Suche löschen...
Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 15.09.1927
- Erscheinungsdatum
- 1927-09-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-192709154
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19270915
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19270915
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Riesaer Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1927
-
Monat
1927-09
- Tag 1927-09-15
-
Monat
1927-09
-
Jahr
1927
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 15.09.1927
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
I? «1« «. »e»I««r zv» Mrseer r„eN«tt. ro««erSt„, IS. eetztenver l»S7, «denis. 8». Jehr,. Ein»«»« de» vnnde» Dentscher Frenenveeetne. VK. Der Bund Deutscher Frauenveretn«, -em 77 Ber- bände mit rund 1 Million Mitgliedern angehüren. hat an die zuständigen Ministerien Ser Sünder eine Eingabe ar- richtet, in der er für di« zu ermartenden AusführungSbe- sttmmungen zu de« a« 1. Oktober d. I». in »rast tretenden Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten bestimmte Forderungen erhebt. Die Forderungen richten sich vor nehmlich auf -en Ausbau und die Einrichtung von Pslege- ümtern für die unter La» Gesetz fallenden Mädchen und Frauen und auf die entsprechenden Aufgaben der Polizei. Gleichzeitig bezeichnet der Bund Deutscher Frauen verein« in einer besonderen Kundgebung die Mitarbeit der Fvau im Kampf« gegen bte Geschlechtskrankheiten wie folgt: An den Städte«, in Lenen sich Kasernierung befindet, mutz schon jetzt Mr eine Unterkunft der Mädchen gesorgt werden, damit sie nicht am 1. Oktober ratlos und obdachlos auf der Straße stehen. GS mutz darauf gedrungen werden, bah von jetzt ab keine Mädchen mehr unter polizeiliche Aufsicht ge stellt werden und dab die Entlassung daraus erleichtert wird. Der Entlassenen mutz sich die amtliche und die freie Gefähr- detenfttrsorg« annehmen, um ihnen die Rückkehr ins bürger liche Leben zu erleichtern. Zum Schluffe dieser Kundgebung heitzt eö: Das Gesetz bringt den Frauen so erhebliche Fortschritte auf sittlichem Gebiete, dab es eine Ehrenpflicht der Frauenvereinc sein mutz, alle Kraft und allen Einflutz daranzusetzcu, datz diese Reformen auch tatsächlich in di« Praxis umgesetzt werden, damit unser Geschlecht von den unwürdigen Fesseln der doppelten Moral befreit wird, durch die so lange der sittliche Aufstieg gehemmt wurde. Für diese vom Bund Deutscher Frauenvereine aufge- rufenc Mitarbeit der Frau ist eine eigc. BundeSkommis- sion gebildet worden, deren Vorsitzende ,,rau Anna Papp ritz, Berlin-Steglitz, Mommsenstr. 23, ist. zm Mein MMeit. Zu dem Vorgehen einer Anzahl katholischer Wenden ge gen den bischöflichen Stuhl wegen der Berufung eines deut schen Pfarrers an die Bautzener Liebfrauenkirche schreibt das Organ der sächsischen Katholiken, die „Sächsische Volks leitung", u. a.: Schon vor Gründung des Bautzener Domkapitels durch Bischof Bruno II. von Meißen bestand am Bautzener Dom eine Seelsorge. Diese wurde später ausgebaut und vervoll ständigt. Au der Liebfrauenkirche bestanden seit alterSher Seelsorgepsrünben für die niedere Domgeistlichkeit. Ein Pfarramt war. wie aus zahlreichen historischen Aufsätzen hervorgeht lvgl. Semank: Geschichte der Liebfrauenkirche zu Bautzens, an dieser Kirche nicht errichtet. Aus der seelsorge rischen