Hagen schnupperte wohlgefällig in die Luft. „Mädel, ein Duft ist das heute — ein Duft' Und nun «och dazwischen hinein Christines guter Kaffee! Wirklich, manchmal fühlt man sich sogar in dieser Armut zufrieden." Eva lehnte den blonden Kopf an seinen Arm. „Wenn du das doch immer sein könntest, Papa! Es ist doch so schön und friedlich hier bei uns", sagte sie leise. Es zuck« in seinem Gesicht. Nach einer Weile sagte er: „So sprichst du! Und du bist gerade diejenige, die jetzt das Anrecht auf Leben und Geselligkeit hätte. Du bist ja viel zu jung, um deine Schönheit hier in diesem Winkel zu vergraben." „Um mich sorge dich nicht, Papa, denn ich bin sehr zu frieden. Sieh, es gehört uns ^,er doch alles, und wir baben kW paar Stück Rini r, H'^ner und Tauben. Das alles hilft uns Wetter. Freilich, geschulte Dienerschaft haben wir nicht, aber Christine und Friedrich meinen es doppelt gut, wenn sie auch nicht so gewandt sind wie Jean zum Beispiel oder Mizzie, die Zofe. Ich helfe mir schon allein weiter, ich lasse mich sowieso nicht gern bedienen", sagte Eva und lächelte. Der Vater iah sinnend in ihr reizendes, rosiges Gesicht.