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299. 5. Vellage Riesaer Tagedlatt. SVSWMSSSMWSSWSMVSMMMMWMMW^iSWiMz Sonnabend, 23. Dezember 1933, avenvs. 8tz. Jahrg. WWWWMWWW WeihnachtS- maeN vor hun-erl Jahren Vom Znsammeng'scherrt nnd den Pflaumenmännchen. Mitte Dezember kamen die Kinder nach Hause und er zählten der Frau Mutter und dem Herrn Vater strafend, -aß die ersten Tannenbaumivagcn die Stadt erreicht halten, lind ein paar Lage später wurden Vudcn ansgcbaut, und ab und zu sah man schon ein Zipfelchen von der heiligen Wonne, «in Schimmer Engelshaar, eine goldene Kugel, ein Fitzchen Echneeseide. Nie waren die Kinder so artig wie in dielen Tageir. Lorgfältigst wurde alles vermieden, was auch nnr im geringsten Anstoß erregen konnte. Die Pan toffeln für den Herrn Vater wurden pünktlichst hingestellt, die Frau Mutter fragte man immer und immer wieder, ob sic auch bestimmt nichts zu besorgen hätte, und ob sie sich nicht ein weniges ausrnhen möchte, man würde auf die Kleinen anspasjcn. Man ivagtc es nicht, um den ersehnte» Spaziergang zu bitten, aber in jedem Blick der Kinder lag eS, mann gehen wir endlich auf den Wcihnachtsmarkt? Dazu waren die kümmerlichen Anfänge nämlich inzwischen geworden. All abendlich flammten in den Buden rund um die Kirche Sich ler auf, die aus Weihnachtspyramiden standen. Hier und da aber standen kleine Nadelbäumc mit bunten Papierketten geschmückt und mit sühen Kringeln behängt. Wie «in Wunder sahen die Kerzen aus, die man zwischen den Zwei gen befestigt hatte. Heute war es endlich so weit. Der Herr Vater hatte nach seinem Dienst nicht die Stulpenstiefel auSgrzogen und den Frack nur kurz zum Trocknen au -en Ofen gehängt. Gleich nach dem Vicrulirenbrot, seht trank man allgemein das neue Getränk, den Kaffee, und fühlte sich sehr wohl da bei, wenn auch die Kinder ibn nicht bekamen, zog der Herr Vater Frack und Mantel wieder an, fetzte den Zylinder auf und half der Frau Mutter, sich gut zu verpacken. Denn es war draußen schneidend kalt, lieber den weiten Rock zog sie cincn pelzvcrbramten Mantel, der große Muss und ein kleidsamer Hut vervollständigten den Anzug. Die Kinder wurden noch einmal gemustert, ob sic auch warm genug an gezogen waren. Drei Straßenecken ist man noch entfernt von dem Kinderparadies, dem Wcihnachtsmarkt und schon hört man das Rufen und Schreien der Verkäufer, das Schrillen und Kreischen der Spielsachen, das Singen von Schulkindern, deren Glück aus diese Weise hörbar werden muß. Di« Kin der halten «s nicht bei den Eltern aus. Hier bleiben sie sichen und dort laufen sie hin. Die Pscsscrkuchenbudcn lauen sie überhaupt nicht vorbei gehen. Und nnn erst die üaspcrlestände. Die Königinnen und Könige, die Gelehrten nnd Narren, der Tod und die Heren: eine fremde Welt tut nch in diesen Puppen auf,- die von geschickten Händen zusam- weugenüht sind. Die bunteste Puppe der Verkäuferin aber, di« aus Wie» stammt, ist der „Zusammeng'scherrt". Alle Neste sind in ihm verwandt, «r ist so bunt wie das fröhliche trubelnde Leben des ganzen WelhnachtSmarkteS. Die Kleinste macht auch so sehnsüchtig: Augen, dah es der Herr Vater nicht übers Herz bringt, vorüberzugehen. Der „Znsammeng'scherrt" wird gekauft und erringt sich später die Liebe der ganzen Familie. Ein leises Stimmchen biet«t an: „Pslaumenmännchen, Pslaumcnmännchen". Die Frau Mutter beugt sich Uber das Kind: „Wie alt bist du denn?" — „Elf Fahre." — Tie Frau Mutter streicht ihm übers Gesicht: „Hier hast du 12 Groschen. Geh nach Hause, du