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H SSL. 8. Beilege M» Metier Freite«, 81. Deze«»er iss«, «neues. 7». Jehr«. M Iklnkr «m Wkl von D r. Hamel, Präsident de» Rrich»g«sunbbeitSamt». VA. «8 ist «in« aut« alte Sitte, sich »um Jahreswechsel et« gesunde» neue» Jahr zu wünschen. Hier kommt au» b«M «retgensten BolkSempftnben die überragend« Bedeu tung, die die Gesundheit für unser Dasein besitzt, klar zum Lutzdruck. Was nütze» alle Schätz« und Reichtümer, wenn et« kranker ober auch nur verweichlichter Körper oder Geist trotzdem keine echte Lebensfreude auskommen läßt, wenn Qual ober Angst den glückliche« Besitzer" peinigend „Ge> snndheit Ist Lebensglück" hat uns bi« ReichSgesundhettSwoche im vergangenen Jahre zugerufen. Bleibe» mir dessen auch im neuen Jahre eingedenk! Gesundheit und Krankheit sind nicht Dinge, die lediglich Zufall oder Tilgung sind. Wir wissen heute, daß man durch kluge, fachgemäße Lebensführung Krankheiten und Gesund- hettSschäden vermeiden, daß man den Verlauf einer Erkran kung im Einzelfall abkürzen, ihre Nachwirkungen mildern kam», daß man Schwaches zu stützen. Starkes zu höherer Blüte zu entfalten, kur», bah man das Leben an Dauer und kraft vollem Inhalt zu steigern vermag. Was hier der Einzelne für sich tut, das wirkt sich aus tm BolkSganzen, in der Volksgesundheit. Wie sehr sich diese aber in den letzten SS Jahren gewandelt hat, dafür nur einig« Beispiele: Die Gesamtsterbltchkett des deutschen Volkes ist seit Beginn dieses Jahrhunderts um 48 Prozent zurückgegangen, die Sterblichkeit der Säuglinge um 40 Pro- 'zent, die Tuberkulosesterblichkeit um 81 Prozent. Während 1900 die durchschnittliche Lebenserwartung jedes Neugeborenen mit 40 Jahren zu bemessen war, beträgt sie heute rund 80 Jahre. Gewiß sind diese Gewinne zum groben Teile auf die Fortschritte der medizinischen Wissenschaft und die damit Schritt haltende Vervollkommnung der hygienischen Ein richtungen, insbesondere in den städtischen Gemeinwesen, zurückzusühren. Aber nicht minder sind sie auch der Eigen» arbeit des deutsche« Volkes an sich selbst zu danken. äSiel an hygienischer Aufklärung ist in den letzten Jahren in die Massen der Bevölkerung htnelngetragen worden —aus ISS« sei nur an die in mehr als 3000 deutschen Orten ver anstaltet« Reichsgesundhettswoche und die Düsseldorfer „Ge- solei" mit ihrer Rekordziffer von 7^ Millionen Besuchern erinnert. Reiche Frncht ist aus dieser Saat schon hervorge- gangen. Wir sehen ein zunehmendes Bedürfnis nach Rein» lichkeit und Ordnung: ein Streben nach Licht, Luft «nd Sonne, wie es in den unübersehbaren Scharen der Wandern den, in den Millionen, die zur Sommers zeit an Flüssen und Seen dem Freibad zueilen, zum Ausdruck kommt: ein Sehnen nach Kraft und Selbstzucht, wie es in der zunehmenden Begeisterung für Turnen und Sport sich kundgibt: ein Mühen um die »schlanke Linie", das neben körperlicher Gymnastik weise Mäßigung in Speise und Trank zur Voraussetzung hat: ein« Abkehr von den Auswüchsen des Alkvholismus, die namentlich in der Jugend sich immer mehr durchsetzt. Dieses alles und noch viel mehr muß auch in Zukunft so bleiben, muß noch vielmehr Allgemeingut werden, wenn die Volksgesundheit erstarken soll, denn noch sind die schweren Erschütterungen, die die Kriegs- und Nachkriegszeit der Volksgesundheit gebracht haben, nicht wettgemacht, noch ist sie mit schweren Hemmungen, die ihre Spannkraft lähmen, belastet. Da ist die «ugünftige Wirtschaftslage, die nicht zum geringsten Teil als Folge der Bindungen d«S Versailler Vertrages uns die gesundheitliche Not der Erwerbslosen bringt: da ist die Wohnungsnot, die Bolksvermehrung