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Peter Hagen: SÄHmneraö Tonne Oir^-Sk8 irec^rr ruur^ VVLLU VL-t^L vt^a. ^LILIL» tackkv^u /r/^. ^k8 ll^üIN^U bol^ülen Nie konnte Lonne alles üoerdlicren. Zemmer blieb er nur ein kleiner Teil vom Ganzen, Zahnrad einer großen Maschine. Er sagte sich zwar, e- müsse unbedingt so sein, daß nicht jeder in die Einzelheit deS großen Planes eingeweiht sei — aber trotzdem trieben ihn Gel tungsdrang und VerantwortungSbewußtsein, alles zu erfahren. Die Rolladen der Kneipe waren immer halb her untergelassen. Geldes Licht drang gedämpft durch die Fenstcrgardine der schmalen Eingangstur. An der nächsten Ecke erst schlug eine fpitzbebelmte GaSlaterne einen schwachen grünen Lichtkreis über das Pflaster. Abends war diese Straße menschenleer. Am Klavier saß ein junger Mann. Ueber sein langes, straffes Haar hatte er eine blaue Baskenmütze gezogen, sie schief über feinem linken Ohre saß. Mit kräftigen Fingern bearbeitete er die Tasten, mit derben Skistiefeln die Pedale, so daß sein Bier oben auf dem Klavierdeckel im Becker hin und her schwappte. Die Männer vom NFB., die in dieser Kneipe verkehrten, nannten ihn den „Naturapostel". Er trug sich auffälliger gekleidet al» die anderen Kommunisten. In der Diskussion war er der regsamste und nicht so leicht zu schlagen. Er hatte viel gelesen und ließ sich nicht verblüffen. Sicher war er sehr ehrgeizig. Aus dunklen Quellen hatte er etwa» Bildung mitgebracht und erklärte öfter, daß er e» in der Partei nock zu etwas bringen werde. Die Roten Frontkämpfer hielten ihn jedoch für einen Sonderling, für ein treue», aber verrücktes Huhn. Obwohl er wegen seiner Belesen heit nicht ganz zu ihnen patzte, versuchte er krampfhaft, sich kameradschaftlich einzuleben. So spielte er jetzt einen amerikanischen Marsch. Um den großen runden Stammtisch mit der blanken Holz platte hockten die vom RKB. und sangen, während Kult mit einem Bteruntersatz den Takt angab. Den Text des Liedes mochte irgendein Saufbruder verfaßt haben. Er war schlimm, aber bet alkoholisch fortgeschrittener Stimmung konnte man ihn selbst an „gut bürgerlichen" Stammtischen hören. ^Da Ham wa iesosfen, Da Ham wa jefressen, In de Kanne jelotzt, Hurraaal" Dazu schlugen sie mit den Gläsern auf den Tisch, wäh- rend der Naturapostel dem Klimperkasten Saure- gab. Das wimmerte, dröhnte und gröhlte durch den engen Schankraum, daß die Wirtin öfter durch die Küchen klappe guckte. Dabet schoß sie ihrem Mann, der hinter der Theke stand, giftige Blicke zu, weil er sich um den Klamauk nicht im germgsten zu kümmern schien. Tonne saß mit einem Fremden am kleinen Tisch neben dem Büfett. Dicke Rauchschwaden zogen sich wie Fahnenbänder durch die stickige Luft. Gerade über ihnen hing die Versammlungstafel vom Sparverein „Goldrausch". Der Neuling, ein Junge von 18 oder 19 Jahren, spielte wie gelangweilt mit seinem Bterglas, während Tonne eifrig auf ihn einredete. Der hatte ihn früher mal in einer nationalsozialistischen Versamm lung beim Saalschutz gesehen uns ihn vorhin aus der Straße zufällig wiedergetroffen. Da war ihm plötzlich der Gedanke aufgesticgen, diesen Nazi zur kommuni stischen Idee zu bekehren. Kurzerhand hatte er ihn an gekeilt und eingeladen, eine Molle mttzutrtnken. Der Junge hatte auch sofort zugesagt und war mitgegangen. „Mensch, Tonne," ries Kuli in einer Gefechtspause herüber, „du rcdst ja Wien Buch mit Joldschntttl Wat haste denn so wichtijet zu bemeckern?" — Tonne winkte ab. Er war im besten Fahrwasser, und da der Nazi kein Wort entgegnete, glaubte er schon, ihn halb und halb überzeugt zu Haven. Als Tonne aber fertig war, ließ der andere plötzlich fein Bterglaö in Ruhe und sah ihm ernst in die Augen. „Du bist sicher 'n ehrlicher Kerl," sagte er, „und e» Ist