Betätigung der an dieser Kirche angestcllten Geist lichen schloß man vielfach auf ein an dieser Kirche schon be stehendes Pfarramt, was sich jedoch bei Durchforschung der diesbezüglichen Urkunden als ein Irrtum herausgcstellt hat. Rach dem katholischen Kirchenrccht können pfarramtlichc Vollmachten auch nicht durch Gewohnheitsrecht erworben werden. Es mußte darum in die bestehenden pfarrlichen Rechtsverhältnisse der Stadt Bautzen Klarheit gebracht wer ¬ de«. Dt«S g«schah durch Neuumgrenzung der Dompsarret und Zuweisung «ine» seelsorgltche« Sprengel» an die Lieb- frauenpsarret. Bei d«r Besetzung btese» neuen Seelsorge, amte» mutzte auf den klare» Wortlaut de» GtiftSbriefe» Rücksicht genommen werden. Darin findet sich die Bestim mung. daß. wenn d«r erstlich« Geistlich« dieser Kirche rin Deutscher ist. der die wendische Sprache nicht beherrscht, ihm «in wendischer Vikar beigegeben werde. Dies« Neuordnung war bereit» bet der Diözesansynobe zu Marienstern 1023 fest bestimmt und »um Vollzüge vorbereitet. Solche Kundgebungen einer »gewissen nationalen Split tergruppe", wie eine jüngst in Crostwitz erfolgte, sind nicht neu. Sie datieren vielmehr Jahrzehnte zurück, und ihre Anfänge liegen weit vor dem historischen Zeitpunkt der Wie dererrichtung des neuen BiStumS. Auch sind die Motive der selben nicht religiöser, sondern nationaler Art, möglicher weise auch in der persönlichen Eigenart einzelner begründet. Btschos Dr. Christian,Schreiber ist weder der erste, noch der einzige Träger de» vtschöslichen Amte» in Sachsen, der deutschem Blute entsprossen ist. Allgemein erinnert man sich noch in tteser Dankbarkeit an das Wirken edler und ge bildeter Wenden, die das Bischofsamt in Sachsen innehatten. ES ist uns zuverlässig bekannt, daß der verstorbene Dom dekan Prälat Scala bei der erstmaligen Besetzung des Meißner BischofsstuhlcS wegen seines hohen Alter» niemals in Betracht kommen konnte. Hierbei entschied weder seine Abstammung aus wendischem Blut«, noch auch persönliche Einflüsse, wie man vermuten zu müssen glaubte. .... Bischof Dr. Schreiber wurde durch die freie Ent schließung des Heiligen Vaters Papst Benedikt XV. für den sächsischen Bischofssitz ernannt.... Ein« Kandidatur für den neuen Bischofssitz war durch die kirchlichen Bestimmun gen vollkommen ausgeschlossen. Ein Anrecht auf die Nach folge in der höchsten geistlich-katholischen Würde Sachsens gab es niemals und wurde auch nach dem Tode des letzten Apostolischen Vikars, Bischofs Dr. Locbmann, niemandem zugestanden. Das Prager Seminar wurde in seiner letzten Zeit von «in«m Wenden geleitet. Seine Berichte über den hohen Schuldenstand dieses Instituts und üb«r die trostlosen Ver hältnisse an den Prager Bildungsanstalten sind auch weiteren Kreisen bekannt geworden. Tie Aufhebung dieses Seminars ist — auch das sollte nicht unbekannt sein — von einer wen dischen Mehrheit im damaligen DomkapitelauSschutz be schlossen und der Verkauf des Haus«s an den böhmischen LandesfonbS in Prag von einem Wenden durchgesührt wor den. Hierbei waren also deutsche Einflüsse ausgeschaltet. Daß eine Absicht bestanden hatte, verdiente wendische Geistliche aus der höheren kirchlichen Verwaltung zu ver drängen, müssen wir füglich bezweifeln. Tie Zusammen fassung zweier kirchlicher Gebiete zu einer geschlossenen Ein heit konnte natürlicherweise