bist ja so müde!" — „Meine Frau Mutter ist krank und ich mutz Geld verdienen!" „Wo wohnst dir denn? Ich werde morgen deine Mutter besuchen und ihr helfen!" Glücklich trollt sich der kleine Familienernährer nach Haus. Au den NpselstänSen bleibt die Fran Mutter stehen. Ter Vorrat für das Wcihnachtsfest mutz ergänzt werden. Auch «ine Gan« bestellt man sich praktischerweise jetzt schon. Wer weih, ob man nachher genau daS Alter bekommt, da» man haben will. Ter Herr Vater verschwindet für einen Augen blick von ihrer Seite. Drüben sah er ein paar Handschuhe, die er noch für seine Frau Ehelichste erstehen mun. Pfeffer- kuchcn müssen besorgt werden, denn alter Tradition gemäß wird ein solcher Gang ans den Wcihnachtsmarkt zu Haus am warmen Ösen bei Bratäpfeln und Pfefferkuchen zu Ende gefeiert. Und zwar mutz jeder den Kuchen mit dem eigenen Namenszug verspeisen. So schön «S ist, so herrlich der Lärm klingt, endlich merkt man doch die kalten Führ. Die heiße Milch, Kuchen und Bratäpfel locken. Man findet sich am Treffpunkt wie der zusammen, beladen mit Schätzen, die jedes Kind für seinen Groschen erstanden hatte. Es hat noch angcfangcn zu schneien. Man «ilt sich, durch das Gestöber nach Haus in das warme Zimmer zu kommen. I VkkÄIN AkWM». Dresdner Vries. Nach all den arbeitsreichen und aufregenden Tagen und Wochen, die dem schönsten der Feste, dem Weihnachtsfest, vorangeheu, tritt plötzlich, wie aus «inen Zauberspruch Stille «in. Di« Läden schließen sich, die Verkaufsbuden wer den fortgeräumt, eiligen Schrittes suchen di« letzten Säufer, mit Packen und Päckchen beladen, ihr Heim auf. Der kurz« Wintertag neigt sich dem Ende zu, Dämmerung bricht herein. Da schallt es von den Türmen -er Stadt in vollen Akkor den, das hehre Keiertagsgeläute! Wie schön die Dresdner Glocken klingen! Wer lange i« der Fremde war, kann erst den Zauber dieser Klänge so recht verstehen. Sehnsuchtsvoll hat man ost im fernen Lande der Heimatstadt gedacht, des Feierahenbgeläutes unserer Glocken, -er ganz unbeschreiblichen Stimmung «in«s solchen Vorabends. Nun hebt eS von den Türmen an zu singen, der schöne alte Brauch des Turmsingens ist wieder erstanden. Auf letztem Geschäftsgang, ermüdet von dem Verkehrslärm, der Arbeit des Tages, bleibt man aufhorchend stehen. Wie aus HimmelShvhen schallt feierlich der Choral über die Stabt hin bis weit hinaus in die Vorstadt. Die Aetherwellen tragen den Gesang auf kurzem Luftweg, daß er oft weit draußen noch zu hören ist. Die winterlichen Straßen sind leer geworden, nnr noch den hell erleuchteten Kirchen wandeln die Menschen, das Gesangbuch im Arm. Wie schön ist die WcihnachtSmesfe etwa in der neuvorgerichteten Frauenkirche, wo von der hohen Galerie der Gesang in die Kirche hinabschollt nnd die hohe Wölbung der Kuppel füllt. Wie feierlich ist der weih nachtliche Abendgottesdienst in der Kreuzkirche, der Annen-, der Drcikönigskirchc! Und wenn es «ines der vielen klei neren Gotteshäuser ist, so sind am Heiligen Abend all« Bänke mit Andächtigen gefüllt, vordem mit dem sorgenden Gedanken: Wie wird es weitergehen? Jetzt mit hoffnungs vollem Vertrauen. ES ist schön, am Weihnachtsabend durch die Vorstadt straße u gehen. Da strahlt in vielen Fenstern der Lichter baum :t flackernden Lerz«n, man riecht ordentlich den Duft der Nadeln, des brennenden Wachse-, der zu Weih nachten gehört. Man hört im Geiste dir jubelnden Stim men der Kinder, die Klänge unserer lieben alten Weihnachts lieder. Dann, am ersten Feiertag, heißt es Besuche zu er