schade, daß du in der falschen Front stehst. Heute bin t ch mitgekommen, und d u hast geredet. Wie wär'» denn, wenn du mal zu un» mttkämst, dann werde tch reden!" Tonne war ein bißchen verärgert, daß seine Worte auf so unfruchtbaren Boden gefallen waren, und daß ihn der andere um den Erfolg, den er schon sicher -u haben meinte, geprellt hatte. — „Red doch gleich hier!" sagte er. „Oder mußt du dich erst vorbereiten und dir von eurer Partei Parolen holen?" „Mein lieber Junge," entgegnete der Nazi, „ich sehe doch, was los iS. Heute bist du ordentlich in Mutz ge kommen, da würden wir doch nur aneinander vorbei reden. — Aber guck dich doch blotz mal mnl Wa» soll denn dabet rauSrommen, wenn du mit denen da drüben in einer Front stehst? Nee, du, da» kann man einem Menschen schon am Gesicht ansehen, ob er wa» taugt, und ob mit ihm waS anzusangen tstl" Tonne wurde heftig. „Wer t» denn schuld, -e, datz die Io runtergekommen sind? Sie etwa selbst? Nee, aber die kapitalistische Gesellschaftsordnung, die sie zu Pro leten gemacht bat, die dem Reichen alles gibt und dem Armen alles nimmt!" „Du verstehst mich ja überhaupt nich," schnitt ihm der Nazi das Wort ab. „Ich hab gar nicht gefragt, wer an der Proletartsterung der Massen schuldest. Selbstver ständlich der Kapitalismus. Darin find wir uns einig. Aber wie bekämpft man ihn und durch waS ersetzt man s. Zortsetzung ihn? Darum geht eSl Und ich memte vorhin, daß man gegen die kapitalistische Festung nicht anrennen kann, indem man hier in der Kneipe sitzt und gemeine Lieder singt, sondern daß man die Proleten aus dem Dreck herauSholt und ihnen ein Ziel zeigt, um daS es sich zu kämpfen und vielleicht sogar zu sterben lohnt. Wenn eure Führer eS ehrlich mit euch meinten, dann würden sie euch sagen: Setzt euch nicht in die Kneipen und versauft nicht euer bißchen Verstand, sondern seid vernünftig! Wenn sie euch aber sogar noch tiefer in den Dreck htnetndrücken wollen, dann müßt ihr euch eben dagegen wehren! Verschafft euch selbst Kenntntise! Denn nur mit dem Dummen hat der Ausbeuter leichtes Spiel. — Aber eure Ideale stehen nur auf dem Papler! Und daS ist'», waS uns trennt. Ihr berauscht euch an Phrasen, wir aber haben einen Glauben. Wir glauben nicht an das Wunschbild von Phantasten, son dern einfach an unser Volk. DaS ist da, daS spürt man immer und überall, weil man selbst zu diesem Volk ge- hört. Ihr aber glaubt an eine internationale Soltda- rität, obwohl es doch noch gar nicht so lange her ist, bah die ganze Welt über unser Volk hergefallen ist und uns ihre famose Solidarität mit Trommelfeuer und Eisen hagel bewiesen hat . . ." Am Stammtisch war man auf die beiden aufmerksam geworden. Kuli kam herübergeschlendert und baute sich vor Tonne auf. „Was ihn daS für einer?" — Tonne knurrte was von Jnruhelassen, aber Kult sprach nun den Fremden an. „Bist woll 'n Nazi, nich?" — „Natür lich!^ — „Dann haste hier nischt verloren!" sagte Kult leise drohend. „Am besten wär S, du verpfeifst -ich mal 'n bißken." „Halts Maul, Kuli!" mengte sich Tonne ein. „Ich habe ihn eingeladen, um mit ihm zu diskutieren. Du läßt ihn in Frieden!" Kuli hatte jedoch einen sitzen und war durchaus nicht verträglich gestimmt. „Wat hecht denn hier tnjeladen? Hier hat keener wat inzuladen, und Nazis hab'n hier nischt zu suchen!" Nun kamen auch die andern vom Stammtisch heran und bezogen Stellung vor Tonnes Tisch. Rudi, Flet- schergeselle und Bulle der Klicke „Niedlich", schob sich vor, Hände in den Hosentaschen, Zigarette im Mundwinkel. Er schnappte den Stummel in den Mund, behielt ihn ein paar Sekunden drin und drückte ihn dann mtt der Zunge unversehrt wieder heraus. Das kleine Kunststück rief bei seinen Genossen lachenden Beifall hervor. Als der Nazi aufstand, sah Tonne an den