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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 24.07.1929
- Erscheinungsdatum
- 1929-07-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-192907246
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19290724
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19290724
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Riesaer Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1929
-
Monat
1929-07
- Tag 1929-07-24
-
Monat
1929-07
-
Jahr
1929
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 24.07.1929
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lende« «lkohollSmu» tn Deutschland reichlich zu tun -ade«. Den Vorsitz de» Ordens hat zur Zeit der frühere hessische Kultusminister, Professor Dr. Strecker, Berlin. Unter seiner Leitung fand die groß« JubikäumSfeststtzung tn der Magdeburger Stadthalle am Sonntag, den 21. Juli statt. Ein Vertreter des Reichstnnenmintsters, sowie zahlreiche andere Behördenvertreter waren beim voraufgegangenen Begrüßungsabend am Sonnabend, 20. Juli, zugegen. Hier sprach der Vorsitzende über die Kulturbedeutung -eS Ordens im Zusammenhang mit der historischen Bedeutung des Ordens überhaupt. Nicht um romantische Formen spielerei, sondern um ganz moderne religionspsychologische Unterbauung der Fürsorgearbeit soll eS sich nach ihm han deln. Das letzte und wichtigste Motiv für die Arbeit des GuttemplerordenS muß das soziale Verantwortungsgefühl sein. Im allgemeinen wir- von TrinkerrettungSarbett weder im Etnzelfall noch vor -er Oeffentlichkett gern ge sprochen. ES wirkt dabei die etwas altmodische Auffas sung -er Alkoholsucht als Laster und Sünde mit. Die mo derne Wissenschaft sieht aber tn ihr nichts anderes als einen Sonderfall der Giftsuchten, der, wie diese alle, als Krank heit zu behandeln ist. Die moralisch« Verantwortung des einzelnen soll Labei durchaus nicht ausgeschaltet werden, darf aber nicht nur in der negativen Form eines deprimie renden Schuldgefühls herangezogen werden. Man möchte -em Orden guten Erfolg für seine weitere Arbeit wün schen, zugleich aber auch, daß er im Laufe -er Zett doch Mehr nnd mehr überflüssig werden möge. Vermischtes. Branbkatastrophe im Spreewald. Dastdyl- tische Spreewalddorf Byhleguhre bei Straupitz wurde von einem schweren Schadenfeuer heimgcsucht. Das Dorf, in dem erst vor wenigen Wochen, im Mai, ein großer Brand wütete, ist der Schauplatz einer zweiten Katastrophe ge worden. Das Feuer brach in einer Scheune ans und ver breitete sich mit Windeseile im Dorf. Sechs Scheunen und ein Stall sind ein Raub der Flammen geworden. Badeunfalle infolge der Hitze. Die Zahl der in der Schweiz vorgekommcnen Todesfälle durch Er trinken beim Baden ist in den letzten Tagen erschreckend gewachsen. Allein bei dem Kraftwerk Rheinfelden sind, nach einer Blättcrmeldung aus Zurich, nicht weniger als 37 Personen ertrunken. — In Berlin haben sich gestern sechs tödliche Badeunfälle ereignet. Ein mechanisches Z i e hun g s v e r f a h r<? n. Die Probemaschine für ein technisches Ziehungsverfahren bei der Preußisch Süddeutschen Staatslotterie hat sich nicht bewährt. Eine Garantie für eine fehlerfreie Abwicklung des Ziehungsverfahrens hat sich nicht erreichen lassen. Die Geucrallottericdirektion hat daher beschlossen, das bis herige ZiehungSverfahrcn, daS durch scharfe Kontrollmaß nahmen gesichert ist, bestehen zu lassen. Das Opfer eines jugendlichen