ledigen. Der neue Mantel, Schlips und Hut. di« schöne» warmen Wint«rhandschuhe und manch andere» Kleidungs stück wird zum ersten Mal ausgeführt, kleine Mädche» tragen sorgsam die neue Puppe ins Freie. Buben ihre heiß- «rschnte Uniform. Und die unter dem WeihuachtSüaum Verlobten gehen Ar» in Ar», sich bei Verwandte» oder Bekannten vorzustelle». Auch der Dresdner liebt es. an Feiertagen ein gute« Mahl auf den Tisch zu setzen. Die WcihnachtSgans ist traditionell, wie der Truthahn de» Engländers. Biele müsien noch von dieser lieben Gewohnheit abs«hen. Rur auf den Stollen, den berühmte» Dresdner Ihristftollen, ka»n uaa» nicht verzichten, nnd wer zum Backen kein Geld hat, deut wird von irgend einem Wohltäter geholfen werden. Wir stehen ja im Zeichen de» Helfen», sogar an die Berfehmren des Weihnacht-feste», an dir Junggesellen, ist gedacht, daß nicht sie allein ohne Weihnachtsfeier bleiben sollen, wen» i» Stammlokal die Türen verschlossen sind. Familien sollen sich ihrer annehmen, sie «inladen und bewirten — vielleicht auch bekehren! Am zweite» Feiertag gebt »ran in» Theater- in« Kino, tu den Verein, f« nach Lust. Saun« und Geld» beutel. Di« Familie jedoch ist der schönste AukenthalL Glücklich, wer im Kreis der Familie den Frieden eine» WeihnachtSsesteS genießen kann! R. B- Wen« dn hist satt, Denk dran: ES hat s« Mancher nicht wie dr» r« essen! Lrnm gib dir «LH, Latz d« wögst nie Die Winterhilfe vergesse«. In» lik M all MM»..." Im wcißen Haar unter dem Wcihnachtsbaum. Von Fred Hilling. Es war still geworden in dem kleinen Zimmer. Die Kerzen am Tannenbaum brannten mit ganz leiiem Flackern nieder. Die wenigen Ge>ck«nke, denen man dennoch an merkte, daß iie mit viel Liebe und Sorgfalt ausgesucht und eingepackt waren, wurden wenig beleuchtet. Und die drei alten Damen faßen regungslos in ihren Sesseln. Sie hatten sich alles gesagt, was z» sagen war. Das war nicht viel. Tenn wenn nian siebzig ist, wählt man sehr streng zwischen Gleich gültigem und dem, was wirklich wert des Erwähnens ist. Sie schauten still in die Flammen. Sagten sie ihnen etwas, vder hielt sie die Müdigkeit des Alters gefangen? — Da war die Netteste, dce Drude. Sie konnte nicht ruhig die Gegenwart genießen. Zu lehr wurde alles Ver gangene in ihr mäckitig, wenn die Feiertagssaiten ihrer Teele angeschlagen waren. Die Erinnerungen erdrückten sie! Da gab es das rrest im jungen Heim. Sic war erst wenige Monate verlsciratet. Ihr Mann hatte alles be wegt, von dem er nur annchmen konnte, daß es sie glück lich machen würde. Der Tisch brach fast unter den Ge schenken. Und sie war ihm an den Hals geflogen, hatte geweint und gelacht und ihm gelagt, daß die Sehnsucht nach Haus — nein, nach ihrem Elternhaus — jetzt schwei gen würde. Damals glaubte sie, es könne nichts Schöneres geben. Im nächsten Jahr spiegelten sich die .Kerzen in den Augen eines Kindes, das noch verständnislos, sich schon test in den Herzen von Vater und Mutter festgenistet hatte, lind wieder ein Jahr später war es tot. Eine tückisch« Kinderkrankheit. Sie hatte geglaubt, niemals wieder lachen lu können. Und sie hatte schauere Jahre dem über alles geliebten Mann noch schwerer gemacht durch ihre hem- mungslole Trauer. Nie wieder hatte sie ein Kind gehabt, sich nie wieder einem Wesen so bedingungslos hjngegeben wie diesem kleinen Geschöpf. Sie hatte wohl wieder lacken gelernt unter der liebe vollen Sorge ihres Manne», sie hatten noch manche» schöne Fest miteinander verlebt. Und dock, schien eS ihr heute, a!» hätte