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die sie für den guten Onkel gepflückt hatte, hörte sie ärgerliche Stimmen im Wohnzimmer; dann kam Fräulein heraus und schätz auf ihr Zimmer. Der Onkel drinnen mit großen Schritten auf und ab. „Dar Fräulein verläßt uns/ sagte er, »War ich aver nun mit dir anfangen soll, Kind? Run, kommt Zeit, kommt Rat. Hier, mach mal die Kiste auf." Was da zum Vorschein kam! Ausgeftopfte Kolibris, bunt wie ein Farbenkasten und so klein wie Fliegen, prachtvolle große Muscheln, Tiere aus Hotz und Puppen aus fremden Ländern, zu allerletzt ein riesiges Et, ganz weiß und sehr schwer. Das sei ein Straußenei, sagte der Onkel Au» Afrika. Lilis Augen glänzten. Was für ein herrliche» Geschenk für Otto und die anderen! Aber würde es Onkel such erlauben? Ja, er erlaubte es. Und nun war Litt fieberhaft dabei, die Sachen in einen Korb zu packen; für sich behielt sie nur ein kleines Vögelchen, das blau schillerte, alles andere war für die Kinder bestimmt. .Sie sind arm, weißt du, Onkel? Und ihre Mutter kann ihnen nicht so schöne Sachen kaufen." Onkel Max -ZLL stand nackHenklich daneben. Dann brachte er Lili hinüber. Sie wurden mit Freudengeschrei empfangen. Zahlreiche Kinder waren versammelt, ab« mit der Sucherei hatten sie aus LUt gewartet. Während die Kinder draußen suchten und vor Freude sprangen, sooft sie ein bunte» Ei hinter einem Baumstamm oder unter einem Gebüsch entdeckten, sprach Onkel Max mit Frau Reinhold, der Mutter der Nachbarskinder. Was er hörte, gab ihm viel zu denken. „Und kurz und gut, Herr Doktor," schloß Frau Rein hold ihre Rede, „für die Lili muß etwa» geschehen. Sie ist so liebebedürftig, ein so zärtliches, gutes Kind — die braucht jemand, der ihr die Mutter ersetzen kann. Ich würde sie gerne zu mir nehmen, Herr Doktor, aber wir haben es gar zu eng. Sonst mit Freuden." „Und wenn ich Sie nun bäte, hinüberzuziehen, Frau Reinhold, die Villa zu verwalten und an Lili Mutterstelle zu vertreten? — Sagen Sie ja, Sie tun einem mutter losen Kinde Guter und sorgen zugleich für Ihre Familie." Und Frau Reinhold sagte ja. Als die nächsten Ostern kamen, fanden sie Lili nicht mehr einsam; im Kreise ihr« Spielkameraden klebte und malte sie nun selbst eifrig die schönsten Ostereier für die Freunde, für die Pflegemutter und für Onkel Max, t A8ENL ' M M M H M Der Herr Aktuar Müller war ein sehr genauer Mann. Er erhob sich allmorgend lich genau zur selben Minute, aß genau wie an all den Tagen vorher ein Brötchen mit genau der gleichen Marmelade, seine Bücher stimmten stets auf Heller und Pfennig, und es würde sich keiner finden, der ihm etwa je im Leben auch nur die geringste Unpünktlich, leit oder Nachlässigkeit nachweisen könnte. Sein Leben floß dahin nach sehr genauen Grundsätzen, jeder Wunsch war von vorn herein festgelegt, was darüber hinausging, wurde erbarmungslos unterdrückt und ab gewürgt. Nur eine ganz geringe, ja, man könnte meinen nebensächliche Ungenauigkeit schlich sich im Laufe des Winters ein, die ihn beunruhigte, aufbrachte, empörte gegen sich selbst. Er sah jetzt nicht mehr wie sonst seit Jahren den Kirchturm an, wenn er die Marienstraß« ent lang kam — nein, er trug zwar den Kopf in genau der selben Haltung, aber er spähte nicht, wie es sich für ihn gehörte, nach dem Kirchturm, sondern ganz einfach di« Straße hinauf, um zu sehen, ob sie, die hier jeden Morgen entlang kam, schon hinten um die Ecke war. Ja, es war durchaus unvorhergesehen und weder bestimmt noch berechnet, daß sie, die immer vorbeiging, sich irgendwie in seinem tadellosen Dasein hervordrängen sollte. Aber sie kümmerte sich um nichts, sie kam vorbei und war entzückend. Was konnte sie dafür? Aber was konnte er dafür? Es war eine Unregelmäßigkeit, die man in Kauf nehmen mußte. Sie war reizend. Jung natürlich, sehr jung, flott, beweglich und immer vergnügt. Und immer trafen sie sich an derselben Stelle, und jedesmal an dieser selben Stelle fing sie an, zu lächeln, und als ein paar Wochen um waren, nickte sie ihm einfach und ohne Ziererei zu. kleinen Base auf dem habe! Was hat ein Krüppel hi« zu tun? — Wie das on mir nagte, mich marterte —, wie müde ich de» Tatze» war, eh« Sie mir halfen, daß meine Seele gesundete! Ihnen danke ich e», daß ich mich aussöhnle mit dem Schicksal! Sie dürfen mich noch nicht verliefen; jetzt »sch nicht. — Ich weiß ja, dich dH nicht fordern darf wie et» Gesund«. — Ruch Barella, nicht den Arzt — da» WM, den Freund, den Kamenttun bitte ich. lchne Sie hat das Leben keinen Wert für mich!" „Hans Berthold — au» Ihnen