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Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 23.12.1933
- Erscheinungsdatum
- 1933-12-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-193312236
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1666408611-19331223
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1666408611-19331223
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Bemerkung
- Beilagen "Erzähler an der Elbe" und "Unsere Heimat" sind auf den 24. Dezember 1933 datiert
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Riesaer Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1933
-
Monat
1933-12
- Tag 1933-12-23
-
Monat
1933-12
-
Jahr
1933
- Titel
- Riesaer Tageblatt und Anzeiger : 23.12.1933
- Autor
- Links
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(tt war am dreiundzwanziasten Dezember. Ich hatte mich seit einigen Stunden herumgeräkelt. Ein wenig geschlafen, ein weuta gelesen, dar Grammophon angestellt und wieder ab- aefteln. Ich hatte keine richtige Lust zum Arbeiten. Wahlschein- «ich gerade deshalb, weil eine große Arbeit in sehr kurzer Zeit sertiggrstellt werden sollte. Um neun Uhr gab ich dann jeden Ge danken au Arbeit aus und entschloß mich, auSzugehen. Der Broadwav war dicht voll Menschen gepackt. Sin seiner Segen rieselt« herunter. Es war der Abend vor dem Weih- »aäytsabcnd und alle Menschen trugen Pakete und Päckchen. Uebcrall sah ich leicht erregte Gesichter, hinter deren Stirnen die Gedanken an die Einkäufe, die gemach« waren, und die, dir »och erledigt werden mußten, die Gemüter beschästigten. Der Gedanke an Weihnachten steigerte meine Unlust. Wieder so ein langweiliger Abend, an dein ein Mann, der keine Familie be saß, nicht wußte, was er mit sich ansangen sollte. Ich winkte eine Aulotaxc heran. Ich hatte die Absicht, in einem kleinen italienischen Restaurant in Greenwich Btllage daü Abendbrot einzunchmcu, und dann in irgendein Theater zu gehen, uin meine trübe Stimmung loszuwerden. Ter Echausieur hielt an dem Bürgersteig, und nachdem ich ihm das Fahrziel angegeben Halle, streckte ich gerade meine -and aus, um den Schlag zu össnen, als ich aus einmal spürte, daß mich jemand am Rockärmel zupfte. Ich drehte mich um. Ich sah in ein Paar große, wett ausgeristcue schwarze Augen, die aus einem zarten, bleichen Gesicht leuchteten. Ter kleine Mund zitterte nervös. Ich lüstete meinen Hut. »Verzeihung — ach, verzeihen Sie mir — aber — aber../ Sie sprach nicht weiter, aus Angst, oder Verlegenheit, oder Scham. .Kann ich Ihnen behilslich sein?" sragle ich. ^Za. ich weiß nicht — Sie werden es unpassend finden — ich kenne Str ja gar nicht — aber ich — ich bin in Gefahr!" »Mollen Sie nicht lieber etnstcigen?" sragle ich. »In dem Wagen können wir uns ungestörter unterhalten." Sie zögerte einen Augenblick. Sie war sehr elegant und sehr Hübsch, dte hübscheste Frau, die ich je in meinem Leben gesehen hatte. »Gut, ich weiß fahren Sic mich in die Nähe des Central Park." Ich trat zur Seite und hielt den Schlag der Autotare offen. Und dann stand aus einmal ein Herr neben mir und packte die junge Dame an dem Handgelenk: »Hallo, Susi! Wo willst dn denn hin» Ich suche dich schon sei« einer Stunde." Ich werde nie in meinem Leben daS bleiche, hilflose, erschreckte