Volltext Seite (XML)
Peter Hasnr.« Da Lallt sich drüben in der dunkle« Lcke da» grauen hafte Verhängnis. Niemand hört, wie die Sicherungen zurückschnappen, niemand steht, wie sich die Mündungen der Revolver auf die vier Manner unter der Laterne ^"schütteln sich die Hände, sprechen miteinander .,. ein letztes Lachen flattert noch über die Straße.. . . und dann peitschen die Angeln durch die Nacht... Die Mörder rennen in die dunkle Straße hinein. Ueberweite Hosen flattern um ihre Beine, Hosen, wie sie die RowdieS auf den Rummelplätzen tragen. Sie laufen geduckt, die Schultern verzogen wie Hyänen. Einer von den vieren läuft hinter ihnen her, quer über den Fahrdamm, zwanzig, dreißig Schritte . . . taumelt... steht... die Mörder halten an ... kommen zurück, wenige Meter nur . . . reißen die Pistolen hoch . . . feuern noch einmal . . . Fetzt fliegt die Tür des Lokals auf, knallt gegen die Mauer. Als die SA.-Männer herauslpringen. bricht ein Licht- ström auf die Straße. Gleich darauf verlischt er, der Wirt hat die Lampen anSgcdrcht. Immer wieder feuern die Mörder auf ihre Ver folger. Kurz und spitz springen die Mündungsfeuer aus dem Dunkel heraus. Ein schwacher Hilferuf . . . ein Aufschrei . .. jagende Schatten .. Einer stöhnt und preßt den linken Arm zwischen die Knie. Ein anderer liegt am Boden, die Mütze herunter gerissen, blondes Haar, blutverklebt: unter seinem Kör per sammelt sich eine dunkle Lache. Und da noch einer, Len Oberkörper halb aufaericktet, den Kopf in den Nacken zurückgeworfen. Der letzte liegt regungslos, ein schmaler, blasser Junge. Leber und Niere zer- f Einer bleibt bei ihm stehen und starrt auf das dunkle Blut. Tränen laufen ihm über» Gesicht. Tränen, die eine wilde Wut herauSgepreßt hat. Er kennt den Toten kaum, hat ihn nur wenige Male gesehen — aber jetzt ist es ihm, als sei eS fein Bruder, den die Mörder niedergeknallt haben. Er ballt die Fäuste, und die Kameraden müssen ihn in ihre Mitte nehmen und hineinführen, damit er nicht wie ein Berserker davonrennt und sinnlos, blind vor Schmerz und Entsetzen, andere» vlnt vergießt. Ein Auto schwingt um die Ecke, Tschakos blitzen auf, Nagelstiefel poltern herunter — Schupo! In die dunklen Straßen hinein geht ein Getrappel. Die Mörder sind entkommen. Irgendein Loch hat sie ausgenommen. Im Verkehr-lokal aber stehen Männer und Jungen, und haben die Mützen abgenommen vor dem toten Freunde. Ja, ein Mord, ein viehischer, scheußlicher Mord ist wieder vollbracht worden! Morgen aber werden hun derttausend Kameraden ihren Korn in die Stadt hin einschreien, daß auch Berlin, dteser riesige Steinklum- pen, aufhorcht und erzittert/ WHamerai W— Tonne es krarmm Älöaleir eksrues AenEmvI IS. Zortsetzmrs Und nun flötete der Vogel plötzlich da» Bruchstück einer winzigen Melodie hell dazwischen. Aber auch da klang wie er» Seufzer. . . Ja, wie der Eisentakt einer mächtigen Maschine schwollen die Trommeln an, Symbol für da» Leben de» Arbeiteriungen, den die Kameraden unter den fallen- den Blättern hinweg zu Grabe trugen . . . Rote Fahnen mit schwarzen Floren schwankten her an. Langsam kam der Zug näher. Kameraden führten die Mutter, die ihre verweinten Augen hinter einem Schleier verbarg. Tonne sah nur den Sarg und die Fahne, die darüber gebreitet lag. Seine Augen blieben starr auf den schmalen Totenschrein geheftet. Al» er sie wieder zum Himmel hob, saß der kleine Bogel immer noch auf seinem Aste . . . Vielleicht war es aut, daß Tonne nicht sehen konnte, wie sie den Sarg in die Grube senkten, wie die Fahnen niedergtngen, und wie die Mutter des toten Käme- raden aus dem weißen Sand zusammenbrach. Tonne trug schon schwer genug an diesem grauenhaften Mord, der so gemein und niedrig war, wie kein andere» Ver brechen. Er hörte auch nicht, was sie dem toten Kameraden als letzte Grüße in- Grab nachrtefen ... »Aber da» ist doch Unfug!