Schützen. Der zu einer Hvchzeitsfeier nach Schwessow (Kreis Greifen berg in Pommern) gereiste Polizeischüler Wendt von der staatlichen Polizeischule tn Treptow a. Rega wurde im Garten, wo er mit mehreren Bekannten weilte, von einer au» dem Nachbargrundstück abirrend«» Teschingkugel in« Ohr getroffen und auf der Stelle getütet. Der unglückliche Schütze ist der 15 jährige Sohn des Ortslehrers, der mit der Waffe nach Spatzen geschossen hatte. „Karlchen" Micks ick verhaftet. Ein gefähr licher Einbrecher, auf den die Berliner Polizei schon lange fahndete, konnte in der Nacht »um Dienstag endlich ver haftet werden. „Karlchen," wie seine Freunde den 29 Jahve alten Karl Micksick stets nannten, weil er so zierlich und schlank ist, daß er durch die kleinste Lücke im Zaun ent wischen kann, hielt sich in letzter Zeit bei einem Freunde in der Drontheimerstratze auf. DaS hatte die Polizei erfahren und eine ihrer Patrouillen erwischte den eleganten jungen Herrn, gerade als er das HauS verließ. Natürlich war Karlchen sehr entrüstet, und da er einen so vor nehmen Eindruck machte, nahmen die braven Bürger auf der Straße sogar für ihn Partei. Die Kriminalbeamten packten Karlchen rasch in eine Autodroschke und brachten ihn in Sicherheit. Zahllose Einbruchsdiebstähle kommen auf Micksick» Konto. Er begann 1924 mit Silberdiebstählen und hatte sich bann zuletzt auf Pelz- und KonfektionSein- brüche spezialisiert, seine letzte Strafe hat er nicht voll verbüßt. Er hatte sich im Gefängnis eine Verletzung beigebracht, um ins Lazarett zu kommen. Dort besuchten ihn seine Freunde und brachten ihm das für den Aus bruch notwendige Handwerkszeug. In einem Laubenge lände sollte Karlchen inzwischen schon wieder einmal auS- gehoben werden. Damals wurden aber nur seine Kom plicen erwischt, er selbst fand ein Loch, durch welche- er der polizeilichen Postenkette entging. Längere Zett war Micksick der Führer der Einbrecherbande Osterman«, die eben erst in Moabit abgeurteilt worden ist. Er ist übrigens ein elegantes Herrchen. Seine Mußestunden füllte er mit Spazierfahrten im Dogcart mit einem Traberpony aus. Berlins Wasser- und Eisverbrauch Die tropische Sonnenglut der letzten Wochen hat den Wasser verbrauch der Reichshauptstadt ungeheuerlich anwachsen lassen. In der letzten Woche allein wurden täglich 680000 Kubikmeter Wasser, nämlich lm ganzen 4»/« Millionen Kubikmeter, verbraucht. Diese Wassermenge würde ein Bassin füllen, das 168 Meter hoch, ebenso breit und tief ist. Der Eisverbrauch betrug täglich 40000 Zentner. Eine Familie in geistiger Umnachtung er- schossen. Wie dem Journal aus Verviers gemeldet wird hat ein 61 Jahre alter ehemaliger Offizier in einem Anfall geistiger Umnachtung seine Frau, seine beiden Töch ter im Alter von 14 und 16 Jahren und seine beisen Söhne im Alter von 18 und 20 Jahren mit einem Jagdgewehr im Schlafe erschossen. Der Täter soll befürchtet haben, daß auf Antrag seiner Familie seine Internierung in einer Irrenanstalt bevorstehe. 