Gesicht des jungen Mädchens vergessen, als sie die Stimme hörte. Sie schien am ganzen Körper zu zittern. Der Mann war einen halben Kops größer als ich, trug einen schweren grünen Ulster, der ihn noch größer und kompakter erscheinen ließ. Die Dame war in Gefahr. Das hatte sie mir gesagt. Dieser Kerl schien kein Freund von ihr zu sein. Ich versuchte «ich zwischen ihn und die Dame zu schieben. »Bitte steigen Sie ein!" sagte ich halblaut. Aber sie wich zurück. Sie blickte mich mit ihren entsetzten schwarzen Augen an. »Es ist schon gut. Verzeihen Sie. daß ich Sie belästigt habe. Ich —" lind dann hatte sic der Mann sortgczogcn. Ich stand wie gelähmt neben dem ossencn Wagen. Der Mann und daS Mädchen tauchten in der Menge unter. Ich blieb unentschlossen stehen. Was ging mich eine fremde Frau an. Aber ich war doch ein Idiot, rin großer Idiot. Dann waren sic verschwunden. Miß mutig stieg ich in die Autodroschke. Dte dunklen Augen dcS Mädchens ließen mir keine Ruhe. Ich mußte sie Wiedersehen. Aber ich konnte ebensogut hossen, eine Perle zu finden, die ich in der Sahara verloren hatte, wie diese Susi. Bei einer Flasche Chianti und einigen in Oel gebackenen Forellen überlegte ich mir daS ganze Ereignis. Was wäre geschehen, wenn dieser Kerl nicht ausgetancht wäre? Ich hatte SustS Bckanntschast ae,nacht, batte ihr vielleicht einen Dienst erwiesen — sic hätte sich für mich interessiert — vielleicht war sie auch so einsam wie >ch, sehnte sich auch nach menschlicher Gescltfchasl. Um els Uhr verließ ich das Lokal. Ich wollte in rin Theater aus dem Broadway. Aber vorher gedachte ich ein wenig aus dem weißen Wege spazicrcnzugebcn. Vielleicht traf ich Susi. Ich lächelte «tu wenig beschwipst vor mich hin. An der Ecke der zweiund- vierziasten Straße blieb ich stehen und blickte mich suchend um. Dort drüben, an der Laterne, hatte ich vor zwei Stunden Susi Dttrossen. Ein Zeitungsjunge mit einer einzigen »Evcning World" in der Hand pirschte sich an mich heran. Ich zog ein Zehncentstück aus der Tasche. Er blieb vor mir stehen und blickte mich forschend an. »Brauner Ulster — Brille — breites Kinn — Augenfarbe unbestimmt — gesütterie Lederhandschuhe — stimmt genau, Mister", sagte der Junge. »Was, zur Hölle...", begann ich. »Ich soll Ihnen einen Zettel geben, Mister." »Mir? Du kennst mich doch gar nicht." »Eine Dame bat ihn mir gegeben. Falls ich Sic bis zwölf Uhr nicht «resse, sollte ich ihn vernichten. Ich warte schon seit einhalb zehn." Susi... I Her damit! Aber wie wußtest du, daß ich wieder kommen würde?" »Die Dame sagte, Sic würden kommen." »Her mit dem Zettel!" »Was bekomme ich dafür?" Der Junge grinste unverschämt. Ich riß eine Zweidollarnotc aus der Westentasche und gab sie ihm. Er nahm sie und händigte mir dafür ein kleines Stück Papier aus, das aus einem Notizhest gerissen war. Ich las hastig mit Bleistift hmgekrttzelle Worte: »Ich bin in Gefahr! Siebenhundertdreiundsünszigstc West ... Straße ... Longue." Ihre Adresse. Mein Herz schlug höher — ich hätte den Zeitungsjungen umarmen können. Ich sah eine leere Taxe die zwctundvicrzigste Straße heraus kommen und winkte. »Siebenhundertdreiundsiinfzig, West ... Straße", sagte ich. Ich würde sic Wiedersehen. Ich begann lustig vor mich hin zu pfeifen. Das Auto