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Der Polizeirat lächelte. ES war ein boshaftes Lächeln, daS Hanns Rast fast zu, Raserei brachte. .Ich weiß!" sagte er engelsmild. »Die bewußte Dame, deren Ehre geschont werden muß. Es wäre gegen Kavaliers pflicht, ihren Namen zu verraten." »So ist es!" rief HannS und atmete lief und befreit auf. »Ich kann und werde ihren Namen nicht nennen." „Weil ich ihn nicht weiß!" erklärte der Polizeirat trocken. .Weil die Dame gar nicht existiert. Weil sie ein Kind Ihrer blühenden Phantasie ist. Wir wollen es nun genug sein lassen des grausamen Spiels, Hanns Nasi. Ich muß Sie verhaften. Die weitere Untersuchung wird es ergeben, ob Sie die Wahrheit gesprochen haben oder ob Eie ein guter Märchenerzähler und Schauspieler sind. Folgen Sie unseren Beamten freiwillig, sonst müßte ich Ihnen, bei der Schwere des Verdachts, Handschellen an- legen lassen." »Sie wollen HannS Rast verhaften? JnS Unter- suchungsgefängnis stecken? Ohne daß ich meine arme Mutter gesehen habe? — Versuchen Sie eSi" Hanns Rast rannte gegen die gestählte, kraftvolle Ge- palt des Polizeirats an. Dieser war von dem urplötzlichen Angriff des schlanken, geschmeidigen jungen Mannes so überrascht, daß er ins Wanken geriet. Diesen Augenblick benutzte Hanns, dem Kriminalisten einen furchtbaren voxerhieb gegen di« Schläfe zu versetzen, der diesen momentan betäubte. Eine Sekunde später warf Hanns di« Tür hinter sich zu und stürmte die Treppe hinunter. Doch er kam nicht weit. Im Hausflur stand ein stämmiger Schutzmann Wache. Der Fliehende hatte ihn vorhin bei seinem stürmischen Eintreten nicht bemrrlt. Der hielt dem blind vorwärts Rasenden ein Bein hin Im nächsten Augenblick schlug Hanns wie ein gefällter Baum zur Erde. Als der Poltzeirat oben am Treppenabsatz erschien noch ein wenig betäubt, da waren dem Flüchtling schon beide Arme auf den Rücken gefesselt. Langsam stic; Hilmar die Treppe hinab: «Das war dumm, Hanns Rast! Bisher war Ihn Verteidigung ziemlich geschickt. Es konnte Wahrheit darin liegen. Ich sage: es konnte, sage nicht: es lag Wahrhci, darin. Run haben Sie es sich selbst zuzuschreiben, wenn wir weniger glimpflich mit Ihnen umgehen." Dann wandle er sich an den Schutzmann: »Bestellen Eie telephonisch ein Auto und schaffen Sie den Mann ins Untersuchungsgefängnis. Das Weitere werde ich selbst veranlassen. Die Fesseln dürfen ihm als sluchtverdächtlg Nicht abgenommen werden." * ErusiuS ging zu Fuß der Stadt zu. Er wollte zunächst in der Prager Straße ein Geschäft suchen, dem er seinen Film zur sofortigen Entwicklung übergeben konnte. Ein solches fand er bald, und das bedienende Fräulein ver sprach ihm Erledigung binnen einer halben Stunde. - »Ich komme selbst, den Film abzuholen", sagte Erusius zu der niedlichen Verkäuferin, die einem kleinen Flirt mit dem interessanten Fremden nicht abgeneigt schien. .Mir liegt zunächst am Film. Mit den Abzügen ist es nicht so eilig." »Sie werden pünktlich bedient werden, mein Herr!" erklärte die junge Dame. »Da unser Operateur noch nicht im Geschäft ist, will ich mich selbst sofort an das Entwickeln machen." »Dann wird mir der Film doppelt wertvoll sein, wenn ein so kleines, reizendes Patschhanderl damit zu tun ge habt hat. Lassen Sie das Wunder mal sehen, mein schönes Sind!" Lachend hielt ihm das junge Mädchen die Rechte bin. »Es ist nichts Besonderes daran, mein Herr! Eine Hand, wie so viele." »Sie irren, mein verehrtes Fräulein?" erklärte Erusius mit arobem Srnkt. ^Zrren zu Ihren Unaunftcn. Dieses Patschhanderl