2 französische Militärflugzeuge verun glückt. Gestern haben sich 2 Unfälle mit Militärflug zeugen ereignet. In Reims stürzte ein Apparat des 12. Fliegerregiments aus unbekannter Ursache ab und, da der 300 Liter enthalkenbe ven»1ntm>r Lplädierte, brannte de- Apparat vollkommen nieder. Die beiden Insassen, 2 Unter offiziere, kamen in den Flammen uin. — Ein 2. Apparat des gleichen Regiments ist bei der Landung auf dem Flugplatz von Chalon» auf einen am Boden befindlichen Apparat, den der Pilot bet der Landung nicht bemerkt hatte, aufgestoßen und schlug um. Die 3 Insasse» 2 Unter- offiziere und 1 Soldat, sind mit schweren Verletzungen ins Lazarett gebracht worden. Schwere» Unwetter in der Neumark. — 189 Schafe verbrannt. Bei einem tn der Nacht zum Dienstag auf der Linie Schtviebus—Meseritz—Landsberg a. W. niedergegangenen schwerer Gewitter, da» über «ine Stunde tobte und von starken Regengüssen begleitet war. wurde fast überall, vor allem auf Len Feldern großer Schaden angerichtet. In dem Dorfe Tempel (Neumarh schlug der Blitz in den Schafstall deS Gutsbesitzers Lanskt ein: daS Gebäude, ein mit Stroh gedeckter Fachwerkbau, stand sofort in Hellen Flammen, sodaß eS nicht gelang, die Schafe zu retten und sämtliche 189 Tiere in de» Flammen umkamen. In dem Dorfe Dechsel bei Lands- berg a. W. entwickelte sich während LeS Gewitters ein Wirbelsturm, der mehrere Scheuneu umrtß und von sämd- lichen mit Stroh gedeckten Gebäuden das Dach mttnahm; selbst das mit Ziegeln gedeckte Stationsgebäude des Bahn hofs Dechsel wurde zum größten Teil abgedeckt. Zahl reiche Bäume und Telegraphenstangen wurden umgerissen. Besonders gelitten haben die Getreidefelder, die zum TÄl wie gewalzt auSsehen, da der Sturm die Halme völlig zu Boden gedrückt hat. Waldbrand bei Gohra. — Einsetzung von Reichs wehr und Schupo. Ein am Sonntag bei Gohra au»- aebrochener Waldbrand hatte eine so große Ausdehnung er fahren, daß zur Bekämpfung des Feuers 200 Mann Reichswehr aus Lübben und eine Hundertschaft Schupo auS Kottbus eingesetzt werden mußten. Das Feuer hatte sich hauptsächlich in Richtung Costebrau ausgedehnt. Bis her hat der Brand etwa 800 bis 1000 Morgen Waldbestand vernichtet. Vater und Sohn beim Baden ertrunken. Am Montag abend ertranken in der Sude in der Nähe von Boizenburg der frühere Ortsvorsteher Baedke auS Bahlendorf und sein 16 jähriger Sohn beim Baden. Der Sohn war in eine Untiefe geraten und verschwand vor den Augen seines Vaters, der nunmehr nachsprang, um seinen Lohn zu retten. Da der Vater aber nur wenig schwimmen konnte, fand er ebenfalls den Tod in den Wellen. Seine Leiche konnte geborgen werd«». Festnahme eines Falschmünzerehepaares. Auf dem Schützenplay in Erfurt-Nord wurde ein Falsch münzerehepaar aus Themar verhaftet. Bei ihnen wurden für 350 Mark falsche Zweimarkstücke gefunden. Die in Themar vorgenommene Haussuchung der Wohn- und Ge schäftsräume förderte weitere große Mengen von Roh materialien zur Herstellung falscher Geldstücke und ein« größere Anzahl fertiger Stücke zu Tage, sowie die Gerät« zur Herstellung der Falschstücke. den Schritten trat die Gerufene näher. Stoßendes Schluch zen würgte sie. Ihre Lider flirrten. Ihr Kinn zitterte leicht. Der eingehaltene Atem wollte endlich heraus und drohte die Brust zu sprengen. Aber dies alles war nicht «n die Tote. Die bebende Kinderfurcht, die Aaren Augen der Stief- tchwester möchten sie zu einem Berühren des wächsernen, fremdgewordenen Körpers zwingen... die Vorstellung, auch sie müsse eines Tages auf dieselbe ihr unerklärliche Weise zum Stillstand gebracht — von dannen gejagt — werden, löste ihr allmählich eine Flut von Tränen aus. Ruth von Alvensbrink weinte nicht. Sie war erschrecken blaß, aber vollkommen gefaßt. Alles, was die letzten Jahre durch die Verschiedenheit der Anlagen und damit auch der Ansichten, zwischen der Mutter und ihr aufgetürmt, hatte die Erhabenheit des