hielt vor einem Hanse in der Mitte der Straße. Ich stieg aus und bezahlte. Susi war in Gefahr. In diesem großen Hause, in dem kein einziges Fenster erleuchtet war, befand sich Susi in Gesahr. Dann war ich drinnen und ging die teppichbclegten Treppen hinauf. Im dritten Stockwerk stand ich vor einer Tür, aus dem der Name -Longue" stand. Als das Ltcht erlosch, brückte ich wieder auf den Flurschalter. Diese Prozedur wieder behauptet worden war, daß er seine schöne junge Frau in einen schwarzen Hund verwandelt hatte. Es war sicher Rav- mond, der blind wurde, und dann ein schreckliches Ende sand, als ein Ritter ihn in seinem Turmztmmer bet lebendigem Leibe verbrennen ließ. Das war Rahmond! Aber wer war der Mann, der mich gefangen hielt — war das auch Ray... Wahnsinnig — vielleicht ein Nachkomme, oder nur ein Mann, der daS Bild gekauft hatte, weil e» ihm zufällig ähnlich sah. Ich begann an meinen Ketten zu rütteln, so daß sie schauer- ltch rasselten. »Hilfe!" rief ich. Niemand antwortete aus meine Schreie. Eine Uhr im Nebenzimmer schlug neunuml. Eine schwere Portiere auf der linken Sette schob sich auseinander und ein zarteS, bleiches Gesicht mit wett ausgcrisfenen, schwarzen Augen blickte mich an. ES war Susi. Sie überschritt di« Schwelle. Ich wollte etwas zu ihr sagen, aber da hielt sie einen Finger aus ihren Mund zum Zeichen, daß ich schweigen solle. Als sie ganz in meiner Nähe war, flüsterte sic: »Er schläft dort drinnen — ich werde versuchen, die Schlüssel zu diesen Schlössern zu finden." Sie glitt unhörbar durch das Zimmer und verschwand. Die Minuten vergingen sehr langsam. Warum kam sie nicht zurück? Fand sic die Schlüssel nicht? Warum hatte st« mir nicht gesagt, was daS alles zu bedeuten habe — warum? Ein schrecklicher Schrei, der sofort mittendurch abgebrochen wurde; bann ein heiseres tierisches Stöhnen. Susi! Er war ausgewacht, er hatte... Ich zerrte an meinen Ketten, so daß sie unheimlich rasselten und klirrten. DaS Bild von Raymond, dem Alchi misten, blickte hämisch aus mich herab, dann Der Bucklige trat in das Zimmer. Mit tastend vorgestreckten Händen kam er aus mich zu. »Was soll daS bedeuten?" schrie ich. »Sie sind wahnsinnig! Und wenn Sie mich nicht sofort befreien..." Er schien mich nicht zu hören. Seine glasigen Augen starrten in dte ewige Dunkelheit, die ihn umgab; seine riesigen Hände tasteten an meinen Ketten herum. Er murmelte unzusammen- hängende Worte vor sich hin Dann ging er an einen der großen schwarzen Schränke und zog eine korbumwundenc Flasche heraus. Er riß den großen Kork ab und begann eine Flüssigkeit auSzugießen aus Schränke. Stühle und an die Wände, dann kam er zu mir und begoß mich — mit Benzin. »Was - Sie..." Ich tonnte nicht« mehr sagen. Al» die Flasche beinah leer war, stellte er sie aus den Boden und ging in daS Neben zimmer. Er erschien gleich daraus wieder. Aus seinen Armen trug er Susi. Eine bleiche Susi mit geschloßenen Augen und roten Würgmerkmalen am weißen schlanken Hal». Guter Gott! Er hatte sie getötet. Ich schrie aus. al» er dir Flasche nahm und das Benzin über sic ausschüttete. Dann ging er in« Reben- zimmer und kam mit Streichhölzern wieder. Der Mann war wahnsinnig. Er hatte Susi ermordet und gedachte uns all« zu verbrennen. Mein eigenes heisere« Gebrüll