überholte Verhältnisse nicht be stehen lassen und mußte auch Ansprüche natürlicher Art. so weit sie auf kirchlichem Gebiete in Betracht kommen durften, mit der Bolkszahl in Einklang bringen. Das Blatt bemerkt zum Schlüsse: Einen „Kirchcnslrcit in der Lausitz" gibt cs somit unter Katholiken nicht. Auch die kleine Splittergruppe der gegen den Bischof Stellung nehmenden Wenden kann keine Berechtigung für sich in An spruch nehmen, im Namen der katholischen Wenden unserer Lausitz zu spreche». Es ist uns sehr gut bekannt, baß der I größere Teil unserer guten und kirchentrcuen wendischen Bevölkerung über dieses Vorgehen einzelner gelegentlicher I Wortführer sehr erbittert tft. Wir glauben auch, daß der gesunde Sinn de» wendischen Bolles solche Auswüchse bald zurllckdännnen wirb. Der angerufenen Entscheidung höherer kirchlicher Instanzen sxben wir mit Interesse entgegen. ——- Ak silMkeit der MMMermg. vd». Berlin. In einer längeren statistischen Dar legung beschäftigt sich da» Statistische RcichSamt mit der Wirksamkeit der Unfallversicherung, wobei di« Zahlen aus dem Jahre 19SS zugrunde gelegt werden Zur Durchführung der retchsgesctzlicheu Unsallvcrsichc rung bestanden im Berichtsjahr M gewerbliche BcrusSge uossenschasten mit 1t Zweigstellen und 26k Sektionen, 4'. land- und forstwirtschaftliche Bernssgenosscnschasteu. 162 staatliche und 365 gemeindliche AussührungSbehörden. Tie gewerbliche Unfallversicherung umfaßte K37 695 Betriebe, was sogar 1913, trotz des damaligen größeren Gebietsumsangcs, nicht erreicht worden war. Durchschnittlich waren 1OK54OK3 Personen versichert oder 2 Prozent mehr als 1013. Jur die landwirtschaftlichen Berufsgcnosienschaftcn lassen sich genaue Zahlen nicht angeben. Bon den Vcrsicherungsträgern wur den insgesamt 4 601 913 Betriebe mit 14 216 773 Versicherten »achgcwicsen. In den Reichs, Staats- und gemeindlichen AussührungSbehörden waren durchschnittlich KK0 19I Pcrso nen versichert, das sind 191 000 weniger als 1913. Somn um saßt die Unfallversicherung, wenn man die etwa 3 Millionen gleichzeitig in gemcrbliäwn und landwirtschaftlichen Bctrie bcn Beschäftigten und Versicherten unr einmal zählt, rund 23 Millionen Versicherte. Bon den insgesamt 107 517 Unfällen, die im Berichts jahre zum erstenmal entschädigt wurden, entfielen auf di: gewerblichen Berufsgenosscnschastcn 52,7 Prozent, ans die landwirtschaftlichen 12,3 Prozent und aus die Ausiührungs behörden 4,4 Prozent. Gegenüber 1913 bleiben diese Zahlen erheblich zurück. Ter Anteil der Jugendlichen und Frauen an der (Gesamtzahl der Verletzten war entsprechend der Zu sammensetzung der Arbeiterschaft bei den landwirtschaftlichen Berussgcnossenschaften am größten. Tic Folgen der Ver letzungen waren verhältnismäßig günstiger als im Jahre 1921. 7F gegen KL Prozent aller erstmalig entschädigten Nn- sälle hatten im Berichtsjahre einen tödlichen Ausgang. 1,1 gegen 1,2 Prozent hatten völlige Erwerbsunfähigkeit zur Folge. Zu Beginn des Jahres betrug der Bestand an Ver letzten, für die Entschädigungen zu zahlen waren. 