und BolkSgesundung in gleicher Weise beeinträchtigt) da ist der psychische Druck, -er infolge der anhaltenden Besetzung wert vollsten deutschen Gebietes noch immer auf einem großen Teil unseres Volkes lastet: und da ist, geboren aus der Not der wirtschaftlichen Lage, ein offensichtlicher Hang zum Mysti zismus» der sich auch in gesundheitlichen Dingen auswirkt und die Bevölkerung den klingenden Phrasen falscher Ge- sundheitspropheten zuzuführen und ihrem berufenen Be rater, dem Arzte zu entfremden droht. Das alles sind Hemmnisse, die im Interesse der Volksgesundheit möglichst bald fortgeräumt werden sollten. Und so sind mein« Wünsche für 1SS7: Ein freies Vater land. ein aufblühendes Wirtschaftsleben mit gehobenem Le bens- und Gesundheitsstandard und ein frischer, vou Tat«« beseelter Wille zum gesundheitliche« Fortschritt. JehreSbile», ISS«. 1. „Ach, wie glücklich bin ich doch eigentlich dran", meinte lächelnd zu Beginn des Jahres ISS« Michel, „ich habe nur die Dawes-Raten zu zahlen: um die Keilerei bei der Ver teilung brauche ich mich nicht zu kümmern!" 2. Einem entzückenden Karnevalsulk fiel im Monat Februar di« Internationale Kontrollkommission zum Opfer. Ihre Aufmerksamkeit wurde nämlich durch einen Anonymus auf den „offensiven Charakter" der Potsdamer Stern warte gelenkt. L. Auf der Fahrt zur Aufnahme in den Völkerbund entdeckte Dr. Strescmann, daß ein etwas fragwürdig ausschauendes Individuum genau dem gleichen Reiseziel zustrebte. 4. Die Macht- und Größenverhältnisse gestalteten sich im Maka- und Lazarvnigcseqneten Italien immer grotesker. So wurde gelegentlich einer Probe konstatiert, daß der König schon bequem, wenn er sich etwas duckte, zwischen den Beinen des Duce hindurchgchen konnte. 5. DaS von Brianb bezauberte l! ?f deutsche Dornröschen vermochte der beabsichtigten „Wiedererweckung" durch den Sowjetprinzen um so eher Widerstand zu leisten, als dieser Prinz des Ostens ihrem — Mädchenideal nur sehr wenig entsprach. 6. Um die Mitte des Jahres stellte Marianne zu ihrem größten Leidwesen fest. Laß ihr Lieblingslaubfrosch „Frank" infolge zu reichlicher Wasserzufuhr in Len letzten Zügen lag. 7. Unliebsames Aufsehen erregte cs im Herbst, als einem Hut aus einer langen Stange nicht die gebührende Reve renz erwiesen wurde. 8. „Allright" meinte um dieselbe Zeit Uncle Sam befriedigt, als er sich wohlgefällig im Spiegel betrachtete, „Tie wohl tätigen Wirkungen der „Prohibition" sind nicht ansgc- blieben!" V. Die Versuche, unsere Klassiker im Frack und Smoking aufzuführen, waren in diefem Winter so erfolgreich, daß man beschloß, nunmehr auch die Denkmäler -unserer Dichter zu modernisieren. 10. Die im Jahre 1925 vergeblich erwartete Friedensnobel preistaube ließ sich zur allgemeinen Freude dieses Jahr wieder zur Erde nieder. 11. Auf seinem Wege zur deutschen Weihnacht sprach Knecht Ruprecht bei Bruder Jonathan vor: „Ich wollte nur, verehrter Minister, falls es Ihnen reckt ist, gleich — das deutsche Eigentum mitnehmen." — „Sic sind wohl total meschugge", war die Antwort. 12. In einem aufsehenerregenden Prozeß in Landau bewies die französische Militärjustiz, daß unter ihrem Schutz die Gerechtigkeit auch auf dem Kopfe stehen kann. Der Kliuttelzng. Eine Silvestergeschichte von H. Schede. Schwarz und still wie Totenengel mit weit ausgebrei- teten Flügeln, über die der Mond geisterhaft strich, standen die Tannen im Schloß von Montjoli. Der alte Marquis, ein Geizhals und Sonderling, der nie hatte sterben wollen, um sein Gold nicht in den Rachen der ungeduldig wartenden Verwandten werfen zu müssen, war nun endlich einem Schlaganfall erlegen. Sein Neffe, ein