erhöhte meinen Schreck. Aber der Mann beachtete eS gar nicht. Sein« Lippen bewegten sich iinmersort, während er ein Streichholz nahm und es anründetc. Er warf es aus den Fußboden neben einen großen Stuhl. DaS Benzin brannte hell aus und die Flammen krochen an den Beinen des Stuhles empor. Zufällig schien gerade dieser Stuhl wenig abbckommen zu haben, denn er brannte nicht zu schnell. Trotzdem war kaum eine Möglichkeit einer Rettung vorhanden, sowie daS Feuer von dem Stuhl aus den Schrank daneben schlug, von dem jetzt noch das Benzin her unterlief, gab e» kein« Rettung mehr. Der Rauch begann unangenehm zu werden, biß in meineAugen und mein« Kehle. Dte Hitze wurde unerträglich. Jetzt leckten die Flammen an dem Schrank. Eine riesige Flamin« schlug empor und hüllte daS schwarze Möbelstück ein. Ich« brannte auch die Portiere, und jetzt — ich wurde ohnmächtig, sah nicht mehr klar. Susi bewegte sich — nein — doch — Susi war aus gestanden. Sie taumelte, ihr« schwarzen Augen, die weißen Hände, ein Brüllen, eine weiße Gestalt, die aus mich zukam — Hinterher daS rothaarige Ungebeuer. Ich suhlt« eine Bewegung an meinen Füßen, rin Schloß klirrte. Meine Beine waren frei. SustS Gesicht, eine rothaarige Fratze. Meine Beine schlugen av», direkt in daS Teufelsgesicht, ein Schrei, Susi Klirren, dte Ketten fielen herunter. Eine kleine zarte Hand — und dann... Frisch«, reine Lust. Meine Gedanken klärten sich Reben mir stand Susi mit schwarzem, rauchgeschwärztem Gesicht. Dann waren dte Feuerwehrleute da und ich wurde aus dte Krankenstatton gebracht. Von dort in meine Wohnung. Um süns Uhr von meinem Sofa au» konnte ich durch das Fenster aus dir gegenüberliegenden Häuser sehen — flammten die ersten Christbäume auf. Zehn Minuten später klingelt« «S. Vor d«r Tur stand Susi — eine seine elegante Susi mit bleichem Gesicht und drohen schwarzen Augen »Er ist tot!" sagte sie, als sie mein Zimmer beirat. »Ach, er war früher so gut, nur als er wahnsinnig wurde..." Er war ihr Onkel. Sie hatte ihr ganze- Leben mit ihm zu sammen gelebt. Er war Gelehrter und Sammler gewesen. Alles war gut gegangen, bi- vor einigen Jahren, als er daS Bild de» Alchimisten Raymond und die Ähnlichkeit, dte er mit dem Manne hatte, entdeckte. Von diesem Augenblick an bildete er sich ein, Raymond zu sein. Er wollte genau dasselbe Leben führen wie dieser Alchimist. Er zwang Susi, ihn zu heiraten. Es war nur eine Formheirat, denn er dachte nur an den Ray mond, der auch eine junge Frau gehabt hatte, die Schwester des Ritters, der ihn später verbrannte. Und gestern brach ver Wahnsinn ganz aus. Ein Antiquitätenhändler — der Mann, den ich später mit Susi sah — kam und als er sah, das Longue ganz verrückt war, schwindelte er ihm eine große Summe Geld ab. Susi kam dazu und wollte den Mann bewegen, den Scheck herauszugeben. Aber sowohl Longue wie der Blake, so hieß der Antiquar, bedrohten sie. Da lies sie ans dem Hause, um Hilse zu suchen. Und so traf sie mich. DaS alles erzählte sie mir am Nachmittag des Heiligabend, al- ich mit verbundenem Kops aus der Chaiselongue lag und ihre süßen Züge bewun derte. Wir wurden innerhalb einer Stunde Freunde. Da sie Trauer hatte, konnten wir nicht, wie ich daS gewünscht hatte, eine große Feier machen; aber einen