* rief der Kommissar er regt. »Ich habe dem Mann mein Ehrenwort geben müssen, feinen Namen auf keinen Fall der Polizei zu nennen!* »Ja, unter solchen Umständen ist natürlich Ihre ganze Information für un» völlig wertlos!* Tonne war aufgesprungen. »Aber daß die drei Ge- nannten flüchtig sind, besagt da» denn gar nichts?* »DaS besagt gar nichts!* erwiderte der Kommissar. So blieb der Mord ungesühnt. Obwohl die Täter be kannt waren, konnten sie nicht gefaßt werden. Auf dem Grab des Toten lag tiefer Schnee.,« 17. Der Frühling kam und der Sommer. Neue Gräber hatten sich geöffnet, waren mit schweren Steinen ver siegelt worden. Der Kampf ging weiter. ES schien Tonne, als fei die Zeit nie so schnell vergangen wie jetzt. Sie schnurrte ab wie die ungehemmte Feder einer Taschenuhr. Für Grete hatte er nur wenig Zett gehabt. Auch hier hätte er helfen müssen, denn daS Mädchen wurde von ihrem Vater schwer drangsaliert, ja, manchmal sogar geschlagen. Aber hatte so viel Dienst, daß ihm kaum freie Zeit blieb; die Bewegung forderte seine ganze Kraft. Die wenigen Stunden, die er mit Grete verbringen konnte, waren mit Traurigkeit gefüllt. Sie war blaß und hatte verweinte Augen, aber nie sprach sie ein Wort über ihren Kummer. Tapfer schluckte sie alle Klagen hinunter, die ihr über die Lippen wollten. Da Tonne jetzt doch nicht helfen konnte, wollte sie ihm nicht auch noch mit ihren Sorgen kommen, unter denen er nur ge litten hätte. Einmal fuhren sie nach Grünau in» Freibad. Flimmernde Hitze lag über der Dahme und ließ den silbrigen Sand glühen. Segel glitten träge über da schimmernde Wasser, und Ruderboote schwammen in buntem Gewimmel. Von den weißen Ausflugsdampfern schmetterten blitzernde Trompeten in die Luft hinaus. Tonne und Grete lagen schweigend in der Sonne. Um sie her ging fröhliches Jagen, Lachen, Toben und Spie len. Mädchen warfen sich große Gummibälle zu, junge Burschen sprangen dazwischen, schlossen schnelle Freund schaften. Es ist ein Jammer, dachte Tonne, daß wir nicht auch fröhlich sein können! Die anderen tragen ihre bunten Trikots mit kindlicher Freude und Lust. Sie genießen die Stunde, tragen keinen Ballast mit sich herum. Ge sinnung kennen sie nicht, Verpflichtung gibt'S nicht für sie, frei sind sie und unbeschwert. Aus dem armseligsten Kuchen picken sie noch eine Rosine heraus, jeder Stunde wissen sie ihr besonderes Vergnügen abzugewinnen. Um Politik aber kümmern sie sich den Teufel! Und wir? — Wir haben Pflichten, wir sind einer Idee verschworen. Niemals kommen wir davon wieder los, wenn wir anständig und ehrlich bleiben wollen. Kame raden, die mit uns Seite an Seite standen, haben wir begraben; in ihr Herzblut haben wir unsere Fahnen ge taucht. Wir sind unseren Toten verpflichtet. Wie soll ten wir SA.-Männer, die wir manchen Stiefel mit ihnen getrunken haben, die wir Seite an Seite mit ihnen manche Saalschlacht geschlagen Haven, die wir mit ihnen auf der Stempelstelle standen, die wir mit ihnen durch die roten Straßen marschiert sind — wie sollten wir unsere Toten verlassen! Nie dürfen wir untreu werden! Wir haben so oft von Treue gesungen und gesprochen, haben so oft die Hand zum Schwur erhoben — und wir stehen zu unseren Worten! Vielleicht war eS für manchen, der zu uns kam, zuerst nur Spiel, weil er sich am Abenteuer berauschte, weil er stolz auf seine Uni form war, vielleicht! — Aber dann packte auch diese Jungen die Urgewalt unserer Idee, und al- neben ihnen die Kameraden sterbend zu Boden sanken, da ging auch ihnen eine Ahnung auf von dem heiligen Ernst dieser