Gelehrter, der sich ohne Vermögen einen Namen gemacht hatte, trat als nächster Angehöriger in den letzten Tagen des Jahres bas reiche Erbe an. Der Marquis lag schon über eine Woche in der kalten Gruft derer von Montjoli, und noch hatte kein Laut die Ruhe der weiten Halle gestört. Alt und grau, als wären cs aus dem Mauerwerk gesprungene Gespenster, huschten die Diener über die Dielen und Treppen. Erst zu Silvester kehrte etwas wie Wirklichkeit und Leben in das verlassene Schloß zurück. Ein kleiner Kreis von Freunden hatte sich eingefunben, um in aller Stille mit dem Gelehrten bas ab sterbende Jahr zu beschließen. Sie saßen in dem berühmten Barocksaal mit den kostbaren Gobelins und hohen Ahnen bildern. Aus den schweren Golbrahmen traten gepanzerte Ritter, Staatsmänner mit glitzernden Orden, Matronen in steifen Seidenkleidern, deren leises Knistern man noch zn vernehmen glaubte. Zwischen ihnen eine verführerische Krau im elfenzarten Gewand, voll Schönheit und bannenden Zaubers. Es war das Bild der Marquise Blanche, di« ihrem greisen Gatten ein Schlafpülverchen gemischt hatte, nach dem eS kein Erwachen mehr gab, und deren jüngster verstoßener Liebhaber sich aus Gram am Letzten des JahreS an ihrem perlenbestickten Klingelzug erhängt hatte. Das war vor 200 Jahren gewesen, und es hieß, die schöne Blanche hole sich alle Salbjahrhundcrte mit demselben kostbaren, von Edelsteinen glitzernden Strick einen aus ihrem Geschlecht. Seltsamerweise waren eben in dieser Nacht die fünfzig Jahre fällig. Man lachte darüber an der kleinen Tischrunde, die aus lauter aufgeklärten Männern, aus Forschern und Aerzten, bestand, die Menschen und Dinge zu sezieren ge wohnt waren, und sich nicht durch Spuk und Aberglauben schrecken ließen. Herr von Montjoli meinte ironisch, die süße Circe habe sich wohl verrechnet und dem alten Mar quis das Rokokobamd ein paar Tage zu früh um den HalS gelegt. Eben schlug die Mitternachtsstunde. Di« Gäste hoben daS GlaS, um das neu heranrollende Jahr zu begrüßen, als aus der Wand, an der das Pastell hing, ein langgebehnter Seufzer — wie das Stöhnen ein«S gequälten Menschen — dran«. Zwei-, breimal dies seltsam«, unerklärlich, bohrende Wehn«««: dann wurde es totenstill. Betroffen sahen sich di« Freunde an. „Es wird der Wind gewesen sein", meinte der Gelehrte und beugte sich hinaus. Aber kein Hauch bewegte die kahlen Büsche und Aeste, und über die Tannen breitete die Helle Nacht ihr Leichentuch. Irgendwie blieb in dem Gemach etwas Unheimliches, Ungelöstes zurück, daS keine rechte Stimmung mehr aufkom men ließ. Die Herren gingen auseinander, und Herr von Montjoli legte sich auf -en breiten, als Nachtlager her gerichteten Divan unter das Bild der Marquise. Bald umfing ihn tiefer Schlaf. Nach kaum einem Stündchen jedoch weckte ihn ein entsetzliches, angsterfülltes Röcheln. Es war wie der plötzliche Aufschrei eines Menschen in höchster Todesnot. „Zum Teufel!" Das mar doch ein starkes Stück. Der Gelehrte sprang auf, durchsuchte den Saal und alle angren zenden Räume. Nichts Verdächtiges regte sich. Tiefer Friede umspannte die Wände und Decken, nur die Pendülen tickten mit ihren feinen zitternden Mollstimmen. Vom Kamin her fiel ein langer roter Streifen über die schlanken Hände der Marquise. Als hielten sie zwischen den weißen Fingern den in warmes Blut getauchten Klingelzug. In mühsamer Selbstbeherrschung legte sich Montjoli wieder zur Ruhe. Er mochte wieder kaum eine Stunde ge schlafen haben, als er jäh, wie unter dem Einfluß einer fremden Macht erwachte. Es war kein Uebergang zwischen Schlafen und Wachen. Als er die Augen aufschlug, waren alle feine Sinne