Weihnachtsbaum, um das Christfest feiern zu können, besorgten wir, und nachher sagt« Susi nach einer stürmischen Unterredung: ^lfch habe dich gleich geliebt, Ralph.. U" holte ich zehnmal in den nächsten zehn Minuten, während ich mir den Kopf zergrübelte, ob eS klug wäre, an dte Tür zu klopfen, oder ob das für Susi unangenehm sei. Und dann vergaß ich einmal rechtzeitig den Schalter heruntrrzudrücken und «astete einen Augenblick in der Dunkelheit umher, um ihn zu sinken. Und in dieser Sekunde ertönt« ein klingendes Ge räusch. Ich drückte den Knops nieder — und sah beinah im gleichen Augenblick, daß sich die Flurtür in der Wohnung von Longue um einen Spalt geöffnet hatte. Ich trat nun in einen dunklen Flur und schloß die Tür geräuschlos hinter mir. Eine Treppe tiefer wurde eine Tür zugeworsen. Dann ging das Ltcht auS. Warum ließ Susi nichts von sich hören Warum hatte sie dte Tür geöffnet — und gab jetzt kein Zeichen mehr von sich. Und dann kam mir ein schrecklicher Gedanke. Sie batte gesagt, sie befände sich in Gefahr. Vielleicht geschah etwas in dieser Dunkelheit — in dieser unheimlichen Stille. Vielleicht hatte dte Gesahr, von der sie sprach, sic schon übermannt. Und ich stand hilsloS und tatenlos dabei und rührte keinen Finger, nm ihr zu Helsen. Unwillkürlich trat ich eine» Schritt vor und noch einen. Tie Dämmerung, die ich vor mir gesehen hatte, war, wie ich jetzt seststclltr, daS Innere eines Zimmers, besten Tür ganz offen stand. In diesem Augenblick war ein Mann durch die Tür aus der anderen Seite in daS Zimmer gekommen. Er blieb einen Augenblick stehen. DaS blaue Ltcht. daS im Zimmer herrschte, beleuchtete ihn gespenstisch. Und als mir sein Aussehen voll zum Bewußtsein kam, hielt ich ihn beinahe für rin Gespenst, ein grauenerregendes, entsetzliches Gespenst. Er trug eine schwarze runde Kappe, die seinen mächtigen Schädel fest umschloß. Sein riesige- Gesicht — cs besaß mindestens ein einhalb bis zweimal dte Größe eines normalen Menschen gesichtes — wurde durch einen roten Bart zu einer teuslischen Fratze verunstalte«. Die unter den Backenknochen eingesallencn Wangen ließen das vorgeschobene Kinn noch deutlicher hervor- trcicu uud die Lippen, die sich ewig zu bewegen schienen, noch grausamer uud zynischer erscheinen. Der Mann war klein und breit, und seine rechte Schulter war zu einem riesigen Buckel verunstaltet. Noch niemals tn meinem Leben hatte ich ein so entsetzliches Wesen gesehen wie da«. daS jetzt vor mir stand uud mich starr anblickte. Ich mußte etwas sagen, mich ent schuldigen. Ich öffnete den Mund, wollte etwa- sagen, al« der Manu tn daS Zimmer «rat, mir dann den Rücken zu drehte und seine laugen Arme in den halbofsrnen Schrank steckte. Ich blieb sprachlos stehen und beobachtete, wie er im Innern dcS Schrankes hcrumhaittterte, sich dann umdrchte und ohne mich zu beachten an den Tisch ging, aus dem dte Lampe siand. Er setzte sich hin und stützte sein mächtiges Haupt aus seine Hand. Ich mußte etwa- sagen. »Sir", stotterte ich, »Str — ich muß um Ent " Er sprang aus und drehte sich zu mir um. »Wer ist da?" schrie er, eine hohe keifende Stimme: »WaS wollen Sie — Polizei..." Er blickte an mir vorbei, nach der Richtung der Tür. »Ich bitte um Entschuldigung Ich suche Fräulein Longue!" Er war