ist nicht wie so viele. Es ist wie wenige,« Tenn eS ist lächerlich Nein, eS ist rosig, und es ist Wunder«/ voll weich. Von einem solchen Samtpfötchen gestreichelt zu werden, müßte ein himmlisches Vergnügen sein. Wollen Sie mich einmal in Ihren Himmel führen, Schönste?" »Warum nicht?" lachte das Fräulein und zeigte zwei Perlenreihen gesunder Zähne. »Wenn Sie schön bitten, wenn Sie sich dann im Himmel recht lieb benehmen, und wenn Sie mir jetzt schnell verraten, warum Sie es mit Ihrem Film gar so eilig haben, dann sollen Sie, wie der Dichter dem Schöpfer, mir in meinem Himmel willkommen sein. Es interessiert mich, warum die Filme so eilig sind. Wahrscheinlich sind es Aufnahmen von der Geliebten?" »Wie können Sie so etwas von mir denken, geliebtes Fräulein! Mich will doch keine. Mich stellen die Mädchen inimer in die Ecke und vergessen mich dort wie ihren Regenschirm." »So sehen Sie aus!" neckte das Fräulein. »Wie sehe ich aus?" fragte Erusius mit gut gespielt harmlosem Erstaunen. »Haben Sie keinen Spiegel zur Hand?" »Als ob Sie an jedem Finger der Hand zehn Mädchen zappeln ließen! So sehen Sie aus! Wie der Rattenfänger von Hameln sehen Sie aus, nur mit dem Unterschied, daß Sie die Kinder erst an sich locken, wenn sie mindestens siebzehn Jahre alt sind. So einer sind Sie. Vor Ihnen muß man sich hüten." »Wie können Sie den armen kleinen Heinz so schlimm verkennen. Sie liebes Wesen, das mir gegenüber rin so unliebes Wesen an den Tag legt. Wenn Sie nicht sogleich ganz furchtbar gut mit mir sind, dann weine ich mir die semmelblonden Aeuglcin rot und hänge den stärksten Strick an mir auf." »Sie sind ein durchtriebener Schalk", seufzte daS Mädchen elegisch. »Aber man kann Ihnen wohl nicht böse- sein. Wie soll ich es anfangen, furchtbar gut mit Ihnen, zu sein?" »Indem Tie zum armen kleinen Heinz sagen: Ich wiL dir ein ganz süßes Küßchen geben. Und indem Sie daS- auch sofort tun." »Wenn ich es aber nicht tue? Dann hängen Sie wirk lich den stärksten Strick an sich auf? Das kann ich natürlich, nicht verantworten." Das hübsche Kind hob sich auf die Fußspitzen — eS reicht« dem stattlichen Heinz Erusius kaum bis zu« Schulter — und bot ihm das rote Mäulchen. »Ich habe es immer gesagt: Morgenstunde hat Gold; im Munde. Wäre ich heute nicht zeitig ausgestanden, bannt würde mir dies Glück nicht widerfahren sein." »Run müssen Sie mir aber auch erzählen, warum der, Film so eilig ist. Stellt er etwa gar die Frau Gcmahliw in den verschiedensten Posen dar?" »Ach, Sie süßes, unschuldiges Kind! Wenn ich eine Frau Gemahlin hätte, dann wäre es mit mir überhaupt nicht mehr auszuhalten. So übermütig würde ich sein. Aber mich will keine. Ich sagte Ihnen doch schon, daß man den armen kleinen Heinz immer in die Ecke stellt.* »Auch ich werde ihn gleich in die Ecke stellen, wenn er mir nicht sofort erzählt, was es für eine Bewandtnis mit dem eiligen Film hat." »Es ist eine Räuberaufnahme, mein liebes Fräulein? Der berühmte Räuber Rinaldo Rinaldini in dem Augen« blick, da er einbricht. Auf dem Eise nämlich." »Hu! Sie wollen mich nur aufs Glatteis führen. Wahrscheinlich sind Sie selbst der berühmt« Räuber Rinaldo Rinaldini. Eie sehen ganz so aus." »Gnade, liebes Kind! Schon wieder soll ich so aus sehen. Run machen Sie gar einen Räuber aus mir." »Pst!" flüsterte die Kleine und gab Erusius rin ver stohlenes Zeichen. »Der Ehes!" Geschäftsmäßig fuhr sie laut fort: »Unter welchem Namen darf ich den Film buchen?" »Heinz Erusius. zu dienen. tchönes SKLukeZnI Augenblicklich «ingekerkert im