geschärft, wie auf etwas Furchtbares ge richtet. Aus dem Klagen und Stöhnen, das deutlich un mittelbar hinter dem Bild zu hören war, wurde ein laute», wildes, stoßweise htrvorbrechendeS Heulen, das nichts Menschliches mehr zu haben schien. Montjoli hörte gespannt zu. Kein Irrtum war möglich. Das Schreien kam aus der Wand, als sei hier wie zur Zeit des Borgias jrmand lebendig eingemauert worden. Das Licht der Kerze fiel voll auf das Bild der Marquise. Wie eine Schlangenhant schillerte bas Gewand in grünen und gelben Tönen, und das Lächeln auf dem zarten Gesicht hatte sich in ein böses drohendes Grinsen verwandelt. Jetzt wahrhaftig ging ein Zittern durch den schweren Golbrahmen. Die Leinwand hob sich, ein Atmen lief durch die Brust der bestrickenden Frau. Ganz deutlich konnte der Erwachte das beobachten. Ein eiskalter Strom rann durch seine Glieder und hemmte jede Bewegung. Und plötzlich bewegt« sich das ganze Bild. Mit ausgerissenen Augen sah Montjoli, wie die Gestalt des furchtbaren Weibes langsam sich ihm zuwendete. Es rückte gleichsam von der Wand weg und kam ihm gegenüber zu stehen. Ganz sacht, ganz geräuschlos. Er dachte: „Jetzt hebt sie die weiße Hand. Jetzt legt sie mir den Klingelzug um den Hals. Jetzt wirb sie mich wür- ae» — immer, immer fester zuziehen ..Entschlossen holte er zum Schlage aus. Es war zu spür. Etwas Warmes, Schweres hatte sich auf ihn geftü.zt. eine schwarze Gestalt, die ihn umklammert hielt und mit Zenrnergeivickr aus ihm lastete. Funkelnde Anger brannte» si-h sti die seinen. Er spürte einen heißen Atem wie eine lodernde Flamine über seinem Gesicht und fühlte am Hals einen brennenden Schmerz. Dann schwanden ihm die Sinne. Wie in ein tiefes Meer versank cr in Bewußtlosigkeit. . . . Um neun Uhr früh am Ersten des Jahres sand man den Gelehrten tot auf dem Diwan. Auf seinem wachs bleichen Gesicht lagen die Schrecken der Nacht. Eine offene Wunde klaffte am Hals. Durch eine weit aufgespcrrte Geheimtür, an der das Bild hing, drangen die entsetzten Diener in eine Kammer, in der sich Berge von Papieren, Gold und kostbaren Münzen häuften, an deren Anblick sich der alte verstorbene Geizhals wohl am Abend vor seinem Tod geweidet hatte und deren Geheimnis cr mit ins Grab nehmen wollte. Auf der Schwelle lag die tote zum Skelett abgcmagerte Dogge des Marquis, die hier eingcsperrt geblieben war. In seinem Heißhunger hatte das Tier den kostbaren Klingclzng der Marquise gezogen, um ihn zu zernagen. Das war der Schlüssel zum Ocfsnen der Kemenate gewese". Still und unbewegt, als habe sich gar nichts ereignet, blickte die schöne Blanche mit ihrem bestrickenden Lächeln auf den Toten kerab. Jetzt hatte sie Ruhe. Nack genau fünfzig Jahren hatte sie sich den letzten ans ihrem Geschlecht geholt. _ Dresdner Brief. Wie man Glück wünscht! „Prost Neujahr! Prost Neujahr!" Die Glocken brausen feierlich durch die Winternacht, ihr Schall schwebt oben in den Lüften, und jeder horcht. Ein neues Jahr, ein neuer Lebensabschnitt! Und weniger feier lich, fröhlich angeregt, rufen sich die Leute an, Fremde und Bekannte, mit dem nichts sagenden Worte: „Prost Neujahr!" Aber die einander näher stehen wünschen sich gegenseitig allerhand Gutes, ja, und wenn nur die Hälfte davon in Er füllung gehen würde, dann gäbe es keine kranken oder un glücklichen Menschen in Dresden und seiner näheren oder weiteren Umgebung. „Wünsche sind billig", mit dieser philosophischen Bemer kung pflegte ein alter Dresdner, de» ich nicht nennen will, die vielen mehr oder weniger gut gemeinten Neujahrs wünsche enigegenzunehmcn. Oder abznwcisen? Das war nicht genau zu erkennen. Was nutzten ihm Wünsche? Was