still geworden. Lauschend beugte er seinen Kopf tn meine Richtung. Es war etn unhetmltctzeS Bild, wie er tn dem blauen Licht inmitten der mittelalterlichen Umgebung vor gebeugt dastand. Wie ein Alchimist kam er mir vor, ein Gold sucher, rin Zauberer! »Fräulein Longue? Sie sind irrsinnig; es gibt kein Fräu lein Longue, nur eine Frau Longue." Sollie — war Susi die Frau diese» Ungeheuers? Entsetz- ltch — aber nicht wahr! So etwa» konnte nicht wahr sein. Ich mußte meinen Rückzug antreten. »Dann ist daS wohl etn Irrtum", sagte ich. »Ich werde diese Wohnung verlosten — ich bitte vielmals um Verzeihung." Er kam aus mich zu. Seine starren Augen blickten an mir vorbei, nach der Tür hinter mir. Unwillkürlich drehte ich mich nm. Aber dort war nichts zu sehen. »Wo sind Sie?" In einer Entfernung von einem halben Meter ging er an mir vorbei aus die Tür zu. Und dann wußte ich, daß dieser Mann blind sei. Dieses greuliche Un geheuer war zudem noch blind. Darum dieses blaue Licht, da- er ja gar nicht bedurfte, das Ltcht. das doch seine ewige Dunkel- hei« nicht erhellen konnte. »Ich werde gehen", wiederholte ich. »Ah, da sind Sie!" Er drehte sich kurz um und stieß direkt gegen mich. Und im nächsten Augenblick umschlangen mich seine Gorillaarme wie die Schlingen einer Abgottschlangr. Mir war. als würden meine sämtlichen Rippen zerdrückt. Ter Atem kam pfeifend aus meiner Kehle. Ich war so HilsloS wie ein Kind tn den Armen dieses Asscnmenschen. Aus einmal schlug mir seine riesige Faust von unten gegen daS Kinn. Ich muß tn der gleichen Sekunde HilsloS zulammrngebrochcn und besinnungslos geworden sein. AIS ich die Augen wieder aus schlug, saß ich tn einem der strtsen barten Stühle aus dem Mittelalter. ES war schon spät am Morgen, denn durch die schweren Vorhänge an den Fenstern drang daS triibe Ltcht de» Dezembermorgens, des Morgens des 24. Dezember. Ich war allein im Zimmer. Und ich besann mich sofort auf alle». Ich versuchte anfzustehen und bemerkte, daß das unmöglich war. Ich war angekettet. Meine Hände und Füße waren mit schweren, verrosteten Ketten an dte Lehne und dte Beine des Stuhles geschlossen. Was beabsichtigte der Kerl? Wie kam er dazu, mich zu über fallen? Al» ich ausblickte, sah ich aus ein Bild, das dieselben GesichtSzttge meines Bezwingers hatte und das in einem alten schwarzen Rahmen tn einer Nische an der Wand hing. ES war ein sehr altes Bild, schwarz von Alter. Und es stammte sicher lich auch aus dem Mittelalter, wie alle diese Schränke und Truhen, die Tische und Krüge, die aus ihnen standen, diese Gobelins und dte Aerie und Schwerter, die an den Wänden dingen. Aber als ich näher hinblickte, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen. Das Gesicht dort an der Wand war das Porträt des Mannes, tn dessen Gewalt ich mich jetzt be fand. Die gleichen riesigen Geflchtsziige, dieselben roten Haar«, derselbe entsetzliche Ausdruck um Mund und Augen, und die gleichen starren Augen der Blindheit. Auf einmal wußte ich, wen daS Bild darstellte: «S war das Bild von Raymond, jenem Alchimisten, der im dreizehnten Jahrhundert am Hof der König« von Frankreich versucht hatte, Gold auS dem Bütt neugeborener Kinder z» machen; von dem « l » I » s 1 t 1 « t !
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