Gesichtern seiner Kameraden, daß sie es auf eine Prügelei anlegen woll ten. Er stellte sich daher vor den Fremden. Erregung pretzte ihm die Kehle zusammen. „Den laht ihr in Ruhe!" sagte er. „Ich habe ihm versprochen, daß ihm nichts geschieht, und mein Wort müht ihr respektieren. Er soll nicht sagen können, dah wir feige und hinterlistig sind!" Diese Worte schienen zu wirken. Der Klickenbulle grinste und sagte: „Hat doch noch jar keener wat gesagt, -et er Wichse kriegen soll!" „Dann soll er aber hier die Schnauze halten!" schrie Kult. „Er hat über uns jemeckat, ick Habs jenau je- hört!" „Du lügst!" sagte Tonne scharf. „Wat," kreischte Kult, „wat fachst du? Ick litte? Ick hab jenau jehdrt, wat er jesacht hat. Und du bist'« sei- ten bämltchet Schwein, wenn du sowat in unserm Lokal zuläßt. — Weg da, los, tck rechne mit dem Burschen sanz alleene ab, wenn ihr zu feige seid!" Er drängte ssch vor. Tonne war entschlossen, Kuli eins aus die Nase zu schlagen. Im selben Augenblick jedoch fühlte er sich von hinten beiseite geschobert. Und als Kult die Faust erhoben hatte, faß ihm schon die seines Gegners krachend an der Kinnlade, so dah er zwischen die stürzenden Stühle fiel. Rudi spuckte feinen Stummel weg und ging mtt gesenktem Kopf gegen den Nazi vor. Der holte aber nickt zum zweiten Hieb aus. Blitzschnell hatte er den Fuß gehoben und trat den Bullen mtt voller Kraft tn den Unterleib. Als der sich noch stöhnend krümmte, war der Fremde bereits zur Tür hinaus und verschwunden. Tonne fetzte sich wieder hin und starrte aus die Tisch platte. Der Lärm und das Geschrei berührten ihn nicht. AlS der Naturapostel ein Gespräch mtt ihm beginnen wollte, winkte er müde ab. Er war wütend über die Disziplinlosigkeit feiner Kameraden. Kult, der sich in zwischen wieder erholt hatte, erklärte, auf diese Weise würden die Spitzel ins Haus geholt, und er pfeife auf einen Genossen, der seine Hand dazu -ergäbe. Unter andere« Umständen hätte ihm Tonne jetzt eine geklebt. Aber heute war er mit sich selbst nicht tm Reinen, Hatte er richtig gehandelt? Einige Tage nach diesem Zwischenfall lernte Tonne tm Lokal ein Mädel kennen, das Grete hieß. Als er sie nach HauS brachte, wußte er zuerst nicht, wa» er mtt ihr reden sollte- schließlich fragte er sie, ob sie gerne in» Kino ginge. Ja, sagte Grete, sie ginge gerne ins Kino, aber noch lieber ginge sie Sonntags aus Fahrt: früher, alS sie noch zur SAJ., zur Sozialistischen Arbeiter- Jugend, gehört habe, da seien sie jeden Sonntag hin- auSLesahren. Hier konnte Tonne anknüpfen. Er er zählte ihr, daß er früher Wandervogel gewesen fei. Nun sprachen sie von ihren Fahrten, von den Wäldern V. Die nationalsozialistische Bombe in Berlin hatte ein- geschlagen. Es waren zwar nur kleine Trupps von L>Ä., die tn den einzelnen Stadtteilen lagen, aber dre Jungs waren eijerm Sie schlugen sich wie die Löwen und wichen auch nicht einen Schritt zurück. Manche von ihren Führern waren bald auch bei der Kommune gut bekannt. Den einen hatte der RFB. tn Eharlot- tenburg beinahe erwischt. Mtt mehreren Messerstichen in der Lunge lag er einige Wochen im Krankenhaus, wurde schmal und bleich. Aber er entkam dem, was man ihm zugedacht hatte: dem Tod. Selbst tm roten Fischerkietz bezogen die Nazis eine Festung. Auch hier atz ein verwegener Bursche, der nicht nachgab. Er chickte seinen Gegnern blaue Bohnen entgegen, wenn ie wieder einmal seine Wohnung stürmen wollten. Tonne bewunderte den Fanatismus dieser Braun hemden, der sie trotz ihrer zahlenmützigen Unterlegen heit zum stählernen Widerstand befähigte. Im Getriebe der Weltstadt entbrannte ein zäher Kleinkrieg. Die Nazis fratzen sich tn die marxismcke Front ein und holten sich die besten Leute tn ihre Sturmabteilungen herüber. Aber die Kommune fetzte sich zur Wehr. Bald sah sie ein, daß mtt den gleichen Waffen gegen die Nazis nicht anzukommen war. Die SA.