sie den Hülievunkt ihres Lebens vor jenen vielen Jahren erlebt, da das Kind noch alle Hoffnungen in ihnen wachgehalten hatte. Ein verlandetes Leben. . . Auch Elles Haar war im Laufe der Jahre weiß ge worden. Auch in ihrem Gelicht hatten die Jahre ihre Merkmale hinterlassen. Und doch scknen es, als hätte nur das Locken die Falten verschuldet. Noch heute konnte das Attsrauenantlch Io herzhaft lacken und so gütig lächeln, daß auch der größte Kummer an Schwere verlor. Ein leileS Lächeln lag auch jetzt in ihren Augen, als sie die Briefe auf ihrem Schoß betrachtete. Wenn sie auch schon seit drei Jahren allein mit den Schwestern lebte, sie konnte nie einsam sein. Hatte sie doch in ihrem ganzen Leben so viel Liebe um sich gehabt, so viel Liebe geweckt, daß sie auch heute noch mitten im Leben ihrer Kinder und Enkelkinder stand. Die Feste in ihrer Ehe — mit den vielen Kindern und den Spiellacken, die möglickst schnell zerbrochen werden mußten, mit den bunten Tannenbäumen, die genug Süßigkeiten hatten, um vier Kindermägen zu verderben, mit der Schokolade und dem Marzipan und der großen, großen Kinderseligkeit. Die Kinder wurden gröber, die Spiellacken verschwan den und der Tannenbaum sah ernster aus. Das Gluck aber war das gleicht« geblieben. Schwiegerkinder fanden sich dazu, der Kreis wurde gröber. Bei der Heirat der Kinder verlieben sie zwar das Elternhaus, aber der Heilige Abend vereinte die ganze Familie. Es waren herrlich«: Feste, die dann folgten. Ihr Mann lebte noch, die Enkelchen brachten Kinderglück unter die brennenden Kerzen. Herzlichste Liebe vereinte drei Generationen, Tann starb ihr Mann, und sie zag zu ihren Schwester». Das Leben war lehr ruhig geworden um sie. Aber sie war nickt allein. Die Briefe der Kinder, der Enkelkinder lieben iie teilnehmen an allem, ivaS in ihrem Leben wichtig war. ES war kein Wunder, wenn sie gütig lächelnd in die Kerzen sah! Tickt unter dem Baum laß Marte, die verklärt in das Lickt >ah, da» von Freud« sprach und von Glück. Sie dachte nickt weit zurück. In ihrer Tätigkeit im Krankenhaus hatte sie nur immer dem Augenblick leben können. Ihr Dasein bestand aus kleinen Augenblicken der Freude, dje sie ihren Kranken und lick, bereiten konnte. Jahrzehnte hindurch war sie am Weihnachtsabend mit dein kleinen Bäumcki-cn in der Hand von Krankenbett zu Krankenbett geschritten. Hier tröstend, dort lick, mitsreuend. Wieviclen Todkranken hatte sie die letzte Lebensfreude mit den Kerzen deS Tannen- baumeS gebracht und wieviele Augen hatten sich ge schlossen, während die Weihnacht»glocken läuteten und sie iljnen beistand in der letzten groben Not. Es war ein stilles Leben gewesen, ohne große Er regungen. Manchmal, als sie noch jung war, hatte sie sich nach dem Erleben gelehnt. Heute war sie darüber längst hinweg. Sie wußte, daß es auch Menschen geben mußte, die am Rand stehen, di« von großer Hitze und grober Kälte verschont bleiben. Und sie hatte eS gelernt, sich an die kleinen Freuden deS Alltags zu halten. Den Schwestern das Leben schön zu machen, sie vergessen zu lassen, daß das Gesckick ihnen einstmals Anderes versproel-en hatte; auch« daS war eine Aufgabe. Die Weihnachtsfeste der lebten Jahre hatten ihr erst recht den Frieden gebracht. Sie wünschte sich nichts mehr. Sollte sie morgen die Augen für immer schließen, sie hätte nkchits dagegen einzuwenden. Ihr Leben war erfüllt. Vielleicht nicht ein Geschick, das auftvühlend wirkt. Dafil» aber eins, das dielen Tausenden «in kleines Studien Glü« gegeben hatte.