Todes hinweggeräumt. Das Erd gebundene, das Kind und Gebärerin — über Empfängnis, Geburt und Kindheit hinaus — aneinander kettet, rang sich hier frei und ward zum seelischen Erlebnis, das unsterblich blieb . . . Ganz anders bei Anita. Sie machte, ohne es zu wollen, die tote Mutter für alle Enttäuschungen verantwortlich, die sie jetzt dauernd erlebte — erhob dumpfen, unklaren Vorwurf, weil sie ihr einst das Leben gegeben . . . Ruths Hände legten sich sanft auf die erstarrten. Es sah aus, als wüchsen die beiden leuchtend roten Rosen zwischen ihren Fingern hervor. Sie kniete nieder. Anita hatte aufgehört zu weinen. Ihr Herzschlag Hämmette voll unsagbaren Grauens. Ihr Gehör war unheimlich geschärft. »Vergib, Mutter," sagte Ruth von Alvensbrink leise und demütig, „wir haben uns zuweilen mißverstanden, aber ich habe dich immer sehr lieb gehabt." Anita konnte sich nicht entschließen, gleichfalls niederzu knien. Sie schrie plötzlich wieder schrill auf. „Ich will auch sterben — sterben . . ." „Nimm dich zusammen," befahl Ruth mit ver änderter Stimme und erhob sich. Ging zur Tür und rief die feierlichen Männer herein. Ueber Flure und Treppen, Böden und Gänge reiste nun das, was von Adelheid Krumbholz übriggeblieben war. Und weiter durch den Hinteren Ausgang in die Leichenhalle, um am nächsten Vormittag — von ihren beiden Töchtern be gleitet, nach Berlin übergeführt zu werden. Ruth war an diesem Tage bereits um fünf Uhr aufge- tanden. Anita hatte von ihr ein Schlafmittel bekommen, ank gegen Morgen in einen bleiernen Schlaf und hatte erst zegen neun die Kraft, sich aufzurappeln. Das eilig be- chafste Trauerkleid paßte schlecht. Erst jetzt trat hervor, welchen riesigen Anteil die ausgezeichnete Modistin an dem vorteilhaften Aussehen gehabt. An diesem strahlenden Sommermorgen wirkte sie verkümmert und dürftig. — Als die Gräfin Lüderitz kam, um sich von allem zu unterrichten, erschrak sie bet Anitas Anblick. Das ungepuderte Gesicht mit de» dunklen Ringen unter den heute unheimlich leblos erscheinenden Augen, wirkte nicht nur grau und welk . . . es erinnerte an einen verwischten, abgebrauchten Puppen kopf, der keinerlei Freude zum Spiel mehr erregte. Da« mangelnde Rot zeigte den blassen, aufgeworfenen Mund, wie er tatsächlich war. „Willst du etwa so reisen?", entfuhr es der Gräfin. Gleich darauf erkannte sie das Un gehörige ihrer Frage, das verhalten zu dem doch früher scharf von ihr verurteilten künstlichen Aufputz heraussor- Verte. Ede erschrak «in wenig und begann verlegen zu hüsteln. „Ruth hat »einen Totlettenkasten eingepackt, ich bin rat- os," erwiderte Anita außer sich. „Du wirst natürlich einen sehr dichten Schleier tragen, llnitachen," tröstet« die Gräfin. Anita Krumbholz fühlte, daß ihr iraepdeine unheimliche Neuigkeit bevorstehe. Die kleinen, schnellen Augen der Gräfin Laderitz konnten noch weniger «in Geheimnis MM „Was ist geschehen," fragte sie nervös, „sag's schon her aus." Die Gräfin war »er die Art der Mitteilung in Bevlegen- heit. Aber diese Neuigkeit belastete sie allzu sehr. „Die Schiebefrau, welche die gelähmte Rätin in unserer Pension zum Brunnen fährt, hat's mltgebracht. Sie hilft dem Hauswart in dem vom Fürsten gemieteten Haus. „Was denn, was ist schon wieder?" „Der Diener des Fürsten hat sich gestern abend erhängt. Der Fürst soll außer sich sein. Er war aus gutem Hause, sein Vater fiel im Kriege. Er selbst ging freiwillig als Lungenkranker mit, wollte