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Beilage z»m „Riesaer Tageblatt". Rotationsdruck und Verlag »ou Langer t Wtnterltcd in RIrla. — ^ltr dl« Redaktion »«antwortlich: Arthur HLHnel in Rieio Sv. Doaaerstag, SS. April liill, adeavs «4. Jahrg. , TegeSgeschichte. AR. König Georg von Griechenland hat In Athen dm Korrespondenten de» Figaro, George» Bourdon, em pfangen und ihm gegenüber einige bemerkenswerte »mb«' rangen über seine der heutigen Lage tir Griechenland getan. .Ja", antwortet« er auf eine Anspielung auf di« letzt« Krise mit einem Lächeln und ohne jede Bitterkeit, »viele Dinge haben sich bei un« seit einem Jahr« ge ändert. Alle» ist hier wieder ruhig, geordnet und »rrnünftig geworden: Sie könnten eine Fliege fliegen hören. Da» ist sehr erfreulich. Im übrigen bin ich niemal» sehr un ruhig gewesen. Ich wußte ja ganz genau, wa» alle» über- trieben und nur oberflächlich bei den öffentlichen Agita tionen gewesen ist, und vielleicht hat man dies« in Europa auch «in wenig übertrieben beurteilt. Ich habe niemal» an dem griechischen Volke gezweifelt. ES ist im tiefsten Grunde gut und sanft, aufrichtig dankbar allen denen, deren Hingabe eS kennt und die ihm Gute» erweisen wollen. E» hat auch mehr Ruhe und Kaltblütigkeit al» man ihm ge wöhnlich zutraut. Die Griechen sind keine»weg» exaltiert; sie gefallen sich im Gegenteil darin, viel zu überlegen und zu erörtern. E» war also nicht zu fürchten, daß sie sich gehen ließen. Gewiß haben große Veränderungen bet uns stattgefunden, aber Sie sehen doch, wie leicht sich hier alle« entwickelt. Während dieser aufgeregten Zeit, auf die Sie hindeuten, habe ich da» Glück genoffen, vielfache Zeichen der Weisheit und der Anhänglichkeit de» Volke» zu er fahren. Ueberall, wohin ich gegangen bin, hab« ich da» Volk gefällig, liebenswürdig und zuvorkommend und viel weniger in Unordnung gefunden, al» man e« je vermutet hätte. Endlich ist da» alle« vorüber. Wir haben jetzt ein arbeit«same« und stetige« Regime. Die Regierung hat mit Erfolg für die Beruhigung der Geister und die Wie derherstellung der Ordnung gearbeitet, und man kann auf da» von der Nationalversammlung begonnene Werk nur Hoffnungen setzen. Die Freunde Griechenlands können sich dessen freuen . . ." Die Anregung, wonach vergleichende Feststellungen über die sozialpolilischen Belastungen der Arbeitgeber in den verschiedenen Kulturländern vorgenommen werden sollten, wird überall da, wo die Entwicklung de« deutschen Absatzes auf dem Weltmarkt verfolgt wird, al« durchaus zweckmäßig angesehen werden. E» kann nicht geleugnet werden, schreibt man dem Chemn. Tbl., daß infolge der ,ozialpolitischen Belastung der Arbeitgeber die Gestehungs kosten in Deutschland eine Höhe erreicht haben, die für den Wettbewerb auf dem Weltmärkte gefährlich werden könnte. Scho« früher wurde auf die Gefahr, die hier auch für die deutsche Arbeiterschaft erwachsen würde, hingewiesen. So segensreich di« soziale Gesetzgebung Deutschland» sür di« Arbeiterbevölkerung gewirkt hat, wichtiger al» deren Ver sorgung in Fällen der Not ist ihre dauernde und aus reichende Beschäftigung in gesunden Tagen. Deshalb bleibt auch die Wirtschaftspolitik immer wichtiger al« di« Sozial politik. Nun läßt sich nicht leugnen, daß der Export für die deutsche Volkswirtschaft ein« immer größere Be deutung erlangt hat. Sein Wert hat sich von 2038 Mil- lionen Mark im Jahre 1870 auf 7636 Millionen Mark im Jahr« ISIS oder um 27,7 v. H. gesteigert. ES liegt auf der Hand, daß sich Störungen in der Darbietung von Arbeitsgelegenheit an die Arbeiterschaft ergeben müßten, wenn diese Entwicklung gehemmt würde. Da« aber ist wieder zu befürchten, wenn infolge einer die Gestehung». kosten anderer Länder nicht