-Männer blieben den kom munistischen Redekünsten gegenüber taub. Sie waren von ihrer Idee besessen und ließen nicht von ihr ab. Und Liese Besessenheit war wie ein Bazillus, der die kommunistischen Kampfer infizierte. Deshalb setzte man vom Ltebknechthau» aus gegen die Goebbels-Pest den Terror an. Jetzt knallten oie Revolver, und die Dolche blitzten. Mit brutaler Ge- walt wollte man die Nationalsozialisten von der Straße vertreiben. Aber auch diesmal wurde es wieder anders. Man wußte daS Rätsel nicht zu deuten. Es kam vor, daß ein einzelner EA.-Mann gegen zehn, zwanzig Kommunisten stand — und sich durchschlug! Derartige Beispiele zündeten. So mancher vom NFB., der noch vor wenigen Tagen auf die Nazis ein- geschlagen hatte, stand heute tn emem ihrer Stürme. Bald hatte er dann auch von seinen früheren Käme- raden eine sogenannte „proletarische Abreibung" weg. ^Fortsetzung folgt.) und Lagerplätzen, die sie beide rannten, und von dem herrlichen Leben draußen tm Freien. AlS sie vor GreteS Haustür standen, wurde Tonne verlegen. Er dachte, daß er sie jetzt eigentlich drauf gängerisch küssen müßte: so hatte er eS von seinen Kameraden gehört. Wenn er sie aber ansah, fehlte ihm plötzlich der Mut. Sie hatte ein schmales, bleiches Ge- sicht, und ihre Augen waren ganz dunkel. DaS kurz- geschnittene, wellige Haar trug sie nach hinten ge strichen. „Ich muß jetzt wohl raufgehen," sagte Grete endlich. Da nahm Tonne ihre Hand und meinte, ein wenig könne sie wohl noch bleiben. Das Mädchen nickte. „Wenn nun aber Bekannte kommen und uns hier sehen?" „Wir können ja auch noch ein bißchen spazieren gehen," schlug Tonne vor. So liefen sie denn die Hauptstraße hinunter. Eine Kette von Bogenlampen zog sich über ihr entlang und spiegelte sich mtt verschwimmenden Reflexen im blan ken Asphalt. Vor einer Eisdiele standen junge Burschen mit ihren Mädchen. Sie lachten und kreischten und lutschten an ihren Waffeln. Tonne holte zwei Waffeln heraus, Grete sagte Dankeschön, und dann gingen sie weiter. Sie sprachen beide nur wenig, bis sie unter der Ringbahn hindurch in unbebautes Gelände kamen. Nur Lauben kolonien zogen sich links und rechts der Straße hin. Schließlich gab es richtige Getreidefelder, nnd dann standen sie plötzlich am Kanal. Tonne zog Grete eine Steintreppe hinunter bis zu den Schienen der elek- irischen Bahn, die tagsüber Lastkähne durch den Kanal schlevpte. Als er seinen Arm um ihre Hüfte legte, klopfte sein Herz zum Zerspringen. Während sie schweigend weiter gingen, fühlte Tonne, wie Grete ihren Kopf immer fester gegen seine Schulter drückte. Da blieb er stehen und hob ihr Gesicht hoch, so daß sie ihm in die Augen sehen mußte. „Grete .. ." Sie nahm seine Hand herunter und legte ihren Kopf gegen seine Brnst. Er streichelte ihr über das Haar und sagte immer wieder ihren Namen. Dann küßte er sie. Aber ihm war dabei gar nicht so fröhlich zumute, wie es seine Kameraden von ähnlichen Erlebnissen erzähl ten. Ihm schien es, als habe er für das Mädchen nun eine Verantwortung übernommen. Sie saßen im dichten Gras der Uferböschung un starrten in die Nacht hinaus. Das Licht der Stadt strahlte hoch tn den Himmel hinein, ganz fern kreiste unaufhörlich ein Scheinwerfer und tastete mit seinem Hellen Lichtsinaer durch die Dunkelheit. DaS Wasser des Kanals lag still und schwarz. Bon der Brücke her glühten rot und grün die Lampen der Durchfahrt. Und der Lärm der Stadt klang verworren, lockend un drohend zugleich, zu ihnen herüber. Tonne nahm die Hand des Mädchens und spielte mtt ihren dünnen weißen Fingern. Dann legte er seinen Kopf gegen ihr Haar und schloß die Augen. „Du bist ein guter Junge, Tonne!" sagte Grete.