spricht noch die Müdigkeit der Krankheit. Sie sind ein Mann, der seine« Beruf noch viel zu geben hat, geben muß. Vie Einsam keit de» Sanatoriums verführt Siel" „Rein, Ruch, nein! Sie glauben ja selber nicht, was Sie mir sagen. Ohne Sie kein Glück!" — Und er bedeckt ihre Hand mit Küssen Vie Gedanken wichen nicht von Ruch, bis sie i» der Bahn h. Rach und nach nahm sie die Schi» heit der Stunde gefangen. Wie frisch die Buchen, wie hell da» erste Grüul Bald ist Berlin erreicht. Auf dem Bahnhof wartet der Schwätzer. Komisch, sie kennt den Mann gar nicht. Al» die Schwester heiratete, stand sie gerade im Examen, gleich darauf bekam sie eine Stellung am Krankenhaus. So war Jahr um Jahr vergangen bis heute. Die Schwester hatte ein Bild von sich und den Kindern geschickt, das sollte Er kennungszeichen sein. Jetzt fühlt sie, wie sie Sehnsucht hatte alle die Jahre, nach der Heimat. Wo die einzige Blutsverwandte lebt, die Maria. Im Glück der Familie. In der Sorge für ihren Kreis. War's nicht das schönste Frauenlos? Maria konnte zufrieden fein. Ob der Mann ganz auf seine Kosten kam? Seufzte nicht eine Klage aus dem letzten Briefe der Schwester: „Eine Frau von deinem Streben, Ruth, die wäre die rechte Ergänzung für Ernst Günter." Warum vergaß sie das nicht? — Well sie sich arm fühlte. Ihr mußte der Beruf olle» ersetzen. Aber, gab ihr da» Schicksal nicht Große», daß sie helfen durste? Wie spürte sie die Liebe der Genesenden! Berthold! Eie wußte, daß er in ihr auch das Weib verehrte. Daß er sie gern zur Kameradin für sein Dasein wünschte. — Zur . Kameradin? Bloß die? Und die Liebe? Die Seligkeit des Weibe»? — Die fand sie nicht in ihrem Fühlen, die lag verschüttet in femen Tagen. Ein wehes Lächeln zuckte um ihren Mund. — Heidel- berg, da, viel besungene, hatte sie als Studentin gelockt. Ein Sommerabend war ». Sie kam von einem Rosenfest zurück. Als Blumenmädchen, schlicht und einfach, die Defreggerfrisur umrahmte ihr frisches Gesicht. Auf der Neckarbrücke lehnte sie. Zu laut, zu schwül war ihr » ge worden in dem Kreise der Genossen, heimlich hatte sie sich davongemacht. Auf -'nnral stand jemand neben ihr. Ein großer, blonder, kräftiger Mann. Er lächelte, wies aus ihr Körb chen und wollte das letzte Sträußchen haben. Er hielt sie Frühlingslüfte wehen. D« ewig Junge, Unübemvindliche, Siegesbewußte zieht ein in die Natur, überallhin strahlt sein froher Lächeln, fällt auch auf die schlanken Weidenkätzchen, deren feiner Hoiügdust süß durch das Zimmer de« Sanatorium» zieht. Fräulein Dr. Barella, die rechte Hand des Leiter», streicht mit gütigen Fingern leicht über die schlanken Stengel in der Tisch am Fenster. „Ihr Neben, zarten, bringt ihr mir Grüße von draußen?" Dann drückt die Hand auf den Klingelknopf. „Schwester HUde, woher kommen denn die Frühlings- boten?" — „Die Weidenkätzchen? — Bom Ingenieur Berthold, der schickt doch immer Blumen." — „So, so; an den dachte ich nicht. — Also, Sie wissen, ich fahre um drei Uhr. Sie packen doch das Letzte?" — «Gewiß, Fräulein Doktor." — „Danke; dann mache ich noch schnell einen Bericht für den Chef!" Auf seiner Chaiselongue, im andern Flügel des Hauses, sitzt Hans Berthold. Den Kopf in die rechte Hand gestützt. Der linke Rock ärmel hängt schlaff am Körper hernieder. Die Explosion in der Fabrik nach den chemischen Ver suchen, die hohe Werte ans Licht brachten, aber seinen Arm mit rissen, hat ihn zum Krüppel gemacht. Wohl heilte der Arzte Kunst de» Körpers Not und Schmerz, aber der Seele Leid nahm sie nicht weg. Da» schmolz nur unter dem weichen Blick Ruth " Barella». Warum sie wohl heute mittag nicht am Esten tcilnahm? Warum? Der Grübelnde sieht auf. Ein leichter Zugwind von der Tür her. Die Ärztin tritt ein. „Ich danke Ihnen, lieber Berthold, für die schönen Frühlingskinder! Palmenkätzchen, Osterboten! In meiner Heimat wird heute an der Tür jedes Hauses, jeder Scheune, jede» Stalles die „geweihte Palme" befestigt, bi» über« Jahr die neue die alte wieder ablöst. Es war wie Heimatgruß!" „Das macht mich so froh, Fräulein Doktor, so froh!" Seine Augen suchten die ihrigen. „Doch, wo waren Sie heute mittag?" „Ich hatte zu tun; ich reise, wollte nur ein kurze» Lebewohl sagen!" „Sie reisen? — Jetzt? — Wohin?" „In die Heimat, zur Schwester." „Aber, Sie kommen zurück?" Angst springt au» seinen Augen, die Hand zittert. „Fräulein Doktor — schenken Sie mir einige Augen- blicke! Setzen Sie sich zu mir. Sol — Sie wissen es ja, sehen es täglich, daß ich nur durch Sie lebe, nur durch Ihren Zuspruch dem Dasein wieder Freude abgewonnen