eigentlich Geschichte studieren, mußte sich dann aber mit dem untergeordneten Posten be- gnügen." Anita Krumbholz war erdfahl geworden, obschon eine ungeheure Last von ihr abfiel „Wer tot ist, kann weder verraten noch rächen," dachte sie mit einem Seufzer der Erlösung. „Woher will die Schiebefrau dies alles wissen," fragt« sie gleich darauf und fürchtete fast, daß es nur müßiger Klatsch sein könnte. „Der Fürst hat dies selbst im ersten Schrecken zu dem Hauswart, der die Leiche auffand, gesagt. Durchaus ver ständlich. Er hab« ihn bisher als einen prachtvoll zuver- lässigen Menschen geschätzt, dem er unbedingt vertraute. Es wäre um eine üble Weibergeschichte gekommen . . ." „Und . . . das . . . Weib? Wußte die Schiebefrau nicht ihren Namen?" „Nein, bestimmt ein gewissenloses Kammerkätzchen, das hier während der Kur der Herrin zuviel freie Zeit hatte." „Sicher, sogar totsicher," bestätigte Anita, langsam kehrte in ihr fahles Gesicht die Farbe des Lebens zurück. Man ahnte also nicht, daß sie es gewesen. Und würde auch in Zukunft nichts davon aufdecken. Wenn nur die Gräfin Lüderitz mit ihnen zusammen nach Berlin zurück kehren möchte. „Mir ist -- nur zu dir gesagt — die ganze Geschichte mit dem Fürsten etwas peinlich," tuschelte sie jetzt Anita zu. „Ich hatte vorgestern nämlich Gelegenheit, mit ihm im Lese saal zu sprechen. Auch von dir. Ich lobte dich, ganz gegen meine sonstigen Gepflogenheiten. Unangenehm, wenn ich ihn nun wiedersehe. Am liebsten begleitete ich euch. Denn zur Beisetzung käme ich doch nach Berlin." „Ich habe nicht gewagt, dich darum zu bitten, Tante Gräfin. Jetzt tu ich's. Komm mit uns, bitte, bitte." Es klang ehrlich. „Du hast es dir also wirklich gewünscht," fragte die Grä fin gerührt. „Glühend sogar." Was kam es auf eine Lüge mehr oder weniger an? „Wende nicht noch ein, daß du zuvor deiner alten Louise telegraphieren müßtest. Du bleibst einstweilen bei uns. Vertrittst die Mutter/ Das würde ihrer Gesundheit und ihrem Geldbeutel nicht unangenehm sein. „Du mußt doch aber einen besonderen Grund haben, Kindchen," wehrte sie sich der Form halber. „Den habe ich auch, Tantchen. Aber ich schäme mich vor Ruth; ihn einzugestehen. Ich graue mich sogar vor unserm großen Haus in Berlin. Du weißt, meine Zimmer liegen abseits. Ruth wohnt im Obergeschoß, um bei ihrem zei tigen Fortgehen nicht zu stören. Papas Räume liegen im linken Seitenflügel. Bis dahin war wenigstens Muschis An kleidezimmer für mich in erreichbarer Nähe., Lach' mich nicht aus ... Hilf mir lieber." „Aber. . . wird es Ruth denn auch angenehm sein und vor allen Dingen ... deinem Vater." „Sie werden sich bestimmt freuen, wenn du in der ersten Zeit alles dirigierst. — Ruth wird doch nicht plötzlich von ihrem Beruf abirren und hauswirtschaftliche Talente zeigen wollen. Nein . . . nein. Ruth ist diese Lösung der aller ersten, unbehaglichen Zeit genau so willkommen wie Papa, der Geräuschlosigkeit in der häuslichen Ordnung geradezu verlangt." Ruth von Alvensbrink hatte wirklich nicht das Geringste gegen die Begleitung der Gräfin Lüderitz einzuwenden. Anitas sprunghaftes Wesen beunruhigte sie ohnedies. Vor der Gräfin würde sie sich weniger gehen lasten. Und dann war es auch gut um Kersts willen. . . wenn in dieser Zett ^mand zugegen war, damit er sich erst wieder an Anita ge wöhne. Denn sie hatte, ohne daß ein Wort darüber verlautet wäre, deutlich sein verhaltenes Grauen vor Anitas Heimkehr gefühlt. Als Ruth von Alvensbrink dies feststellte, legte sie beide Hände fest aufs Herz und dachte, von der eigenen Unsicher» hett erneut gequält: „Was soll nur daraus werden?" 