oder nicht so sehr beeinflussenden sozialpolitischen Belastung sür di« deutschen Produkte Preise gefordert werden müßten, bet denen ein Wettbewerb auf dem Weltmarkt« ausgeschlossen wäre. Al» Deutschland mit seiner sozialpolitischen Gesetzgebung vorangtng, wurde er wartet, daß die anderen Kulturländer nachfolgen würden. Da« ist nicht oder wenigstens nicht in dem erwarteten Maße geschehen. Hierüber eine genaue Aulklärung zu schaffen, ist auch schon angezeigt, um die in Deutschland vorhandenen Bestrebungen auf Erhöhung der sozialpolitischen Lasten auf da» erträgliche Maß zurückzuführen. Industrie, Landwirtschaft und Handel haben ja bisher die ihnen in Deutschland auferlegten sozialpolitischen Lasten getragen, man soll sich aber vorsehen, daß nicht etwa die Henne ge schlachtet wird, die die goldenen Eier legt. Deutsche» «eich. Das Gesetz zur Entlastung der Reichsgerichts, da« der Reichstag im Vorjahre angenommen hatte, soll sich nach Preßäußerungen nicht bewährt haben. Lt. L. T. soll gerade da« Gegenteil der Fall sein. Da» Gesetz hat die Wirkung gehabt, daß beim Reichsgericht monatlich etwa 100 Revisionen weniger als bisher eingelegt werden und die Termine viel früher angesetzt werden können. Nachdem die vom Reichstag bewilligten HilkSrichter angestellt sind, werden im allgemeinen alle Revisionen im Laufe von 3 Monaten erledigt. Vor kurzer Zeit ist, wie wir im Lpz. Tbl. lesen, «ine Leuchtpistole eingeführt worden, durch die eine Beleuch tung des Schlachtfelder zur Nachtzeit möglich ist. Durch eine Art großer Pistole werden Leuchtgranaten in die Höhe geschleudert, di« 8 bi« 10 Sekunden lang leuchten und einen Lichtschein von 3000 Kerzen über einen Umkreis von 500 Meter verbreiten. Es ist dadurch den Schützen die Möglichkeit gegeben, die Stellung der feindlichen Truppen auch zur Nachtzeit gut zu erkennen und da» Zielvbjrkt zu treffen. Eine ähnliche .Leuchtkanone* ist gleicherweise bet der Marine erprobt worden. Hier handelt e» sich um Azetylengranaten, die vom Schiff au» in« Wasser geschleu- dert werden. Da« Geschoß enthält eine Kammer, die mit Kalziumkarbid gefüllt ist, und die so eingerichtet ist, *daß da» Wasser in sie eindringen kann. Die Granate wird nun in da» Wasser geschleudert, wodurch sich da» Wasser mit dem Karbid chemisch verbindet und bekanntlich da» AzetylengaS heroorbringt. Die Granate steigt wieder an die Wasseroberfläche und bildet so die Lichiquelle. Diese Azetylengranaten haben, da sie sich gut bewährt haben, mehrere Vorzüge aufzuweisen. Kirsten» haben sie eine Leuchtstärke von ungefähr 3000 Kerzen und brennen min desten« drei Stunden. Sie gestatten also der Besatzung des Kriegsschiffe«, die gesamte Umgebung auf der Wasser oberfläche, bis in die genauesten Einzelheiten zu beobachten. Wa» aber noch oon größerer Bedeutung ist, ist der Um stand, daß sie von dem eigenen Kriegsschiff weit weg geschleudert werden. Zum Absuchen de« Wassers dienten bi» jetzt im allgemeinen Scheinwerfer, die z. B. al« Schutz gegen da» unbemerkte Hrrannahen von Torpedobooten zur Nachtzeit gebraucht werden. Wie eine parlamentarische Korrespondenz wissen will, werden von der Regierung demnächst wieder unverbindliche Verhandlungen mit den in Betracht kommenden Stellen über eine Festlegung de» Osterfeste» gepflogen werden; al» Grundlage dafür soll die Ansetzung deS Oster- terminS auf den zweiten Sonntag im April dienen. Der Wahloerein der bayerischen Konservativen hat in seiner vorgestrigen Versammlung nach einem ein gehenden Referat deS Rechtsanwalts Freiherrn Ebner von Eschenbach über die politische Lage, insbesondere über dar Verhältnis der Konservativen zu den liberalen Parteien, seine Taktik bet den kommenden ReichStagSwahlen in fol gender Resolution