763 946, Zusammen mit den 197 517 im Berichtsjahre neu hinzuge kommenen Fällen wurden demnach insgesamt KN 463 Nn. fälle gegen 76K196 im Jahre 1924 und 1019 495 im Jahr 1913 entschädigt. Unter den Ursachen der Uniälle, sür die im Berichtsjahre erstmalig Entschädigungen bezahlt wurden, steht mit 19,7 Prozent aller Unfälle nn der Spitze der „Fall von Leiter Treppen uiw., aus Lucken «sw., in Vertiefungen aus ebenem Ver lckar« Heut evtbedrt Veriuck e» mel aut Fterkenr»/««! - <u« beete lUllewvUcii - Leite. — Uebernll ra kabeo. Ererbte Schmach. Spannender Roman von R. Ortmaun. 17. Fortsetzung. Nachdruck verboten. Ter Knecht warf aus seinen kleinen, tückischen Augen einen lauernden Blick nach der regungslosen Johanna hinüber. „Wir müssen es eben nicht abivarten, daß er wieder- kommt," sagte er langsam, „und wir müssen ihm den Mund stopfen — so oder so." Krampe stierte ihn blöde und verständnislos an. „Den — Mund — stopfen?" wiederholte er. „Wahr haftig, eine sehr leichte Sache, wenn er da draußen ist und wir hier drinnen!" „Meinst Du, das; ich hierhergekommen bin, um ewig da unten zu bleiben? Ich hätte cs auch wohl fertig gebracht, mich bis nach Hamburg durchzuschlagen, und da hätte ich bei meinem Vetter, der am grünen Sood eine Herberge hält, sicherlich ein besseres Unterkommen gesunden, als hier bei euch. Ick sage Dir, der Mann weiß, wo Bartel den Most holt, uno mehr als einmal hat er mir geschrieben, ich solle nur kommen, denn er hätte immer allerlei kleine Geschäftchen an der Hand, bei denen für einen tapferen Kerl ein schönes Stück Geld zu verdienen wäre." „Tein Vetter — ist das der, der schon zweimal im. Zuchthaus gewesen ist?" klang die Stimme Johannas aus ihrem Winkel herüber. „Und wenn er's wäre?" gab Weltzien zurück. „Ich meine. Du hättest darum keinen Grund, Dich der Verwandtschaft zu schämen, denn Du stehst ja an Deinem eigenen Vater, wie leicht es heutzutage für einen armen Teufel ist, in» Zuchthaus zu kommen!" Das Mädchen schwieg und starrte wieder zu dem ge schwärzten Sparrwerk der Decke empor. Krampes Augen aber hatten bei dem Klange des Wörtchens „Geld" begehrlich aufae- leuchtet. Er rückte näher an seinen künftigen Schwiegersohn heran und legte ihm freundschaftlich die Hand aus das Knie. „Ein schönes Stück Geld?" fragte er, seine heisere Stimme zum Flüstern dämpfend. „Und so 'was hat er immer an der Hand?" „Immer! Denn er ist ein tüchtiger Kerl und der Ver trauensmann für alle, die in seiner Herberge verkehren! Ich sage Dir, Krampe, in einer einzigen Nacht ist da so viel zu verdienen, daß wir all« nach Amerika gehen und uns ein Gut kaufen können, zweimal so groß als Rambow. Denn da drüben wird ja das Land noch beinahe verschenkt." Der Arbeiter schluckte, al» überkäme ihn plötzlich eine gewaltige Rührung. „Zweimal — so groß — als — Rambow! Und ich könnte da als ein freier Mann leben? Als ein freier und ehrlicher Mann? — Abgemacht, Jochen, wir gehen nach Hamburg! Und Dein Vetter, er soll leben!" Seine Hand tastete nach der Branntweinflasche; aber dann erinnerte er sich, daß sie nicht mehr vorhanden sei und mit einem tiefen Seufzer der Enttäuschung ließ er das Kinn auf die Brust sinken. Verdrießlich schüttelte Weltzien den Kopf. „Nur sachte!" brummte er. „Erst mußt Du gehörig nüchtern sein, ehej wir darüber reden können. Und erst muß ich meine Rechnung beglichen haben mit einem gewissen Jemand da oben auf dem Schlosse!" „Was kannst Du ihm denn antun?' fragte Johanna wieder, und diesmal mit unverhohlener Verachtung. „Er läßt ! Dich in den Schuppen sperren, wie das erste Mal, oder er j «ackt r» «L,h kürzer, uno schlägt Dich