12. Seitdem Ruth von Alvensbrinks Telegramme aus Wies baden eingetroffen waren, zeigte Jürgen von Kerst eine Ruhe, die, mit Rücksicht auf diesen unerwartet eingetretenen Tod, schließlich auch P. A. Krumbholz auffallen müßte, ob schon der in der letzten Zett auffallend Gealterte sich durch diese Kurve, welche sein Lebe» damit »ahm, aus der alle« Bahn geschleudert fühlte. Bisher hatte der Kaufherr auch nicht einen Tag vergesse» können, daß er der Schuldner seiner Frau bleibe — mochten immerhin deren eigene, sowie die Ansprüche ihrer gemein samen Tochter Anita an sein Kreditkonto noch so hohe, ja bisweilen ungeheuerliche, gewesen sein. Zur Zett der Eingehung seiner Ehe mit Frau Adelheid hatte noch deren Mutter gelebt. Diese — eine geborene Gräfin Kritzig — machte aus ihrem Entsetzen über de» Mißgriff ihrer immer noch schönen Tochter kein Hehl . . . wobei sie ehrlich genug war, zu betonen, daß sie lediglich oer Mitgenuß feines schon damals recht erheblichen Ver mögens einigermaßen versöhnlich stimmen könne. Daß sie P. A. Krumbholz endlich bet ihrem einmal in der Woche stattfindenden Jours duldete und ihn damit als zu ihrer Familie gehörig präsentierte, hatte ihn schweres Geld gekostet, für das er jedoch niemals ein Wort des Dankes, geschweige denn eine Tat der Dankbarkeit genoß. Di« sich ferner daran als eine Selbstverständlichkeit knüpfende Sanierung ihres einzigen, durch Spiel und Trunk in jeder Beziehung heruntergekommenen Bruders hob sogar seine Bilanz für kurze Zeit aus dem Sattel. Glücklicherweise er lag der Sanierte einem Herzleiden, noch ehe er weiteres Unheil in P. A. Krumbholz' Finanzen anrichten hätte können. — Krumbholz aber hatte trotzdem noch erheb liche Zeit weiter zu sanieren. Frau Adelheid, die an das kleine, vom Vormundschaftsgericht für ihre Tochter Ruth gesicherte väterliche Erbteil nicht herankam, wollte natürlich vor Ablegung ihres allen, feudalen Namens mit sämtlichen Schulden aufräumen.' Was sie an Möbeln und Kleidung besaß, war zudem tn hohem Maße erjatzbedürstig. So be zifferte sich schließlich die Summe, durch die sich P. A. Krumbholz Eingang und Sitz in Frau Adelheids freilich sehr gute Kreise erkaufte, ziemlich hoch. Sein zähes Streben nach einem gewissen blendenden Relief außerhalb seiner Firma, war damit erfüllt — dem brennenden Ehrgeiz, sich selbst das tiefe wirtschaftliche Niveau seiner Geburt und das nicht minder tiefe, durch ihn ganz allein verschuldete, sittliche seiner Jugend, vergessen zu machen — Genüge getan. Nicht aber die übernommene Gegenleistung. Sich außerhalb des Hauses für die mannig fachen, bitteren Enttäuschungen tn seiner Che zu entschä digen, kam ihm nicht in den Sinn. Galanten Abenteuern war er durchaus abgeneigt. Das frühere, ein Jahrzehnt währende Verhältnis mtt dem einfachen, frischen Landkind — einer Kätnertochter — hatte sich aus gesunder und natür licher Sinnlichkeit zusammengesetzt. Auch hier hatte er sich nach der Ehe entsprechend losgekauft, durch eine seither regelmäßig gezahlte Monatsrente, der die Beschaffung einer kleine» Wohnung im Osten Berlins für die einstige Geliebte vorausging Daß er das Mädchen zur Ueberfledelung nach Bersin bestimmte, hatte seinen guten Grund. Fortsetzung folgtz
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