festgelegt: „Die künftigen Reichstags^ wählen erheischen Zusammenstehen aller national-bewuß- ten und monarchisch gesinnten Parteien. Auf Unter stützung durch die Konservativen in Bayern kann im Kampf gegen den Umsturz jede rechtsstehende Partei zählen. Die wahrheit-widrige und verhetzende Agitation deS Liberalismus gegen die Reichsfinanzreform und die IN8vkLtv liik ilik ÜmckiM. MßM-Uj Ml» MM suUliiWellrl, WlsRens lil8 SoiMböllll ttüli 8 lllir; d«i Wem ichck lm Sie »MM MI Migl Ml. kWMNWtelle ÜS8 „KIS8M iMblstt". Gesühnt. Roman von G. v. Schlipvenbach. 10 »Weiter hinunter am See," so hieß es am Schlüsse des Brie fes „schimmern eine Menge kleine, saubere Häuser, die, von hier gesehen, wie das Spielzeug eines Kindes anmuten. Auf Hal ver Höhe des Waldes, der sich gleich hinter dem See auf baut, erhebt sich ein schloßartiges Gebäude im reinsten Stile der Renaissance. DaS ist wohl Herrn Klingbergs Heim ?" frage ich und erhalte Felix' spöttische Antwort: ,Ja, dort wohnt der Schmied, recht protzig sieht das HauS aus. Finden Sie nicht?" — Hätte ich nicht soeben den Entschluß gefaßt, ihn nicht zu reizen, ich hätte meine Meinung in folgende Worte gekleidet: Ich finde es nicht, Derehrtester, warum soll ein Mann, der alles seiner eigenen Kraft verdankt, nicht sein Heim nach sei- «em Geschmack aufbauen, um darin von der Arbeit auSzu- ruhen?" Felix schien auf keine Erwiderung meinerseits ge wartet zu haben. Er fing an, über Pferde zu sprechen, sein LieblingSthema, wie ich bald merkte, hier war er jedenfalls gut orientiert. Wir gingen in den Stall, und er zeigte mir die wirk lich schönen Tiere. „Hier ist der Schimmel meiner Mutter. Sie reitet nicht mehr, seit sie im Winter die JschiaS-Schmer- zen gehabt; diese» Pferd wird Ihnen zur Verfügung gestellt, Baronesse; bitte, bewachten Sie eS als Ihr ausschließliches Eigentum für die Dauer Ihre« hiesigen Aufenthaltes." Er sagte das in so liebenswürdiger Art, daß ich wieder ganz ge wonnen wurde. Mich wandelte die Lust an, gleich das lang entbehrte Vergnügen zu erproben. „Ob wir nicht..?" fing sch an. — „Aber selbstverständlich!" rief Felix erfreut, „das ist eine famose Idee, ich lasse gleich den Schimmel und mei nen Fuchs satteln." Eine Viertelstunde soätcr saßen wir im Sattel. Es war doch gut, daß ich mein Reitkleid nach Mon Larsange mitgenommen habe. Tante Heloise stand auf der Veranda und sah zu, wie wir davonritten. Ich habe selten etwa« so sehr genossen wie diesen Ritt. Der Schimmel trägt herrlich. Erst trabten wir über den breiten Parkweg, der auch »um Fahren benutzt wird, dann nahm der Wald uns auf. Die kleine Verstimmung zwischen Felix und mir war ge wichen, und wir scherzten und plauderten fröhlich mit einander. Ich glaube, schon nach der kurzen Bekanntschaft mein Urteil über den jungen Fürsten Degenhart zu haben; er ist ein ganz netter Mensch, angenehmer Causeur, solange das Gespräch nicht tiefer geht. Ich denke wir werden uns ganz gut verwogen. Eins weiß ich schon jetzt; gefährlich kann er mir nicht werden, dazu ist er zu unreif. Mutti, wenn ich einmal liebe, dann muß eS ein ganzer Mann sein, jemand, zu dem ich emporblicke, der viel besser und llüger als Deine Nora ist. Ich werde ihn aber wahrscheinlich nie entdecken und im Stift mein Leben beschließen. Als wir auf dem Rückwege dicht am Hause des Fabrikdirektors vorbeiritten, sah ich im Garten ein bildschönes, dreijähriges Bübchen, das munter hin und her lief, es mußte den Schutt unserer Pferde gehört haben, denn es blieb stehen und schaute uns an, gerade mit solch großen, dunklen Augen wie die Klingbergs. Das also war sein Söhnchen, die mutterlose Waise. Jetzt erschien auch eine alte, kleine Dame im Garten und rief des Kindes Namen: „Emil Otto, wo bist