einfach nieder." t Weltziens Hand zuckte' unwillkürlich nach der eisernen Brechstange, und sein brutales Gesicht färbte sich dunkel bis an die Wurzeln der roten Haare hinauf. „Er wird weder das eme tun noch das andere, sage ich Dir, Mädchen! Diesmal kommt er mir nicht lebendig davon, wenn ich ihn erst gepackt habe! Aber vielleicht hast Tu Sorge um ihn! Vielleicht möchtest Du hiugehen, ihn vor mir zu warnen." „Nein! Mir ist alles gleichgültig! Tu was Tu willst! Ich wollte, ich könnte hier sitzen bleiben und sterben!" „Verwünschtes Geschwätze!" fuhr Krampe auS dem dumpfen Hinbrüten auf, in welches er während der letzten Sekunden versunken war. „Was redest Tu mir von Deinem Zuchthaus-Vetter in Hamburg und von dem großen Gut in Amerika, wenn wir dock nicht hingehen können! Und ein Schuft bin ich, daß ich daran nicht gleich gedacht habe." „Warum können wir denn nicht hingchen, wenn es so weit ist? Wird cs Dir so schwer. Dich von Deinem Ratten loch zu trennen?" „Willst Tu die kranke Christine etwa aus dem Rücken forttragen? Schwuchkopf Tu — an so etwas nicht zu denken!" „Natürlich habe ich daran gedacht! Und da wir sie nicht wegbringen können, müssen wir sie eben hier lassen. Sie hat ja eine so vornehme Beschützerin." „Was, ich sollte von meinem kranken Kinde gehen, sollte es hier im Stich lassen?" Ihre Unterhaltung drohte abermals in einen heftigen Streit auszuarten; aber Johanna kam in ihrer gleichgültig ge ringschätzigen Weise einer Erwiderung ihres Verlobten zuvor. „Ihr braucht deshalb nicht schon wieder aneinander zu geraten," sagte sie, „denn ich meine, oie Sache ist einfach genug. Du kannst mit Jochen ruhig nach Hamburg und nach Amerika gehen, Vater. ES wird der Christine an nichts schien, so lange ich bei ihr bin." Krampe verstand nicht sogleich, waS ihre Worte bedeu teten; Weltzien aber gab ihr höhnisch zurück: „Du möchtest also hier bleiben, möchtest mir den Laufpaß geben, nachdem ich mich Deinetwegen zugrunde gerichtet habe? Hoffst vielleicht gar im stillen, daß ich mit dem Oberverwalter nicht Ernst machen werde, und daß ein kreuzfideles Leben anfangen wird, wenn Du mich und den Alten nur erst los bist? Aber mit der Rechnung ist eS nichts, mein Schätzchen! Sie ist falsch, gründlich falsch, sage ich Dir, und Du könntest mich da leicht von einer ganz neuen Seite kennen lernen." „O, ich kenne Dich schon gut genug. Und meinetwegen magst Du tun, was Du willst. Ich werde mit Dir so wenig nach Hamburg, als nach Amerika gehen!" Der Knecht war aufgestanden und dicht vor sie hingc- treten. Er nagte vor Wut an der Unterlippe und seine Stimme klang heiser: „Ich sag Dir'» im guten, Mädel, bring mich nicht auf mit solchem Gerede! Wem zuliebe bin ich hierher zurückgekehrt und habe mir die Last mit dem Alten da aufgebürdet — wie? Glaubst Du, ich würde mich auch nur einen Augenblick um ihn kümmern, wenn es nicht Deinet wegen wäre?" „Aber ich weiß Dir keinen Dank dafür! Siehst Du denn nicht, daß mir die» alles unerträglich zuwider ist?" Weltzien ballte die Faust, als wenn er sie schlagen wollte; aber er besann sich eines anderen und kehrte ihr, ohne ein Wort zu sprechen, aber mit einem Lachen, das wahrlich nichts gutes bedeuten konnte, den Rücken. Johanna zog das wollene Tuch, in das sie sich eingehüllt hatte, fester um die Schultern, und erhob sich von ihrem