Bewegung, denn der Tod ist ja kein Spiel mehr. ES waren keine Sommergedanken, die Tonne hier spann. Er sah daS Mädchen neben sich liegen, und eine Rüh rung überkam ihn, al- er ihr blasses Gesicht betrachtete und die Schattengruben unter ihren traurigen Augen. Sie lebte ihre freudlose Jugend unter Sorgen und Aengsten hin, sie nahm keinen Anteil an den Ver gnügungen ihrer Freundinnen, sie war ständig bedroht vom Zorn ihre» Vaters. Wenn sie von der Arbeit in der ltihtlosen Packhalle der Keramikfabrik nach Hanse kam, so war sie schon zufrieden, wenn niemand da war. Dann brauchte sie wenigstens nicht daS immer gleich« Schimpfen und die immer neuen Beleidigungen anzu hören, mit denen der Vater ihren Freund überhäufte. Spärlich waren die Stunden, die sie mit Tonne ver bringen durfte. Dann gingen sie wie einst durch die Straßen, aber jene verträumte Innigkeit, die ihre Her zen damals verbunden hatte, gab eS nicht mehr. Selbst auf diesen abendlichen Gängen schien ihr der Freund in ständiger Bereitschaft, plötzlich zum Dienst abberufen zu werden. Seine Gedanken waren nur bei den Kame raden. Wenn sie ihn dann wieder einmal dabei er» tappte, daß er ihr aar nicht zugehört hatte, dann nahm er ihre Hand und sagte: »Grete, ich hab eben nich zu gehört. "Sei nich böse, aber ich muß gerade dran denken. Immer hing eS mit der Partei zusammen, aber nie mals mit ihrer Liebe. lFortsebuna folgt.) Der Kommissar beugte sich über seinen Schreibtisch vor und zog die Augenbrauen hoch, als er Tonne an blickte. »Und in dteser Kneipe glauben Eie, ihn gesehen zu haben?* »Wir wollten ihn ia festnehmen, al» er herauskam, Herr Kommissar! Wir hatten ihn schon gepackt. Aber plötzlich kamen zwei Leute, die sofort Pistolen raus- zogen, und uns niederschießen wollten. Da mußten wir ihn lo-lassen* »Waren Sie sich denn gar nicht darüber klar, daß Sie keinerlei Befugnis hatten, jemanden festzunehmen?* »Auch keinen Mörder?* kragte Tonne erschrocken. »DaS steht noch nicht fest, ob er ein Mörder ist. Bor- läufig ist daS nur Ihre Vermutung!* »Nein, daS ist nicht nur eine Vermutung, daS ist ganz sicher. Er ist ja auch getürmt und wohnt gar nicht mehr bei seiner Mutter!* „WaS ist daS eigentlich für eine Kneipe, wo Sie ihn gefunden haben?" „Eine Zigeunerkneipe. ES verkehren aber auch viele Juden da, Ostjuden mit langen Bärten; außerdem Zu hälter, Nutten und bestimmte Kommunisten. — ES ist kein Verkehr-lokal von der Kommune, nur ein paar Staffelfübrer von der Antifa sitzen abend- da rum. Wahrscheinlich sind sie nebenbei noch Zuhälter." ES entstand eine kleine Pause. Der Kommissar blickte aus -en Bleistift, den er zwischen den Fingern drehte, und ließ die Zungenspitze zwischen den Lippen spielen. „ES wäre besser gewesen,* sagte er dann, »wenn Sie nicht auf eigene Faust loSgezogen wären, sondern un» von Ihren Ermittlungen in Kenntnis gesetzt hatten!* Tonne war erstaunt. »Ja, wußten Sie denn von der ganzen Sache gar nichts? Mein Kamerad ifl sofort, als wir die Namen und die Adressen der drei Männer erfahren hatten, aufs Präsidium gekommen und hat es gemeldet/ „Wir Haden ja auch versucht, die Leute zu vernehmen; aber da waren sie schon flüchtig!* Schuld'!*also. ba* ist doch der beste Beweis für ihre „Sie können schließlich auch andere Sachen auf dem Kerbholz haben. ES ist nicht gesagt, daß ste wegen dieser Schießerei geflüchtet sind. — Jedenfalls aber hätten Eie uns auch davon Mitteilung mache» müssen, daß der Gesuchte im Ztgeunerklub verkehrt.* „Auch da» haben wir getan!* sagte Tonne. »Ich habe damals noch am gleichen Tage im Präsidium an- gerufen und habe auch gesagt, daß wir abend» htngehen würden und daß eS vielleicht gut wäre, wenn Beamte hinkämen!* „Sol Mit wem haben Sie denn da gesprochen?