Du? Emil Otto!" Ich zuckte zusammen. Seltsam berührte es mich, hier den Na men des Bruders zu hören. Wie kam der Direktor darauf, sei nen Junge» so zu laufen? Welch eigener Zufall. Felix sagte wieder sehr hochmütig: „Ich finde es höchst unpassend, wenn Bürgerliche ihre Kinder solche Namen führen lassen, hinter de nen ein „von" stehen müßte. Wie klingt es: „Emil Otto Kling berg"! Ich weiß, daß viele von unseren Adelsgeschlechtern die sen feudalen Doppelnamen tragen. Auch in Ihrer Familie kommt er häufig vor, Baronesse." — „Ich denke, daß Namen Allgemeingut sind," entgegnete ich ziemlich scharf, „der Kai ser heißt ebenso gut Wilhelm wie Tausende feiner Untertha- nen." — „Sie haben eine republikanische Ader; ich muß es zu meinem Bedauern eingestehen," rief Felix ärgerlich. — „Ich glaube es selbst," versetzteich lachend; „Sie werden sich daran gewöhnen müssen." — „Niemals!" rief er ärgerlich und spornte sein Pferd an, was ich gleichfalls tat. Wir ka men mitten durch die Häuser der Arbeiter und erblickten die großartige Fabrikanlage. Dor einen: hohen, roten Gebäude aus Ziegeln stand Klingberg im Gespräch mit einigen Män nern. Er lüftete sehr höflich den Hut und grüßte; Felix hob nachlässig zwei Finger an seine Mütze und ich neigte den Kopf, vielleicht etwas tiefer, als sonst üblich ist, aber ich wollte mei nes Begleiters Ungezogenheit gut machen. Der Rest des Ta ges verging mit Tennis-Spielen, wobei mein Gegner und ich entdeckten, daß wir uns ebenbürtig sind und es manchen hei ßen Strauß um Ue Siegespalme zwischen uns geben wird. Am Abend mußte ichvLante Heloise vorspielen. Felix bläst etwas Kornett und malträtiert das Instrument, dem er falsche Töne entlockt. Ich glaube, außer gut zu Pferde zu sitzen ist sein Kön nen meist stümperhaft. Ach ja, eins vergaß ich, er soll auch fa mos „tanzen", das verriet er mir noch. — Tante Heloise war fehr gut zu mir, ich habe sie in diesen ersten vierundzwanzig Stunden schon lieb gewonnen. Geschlafen habe ich herrlich nach der Reise und all den neuen Eindrücken, selbst den Pfiff des Stahlwerkes habe ich am Morgen nicht gehört, obgleich die Fenster offen standen. Ich schließe, Muttchen. Grüße alle meine lieben, alten 'Freun dinnen im Stift, Dich herzt innig Deine Dich liebende Toch ter Nora. Bitte, schreibe mir bald und teile mir mit, ob Emil Otto nicht geschrieben hat: er ist jetzt in Europa, sein letzter Brief war ja aus Paris. Mutti, wir werden ihn Wiedersehen." Aus dem Briefe Noras sind wir über die Personen ihrer Umgebung und ihre Eindrücke orientiert. In ihrer frischen, freimütigen Art hatte sie sich bald zurecht gefunden und er faßte alles mit Lebhaftigkeit. Die Fürstin Degenhart war eine gute und kluge Frau, die Einladung war ihrerseits nicht ganz ohne Hintergedanken gewesen, sie wünschte ihren Sohn baldmöglichst zu verheiraten. Felix' unfettiges Wesen, sein Mangel an Charakter hatten ihn zuweilen zu dummen Strei chen verleitet, die Mutter hielt es für besser, wenn er eine vernünftige Frau bekam, die ihn leitete. Nora paßte dazu. Daß sie arm war, störte die Fürstin Heloise nicht, schon in den wenigen Stunden im Stift hatte sie das junge Mädchen ins Herz geschlossen, und jetzt gewann sie sie mit jedem Tage lieber. Die Mutter Felix' war eine etwas exzentrische Dame, die leicht entflammte und sich immer einen phantastischen Plan zurechtlegte, den sie dann verfolgte. In der ersten Woche waren die beiden jungen Leute ganz aufeinander angewiesen, und Nora fing an, die Sache et was langweilig zu finden. Felix „raspelte Süßholz", wie man zu sagen pflegt, das heißt, er gefiel sich in unglaublich fa den Schmeicheleien und legte seine Bewunderung so offenkun dig zu Tage, daß eS das junge Mädchen anwiderte. 187,20