Hotel Europahof. Zele Rümmer siebzehn, gleich neben der Mörderkammer." Die blauen Augen des Mädchens weiteten sich, und auch der hinzutretende Geschäftsinhaber spitzte die Ohren. »Heinz Erusius?" rief das Mädchen. »Sie find der berühmte Weltreisende, der unübertroffeneFilmoperateur? Wie mich das freut! Ich bin ganz hin und weg vor Freude." »Ganz auf meiner Seite, Verehrtest«! Aber bleiben Eie doch lieber hier, denn Sie sollen meinen Film ent wickeln. Wenn mein berüchtigter Name solch« Folgen aus löst, dann werde ich ihn künftig zu Hause lassen müssen. Beinah hätte ich gesagt: zu Hause bei Muttern; aber Hein, CrusiuS ist ein armer Waisenknabe. Er hat keine Mutier mehr. Sie starb schon zwei Monate nach seiner Geburt." »Ich werde den Film mit ganz besonderer Sorgfalt entwickeln", erklärte das Mädchen wichtig. »Und mit Liebe!" setzte es leise hinzu. »In einer halben Stunde spätestens wird er fertig sein." »Dann komme ich und hole ihn mir!" sagte Erusius. »Uud Sie ebenfalls, Süßestes!" flüstert« ex, nur dem Mädchen verständlich. Das machte glücklich« Augen, wie die Märchcnprinzessin, nachdem der Sönigssohn sie ge küßt hat. Erusius traf den Freund auf seinem Zimmer. Er hatte flcb sein Frühstück dorthin kommen lassen und saß gerade beim Kaffee. Die dunklen, unheimlichen Ahnungen der Nacht waren vor dem Hellen Sonnenlicht in nichts zer flossen. » n Tag, Horst! Laß dir s gut schmecken. Bist du stark genug, gute und böse Botschaft gleichzeitig zu ertragen?" »Gute und böse? Kannst du es nicht bei den guten allein bewenden lassen? Rein! So erzähle! Das Leben ha, mich stark genug gemacht, auch Schlimmstes zu er- kragen." »Zunächst das Gute. Ich soll dich recht, recht herzlich grüßen. Von Hedwig Rast. Sie erwartet baldigst deinen Besuch." Horst Kupfer starrte den Freund mit großen Augen an. Er schien die Botschaft nicht fassen zu können. »Hedwig Rast?" kam es stotternd von seinen blaß ge wordenen Lippen. »Sie läßt mich grüßen? Woher weiß Pc? Warst du bei ihr? In aller Frühe?" Heinz Erusius setzte sich neben den fassungslosen Freund, ergriff seine Hand und drückte sie warm. Dann begann er seine Erzählung. Von dem rätselhaften Unfall der Mutter, von ihrem seltsamen Tagebuch und von Hedwig Rast. »Das Mädchen ist ein Engel. Ich beneide dich, Horst! Ihr werdet sehr, sehr glücklich werden, wenn erst die augenblicklichen trüben Wolken sich zerstreut Haden und der Himmel wieder hell sein wird." »Hedwig liebt mich, hat mich immer geliebt", flüsterte Horst. In seine ernsten Augen kam ein weicher, sonniger Gianz. »Sie ist mir all die Jahre treu geblieben. Das liebe, wunderbare Mädchen." Dann fiel er dem Freunde überglücklich um den HalS: »Heinz, du Lieber, Treuer! Wie danke ich dir! Niemals werd« ich vir das vergessen. Ohne dich würde ich wohl niemals davon erfahren haben, daß Hedwig mich liebt, mich immer geliebt hat. Run wollen wir sogleich zu ihr. Sein« Minute will ich mehr versäumen, nachdem ich schon drei Jahre versäumt habe." Bald darauf waren beide zum Ausgehcn gerüstet. »Ein paar Minuten mußt du deine Sehnsucht noch bändigen, Horst! Ich will erst «inen Sprung nach der Prager Straß« machen, um einen wichtigen Film abzu holen. Wir werden ein Auto nehmen. Unterwegs will ich dir erzählen, was es mit den Aufnahmen für eine Bewandtnis hat. Ich habe sie heute in aller Früh« vom Haus« deines geliebten Mädchens gemacht. Mein Gefühl, dos «ich nie trügt, jagt mir» dgtz «in« diejoe Aufnahmen die Lösung des «StselS, die Aufklärung des Verbrechen bringen wird. Ich hoffe zuversichtlich, daß