Schemel. „Ich gehe zu Christine" sagte sie, gegen ihren Vater gewenvet. '.Für' diese Nacht werdet ihr mich ja hoffentlich nicht mehr brauchen." Ohne ihrem Bräutigam einen Gruß oder einen Blick zu gönnen, verließ Johanna das Zimmer. Weltzien aber trat an Krampes Seite und rüttelte ihn derb an der Schulter. „Es ist etwas nicht in Ordnung mit dem Mädel! Ich sage Dir, Krampe, sie wird uns verraten!" Der Arbeiter fuhr in die Höhe, als hätte man ihm einen Peitschenschlag versetzt. „Ich werde sie tolschlagen," brüllte er „ich werde sie —" Er wollte dem Mädchen nacheilen, doch Weltzien hielt ihn mit eisernem Griff zurück. „Nicht von der Stelle! Und gib Dir endlich einmal Mühe, Deine fünf Sinne zusammen zu nehmen, so gut Du es noch kannst. Wenn Du sie schlägst, geht sie vielleicht noch in derselben Stunde lffn, uns anzugcben. So lange wir hier unter diesem verwünschten Dache sind, hat sie uns ja in der Gewalt, nicht wir sie, und darum müssen wir sie behandeln wie ein rohes Ei. Wir dürfen ihr nicht einmal ernstlich zeigen, daß wir Mißtrauen gegen sic haben; aber wir müssen sie unter Aufsicht stellen. Haft Du mich verstanden, Krampe? Unter beständige Aufsicht."' „Ja, unter beständige Aufsicht!" wiederholte der Berauschte, ihn mtt leerem Blick anglotzend. „Sie darf nicht mit der Kranken allein bleiben, und ich weiß auch, wen wir in das Haus nehmen müssen — meine Mutter! Tie ist die Person dazu, sie im Zaum zuhalten und ihr den Trotzkopf zurecktzüsetzen." Krampe schüttelte sich, als hätte man ihm kaltes Wasser über den Kopf gegossen. „Deine Mutter — den alten Drachen? Jochem, mein Junge, mir wird grün und gelb vor den Augen —" „Das macht nickt»! Ich hab' eS lange genug überlegt; eS geht nicht anders!" „Na, wenn eS nicht anders geht — meinetwegen. Aber Du mußt die Verantwortung übernehmen!" „Natürlich! Ich weiß schon, was ich tue! Ich werde ihr morgen früh einen Zettel schreiben, und den muß Johanna nach Malchow schicken. Wie ich meine Alte kenne, ist sie dann schon am Mittag hier." Krampe nickte stumm und versank aufs neue in sein stumpfes tzinbrüten. Aber von Zeit zu Zeit murmelte er abgerissene Worte, welche verrieten, daß Jochens Vetter in Hamburg und das große Gut in Amerika siine schwerfälligen Gedanken noch immer ausschließlich beschäftigten. Weltzien war noch einmal hinausgcgangen und hatte sich unter Aufbietung aller erdenklichen Vorsicht davon überzeugt, daß in der Nähe des Hauses alles ruhig und eine unliebsame Ucberraschung nicht mehr zu fürchten war. Als er zurückkehrte, blies er ohne Umstände dem anderen die Lampe vot der Nase aus und warf sich neben dem Küchenherd auf die kahlen Steinfließen nieder. Seine tiefen Atemzüge verkündeten bald, daß er in einen so ruhigen Schlummer gesunken sei, wie ihn nach dem alten Sprichwort nur ein reines Gewissen zu gewähren vermag. Auch Krampe legte endlich seine Arme auf den Tischrand und ließ sein schweres Haupt darauf nicdersinken. Niemand wachte mehr, als Johanna, die mit brennende:', Augen neben dem Lager, ihrer tolkrauken Schwester saß. IS. Kapitel. Schon in den ersten Vormittagsstunden dcS folgenden Tages begann der Zuzug der Gäste, die von den benachbarten Gütern nach Rambow kamen, um auf die Einladung des Schloßhrrrn an der Geburtstagsfeier der Komtesse Julia teil«
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)