* „Wie der Beamte hieß, weiß ich nicht. Ich habe aber vom Frollein den Kommissar vom Dienst verlangt. Der bat sich alles mit angehört und gesagt, eS wäre ja sehr interessant.* „Hm! — DaS werde ich noch feststellen. — Haben Sie noch irgend etwa» Neue- rauSbekommen?* „Ja! Der Mann, von dem ich da» alle» erfahren habe, erzählte mir heute, daß der Mörder jetzt in Ber- nau bet Kommunisten wohnt. — DaS rauSzukriegen, kann doch für die Polizei gar nicht schwer sein!* »In Bernau?* Aal* „Wenn Sie un» -en Namen Ihre» Gewährsmann«» nicht nennen wollen, könnten Sie dann nicht eine Zu- sammenkunft an einem neutralen Ort mit ihm verab- reden, an -er einer von meinen Beamten teilnimmt?* Tonne zuckte die Achsel». »Ich will Ihnen reinen Wein einschenken, Herr Kommissar. Der Mann war bi» vor kurzem noch Kommunist. Erst durch den Mord sind ihm die Augen geöffnet worden. Er hat bet der Kommune 'n« ziemliche Rolle gespielt, war nicht bloß io ein kleiner Antifa-Mann, und er behauptet, daß hier im Polizeipräsidium unter den Kriminalbeamten ein« rote Zelle aufgezogen sei. Di« würde ihn sofort bei der Kommune verpfeifen, und dann wäre er ge liefert!* In langen Reihen säumten Kameraden die Wege de» Friedhofs. Der Herbstwtnd zupfte die gelbbraunen Blätter von den ÄSumen un- wirbelte sie zwischen die stummen SA.-Männer. Zwischen den Totensteinen und Kreuzen standen auf schmalen Pfaden die Menschen Kopf an Kops. Ein ein facher Arbeiterjunge nur war es, der zu Grabe ge tragen wurde — aber wie einem Fürsten gaben ihm Zehn tausende da» letzte Geleit. Arbeiter kamen und trugen ihre Mützen in der Hand, Bürger und Kaufleute, Beamte in Uniform und An- gestellte, Arbeitslose und Studenten, feine Leute un arme Teufel, Greise und Kinder, Männer und Frauen, Jungen und Mädchen. Schweigend standen st« jetzt un füllten die weiten Räume de» Friedhöfe»; nur der Hauptweg war freigehalten. Ais von der Leichenhalle her die Trauertrommeln dumpf herüberschütterten, hob Tonne -en Blick in da» Geäst der Bäume hinein. Setdenblau glänzte der Himmel zwischen den Zweigen. Eine schlanke Nstgerie, an deren Spitze wie eine kleine goldene Standarte ein einzelnes Blatt noch hing, war tief heruntergebogen; ein Vogel saß darauf. Tonne starrte diese» kleine Wesen an, während die Trommeln lauter und lauter klagten. Drohende», Un abwendbares sprach auS diesem dumpfen, auf- und ab- schwellenden Getön. ES wollte kein Ende nehmen. Slang e» nicht, al» seien die Trommler nun schon aanz nahe heran? Dabei waren sie von der Stelle, wo Tonne im Spalier stand, noch nicht einmal zu sehen . . . Der Vogel hatte sich dick aufgeplustert. Die Federn rund um den Hal» standen ab, daß e» auSsah wie ein kleiner Pelzkragen. So saß er auf seinem schaukelnden Zweig. Immer noch die Trommeln ... Wie eine Maschine, die langsam heranstampfte, lang sam aber unaufhaltbar, steigerte sich da» Rollen der ge lockerten Kalbfelle. Wie der Tritt de» unerbittlichen Schicksals, das mitleidlos auch da» Leben diese» Jungen zertrümmert hatte, den ste jetzt hinter den Trommeln vertrugen . . . Tonne schloß für wentae Armenblicke die Augen. — Er fühlte, daß er schwankte. Da» Bild jener dunklen Straße mit dem Toren und der furchtbaren vlutbahn wollte nicht weichen. Ganz still war e» auf dem Kirch hof, ganz still. Nur die Trommeln, die Trommeln sanaen als unsichtbarer Chor ibre ewige «nklaae ... ein letztes Lachen flattert noi und dann peitschen die Kugeln - * - ' Uebe^ite Hosen flattern um ihre Beine, Hosen, wie sie die RowdieS auf den Rummelplätzen tragen. Ste , die Schultern verzogen wie Hyär den vieren läuft hinter ihnen b< hrdamm, zwanzig, dreißig Schrit reißen die Pistolen hoch Jetzt fliegt die Tür de»