meine BUder deine» künftigen Schwager von dem auf ihm ruhenden Verdacht befreien werden. Er ist zwar ein unerfreuliches Früchte!, aber mit diesem Verbrechen hat er, direkt wenig« stens, wohl nichts zu tun. Darüber habe ich meine be stimmten Gedanken, über die ich aber noch nicht sprechen möchte. Du darfst aber Gutes hoffen, Horst!" Als Erusius mit dem Freunde in den Laden trat, be diente ihn der Geschäftsinhaber selbst. Der wollte es sich nicht nehmen lassen, den berühmten Weltreisenden persön lich krnnenzulernen. Das junge Fräulein stand bescheiden im Hintergrund und starrt« Heinz mit großen, brennenden Augen an. CrusiuS betrachtet« di« vier Aufnahmen durch ein« scharf« Lupe, dir er seiner Westentasche entnommen hatte. Bet der vierten stutzte er. »Mein« Ahnung war richtig. Hier dürfte die Lösung des Geheimnisses liegen. Bald nach meiner Aufnahme muß hier eine unbekannte Hand gewaltet und die unfrei willigen Zeugen beseitigt haben." Er wandte sich hastig an den Freund: »Du warst früher oft in dem schönen Hause in der Saitzer Straße. Sannst du dich noch auf die Verteilung der einzelnen Räume besinnen?" »Ich könnte dir einen genauen Grundriß zeichnen", er- klärte Horst eifrig. »Im Dunkel der Rächt würde ich mich t« ganzen Hause zurechtfinden." »Die Liebe, ja, di« Liebe hat ihn so weit gebracht!" trällerte Erusius halblaut. Dann zog er seine Lupe wieder auS der Westentasche und zeigte dem Freund die letzt« Aufnahme, bei deren Besichtigung er sofort gestutzt hatte. »Kannst du mir sagen, zu welchem Zimmer dieses Fenster gehört?" Horst betrachtete den Film aufmerksam, nahm auch die anderen Aufnahmen zur Hand «ud verglich. Dann sagte er bestimmt: »Es ist das Zimmer der Köchin oder des Haus mädchens. Es liegt neben der Küche. Rur ein schmaler Abstellraum liegt dazwischen. Wenigstens war es früher so. Ich glaube aber nicht, daß Frau Rast hierin irgend ein« Aenderung vorgenommen hat. Dazu war sie viel zu konservativ. Auch würde der Bauplan des stark auf Repräsentationszwecke abgestimmten Einfamilienhauses eine Aenderung kaum zugelassen haben." »Das paßt prächtig in mein System, Horst! Für mich liegt die ganze Geschichte nun sonnenklar. Di« endgültige Klärung wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Vielleicht kannst du beim ersten Besuch zugleich Neber- bringer der Freudenbotschaft werden, daß der auf Hanns Rast ruhende Verdacht unbegründet war. Run komm, ich will die nötigen Nachforschungen sofort an Ort und Stelle vornehmen. Näheres erzähle ich dir unterwegs im Auto." Als Erusius und Doktor Supfer an dem Hause in der Saitzer Straße geläutet hatten, wurde ihnen von dem jungen Hausmädchen geöffnet. Es blickte noch immer au- verängstigten, scheuen Augen in die Welt und erschrak, als es Hein, CrusiuS erkannte. Das Mädchen war in dem Glauben, daß er zur Polizei gehörte. Horst Supfer reichte dem scheuen Ding seine Sarte und bat: »Melden Sie mich sofort dem gnädigen Fräulein. SS ist doch zu Hause?" DaS Mädel nickte. ES konnte nicht sprechen. Di« Sehl« war ihm vor Angst wie zugeschnürt. Was wollte dieser Heinz Erusius schon wieder? Seine durchdringenden Augen flößten ihm Furcht, geradezu Entsetzen «in. Es vergaß deshalb auch, ihm zu melden, daß vor kurzem ein junger Mann nach Herr« Erusius gefragt hatte. In fliegender Hast stürzt« das Mädchen di« Treppe empor und ließ die beiden vesucher im Flur warten, ohne daran zu denken, sie in der freundlichen Di«l« Platz nehmen zu lassen. Bald kam es zurück: »Das gnädig« Fräulein lassen de« Herr« Doktor